Antwort auf Martin Höpner "Nutzlose Wechselkursanpassungen?"

Von Klaus Busch, Axel Troost, Gesine Schwan, Frank Bsirske, Joachim Bischoff, Mechthild Schrooten und Harald Wolf

06.12.2016 / 06.12.2016

Der Text von Martin Höpner ist erschienen in: Makroskop vom 22.11.2106 [1]

Schon die Überschrift seiner Antwort auf unsere Kritik an den linken Ausstiegsplänen aus dem Euroregime[2] zeigt, dass Martin Höpner unsere Argumentation gegen einen Euroausstieg leider nicht verstanden hat. Wir haben an keiner Stelle der Streitschrift behauptet, dass reale Wechselkursanpassungen „ökonomisch“ nutzlos seien. Diese Unterstellung findet sich dennoch in Höpners Replik gleich in mehreren Passagen seines Textes. Auf diesen Punkt werden wir weiter unten zurückkommen. Doch zunächst zu unserem Hauptvorwurf gegen die Anhänger von „Plan B“.

Autonomiegewinn“ in der Wirtschaftspolitik bei einer Abkehr vom Euro?

Der Kardinalpunkt unserer Kritik an „Eurexit“ bezieht sich auf eine methodische Schwäche der Argumentation der Anhänger dieser Position. Ausgangspunkt ihrer Forderung nach einem Ausstieg aus dem Euro sind die schlimmen ökonomischen und sozialen Folgen der Austeritätspolitik, die wir im selben Maße kritisieren wie die Verfechter von „Plan B“. Im zweiten Schritt schauen sich Höpner et alii die Erfahrungen der Europä-ischen Gemeinschaft mit dem EWS an. Sie stellen fest, dass dieses Währungssystem zwar Mängel gehabt habe, diese aber längst nicht so eklatant gewesen seien wie die Defizite des heutigen Euroregimes. Aus diesem Grunde, so schlussfolgern sie drittens, sei eine Rückkehr zu einem solchen System, EWS II genannt, eine sinnvolle Option.

In dieser Argumentation übersehen die Eurexit-Anhänger, dass es eine Rückkehr zu einer Stunde Null nicht zu denselben Bedingungen gibt, die zu der Zeit der Einführung des EWS vorherrschten. Damals wurde der Übergang von nationalen Währungen zu einem Festkurssystem vollzogen, heute müsste der Übergang aus einer gemeinsamen Währung, dem Euro, in nationale Währungen geschehen, die dann miteinander mit festen, aber anpassungsfähigen Wechselkursen gekoppelt würden. Dass dies sehr unterschiedliche Vorgänge sind, kann man am Beispiel der Staatsschuld eines Landes, sagen wir Italiens, sehr gut veranschaulichen. Damals blieben die primär in Lira vorhandenen Staatsschulden auch nach der Einführung des EWS Lira-Schulden. Wenn Italien abwertete, berührte das die staatlichen Lira-Schulden nicht. Allerdings zog die Abwertung in der Regel auch einen Zinsanstieg für Staatspapiere mit sich, weil Ausländer für den Kauf der Papiere Italiens eine Prämie für das Risiko der Abwertung verlangten. Wenn heute Italien den Euro verließe und die Lira wieder einführte – in einem EWS II-Verbund –, würde die in Euro emittierte Staatsschuld in der neuen Währung Lira, nach deren Abwertung, drastisch ansteigen. Italien hätte in nationaler Währung einen wesentlich höheren Schuldendienst zu verzeichnen, weil es diesen in Euro zu leisten hätte. Dies ist die Schuldenfalle, von der wir in unserer Streitschrift sprechen. Darüber hinaus würde Italien einen erheblichen Zinsanstieg für seine Staatspapiere hinnehmen müssen. Im Zeitraum 2011 – nach dem Schuldenschnitt Griechenlands – bis zum Sommer 2012 – nach der Erklärung Draghis „Whatever it takes“ – konnten wir dramatische Zinsspreads studieren, die sich einstellten, weil die Finanzmärkte auch einen Schuldenschnitt in anderen südeuropäischen Staaten erwarteten. Ähnliche Spreads würden auch nach der Aufgabe des Euro wieder entstehen, weil die Finanzmärkte die unterschiedlichen Risiken für Staatspapiere von Aufwertungsländern – wie Deutschland – und Abwertungsländern – wie Italien – zu bewerten hätten.

