Wendepunkt: Abkehr von der Austeritätspolitik? IWF fordert neue Dynamik der Volkswirtschaften
Von Joachim Bischoff
Der Internationale Währungsfonds (IWF) warnt vor einer neuen globalen Wirtschaftskrise. Auf der anstehenden Jahrestagung des Fonds geht es zentral um die Risiken der globalen Ökonomie und die anhaltende Instabilität des globalen Finanzsektors. Mit Blick auf das globale Wachstum sagte die IWF-Direktorin Lagarde, notwendig sei eine »neue Dynamik« der Volkswirtschaften und verstärkte internationale Zusammenarbeit.
Die globale Wirtschaft sei schwächer als vor sechs Monaten angenommen. Zwar gebe es derzeit Wachstum, doch »das Wachstum ist nicht stark genug, um den weltweiten Herausforderungen zu begegnen«. Auch geopolitische Krisen wie in der Ukraine oder in Nahost könnten weit über die betroffenen Gebiete hinaus ökonomischen Schaden anrichten, etwa durch steigende Energiepreise. Riskant sei zudem eine mögliche Überhitzung der Finanzmärkte. Die hohen Börsenkurse würden nicht die Zerbrechlichkeit der wirtschaftlichen Erholung widerspiegeln.
Die Weltwirtschaft steht an einem Wendepunkt – so die Ökonomen des IWF –, an dem sich entscheide, ob die Welt in eine Zeit dauerhaft schwachen Wachstums hineinrutsche oder ob die Regierungen die Kraft aufbrächten, durch entschiedene Strukturreformen die Weltwirtschaft auf einen höheren Wachstumspfad zu lenken. Die Risiken für die Weltkonjunktur seien in den vergangenen Monaten wieder größer geworden, warnt der IWF.
Die Wachstumsprognose für dieses Jahr wird daher deutlich zurückgenommen. Auch für 2015 korrigierte der IWF die Einschätzung und rechnet nun mit 3,8% Wachstum. Damit musste der Fonds zum wiederholten Male seine Erwartungen reduzieren. Betroffen von der Abschwächung ist auch Deutschland: So dürfte das Wachstum dieses Jahr lediglich 1,4% betragen. Das ist eine Absenkung um 0,5 Prozentpunkte seit dem letzten Zwischenbericht im Juli. 2015 soll die Konjunktur in Deutschland um 1,5% wachsen, statt wie bisher vom Währungsfonds vorausgesagt um 1,7%.
Die Wirtschaft in den Vereinigten Staaten und im Vereinigten Königreich läuft gut, im Euroraum sieht es dagegen schwierig aus. Das Bleigewicht für die Wirtschaftsdynamik ist die Entwicklung in der Euro-Zone. Für Frankreich erwartet der IWF nur noch 0,4% Wachstum in diesem Jahr. Damit hat der Währungsfonds seine Prognose halbiert. In Italien dürfte die Wirtschaft sogar um 0,2% schrumpfen. Da es sich nach Deutschland um die beiden größten Wirtschaftsnationen der Euro-Zone handelt, gibt das wenig Raum für europäischen Optimismus.
Eine große Sorge ist für den IWF, dass die wirtschaftliche Entwicklung in der Eurozone stagniert. Mit einem veranschlagten Wachstum von 0,8% – ursprünglich wurden 1,1% erwartet – kränkelt vor allem der gemeinsame Währungsraum innerhalb der EU. 2015 sollen es dann zwar 1,3% sein. Eine Stagnation oder sogar Rezession wäre aber sowohl für die Entwicklung des Arbeitsmarktes als auch für die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen ein drängendes Problem.
Die Direktorin Lagarde warnt vor einem »langfristigen Risiko niedrigen Wachstums«. Vor allem in der Eurozone führe die Konjunktur nicht zum entscheidenden Abbau der Arbeitslosigkeit. »Die Welt muss stärkere Anstrengungen unternehmen.« Jetzt gehe es vor allem um mehr Wachstum und mehr Jobs. Entscheidend zur Konjunkturankurbelung seien daher stärkere Infrastruktur-Investitionen. Schätzungen gingen von einem weltweiten Investitionsbedarf in Höhe von sechs Bio. US-Dollar (4,7 Bio. Euro) für die nächsten 15 Jahre aus. Es müsse Schluss sein mit der rigorosen Sanierung der öffentlichen Haushalte.
