LINKE EU-Kritik, aber konkret
Der Parteivorsitzende der LINKEN Bernd Riexinger hat ein zentrales politisches Problem aufgegriffen: „Die Auseinandersetzung um die Position der LINKEN zur EU hat durch den ‚Brexit‘ neue Nahrung erhalten. Immer wieder wird die Forderung ‚raus aus der EU‘ oder die eines Austritts aus dem Euro als eine linke Antwort formuliert. Mittlerweile ist den Meisten klar, dass die Brexit-Kampagne von nationalistischen und rassistischen Tönen dominiert wurde.“[1]
In der Tat: seit den harten Auseinandersetzungen um die Austeritätspolitik gegenüber Griechenland, aber auch Portugal und Spanien, verstärkt durch den „Brexit“, ist immer wieder eine grundlegende Kritik an der europäischen Union und der Eurozone zu hören. Die Befürworter eines „Plan B“ argumentieren damit, dass die EU auf Grund der in den EU-Verträgen und im Fiskalpakt verankerten neoliberalen Politik und des geltenden Einstimmigkeitsprinzips nicht reformierbar sei. Die europäische Konstruktion sei in der Substanz neoliberal und damit nicht veränderbar. Allerdings scheut diese entschiedene Kritik oft vor der Konsequenz zurück: es gehe um einen Neustart und nicht um einen Abriss und Neubau. Die Europäische Union sei undemokratisch, unsozial und in einer tiefen Krise. Dennoch gehe es nicht um eine Auflösung dieser EU, sondern einen Neustart.
Diese Position überzeugt nicht: Ich teile die These von Bernd Riexinger, dass der Exit eine Illusion ist. „Für die Linke reicht es daher ebenso wenig aus, die ‚europäische Idee‘ gegen die Rechten zu verteidigen. Vielmehr gilt es gegen die neoliberale EU und den grassierenden Rechtspopulismus und Neofaschismus in Europa einen dritten Pol zu bilden: konsequent solidarisch, internationalistisch, radikal demokratisch und klassen-orientiert für eine Neugründung Europas von unten. Es gibt keinen Exit aus gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen. Die BefürworterInnen einer Rückkehr zu nationalen Währungen oder eines anderen europäischen Währungssystems koordinierter nationaler Währungen – prominent vertreten von den Sozialdemokraten Heiner Flassbeck, Wolfgang Streeck sowie in der europäischen Linken unter anderem von Jean-Luc Melenchon, Stefano Fassina, Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht – setzen angesichts der berechtigten Kritik an den undemokratischen Institutionen der EU auf die Stärkung des Nationalstaates.“ (ebenda)
Unstrittig ist: Die europäische Integration befindet sich aktuell in der schwierigsten Phase seit Inkrafttreten der Römischen Verträge. Die Europäische Union (EU) zeigt sich nicht in der Lage, die Strukturmängel der Maastrichter Wirtschafts- und Währungsunion zu heilen. In der Flüchtlingskrise ist es den EU-Mitgliedstaaten nicht gelungen, eine gemeinsame Politik mit einem gemeinschaftlichen Verteilungsschlüssel für Zufluchtsuchende zu entwickeln. Das Vertrauen zwischen einzelnen Mitgliedstaaten erodiert. Das Verhältnis zwischen der EU und den Mitgliedsländern ist angespannt. In etlichen Teilen Europas haben sich Re-Nationalisierungstendenzen verstärkt. Für die EU am Folgenreichsten sind diese nationalistischen Bestrebungen in Großbritannien zu Tage getreten, wo vor kurzem eine Mehrheit der BürgerInnen für einen Austritt aus der EU gestimmt hat (Brexit).
Ich argumentiere – zusammen mit Klaus Busch, Gesine Schwan, Frank Bsirske, Joachim Bischoff, Mechthild Schrooten und Harald Wolf – in einer in dieser Woche erscheinenden Streitschrift[2] gegen die Behauptungen der linken Austrittsbefürworter. Unsere Gegenthese: Der Euro hat die europäischen Staaten nicht zusammengeführt, sondern die Gräben zwischen den Staaten vertieft. Die Hauptverantwortung hierfür trägt die Bundesrepublik mit ihrer merkantilistischen Wirtschaftspolitik. Die einseitige Betonung nationaler Wettbewerbsfähigkeit trieb die Leistungsbilanzungleichgewichte auf die Spitze. Gleichzeitig setzte die Bundesrepublik als dominierende Macht in der Eurogruppe die rigide Austeritätspolitik gegen die Defizitländer durch. Das neoliberale Konzept des „Wettbewerbsstaates“ verhinderte bislang eine solidarische Lösung der Eurokrise. Das die öffentliche Meinung in Deutschland dominierende Bild vom „faulen Griechen“, der dem sparsamen und erfolgreich wirtschaftenden Deutschen auf der Tasche liegt, gab die Folie ab, auf der sich die von der neoliberalen Entsicherung aller Lebensverhältnisse Verunsicherten mit dem deutschen „Volk als Nation“ (Poulantzas) identifizieren und gegen andere abgrenzen konnten. So stand die verfehlte „Euro-Rettungspolitik“ beim Aufstieg der AfD Pate. Mit der massiven Flüchtlingsbewegung nach dem Scheitern des „arabischen Frühlings“ erfuhr die Krise der Europäischen Union eine weitere Ausprägung.
