Schäuble in der Kritik

Von Axel Troost

11.10.2016 / 11.10.2016

Der Vize-Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), David Lipton, fordert Deutschland auf, mehr Geld in die heimische Infrastruktur zu stecken und damit den hohen Leistungsbilanzüberschuss abzubauen. Mit einer Korrektur der bisherigen Schieflage würde die Bundesrepublik nicht nur der Welt einen Dienst erweisen, sondern vor allem sich selbst. „Wenn sie ... Geld zu einem Zinssatz von null aufnehmen können und damit Infrastrukturprojekte finanzieren, die Rendite abwerfen und von denen die Allgemeinheit profitiert, dann ist das von einem finanziellen Standpunkt aus gesehen eine solide Sache.“

Eine paradoxe Konstellation: auch der Internationalen Währungsfonds (IWF) fordert von Schäuble endlich eine Korrektur der Austeritätspolitik. Auf der Jahrestagung des IWF ist es zwischen Deutschland und dem Fonds zu einer Debatte über eine wachstumsfördernde Politik gekommen. IWF-Chefin Christine Lagarde nannte Deutschland als eines der Länder, das finanzielle Spielräume habe, die es für mehr Investitionen und anderen Maßnahmen zur Wachstumsstärkung nutzen sollte. Lagarde hofft, dass die geplanten Steuersenkungen der deutschen Regierung von gut sechs Milliarden Euro im Jahr nur ein erster Schritt eines größeren Pakets sind.

Angesichts des schwächelnden weltweiten Wachstums appellierte Lagarde an die Mitgliedsländer, alles zu tun, um das weltweite Wachstum zu verstärken. Je nach der jeweiligen Situation müsse ein jedes Land einen angemessenen Mix aus Geld-, Fiskalpolitik und Strukturreformen herstellen, um die Wachstumsschwäche in der Welt zu beheben. „Bitte Handeln – jetzt“, lautete ihre Forderung. Das sei der Appell, der vom IWF-Jahrestreffen ausgehen sollte. „Jedes Land kann etwas tun.“ Das 2014 in Brisbane ausgegebene Ziel, das weltweite Wachstum binnen fünf Jahren um zwei Prozentpunkte zu erhöhen, werde nach dem, was bisher geplant sei, nicht erreicht. Augenblicklich komme man nur auf einen um 1,5 Prozent höheren Wachstumspfad.

In den vor dem Herbst- Treffen publizierten Berichten zur weltweiten Wirtschaftslage (World Economic Outlook), zur Finanzstabilität (Global Financial Stability Report) und zur Finanzlage der Staaten (Fiscal Monitor) zeichnen die ÖkonomInnen des IWF insgesamt ein düsteres Bild. Die vor allem von den Notenbanken verfolgte Niedrigzinspolitik habe das Ziel einer Stabilisierung des Wirtschaftswachstums verfehlt. Das nach wie vor angeschlagene global Finanzsystem und die Reformunfähigkeit der Banken führe dazu, dass das Wachstum durch ihre Kreditvergabe unzureichend gefördert wird. Versicherungen und Pensionsfonds hätten zunehmend Solvenzprobleme. Die Verschuldung – vor allem die private – befinde sich weltweit auf einem Höchststand. Die schwache Wirtschaftsentwicklung und die wachsenden Risiken würden Populisten Auftrieb verleihen.

Auch die USA haben ihre Rolle als Wachstumslokomotive der Globalökonomie gegenwärtig abgegeben. Der IWF hat in seinem Konjunkturausblick die letzten Schätzungen vom Juli für die USA deutlich zurückgenommen. Flaue Investitionen – möglicherweise auch wegen der Unsicherheit über die künftige politische Führung des Landes – bremsen das Wachstum auf 1,6 Prozent ab. Im Sommer war der Fonds noch von einem Plus von 2,2 Prozent ausgegangen.

„Das Wachstum ist schon eine zu lange Zeit zu schwach“, konstatierte der Chef-Ökonom des IWF, Obstfeld, bei der Vorstellung des Berichts: „Und in vielen Ländern haben zu wenige Leute davon profitieren können. Das hat politische Auswirkungen, die das Wachstum wahrscheinlich noch weiter belasten.“ Für die Weltwirtschaft insgesamt sieht der IWF zahlreiche Risiken, die eine Erholung ab dem kommenden Jahr in Frage stellen. Dazu gehören laut Obstfeld „eine holprige Entwicklung in China, ein weiterer Einbruch der Rohstoffpreise, zunehmend angespannte Finanzmärkte, Störungen durch den Klimawandel, ein Anstieg der Handelshemmnisse und geopolitische Spannungen“. Der IWF fordert daher mehr Impulse der Politik, um Wachstum zu fördern.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat verärgert auf Kritik und Forderungen reagiert und gemeinsam mit Bundesbank-Präsident Jens Weidmann erteilte er zusätzlichen Konjunkturspritzen erneut eine klare Absage. Die Lage der Weltwirtschaft sei gar nicht so schlecht. Für Weidmann ist das Wachstum der Weltwirtschaft in diesem und im nächsten Jahr zwar eher verhalten. Aber es gebe keinen Grund für übertriebenen Konjunkturpessimismus. Es gebe auch keine Notwendigkeit, noch stärkere Anstrengungen zur Ankurbelung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zu unternehmen.