Die „Schuldnerstaaten“ des Südens würden aufgrund der Schulden- und der Zinsfalle Schwierigkeiten haben, ihre Haushaltsdefizite zu finanzieren und müssten drastische Spareingriffe vornehmen. Gerade die Staaten, denen die Anhänger von „Plan B“ mit der Einführung eines EWS II helfen möchten, wären damit die großen Verlierer dieser Operation.

Das Problem der Schuldenfalle für die Abwertungsländer beschäftigt auch Joseph Stiglitz in seiner neuesten Schrift zum Euro.[3] Er schlägt deshalb in seinem Konzept der „freundschaftlichen Scheidung“ vor, dass Deutschland und einige Nordländer den Euro verlassen sollen, um nationale Währungen einzuführen. Sie würden dann als Besitzer von Euroanleihen von südeuropäischen Staaten im Falle der Abwertung des Euro gegenüber den neuen nationalen Währungen die Kapitalverluste tragen, die aus dem Umstellungsprozess entstehen. Ihre Euroeinnahmen aus den Anleihen würden nach der Aufwertung ihrer neuen Währungen gegenüber dem Euro an Wert verlieren. (Es versteht sich von selbst, dass die Bundesregierung genau wegen dieser Effekte einem solchen Vorschlag kaum zustimmen dürfte.)

Eben diesem Sachverhalt schenken Höpner et alii aber nicht die notwendige Beachtung. Sie gehen in ihrer Replik darauf kaum ein. Höpner meint sogar einen Widerspruch in unserer Argumentation feststellen zu können. Wenn es im EWS laut Busch et al. zu wenig Wechselkursanpassungen gegeben hätte, wie könne man dann für ein Euro-regime plädieren, in dem es überhaupt keine Anpassungen mehr gäbe. Und er versucht, unsere Argumentation ironisch zu belächeln, würden wir doch – indem wir Schulmeister[4] zustimmend zitieren – von Abwertungswettläufen, Finanzschmelzen und Wirtschaftskriegen sprechen. All das zeigt, dass Höpner die oben beschriebenen ökonomischen und politischen Folgen des Ausstiegs aus dem Euro ignoriert hat. Ebenso wenig macht er sich die Mühe, unsere sechs radikalen Schritte einer Reform des Euro zu diskutieren und darauf zu prüfen, ob sie vielleicht die bessere Antwort auf die Konstruktionsmängel der Währungsunion sind als eine Rückkehr zu nationalen Währungen im Rahmen eines EWS II. Denn wir lehnen nicht einfach die Auflösung des Euro ab, sondern wir legen detailliert dar, wie die heutigen ökonomischen und sozialen Ungleichgewichte des Eurosystems durch eine Beseitigung seiner Mängel korrigiert werden können. Diese von uns vorgeschlagenen Reformen ermöglichen es, den Euro zu stabilisieren, und eben nicht den Weg eines Ausstiegs zu gehen, dessen negativen Wirkungen wir beschrieben haben.

Nutzlose Wechselkursanpassungen“

Obwohl Höpner es mehrfach betont, betrachten wir reale Wechselkursanpassungen ökonomisch nicht als nutzlos. Wie könnten wir! Wir sagen allerdings, dass eine Abwertung nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie mit einem Abbau der Reallöhne verbunden ist, die nominale Abwertung also auch eine reale ist und bleibt. Und insofern argumentieren wir, dass der soziale Effekt einer internen Abwertung im Euroregime und einer realen Abwertung im System anpassungsfähiger Wechselkurse gleich ist. Höpner beschreibt noch einmal die sozialen Brutalitäten der Troika-Politik (Lohnsenkungen, Zerstörung der Tarifvertragssysteme, etc.) und stellt diesen die „heile“ soziale Welt der Wechselkursanpassungen in einem EWS II gegenüber. Leider handelt es sich hier um ein verkürztes Verständnis der ökonomischen und sozialen Prozesse. Eine nominale Abwertung erhöht die Importpreise, und diese importierte Inflation löst eine Preis-Lohn-Spirale aus, die nach und nach den Effekt der nominalen Abwertung auffrisst. Deshalb argumentieren Autoren wie Dornbusch und Fischer[5], dass eine nominale Abwertung nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie von einer gleichhohen Senkung der Reallöhne begleitet wird. Höpner et alii lassen sich auf diese Literatur nicht ein und versuchen die hier beschriebenen Effekte kleinzureden.