Der Weltwährungsfonds rät den Ländern, angesichts der anhaltenden Ersparnisflut und der preiswerten Kredite jetzt in die Infrastruktur zu investieren. Öffentliche Investitionen können die Initialzündung für eine breite Erneuerung des Gesellschaftskapitals sein. Auch wenn damit neue Schulden gemacht werden, wäre dies eine Konjunkturmaßnahme, die sich letztlich selbst durch mehr Nachfrage, mehr Jobs und langfristiges Wirtschaftswachstum und damit auch mehr Staatseinnahmen bezahlt. Der IMF fürchtet nämlich, dass die Nachfrage in eine »säkularen Stagnation« verfallen könnte, in einen Zustand ohne Wirtschaftswachstum.
Mit dieser Botschaft argumentiert der IWF gegen die Vordenker neoliberaler Strukturpolitik. »Deutschland, das seine Haushaltskonsolidierung abgeschlossen hat, kann sich die dringend benötigen zusätzlichen Investitionen in die Infrastruktur leisten.« Das heißt: Die Bundesregierung soll mehr ausgeben, um die Wirtschaft anzukurbeln. Damit unterstützt der IWF die Kritiker in Frankreich und Italien, die von Deutschland mehr Anstrengungen zur Überwindung der Konjunkturschwäche verlangen.
Neben dieser Intervention des IWF ist eine deutliche Zunahme der Unruhe über die Entwicklungen an den Finanzmärkten festzustellen. Die oberflächliche Ansicht, dass seit Ausbruch der globalen Finanzkrise 2008 bereits »eine Menge getan« worden wäre, Banken und sonstige Finanzunternehmen sehr viel sicherer geworden seien, eine Krise wie 2008 könne sich daher nicht so schnell wiederholen, findet immer weniger Zustimmung.
Verschiedene Experten widersprechen dieser Selbstberuhigung (so z.B. Anat Admati und Martin Hellwig, die 2013 gemeinsam das Buch »Des Bankers neue Kleider: Was bei Banken wirklich schief läuft und was sich ändern muss« veröffentlichten). Sechs Jahre nach der größten Finanzkrise seit den 1930 Jahren weisen die Großbanken in ihren Bilanzen einen Eigenkapitalanteil von nicht mehr als 5% aus. Bei einigen Banken sind es sogar wenig mehr als 3% Eigenkapital. Dies bedeutet, dass 95% ihres Geschäfts über Schulden finanziert werden – und dass es daher bloß einer kleinen negativen Erschütterung bedarf, um sie in die Insolvenz zu zwingen.
Es bleibt nach wie vor viel zu tun, um diese Instabilität zu beheben. Zum Beispiel muss die Eigenkapitalausstattung deutlich erhöht werden, die unsicheren Kredite und Wertpapiere müssten aus den Büchern verschwinden und es bedarf offizieller Regeln für die internationale Zusammenarbeit im Umgang mit scheiternden Finanzunternehmen. Es muss schließlich möglich werden, derartige Unternehmen pleite gehen zu lassen, ohne dass dies eine weltweite Panik auslöst. Banken sollten sinnvolle Abwicklungspläne erstellen, um zu zeigen, wie dies möglich ist. Höhere Kapitalanforderungen bedeuten mit gleichbleibender Bilanzgröße im Wesentlichen eine stärkere Eigenkapitalfinanzierung und damit relativ gesehen weniger Schulden.
Nicht erreicht worden ist schließlich ein Abbau der globalen Verschuldung der Wirtschaftssektoren. Vielmehr werden immer neue Höchstwerte erreicht. Diese Entwicklung behindert die konjunkturelle Erholung der kapitalistischen Hauptländer, und in aufstrebenden Ländern, vor allem in China, droht eine neue Krise. Im Gegensatz zu der weitverbreiteten Ansicht hat der globale Deleverage-Prozess noch gar nicht begonnen.