Schäuble betont erneut: Politische Risiken seien die Hauptgefahr für die Weltwirtschaft. Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, sieht es ähnlich: „Die größten Risiken sind geopolitischer Natur.“ Sollte es gelingen, sie zu umschiffen, könne Wachstum und Inflation schon bald zu den Zielmarken zurückkehren.

Dagegen betonen die ÖkonomInnen des IWF die Notwendigkeit eines umfassenden, koordinierten wirtschaftspolitischen Ansatzes: Die Geldpolitik soll gemäß diesem Vorschlag von ihrer jetzigen Rolle, praktisch alleine für eine konjunkturelle Verbesserung zu sorgen, entlastet werden. Deutlich mehr Gewicht soll die Fiskalpolitik erhalten (die Ausgaben- und Steuerpolitik), zusätzlich eine Stärkung der Finanzstabilität sowie Strukturreformen. Diese Ideen alleine sind weder neu noch überraschend. Das IWF-Papier dreht sich vor allem um das Zusammenspiel dieser wirtschaftspolitischen Bereiche und zusätzlich – besonders wichtig für die Autoren – um die internationale Koordination dieser wirtschaftspolitischen Maßnahmen.

Dabei geht es nach IWF-Auffassung aber nicht einfach nur um mehr Wachstum, sondern vor allem auch um eine gerechtere Teilhabe aller Länder und Menschen daran. Werde dies vergessen, stärke man Kräfte, die die Globalisierung ablehnten und damit letztlich das globale Wachstum zu dämpfen drohten, warnte Lagarde. In das gleiche Horn stieß Schäuble. Er zeigte sich tief besorgt von immer stärker werdenden populistischen und nationalistischen Strömungen in allen großen Volkswirtschaften, die die Globalisierung bedrohten. Die Kluft zwischen den Bevölkerungen und den wirtschaftlichen und politischen Eliten werde immer größter. Daher müsse es um eine neue Form von Wachstum, um eines gehen, dass gerechter auf alle verteilt wird, appellierte Finanzminister Schäuble.

Die internationale Koordination der Wirtschaftspolitik wäre in der Tat eine neue Qualität. Die Wirkung der nationalen Impulspakete wäre mit Sicherheit viel größer und Mitnahmeeffekte von einzelnen Ländern, die auf Impulse der anderen hoffen, fielen weg. Gleichwohl macht schon die europäische Allianz von Schäuble, Weidmann und Draghi deutlich: es gibt wenig Chance zu einer solchen Zusammenarbeit der Länder vorzustoßen. Alle Vorschläge auf der Herbsttagung haben kaum Chancen auf eine Umsetzung. Auch die geforderte Ausweitung staatlicher Investitionen wird wegen der angespannten Finanzlage vieler Länder ausfallen.

Die Bilanz des Währungsfonds bestätigt die Kritik an der Austeritätspolitik. Es ist falsch, Strukturanpassungen der nationalen Ökonomien in der Euro-Zone einseitig durch eine in ökonomische Depression führende Lohnsenkungs- und Austeritätspolitik erzwingen zu wollen. Nicht die gemeinsame Währung ist der Angelpunkt für die Fehlentwicklung, sondern die unzureichenden Ausgleichungs- und Steuerungsprozesse, inklusive der Beschränkungen der europäischen Zentralbank.

Die Bauelemente einer Alternative vertritt die LNKE seit langem: Notwendig ist ein Mix von Wachstumsanreizen über öffentliche Investitionen und Sanierungsmaßnahmen für die öffentlichen Finanzen durch eine sozialgerechtere Steuerpolitik. Außerdem brauchen wir Strategien gegen Europas interne Ungleichgewichte und Deutschlands enormen Leistungsbilanzüberschuss.

Das Kernproblem einer hartnäckigen Depression in der EU und der wachsenden Ungleichgewichte ist die unzureichende gesellschaftliche Nachfrage. Die Unternehmen investieren nicht genug in neue Anlagen oder Ausrüstung und sie schaffen daher zu geringes Lohneinkommen oder überhaupt zu wenig Arbeitsplätze.

Es geht mittelfristig um Eingriffe in die Verteilungsverhältnisse – letztlich selektive Steuererhöhungen in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit. Denn Europa braucht Strukturreformen, aber eben nicht so wie es die Verfechter einer Konsolidierungspolitik fordern. Die Alternative zur Konsolidierung läuft darauf hinaus, über eine Erhöhung der Steuern für höhere Einkommen, Vermögenserträge und angesammelte große Vermögen öffentliche Güter und Dienste, die vom privatkapitalistischen Sektor nicht ausreichend bereitgestellt werden – Dinge wie die Verbesserung der sozialen Sicherheit, Bildung, Gesundheitsvorsorge und öffentlichen Infrastrukturen – zu finanzieren.

Die Umsetzung einer solchen Steuerpolitik benötigt allerdings deutlich veränderte politische Kräfteverhältnisse – parlamentarisch und insbesondere außerparlamentarisch. Die jetzt kurz- und mittelfristigen dringend erforderlichen Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge sollten daher – gerade auch angesichts des niedrigen Zinsniveaus – gemäß der sog. „goldenen Regel“ durch öffentliche Kreditaufnahme vorfinanziert werden. Langfristig lassen sie sich teilweise oder vollständig durch verstärkte Steuermehreinnahmen gegenfinanzieren.

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