Bernd Riexinger verweist zurecht auf die politisch-ökonomische Kurzsichtigkeit und die Überschätzung einer nationalen Lösung für die gravierenden Probleme Europas. „Die Forderung nach einem Ende des herrschenden Migrationsregimes, das Tausende Tote an den Außengrenzen zu verantworten hat, müsste stärker mit Perspektiven des Einstiegs in eine andere ‚politische Ökonomie‘ in Europa verbunden werden. Dafür sind die Forderungen nach einem europäischen Investitionsprogramm für den Ausbau der sozialen Infrastruktur von Gesundheitsversorgung, Pflege, Wohnen, eine erneuerbare Energiewende sowie eine Verkürzung und Umverteilung der Arbeit zentral. Ohne konkrete (!) Alternativen zur Standortkonkurrenz lässt sich keine linke Hegemonie in Europa gewinnen. Die europäische Linke muss ihre Diskussionen zur Europäischen Industriepolitik weiterführen und konkretere Vorschläge entwickeln, die an gewerkschaftliche Kämpfe, aber auch ökologische Bewegungen und Widerstand gegen zerstörerische ‚Investitionsprojekte‘ im Dienste von Großkonzernen anschlussfähig sind. Auch die öffentliche Förderung von Initiativen solidarischer Ökonomie und Genossenschaften sollte mit dem Konzept eines Investitionsprogramms verbunden werden.“ (ebenda)
Wir haben in der Streitschrift den Rahmen für diese konkrete Alternative skizziert: Die neue Wirtschaftspolitik der EU müsste aus zwei Elementen bestehen: zum einen einer expansiven europäischen Fiskalpolitik, zum anderen einem europäischen Investitionsprogramm, das auch der Lösung industrieller und regionaler Strukturprobleme dient. Sowohl die Fiskalpolitik als auch das Investitionsprogramm wären von einer neuen demokratisch gewählten Europäischen Wirtschaftsregierung (EWiR) durchzuführen.
Es gibt bereits vielfältige Vorschläge für umfassendere konkrete Investitionsprogramme. Sowohl der Deutsche Gewerkschaftsbund mit seinem „Marshall-Plan für Europa“ als auch der Europäische Gewerkschaftsbund („Ein neuer Weg für Europa“) wollen über zehn Jahre Investitionen in Höhe von jährlich 2 Prozent des EU-BIP anstoßen (260 Milliarden Euro jährlich). Investitionen in dreistelliger Milliarden-Höhe sehen auch entsprechende Programme der Europa-Fraktionen der Sozialdemokratie (S&D), der Grünen (Grüne /EFA) und der Linken (GUE/NGL) vor (vgl. Pianta 2016).
Ein Investitionsprogramm in dieser Höhe ginge weit über ein Konjunkturprogramm hinaus. Es wäre bei entsprechender Ausrichtung auch Motor für den überfälligen sozial-ökologischen Umbau und würde zugleich die Wirtschaft für die Zukunft leistungsfähig machen (Strukturpolitik). Investitionsfelder wären Energieeffizienz und Erneuerbare Energien, industrielle Modernisierung, der Ausbau und Erhalt der öffentlichen Daseinsfürsorge und Verkehrsinfrastruktur, schnelle Internetverbindungen, Bildung und Forschung, der soziale Wohnungsbau sowie weitere öffentliche und soziale Dienstleistungen. Durch die gezielte Förderung von Projekten in den peripheren Südstaaten sowie in den mittel- und osteuropäischen Staaten könnte das Investitionsprogramm auch zur Reduzierung des Entwicklungsgefälles in der EU dienen.
Da die europäische Finanzkrise vor allem eine Auslandsschuldenkrise ist, ist eine Lösung der Krise ohne ein Gegensteuern gegen die Leistungsbilanzungleichgewichte völlig aussichtslos. Daher wird in der Streitschrift eine „Europäische Ausgleichsunion“ skizziert, die sich als Gegenpol zum heute vorherrschenden Modell einer „Austeritätsunion“ versteht, wie sie über den verschärften Europäischen Stabilitätspakt, den Europäischen Fiskalvertrag und über die konkreten Vorbedingungen für die sogenannten Rettungspakete vor allem den Euro-Krisenländer aufgezwungen wird (Troost/Paus 2011). Ausgleich bedeutet stattdessen ein gemeinsames Hinwirken auf einen Ausgleich von beiden Seiten, d. h. von Ländern mit Leistungsbilanzüberschüssen und solchen mit Defiziten.
