Haushaltspolitik - eine Schwarze Null ist kein Selbstzweck
Von Axel Troost
Die Bundesregierung (und die vorherige Regierung) haben sich in der Haushaltspolitik eingemauert. Mit verschiedenen Regelungen – angefangen mit den verschärften Maastricht-Kriterien über die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse bis zum Fiskalpakt – wurden die Möglichkeiten der Verschuldung stark eingeschränkt bis unmöglich gemacht. Gleichzeitig hat sich die derzeitige Regierungskoalition darauf verständigt, keine Steuern zu erhöhen. Damit ist die Finanzierung öffentlicher Aufgaben stark eingeschränkt und eine Nutzung der Finanzpolitik für die wirtschaftspolitische Steuerung kaum mehr möglich.
Ständig steigende Steuereinnahmen suggerieren, die Einnahmen sprudeln und es bestehe derzeit überhaupt nicht der Bedarf, sich weiter zu verschulden. Dabei beschreiben nominal steigende Steuereinnahmen in einem Staatswesen mit (wenn auch derzeit nur gering) steigenden Preisen und einer (wenn auch schwach) wachsenden Ökonomie schlicht eine Selbstverständlichkeit. In der Geschichte der Bundesrepublik gab es in 58 von 64 Jahren Rekordsteuereinnahmen. Über die Finanzlage des Staates sagt das wenig aus.
Entscheidend ist der Anteil der öffentlichen Einnahmen an der Wirtschaftsleistung, also dem Bruttoinlandsprodukt (BIP). Auf den ersten Blick ist diese Steuerquote derzeit auf einem durchaus hohen Niveau. 2012 betrug sie (in der Abgrenzung der Finanzstatistik) 22,5 Prozent. Das ist der höchste Wert seit dem Jahr 2000.
Auf den zweiten Blick muss man diesen Wert relativieren. Zum einen flossen immer mehr Mittel, die eigentlich der Sozialversicherung zuzuschreiben wären, aus dem Steuertopf. Dazu gehört vor allem das Aufkommen der Ökosteuer, das in die Finanzierung der Renten fließt. Nach Berechnungen des IMK (Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung) macht das etwa einen Prozentpunkt Steuerquote aus.
Zum anderen fehlt dabei natürlich die Neuverschuldung. In der Vergangenheit waren nach den Maastricht-Kriterien drei Prozent erlaubt. Dieser Betrag ist in der Steuerquote nicht „eingepreist“. „Aus diesem Blickwinkel ist die derzeitige Steuerquote zu niedrig, sie müsste etwa um drei Prozentpunkte höher liegen.“ (MEMORANDUM 2014, S. 144)
Dem Staat fehlt es massiv an Geld. Während für laufende Sozialausgaben und Gehälter vor allem das Tabu des Steuererhöhungsverbots fallen muss, damit Spitzenverdiener, Spekulanten, Unternehmen und Vermögende wieder angemessen an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligt werden, ist es gerade für öffentliche Investitionen sinnvoll, auch öffentliche Verschuldung zur Finanzierung heranzuziehen.
In der öffentlichen Debatte über Staatsschulden wird oft die Figur der „schwäbischen Hausfrau“ strapaziert. Die wirtschafte im Gegensatz zum Staat solide. Klar ist, dass die Kategorien nicht vergleichbar sind. Der Staat beeinflusst mit seinem Ausgabeverhalten auch seine Einnahmen. Kürzt er in der Krise seine Ausgaben (Austeritätspolitik), so gehen die wirtschaftlichen Aktivitäten zurück und damit sinken auch die Steuereinnahmen. Aber es ist noch schlimmer. Nicht nur, dass der Staat in seinem Ausgabeverhalten nicht mit der „schwäbischen Hausfrau“ zu vergleichen ist. Er darf sich inzwischen nicht einmal wie die „schwäbische Hausfrau“ verschulden. Denn für die wäre es selbstverständlich, sich für das „Häusle bauen“ zu verschulden. Denn einerseits fehlten ihr sonst schlicht die Mittel dazu, und andererseits werden ja bleibende Werte geschaffen. Der Staat darf sich auch für langfristige Investitionen nicht mehr verschulden.