Dabei waren Höpner und Spielau in ihrer Schrift über das EWS diesen Effekten bereits auf der Spur. Sie argumentieren, die Abwertungen im EWS hätten nicht zu einem Anstieg der Inflationsraten geführt, hierfür gäbe es keine empirischen Belege.[6] Die Gründe dafür, die sie nicht diskutieren, sind sehr simpel. Die Länder mit schwachen Währungen und hohen Haushaltsdefiziten haben durch einen Politik-Mix aus überbewerteten Währungen, Kürzungen der staatlichen Finanzierungsdefizite und erhöhter Arbeitslosigkeit – also eine Disinflationspolitik – die Gewerkschafen so unter Druck gesetzt, dass die realen Lohnstückkosten stark reduziert wurden. Sie haben also genau das getan, was die makroökonomische Standardliteratur von Abwertungsländern verlangt: die Lohnkosten abgebaut und damit den Effekt der importierten Inflation kompensiert. Höpner und Spielau benennen das Ergebnis: die nicht ansteigende Inflation nach Abwertungen in bestimmten Phasen des EWS. Sie analysieren aber nicht die lohnpolitischen Prozesse, die dies ermöglicht haben.

Die Analyse des EWS

Wir haben bereits oben darauf hingewiesen, dass es ein Denkfehler ist, nach einem Vergleich von EWS und Euroregime zu fordern, man solle und könne ein EWS II (mit noch häufigeren Wechselkursanpassungen) einführen. Wie dargelegt, geht dies leider nur um den Preis äußerst negativer ökonomischer und sozialer Effekte in den Aufwertungs- und vor allem in den Abwertungsländern.

Insofern ist eine detaillierte Diskussion mit den Erfahrungen des EWS nur sehr begrenzt zielführend. Wir sind uns einig, dass dieses ein mangelhaftes Regime war. Wir sind uns nicht einig in der Frage, ob dies die Finanzspekulation eingedämmt habe. Im Unterschied zu Höpner, Scharpf und Streeck[7] sind wir der Meinung, dass das EWS spätestens seit Mitte der 1980er Jahre die Spekulation erleichtert hat und daran schließlich auch 1993 zerbrochen ist. Im Unterschied zu Höpner betrachten wir die Phase des EWS nach 1993 nicht mehr als ein System fester, aber anpassungsfähiger Wechselkurse, da eine Schwankungsbandbreite von plus/minus 15% eingeführt wurde. Deshalb haben wir auch nicht mehr die Erfahrungen nach der deutschen Wiedervereinigung analysiert.

Globale Entwicklungen und die Zukunft der EU

Wir alle wissen, dass die Zukunft der EU in der momentanen Phase auf dem Spiel steht. Der wachsende Rechtspopulismus, der Brexit, die Wahl Trumps in den USA, die aktuellen Entwicklungen in Österreich und in Italien setzen dem europäischen Integra-tionsprozess schwer zu. Obwohl die EU und das Euroregime dafür im hohen Maße aufgrund der Austeritätspolitik eine Mitverantwortung tragen, wäre die Rückkehr zu einem System der Nationalstaaten eine historische Katastrophe. Die Abkehr vom Euro würde die EU nicht nur in die beschriebene ökonomische und soziale Krise führen, sie würde darüber hinaus politische Prozesse auslösen, die eine Abkehr von Europa hervorrufen könnten.

Gerade die nach der Wahl Trumps zu befürchtenden politischen und ökonomischen Entscheidungen der USA erfordern als Gegengewicht auf der globalen Ebene eine Stabilisierung und Weiterentwicklung der EU. Trumps Wirtschafts- und Finanzpolitik ist noch nicht ausformuliert, es zeichnen sich aber bereits jetzt höchst bedenkliche Konturen dieser neuen Politik ab. Da sind zunächst die von ihm angekündigten protektionistischen Einschränkungen des internationalen Handelsverkehrs, vor allem mit Asien und Lateinamerika. Viele Kommentatoren verweisen in diesem Zusammenhang auf die krisenverstärkenden Effekte der protektionistischen Maßnahmen (Zollerhöhungen, Abwertungswettläufe) in der Weltwirtschaftskrise nach 1929. Des Weiteren wird befürchtet, dass Trump, der sein Kabinett vollspickt mit Milliardären und Ex-Managers der Hochfinanz, die bisherigen Regulierungen des Finanzsektors auflockert. Damit würde die Gefahr von neuen Weltfinanzkrisen, die wegen der noch unzureichenden Kontrollen der Schattenbanken (vor allem Hedge Fonds und Geldmarktfonds) ohnehin nicht gebannt sind, noch größer werden. Schließlich würden die von Trump angekündigten Steuersenkungen für Unternehmen in Verbindung mit seinem Infrastrukturprogramm zwar vorübergehend das Wirtschaftswachstum steigern und neue Jobs schaffen, beides würde aber die Zwillingsdefizite der USA (im Bundeshaushalt und in der Leistungs-bilanz) weiter erhöhen. In Verbindung mit den dann zu erwartenden Zinserhöhungen würde der US-Dollar stark aufwerten und erneut überschießen, wie in der Periode unter Ronald Reagan. Diese Ungleichgewichte würden die Weltwirtschaft belasten und ihre Auflösung könnte größere Krisen verursachen. Auch die Steuersenkungen für das Kapital, die von parallelen Maßnahmen der Regierung May in Großbritannien begleitet werden würden, sind das Gegenteil dessen, was zur Bekämpfung der im Zuge der Globalisierung angestiegenen sozialen Verwerfungen erforderlich wäre.