Angesichts der fundamentalen Krise der EU plädieren wir mit Nachdruck für einen „Plan A“, durch den der Euro und die EU über eine Radikalreform stabilisiert werden sollen. Ansatzpunkte sind eine gemeinsame Sozial- und Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaat ebenso wie eine dezidierte Demokratisierung der EU. Das Konzept des „Plan B“, eines Ausstiegs aus dem Euro, wird dagegen entschieden abgelehnt, weil die Eurozone und die EU durch eine Rückkehr zu nationalen Währungen in eine noch schwere ökonomische Krise gestürzt würden – am stärksten übrigens die schwächer entwickelten Mitgliedstaaten. Eine solche ökonomische Krise würde auch den Binnenmarkt zerstören, und die Europäische Union dürfte eine solche schwere Krise politisch kaum überleben. Die Argumentation der AnhängerInnen des „Plan B“, ein „Plan A“ ließe sich politisch nicht durchsetzen, lässt sich ohne weiteres umkehren. Auch für einen „Plan B“ gibt es heute in der EU nur an den politischen Rändern eine Unterstützung. Mehrheitsfähig ist „Plan B“ nicht, denn alle wichtigen Mitgliedstaaten sperren sich mit Recht gegen dieses Konzept.
Die zentrale Botschaft dieser Streitschrift liegt in der These, dass die EU und der Euro sich reformieren lassen. Durch die Einführung der beschriebenen Reformen, wie der alternativen Wirtschaftspolitik, der Ausgleichsunion, der gemeinsamen Schuldenpolitik, der Schritte auf dem Wege zu einer europäischen Sozialunion sowie einer demokratisch gewählten und kontrollierten Europäischen Wirtschaftsregierung, lassen sich die EU und der Euro wirkungsvoll in Richtung eines solidarischen Europas transformieren.
In den letzten Jahren wurden die Konstruktionsschwächen der Europäischen Union, besonders aber der Eurozone deutlich. Immer mehr BürgerInnen begreifen sich als VerliererInnen der Entwicklung in der EU und der Eurozone. Mit dem Brexit droht die Europäische Union ihre Legitimationsgrundlage zu verlieren. In vielen Ländern der EU sind rechtspopulistische und nationalistische Kräfte in der Offensive. Die im letzten Jahr verstärkt einsetzende Flüchtlings- und Migrationsbewegung entzweit Europa.
Verstärkt durch das Flüchtlingsdrama ist Europa in die politische Zerreißprobe geraten. Das Ziel eines freundschaftlichen Miteinanders in einem Europa der Vielfalt wird derzeit zwischen nationalistischen Egoismen und menschenfeindlicher Abschottungspolitik zerrieben. Es entwickelt sich ein gesellschaftliches Klima, in dem Sorgen in Ängste verwandelt werden: vor Überforderung, Überfremdung, Übervorteilung. Das Schüren von Angst gibt rückwärtsgewandten, fremdenfeindlichen, völkischen und rechtsnationalistischen Parteien in Deutschland und anderen europäischen Ländern Auftrieb. In der letzten Zeit dominieren die rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien die gesellschaftliche Stimmung in Europa. Es wird Zeit, dass die europäische Linke aufhört, verbissen über die Währungsfrage zu diskutieren und stattdessen den Konflikt verschiebt: weg von den Frontstellungen „reicher Norden“ gegen „überschuldeten Süden“, die immer wieder nationalistisch oder rassistischen überlagert werden, hin zu einer Polarisierung gegen die Superreichen, Vermögenden und Banken.
Heute ist der Nationalstaat nicht in der Lage die großen globalen Probleme der Wirtschafts- und Finanzkrisen, des Klimawandels, der Migrationsbewegungen und des Terrorismus zu bewältigen. Die Welt braucht weniger Nationalstaat und mehr internationale Kooperation und internationale Organisationen, wie die Europäische Union, um diese Aufgaben zu bewältigen.
Statt sich ins Fahrwasser der Re-Nationalisierung zu begeben, muss die LINKE heute für den Erhalt des europäischen Einigungswerks kämpfen und sich den neoliberalen und den rechtspopulistischen Zerstörern Europas mit guten wirtschafts- und sozialpolitischen Alternativen in den Weg stellen!
Europa geht auch solidarisch!
[1] Gegenmacht und linke EU-Kritik statt Exit-Illusionen. Auf dem Weg zu Alternativen zum Neoliberalismus gibt es keine Abkürzungen über die Währungsfrage. Ein Beitrag zur Europadebatte von Bernd Riexinger im NEUEN DEUTSCHLAND vom 29.10.2016 Gegenmacht und linke EU-Kritik statt Exit-Illusionen
[2] Europa geht auch solidarisch! Streitschrift für eine andere Europäische Union. Klaus Busch, Axel Troost, Gesine Schwan, Frank Bsirkse, Joachim Bischoff, Mechthild Schrooten und Harald Wolf. VSA-Verlag, 88 Seiten, 7,50 Euro www.vsa-verlag.de
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