Die globale Verschuldung hat 212% (2013) der Wirtschaftsleistung erreicht (2007: 174%), wobei in dieser Rechnung der Finanzsektor gar nicht berücksichtigt ist. In vielen Ländern sei ein Teufelskreis entstanden, in dem erzieltes Entschulden das Wachstum und langsameres Wachstum den Entschuldungsprozess behinderten. Fortschritte in der Entschuldung des Privatsektors seien auf Kosten einer substanziellen zusätzlichen Verschuldung des öffentlichen Sektors gegangen.
Vor allem die Euro-Zone werde noch längere Zeit gefährdet sein – was zumindest teilweise auf die Zusammensetzung der ungeeigneten Krisenpolitik zurückzuführen sei. Die angelsächsischen Länder – insbesondere die USA und Gro9britannien – hätten dagegen den »Trade-off« von Entschuldung und Output-Einbussen deutlich besser gehandhabt.
Der Internationale Währungsfonds bleibt skeptisch: Die Lasten der Finanzkrise nach 2008 seien noch nicht abgetragen, erklärt Chef-Ökonom Olivier Blanchard, was etwa an den hohen Schulden und der enormen Arbeitslosigkeit vieler Staaten sichtbar ist. Doch neue Risiken kämen hinzu. Die niedrigen Zinsen trieben die Jagd nach Rendite an – die Akteure an den Finanzmärkten schauen laut IWF etwas zu gelassen und zuversichtlich in die Zukunft.
Vor allem in der Eurozone sei ein Großteil der Finanzinstitute weiterhin nicht in der Lage, nachhaltig Kredite zur Stützung der Wirtschaft zur Verfügung zu stellen, heißt es im Bericht des IWF. Weltweit sind 40% der Banken – in der Eurozone sogar 70% – nicht in der Lage, ausreichend Kredite zu vergeben. Eingesprungen sind Schattenbanken, insbesondere Anleihenfonds. Außerdem liegt es nicht am Geld- und Leihkapital: Obwohl Notenbanken fast kostenlos Geld zur Verfügung stellen, komme es nicht ausreichend in der Wirtschaft an. Diese Kraftlosigkeit im Bankwesen gefährde weltweit die Finanzstabilität.
Selbst wenn die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Bilanzsumme durch Wertpapierkäufe und langfristige Finanzierungsprogramme wieder um bis zu eine Bio. Euro erhöhen und damit ungefähr dem bisherigen Höchststand von 2012 angleichen sollte, bleibt die Expansion noch immer deutlich hinter den vorgenommenen Anstrengungen anderer großer Notenbanken (FED der USA und Bank of Japan) zurück. Auf die Schwierigkeiten, die Bilanz der EZB auszuweiten, weisen Marktteilnehmer hin. Die Finanzinstitute haben bereits einen beträchtlichen Teil ihrer Wertpapierbestände bei der EZB als Sicherheit für erhaltende Liquiditätshilfen hinterlegt. Den Handlungsspielraum könnte die Notenbank, wie sie angedeutet hat, durch Käufe auch von diesen hinterlegten Papieren ausweiten.
Auch nach der Umsetzung der angekündigten Wertpapierkäufe und der damit angestrebten Erhöhung der Bilanzsumme der Notenbank bleibt die Frage, ob der gewünschte Anschub von Wirtschaftswachstum in nennenswertem Ausmaß erreicht werden wird. Die Werkzeugkiste der EZB ist erschöpft. Selbst der Kauf von Staatsanleihen, sollten die rechtlichen und politischen Hürden beseitigt werden, sieht nicht erfolgversprechend aus, denn die Zinsen sind bereits auf extrem niedrigem Stand, ohne dass Wachstum und Inflation gestiegen sind.
Fazit: In der Geldpolitik sind die jüngsten Schritte der EZB wie Zinssenkungen, neue Langfristkredite für die Banken und Wertpapierkäufe zu begrüßen. »Falls sich aber der Inflationsausblick nicht verbessert und die Inflationserwartungen weiter sinken, sollte die EZB Willens sein, mehr zu tun, einschließlich Staatsanleihekäufe.« Es bleibt aber dabei: Die Geldpolitik alleine kann die Wirtschaftsschwäche nicht überwinden helfen. Um die Wachstumsmöglichkeiten zu verbessern, sind neue öffentliche Investitionen notwendig – und finanziert werden könnten sie auch.
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