Um diese nationalistischen und neoliberalen Tendenzen in den USA auf der globalen Ebene einzudämmen, wäre es dringend erforderlich in der EU einen Richtungswechsel im Sinne unseres in der Streitschrift vorgeschlagenen Sechs-Punkte-Programms durchzusetzen. Wir brauchen zunächst einen Bruch mit der Austeritätspolitik, die in Europa den Rechtspopulismus befeuert. Gerade Länder wie Italien benötigen einen neuen Wachstumsschub im Sinne der Neuausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik unseres Programms. Nur dadurch ließe sich die Krise der Staatsfinanzen und des Bankensektors in Italien überwinden und eine weitere Zuspitzung der Eurokrise vermeiden. Dies wäre auch ein entscheidender Beitrag zur Verhinderung der Machtübernahme durch die rechtsnationalistische „Cinque Stelle“, die den europäischen Integrationsprozess weiter unterhöhlen würde. Der Rechtspopulismus lässt sich auch in Frankreich und den Niederlanden nur dann stoppen, wenn die europäische „Austeritätsunion“ in eine „Ausgleichsunion“[8] transformiert werden wird. Durch die Einführung der von uns geforderten Reformen, wie der alternativen Wirtschaftspolitik, der Ausgleichsunion, der gemeinsamen Schuldenpolitik, der Schritte auf dem Wege zu einer europäischen Sozialunion sowie einer demokratisch gewählten und kontrollierten Europäischen Wirtschaftsregierung lassen sich die EU und der Euro wirkungsvoll in Richtung eines solidarischen Europas transformieren.

Der Nationalstaat ist nicht in der Lage, die globalen Probleme der Wirtschafts- und Finanzkrisen, des Klimawandels, der Migrationsbewegungen und des Terrorismus zu bewältigen. Die Welt braucht gerade nach der Wahl Trumps weniger Nationalstaat und mehr internationale Kooperation sowie internationale Organisationen wie die EU, um diese Aufgaben zu bewältigen. Statt sich ins Fahrwasser der Re-Nationalisierung zu begeben, muss die Linke für den Erhalt des europäischen Einigungswerks kämpfen und sich den neoliberalen und den rechtspopulistischen Zerstörern Europas in den Weg stellen!

[1] Dem Artikel von Martin Höpner hat sich jetzt auch Heiner Flassbeck angeschlossen, der bereits vorher ein Pamphlet gegen unsere Schrift in Makroskop formuliert hatte. www.makroskop.eu

[2] Busch/Troost/Schwan/Bsirske/Bischoff/Schrooten/Wolf (2016): Europa geht auch solidarisch – Streitschrift für eine andere EU, Hamburg, VSA, Kapitel 4 www.axel-troost.de

[3] Stiglitz, Joseph (2016): The Euro and its threat to the future of Europe, London

[4] Schulmeister, Stephan (2013): Euroabwicklung: der finale Schritt in den Wirtschaftskrieg, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 10/2013

[5] Dornbusch/Fischer/Startz (2003): Makroökonomik, 8. Auflage, München

[6] Höpner/Spielau (2015): Diskretionäre Wechselkursregime: Erfahrungen aus dem Europäischen Währungssystem 1979-1998, in: MPIfG Discussion Paper, 11/2015

[7] Höpner/Scharpf/Streeck (2019): Europa braucht die Nation, in: „Die Zeit“, 39/16

[8] Vgl. unseren Artikel „Ausgleich statt Austerität – Für eine andere, solidarische Europäische Union“, der noch in diesem Monat in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ Heft 1/2017 erscheinen wird.