Geschenk von Union und SPD: Erbschaftsteuer bleibt Dummensteuer
Von Axel Troost
Gerade hat der Bundestag am gestiegen 24. Juni 2016 das Gesetz zur Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer verabschiedet. Nun muss am 8. Juli noch der Bundesrat dem Gesetz zustimmen
Die Reform ist das wichtigste steuerpolitische Projekt in dieser Legislaturperiode. Aus mehreren Gründen: In Deutschland sind die Vermögen im internationalen Vergleich besonders ungleich verteilt – zehn Prozent der Deutschen besitzen 60 Prozent des Gesamtvermögens. Diese Superreichen können aber ihr Supervermögen gar nicht komplett für ihren privaten Lebenswandel nutzen. Der Großteil ihres Vermögens wird daher in Form von Unternehmen, Immobilien und Finanzanlagen gewinnbringend angelegt. Ohnehin schon große Vermögen vergrößern sich dadurch noch weiter. Das begünstigt Finanzdynastien, wenn nicht durch umverteilende Maßnahmen wie vermögensbezo-gene Steuern entgegengewirkt wird. Die bayerische Verfassung enthält einen dazu passenden Satz: „Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern.“
Die Besteuerung großen Reichtums wurde in den letzten Jahren immer weiter zurückgefahren: die Vermögensteuer wird nicht mehr erhoben, die Tarife der Einkommen-steuer wurden Anfang der 2000er Jahre deutlich gesenkt und zusätzlich werden Kapitaleinkünfte seit der Abgeltungssteuer mit einem niedrigeren Steuersatz belegt. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland bei den vermögensbezogenen Steuern jetzt deutlich unter dem Durchschnitt der Industrieländer (einschließlich den USA).
Dazu kommt: Neben der Mehrwertsteuer wird ein Großteil des deutschen Steueraufkommens durch die Einkommensteuer generiert. Aus gutem Grund werden dabei hohe Einkommen mit einem höheren Steuersatz besteuert („Leistungsfähigkeit“). Steuersystematisch ist aber auch eine Erbschaft oder Schenkung ein Einkommen. Warum sollten gerade leistungslose Einkommen besonders bevorzugt werden? Auch deswegen ist eine substanzielle Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen angesagt.
Die Reform der Erbschaftsteuer ist damit auch ein Lackmustest: Wie ernst sind der SPD Gleichheit und Gerechtigkeit, die Wesensmerkmale sozialdemokratischer Politik sind? Was kann sie in einer großen Koalition durchsetzen? Daran muss sie sich messen lassen, wobei das Ergebnis wenig schmeichelhaft ist, aber zu ihrem Umfragetief passt.
Was ändert die Reform?
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Dezember 2014 die Privilegierung von vererbtem und verschenktem Betriebsvermögen gegenüber anderen Vermögensformen als verfassungswidrig benannt. Die Reaktion aus dem Finanzministerium sah daraufhin vor, sich bei der Gesetzesreform allein auf die Regeln zum Umgang mit Betriebsvermögen zu beschränken und auch dabei möglichst viel beim Alten zu belassen, d.h. Erwerbe von Betriebsvermögen auch in Zukunft möglichst weitgehend von der Steuer zu befreien. Doch selbst der großzügige Vorschlag der Bundesregierung geriet zum Zankapfel, da insbesondere die CSU immer weitere Sonderwünsche zugunsten von Firmenerben anmeldete. Am Ende wurde jetzt ein von Merkel, Seehofer und Gabriel ausgekungelter Kompromiss innerhalb von vier Tagen ohne ernstzunehmende Beratung durch das Parlament gepeitscht (damit die vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Frist vom 30. Juni 2016 eingehalten wird. Der wahre Grund ist aber wohl, den Koalitionsparteien peinliche Fragen zu ersparen. Denn schon der vorherige Gesetzentwurf war von Experten in einer Anhörung öffentlich zerrissen worden).
Im Ergebnis würde die Erbschaftsteuer komplizierter und noch gestaltungsanfälliger werden. Betriebe mit bis zu fünf Beschäftigten könnten ohne jede weitere Bedingung komplett steuerfrei vererbt oder verschenkt werden. Das ist zwar eine Verschärfung gegenüber der derzeit geltenden Rechtslage, wo die Schwelle bei 20 Beschäftigten liegt. Sie bedeutet aber gleichwohl, dass 70 Prozent aller Betriebe mit Beschäftigten ohne weitere Prüfung steuerfrei übertragen werden können, obwohl das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vorgegeben hatte, eine solche Freistellung „auf eine relativ kleine Gruppe von Betriebsübergängen“ zu begrenzen. Eine Gruppe von 70 Prozent stellt keine relativ kleine Gruppe dar, die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts wird somit offensichtlich nicht erfüllt. Ich kenne persönlich mindestens drei Fälle, in denen Millionenvermögen ohne Prüfung steuerfrei übertragen werden. Aber dies ist nur einer von mehreren schweren rechtlichen Einwänden.
