Die griechische Regierung hat eine Chance erkämpft

Von Axel Troost

25.02.2015 / 25.02.2015

Griechenland hat eine Verlängerung des laufenden europäischen Unterstützungsprogramme mit der Euro-Zone erreicht. Die Finanzminister der Euro-Zone (Euro-Gruppe) haben eine von Athen vorgelegte Liste mit Reformplänen als Grundlage akzeptiert, um eine Verlängerung der laufenden Programme bis zu vier Monaten einzuleiten. Die Vereinbarungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) laufen ohnehin noch bis März 2016. Die drei „Institutionen“ (die Troika ist nicht mehr direkter Bestandteil des griechischen Verwaltungshandelns) kamen zum Schluss, die Liste sei – wie von der Euro-Gruppe verlangt – „ausreichend umfassend“, um als „gültiger Ausgangspunkt“ für einen erfolgreichen Abschluss der (derzeit suspendierten) Überprüfung des Programms zu dienen. Bis spätestens Ende April soll dessen Umsetzung geprüft und erst dann sollen die anstehenden Auszahlungen an Griechenland freigegeben werden. Einschließlich einer nächsten Kredittranche des IWF geht es um 7,2 Mrd. Euro. Athen hat somit erst eine von mehreren Hürden genommen. Die Auszahlung der offenen Tranchen ist für den finanzpolitischen Handlungsspielraum von Griechenland unerlässlich; ein Anschlussprogramm nach dem Abschluss im Juni 2015 muss erst noch verhandelt werden.

Die von Griechenland vorgelegte Reformliste hat den Schwerpunkt auf dem Kampf gegen Steuerhinterziehung und Korruption. Bei der Linderung der „humanitären Krise“ will die Regierung sicherstellen, dass diese Kosten nicht „negativ“ auf den Haushalt durchschlagen. Es geht also um Gewinnung von Finanzmitteln zur Milderung der katastrophalen sozialen Lage bei den Opfern der so genannten neoliberalen „Sparprogramme“. Athen hofft darauf, 800 Millionen Euro durch Unterbinden des illegalen Zigarettenhandels zu erlösen, doppelt so viel beim Stopp des Schwarzverkaufs von Treibstoff. Durch das Eintreiben von Steuerschulden und neue Steuern für Reiche sollen gut fünf Milliarden Euro in die Staatskasse gespült werden. Ob das realistisch ist, ist eine entscheidende Frage. Denn der Zeitraum für eine Verbesserung des Steuervollzugs und eine Umsetzung eines sozial gerechteren Steuertarifs ist äußerst eng. Den europäischen Geldgebern konnte neben einem Verzicht auf weiter geplante Sozialkürzungen und Steuererhöhungen nur dieser enge Zeitrahmen abgerungen werden.

Der Preis für diesen kleinen, aber sozial wesentlichen Handlungsspielraum ist hoch. So erklärte sich die griechische Regierung bereit, vorläufig auf die konkrete Anhebung der Mindestlöhne auf 751 Euro zu verzichten. Darüber soll nun später mit den EU-Partnern entschieden werden. Auch bereits erfolgte Privatisierungen öffentlicher Unternehmen werden entgegen bisherigen Ankündigungen nicht mehr infrage gestellt. Pläne für künftige Privatisierungen sollen allerdings unter dem Gesichtspunkt ihres „langfristigen Nutzen“ neu geprüft werden.

Die drei Institutionen blieben in ihrer Bewertung bei ihrem neoliberalen Politikansatz: Der EZB-Präsident Mario Draghi unterstreicht, dass die Zusagen der Griechen in einer Anzahl von Punkten von den bisherigen Programm-Zusagen abweichen. In diesen Fällen werde man bei der Überprüfung des Programms beurteilen müssen, ob die von den griechischen Behörden nicht akzeptierten Maßnahmen durch solche mit gleicher oder besserer Wirkung ersetzt worden seien. Die IWF-Chefin Christine Lagarde unterstreicht, dass die Liste weder klare Zusagen zur Gestaltung und Umsetzung der vorgesehenen Renten- und Mehrwertsteuerreformen noch eindeutige Versprechen zur Fortsetzung bereits vereinbarter Politiken bezüglich Öffnung geschlossener Branchen, Verwaltungsreformen, Privatisierungen und Arbeitsmarktreformen enthalte.

Die griechische Regierung hat sich auf diesen Kompromiss eingelassen, um gegen die soziale Not im Land verstärkt vorgehen zu können. Die Aufgabe eines mittelfristig angelegten Rekonstruktionsprogramms für die Ökonomie ist nachrangig. Es soll erst einmal Hilfe für die Bedürftigen im Land geben: Sei es in Form von Lebensmittelhilfe oder Gutscheinen für kostenlosen Arztbesuch.

Außerdem: für weitere Monate ist die Gefahr eines Bankrotts Griechenlands abgewendet. Durch den Beschluss der Eurogruppe stehen die Restmittel von 10,8 Milliarden Euro aus dem Programm an den Hilfsfonds EFSF für den Ernstfall zur Verfügung, falls griechische Banken kapitalisiert werden müssen.