Die öffentlichen Investitionen gehen immer weiter zurück. Betrugen sie 1970 noch 4,7 Prozent des BIP, waren es 2013 gerade noch 1,6 Prozent. Was noch schlimmer ist: seit 2003 sind die öffentlichen Nettoinvestitionen (Bruttoinvestitionen minus Abschreibungen) negativ. Der öffentliche Kapitalstock verfällt, die Investitionen reichen nicht einmal für den Erhalt der öffentlichen Infrastruktur. Wir leben von der Substanz. Über den Umfang der Defizite gibt es verschiedene Studien, die über unterschiedliche Zeiträume und Abgrenzungen zu unterschiedlichen Bedarfen kommen. Unstrittig ist, dass die zusätzlichen Investitionsbedarfe für die öffentliche Hand erheblich sind. Fast man die Ergebnisse dieser Studien zusammen, „... kommt man auf dieser Grundlage für den staatlichen Sektor leicht auf einen jährlichen Mehrbedarf im zweistelligen Milliardenbereich.“ (IMK-Report, Juni 2014, S. 8)
Gerade für langfristige öffentliche Investitionen ist eine Schuldenfinanzierung auch ökonomisch sinnvoll. Dafür gibt es mehrere Gründe:
- Die Finanzierung langlebiger Investitionen wird so auf den Nutzungszeitraum verteilt. Bei einer reinen Steuerfinanzierung bezahlen die Steuerzahler heute die gesamten Aufwendungen, die künftigen Nutzer werden von der Finanzierung ausgenommen.
- In einer lehrbuchhaften Ökonomie sparen die privaten Haushalte. Die Unternehmen leihen sich diese Ersparnis und finanzieren damit ihre Investitionen. Damit wird eine Ersparnis überhaupt erst ermöglicht und das gesparte Geld gleichzeitig in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt. In der realen, heutigen Welt der Bundesrepublik Deutschland investieren die Unternehmen wenig und erwirtschaften hohe Renditen. Sie sind in der Gesamtheit des Unternehmenssektors für ihre Investitionen nicht auf die Ersparnis der privaten Haushalte angewiesen. Nur der Staat oder das Ausland können deshalb die Ersparnisse aufnehmen. Fällt der Staat als Schuldner aus, bleibt nur das Ausland. Ohne ausreichende öffentliche Verschuldung fließt die Ersparnis der Deutschen entweder auf die internationalen Finanzmärkte und heizen die Spekulation an oder sie fließen in Defizitländer und finanzieren ökonomische Ungleichgewichte. Beides ist fatal.
- Das ist insbesondere zu einer Zeit unsinnig, in der sich der deutsche Staat (real) zum Nulltarif verschulden kann. Statt mit der heimischen Ersparnis die Infrastruktur in Deutschland zu finanzieren, werden internationale Finanzkrisen befeuert.
- Eine private Finanzierung öffentlicher Investitionen durch die Hintertür, wie sie Gabriel derzeit plant, ist dafür kein Ersatz. Die verschiedenen Modelle, in der so etwas erfolgen kann (PPP, Mautfinanzierungen etc.) haben schwerwiegende ökonomische, politische und soziale Nachteile. Der Staat verkommt zur Profitmaschine für private Unternehmen.
- Öffentliche Schulden haben zudem eine konjunkturelle Wirkung. Sie schaffen Nachfrage und stimulieren so die Wirtschaft. In der derzeitigen Phase schwachen Wachstums in Deutschland, vor allem aber in Europa, ist das eine sinnvolle und notwendige Politik. Selbst internationale Organisationen, die ansonsten für eine strikte Austeritätspolitik stehen, wie die EU-Kommission, die OECD oder der IWF empfehlen Deutschland das Ausnutzen der Verschuldungsspielräume.
Nach den Regelungen der Schuldenbremse ist auch dauerhaft eine strukturelle (also konjunkturunabhängige) Neuverschuldung von 0,35 Prozent des BIP erlaubt. Das bedeutet also eine Neuverschuldung von etwa 10 Mrd. Euro ab dem Haushalt von 2016. Davor liegt sie noch etwas höher, da der Anpassungsprozess an die Schuldenregel noch greift. Mit einer schwarzen Null wird ein mögliches Verschuldungspotenzial nicht genutzt. Das bezahlen einmal unsere Kinder mit einer noch stärker verrotteten Infrastruktur.
Der deutsche Staat ist unterfinanziert. Soziale Leistungen, Bildung und öffentliche Investitionen erfolgen in völlig ungenügender Weise. Zur Überwindung dieser Misere brauchen wir höhere Steuern und eine höhere Verschuldung. Insbesondere für langfristige Investitionen ist eine Schuldenfinanzierung auch ökonomisch sinnvoll. Zumindest der Handlungsrahmen, den die Schuldenbremse lässt, muss auch ausgeschöpft werden. Eine schwarze Null ist kein erstrebenswertes Ziel, sie verhindert dringend notwendige öffentliche Investitionen.
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