Für Betriebe mit mehr als fünf Beschäftigten ist die Steuerbefreiung an das Einhalten von Lohnsummen gekoppelt, deren genaue Höhe von der Anzahl der Beschäftigten abhängt. Wenn der Betrieb sieben Jahre weitergeführt sind, ist dabei eine komplett steuerfreie Übertragung möglich. Im Ergebnis wird ein Großteil der Betriebe in den Genuss einer 85- oder 100-prozentigen Verschonung kommen können – sei es eine florierende schuldenfreie Arztpraxis, eine Immobilienverwaltungs-GmbH oder der von Leiharbeitern und Subunternehmern betriebene Schweinemastbetrieb.
Erst bei Großbetrieben mit einem Wert von mehr als 26 Millionen Euro ist eine zusätz-liche Prüfung der Steuerverschonung notwendig. Die Prüfpflicht betrifft damit weniger als ein Prozent der Betriebe. Empfänger können sich dann entweder mit einem reduzierten Steuernachlass begnügen, der mit der Betriebsgröße sinkt. Oder sie können in Abhängigkeit von ihrem Privatvermögen eine Verschonung beantragen. Ohne hier ins Detail zu gehen ist festzuhalten, dass eine Vielzahl von Sonderregelungen dafür sorgt, dass die Steuer in hohem Ausmaß missbrauchs- und gestaltungsanfällig sein wird.
Das gilt insbesondere für Familienunternehmen, wo es überaus großzügige Erleichterungen gibt. Durch geschickte Firmenkonstruktionen inklusive der Überführung von privatem Vermögen in Betriebsvermögen und der frühzeitig begonnenen mehrfachen Schenkung von Firmenteilen können Steuerzahlungen vermieden oder zumindest erheblich gesenkt werden. Dies beweisen nicht zuletzt die äußerst geringen Mehreinnahmen (wenn es denn welche geben sollte), die vom Finanzministerium auf etwa 100 Millionen Euro geschätzt werden. Zum Vergleich: jedes Jahr werden in Deutschland etwa 200 bis 300 Milliarden Euro übertragen, die Einnahmen aus der Erbschaft- und Schenkungsteuer liegen aber derzeit lediglich bei etwa 5 Milliarden Euro. Im Zeitraum 2011 bis 2014 waren 95 Prozent der Erwerbe über 20 Mio. Euro steuerbefreit.
Die Erbschaftsteuer wird, sofern das Vermögen nur groß genug ist, um Gestaltungen zu ermöglichen, eine Dummensteuer bleiben. Damit wird sich auch fortsetzen, dass die Steuer bei großen Übertragungen regressiv wirkt (d.h. der effektive Steuersatz mit zunehmendem Erbschafts- und Schenkungsvolumen sinkt).
Die SPD-Fraktion darf sich nicht weiter verzwergen
Es ist ziemlich offensichtlich: das Gesetz steht wegen zahlreicher rechtlicher Einwände auf verfassungsrechtlich tönernen Füßen. Zunächst muss es aber erst noch durch den Bundesrat. Mehrere Landesminister von SPD und Grünen haben bereits abgewunken oder zumindest schwere Bedenken geäußert. Der Gesetzentwurf müsste dann in den Vermittlungsausschuss, um dort „nachgebessert“ zu werden oder zu scheitern. Der Irrsinn lässt sich damit möglicherweise noch stoppen.
Klar ist aber auch: Wenn die SPD an der Konzentration von Reichtum und auch sonst gesellschaftlich wirklich etwas ändern will, muss sie erst noch über ihren Schatten springen. Das setzt erstens Kampfbereitschaft und zweitens Überzeugungen voraus. Beides lässt sie aber gegenwärtig vermissen. Mit zwei Gegenstimmen und drei Enthaltungen bei 181 Ja-Stimmen hat sich die SPD-Fraktion in der Abstimmung zum Gesetzentwurf lieber zum Pudel der Wirtschaftseliten gemacht.
Dabei ist Geschlossenheit in der Koalition längst nicht mehr selbstverständlich, wie sich an Seehofers Pöbeleien und den vielen Abweichlern aus der Union in der Griechenlandfrage gezeigt hat. Alles spricht dafür, dass es auch in der SPD mehr AbweichlerInnen gegeben hätte, wenn die Fraktionsführung weniger Hang zu Sado-Masochismus zeigen würde.
Sigmar Gabriel hat jüngst in einem Interview ein progressives Bündnis jenseits der Union ins Gespräch gebracht. In seiner Offenheit war das ein durchaus bemerkens-wertes Angebot. Solange er und seine Partei sich in substanziellen Fragen aber verzwergen, bleibt so ein Angebot wenig glaubhaft.
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