Insgesamt umfasst die Liste der griechischen Regierung 64 Punkte, viele davon sind skizzenhaft, weil konkrete Zahlen zu Kosten und Einnahmen erst noch bis Ende April erarbeitet werden müssen. So sollen Ausnahmebestimmungen bei der Mehrwertsteuer gestrichen, Reisespesen und Dienstwagen gekürzt, der Gesundheitssektor soll saniert werden. Im Gegenzug will die Regierung den Zugang zu medizinischer Versorgung drastisch verbessern, ältere Arbeitslose sollen gefördert, Schlupflöcher für Frühpensionen gestopft werden. Die griechische Regierung schätzt die Einnahmen aus ihrem Reform- und Sparkonzept auf ca. sieben Milliarden Euro.

Griechenland will mit konkreten Reformplänen die Einigung im Schuldenstreit mit seinen Euro-Partnern besiegeln und damit eine Staatspleite abwenden. Allerdings ist die Beilegung des Streits nur vorläufig. Ministerpräsident Alexis Tsipras überschätzt die Einigung in Brüssel keineswegs: „Wir haben eine Schlacht gewonnen, aber nicht den Krieg.“ Die wahren Schwierigkeiten stünden seinem Land noch bevor. allerdings unterstreicht er die Chancen für eine Beendigung der neoliberalen Spar- und Rettungspolitik, die zu der humanitären Krise geführt habe. Griechenland musste angesichts der Umstände die Verpflichtung akzeptieren, keine vereinbarten „Reformen“ zurückzunehmen und die Forderungen aller Gläubiger zu erfüllen. Der Haushaltsüberschuss (ohne Zinsen) soll „angemessen“ sein. Bisher hatten die Euro-Länder drei Prozent Überschuss in diesem Jahr und 4,5 Prozent im nächsten Jahr gefordert.

Die unnachgiebige „Alles-oder-Nichts-Position“ der Bundesregierung ist aus meiner Sicht mit der Einigung von Brüssel vorerst gestoppt worden. Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, setzt andere Akzente und hält die Reformvorschläge für „weise und zielführend“. Denn: „Die Korruption zu bekämpfen, Steuereinnahmen zu erhöhen und die Bürokratie zu verbessern sind die richtigen Prioritäten. Auch eine Erhöhung der Ausgaben zur sozialen Sicherung und Armutsbekämpfung schwächt nicht die Reformen, sondern erhöht ihre Legitimität und damit ihre Erfolgschancen.“ Er fordert auch eine Abkehr des bisherigen harten Kurses der EU-Eliten: „Europa muss aus seinen Fehlern lernen, wenn es nun über eine Verlängerung und ein drittes Hilfsprogramm verhandelt. Nur mit einer starken, glaubwürdigen griechischen Regierung wird das nächste Reformprogramm erfolgreich sein können. Es darf bei diesen Verhandlungen nicht um die Frage gehen, welche die besten Reformen wären, sondern welche Reformen realistisch umgesetzt werden können.“[1]

Griechenland hat nun etwas Zeit und Spielraum gewonnen. Die Chancen für einen eigenständigen Weg aus der humanitären Krise sind gegeben. In der Tat ist der Grundkonflikt noch nicht entschieden und es sind weitere Hürden zu überwinden. SYRIZA kann beginnen ihr Thessaloniki-Programm zu realisieren. Im Zentrum steht die Beendigung der humanitären Krise. Dieses Programm stellt Ausgaben von 11 Mrd. Euro zur Ankurbelung der Wirtschaft und für Hilfsmaßnahmen zugunsten von Krisenopfern in Aussicht. Mit in Kraft treten des Kompromisses stehen dafür immerhin 7,2 Mrd. Euro zur Verfügung.

Weitere Schwierigkeiten stehen ins Haus. Die Freigabe der ausstehenden Finanzmittel ohne weitere Kürzungsauflagen ist gewiss keine Selbstverständlichkeit. Mit der Verlängerung des Abkommen hat Griechenland allerdings einen Handlungsspielraum, da die Frage der Umschuldung vertagt werden konnte. Die griechische Regierung kann erstmals gegenüber dem neoliberalen Diktat einen eigenen Entwicklungsplan konkretisieren. Der Kompromiss verschafft dem griechischen Linksbündnis und der gesamten Linken in Europa Zeit, sich in dem Kampf für eine andere Entwicklungsrichtung neu zu formieren. Und – auch dies sollte nicht unterschätzt werden: Die Reformen werden nicht mehr nur von außen vorgegeben, sondern zusammen mit der griechischen Regierung erarbeitet. Damit ist das Land zwar nicht gerettet, es erhält aber ein Stück Souveränität zurück. Ich setze mich entschieden dafür ein, diesen Weg von SYRIZA zu unterstützen.

[1] www.welt.de

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