Mehr Rentengerechtigkeit durch Anerkennung der Lebensleistung Ost
Bundestagsrede von Susanna Karawanskij am 19.01.2017
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste!
Endlich Renteneinheit? Es wird beklagt, dass wir als Linke uns immer wieder dieses Themas annehmen. Ich frage jetzt einmal in die Runde: Wenn wir es nicht getan hätten, wer hätte dann das Thema hier glaubwürdig vorgebracht?
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir von Bündnis 90/Die Grünen, seit Jahren!)
Das tun wir seit 25 Jahren. Ansonsten wäre es tatsächlich totgeschwiegen worden.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich bin erst seit kurzem die Ostkoordinatorin der Linksfraktion. Damals, 1991, war ich nicht in Bonn dabei. Ich war elf Jahre alt. Die Arbeit meiner Vorgängerinnen und Vorgänger werde ich unermüdlich fortsetzen. Wir werden weiter vehement für die Anerkennung der Lebensleistung Ost streiten. Und dazu gehört zuvörderst eine angemessene Alterssicherung.
(Beifall bei der LINKEN)
Mit dem Antrag, den wir heute neu vorgelegt haben, knüpfen wir an den Koalitionsbeschluss vom November des vergangenen Jahres an. Ich muss Sie erst einmal dazu beglückwünschen, dass Sie in der Sache der Angleichung der Rentenwerte Ost an die Rentenwerte West etwas schriftlich fixiert haben. Links wirkt! Wir verbuchen das als Ergebnis unseres permanenten parlamentarischen Drucks. Aber es ist natürlich auch ein Erfolg der jahrelangen Proteste der Vereine.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber wir sind nicht zufrieden; denn die bis zum Jahr 2025 verzögerte völlige Angleichung des Rentenwertes sehen wir erneut als Wortbruch an. Und die sukzessive Abschaffung der Umrechnung der niedrigeren Einkommen im Osten ist für uns eine nicht hinnehmbare Benachteiligung der Beschäftigten dort.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Unsinn)
An die Frau Ministerin Nahles gerichtet – sie ist heute leider nicht da –, sage ich: Wir haben auch an die Niedriglöhner in der Eifel gedacht. Nehmen Sie sich unseres Antrages an. Sie haben – das habe ich gerade gesagt – vorgeschlagen, die Ostrenten schrittweise bis zum Jahre 2025 anzugleichen. Wir fordern gleiche Rechte für gleiche Lebensleistung. In diesem Zusammenhang fordern wir, einen steuerfinanzierten, stufenweise steigenden Zuschlag einzuführen, mit dem der Rentenwert bis zum 1. Juli 2018 angehoben wird.
(Beifall bei der LINKEN)
Das bringt der Standardrentnerin bzw. dem Standardrentner 80 Euro mehr.
Weil die Gehälter und Löhne der Vollzeitbeschäftigten im Osten tatsächlich immer noch um 23 Prozent unter dem Niveau der westdeutschen Bundesländer liegen, brauchen wir auch weiterhin die Umrechnung, noch so lange, bis die Löhne und Gehälter im Osten annähernd an das Westniveau heranreichen.
(Beifall bei der LINKEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag!)
Für die ungelösten Probleme der Rentenüberleitung, insbesondere für das, was besondere Personengruppen betrifft, haben wir als Linksfraktion heute kein komplexes Paket vorgelegt. Betroffen sind: Eisenbahner, Hebammen, Tänzerinnen, Krankenschwestern sowie Menschen, die zu DDR-Zeiten geschieden wurden, aber auch Familienangehörige, die ihre Berufstätigkeit unterbrochen haben, um zu pflegen. Aber wir haben heute zwei Anträge vorgelegt, mit denen wir sowohl den Bergleuten der DDR-Braunkohleveredelung als auch den Ostkrankenschwestern helfen würden, wenn Sie den beiden Anträgen zustimmen.
(Beifall bei der LINKEN)
Es macht betroffen: Noch in den 90er-Jahren hatten 1 000 Kumpel Beschwerde eingereicht. Heutzutage sind es nur noch 383, die trotz hoher Belastung durch ihre Tätigkeit überhaupt noch am Leben sind und aktiv für ihre Sache streiten. Für die Betroffenen an den anderen Standorten der Braunkohleveredelung sieht es nicht anders aus als für die von Borna/Espenhain.
Nun werfen uns die Kollegen der SPD vor, wir würden mit unseren Anträgen vor allen Dingen aus „parteitaktischen Gründen“ Hoffnung schüren.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach Quatsch!)
Was sagen Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dazu, dass Ihre Landesministerin Petra Köpping den Betroffenen gerade zum Jahresstart 2017 versprochen hat, mit dem Anliegen „mit allem Nachdruck und aller Herzenswärme“ nach Berlin gehen zu wollen? Da scheint es doch wohl ein echtes Problem zu geben.
(Beifall bei der LINKEN)
Die DDR hatte wenig Ressourcen. Deswegen wurde die Braunkohle abgebaut und, wie es hieß, auch „auf Teufel komm raus“ veredelt. In Kenntnis der schweren Arbeitsbedingungen wurden die hier tätigen Kumpel in der betreffenden DDR-Verordnung denen „unter Tage“ gleichgestellt.
Hier wurde gerade bezweifelt, dass unsere Forderungen – beispielsweise was die Abschaffung des Abschlages für den Rentenbeginn ab dem 60. Lebensjahr betrifft – auch in Bundesrecht umsetzbar sind. Die meisten Betroffenen haben in den vergangenen Jahren wegen ihres Gesundheitszustandes diesen frühen Rentenbeginn mit Rentenverlusten in Anspruch genommen.
Wir können das SGB VI und dort § 238 – wenn mich nicht alles täuscht – tatsächlich nutzen, um eine Rente ab dem 60. Lebensjahr für langjährig unter Tage Beschäftigte zu gewähren und in dieser Vorschrift die Bergleute der DDR-Braunkohleveredelung gleichzustellen. Gleichstellungen kennt auch das Bundesrecht, beispielsweise in § 134. Das wäre Ausdruck des politischen Willens. Wenn wir den hätten, könnten wir das hier ganz schnell umsetzen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich möchte meine Ausführungen gerne weiterführen.
(Thomas Jurk [SPD]: Oh, Überraschung!)
Er kann sich nachher noch äußern. Ich bin ja fast schon fertig.
Bei den Ostkrankenschwestern ist es tatsächlich komplizierter. Für deren Rente war ein Steigerungsfaktor von 1,5 Prozent vorgesehen, was das Bundesrecht so nicht kennt. Aber sie heute damit abzuspeisen, dass man meint, die Umrechnung der Osteinkünfte – Sie nennen sie fälschlicherweise immer „Höherwertung“ – wäre ein Akt, der diese spezielle Lebensleistung anerkennt, ist blanker Hohn.
(Beifall bei der LINKEN)
Mein Appell an Sie heute ist: Stimmen Sie mit Ihrem Namen bei den Bergleuten der DDR-Braunkohleveredelung und bei den Ostkrankenschwestern unseren Anträgen zu! Lassen Sie uns endlich vom Bundestag aus tatsächlich ein Stück weit mehr Gerechtigkeit schaffen! Es geht um genau das, was auch Sie im Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit mit beklagt haben und dessen Bereinigung Sie sich selber auf die Fahnen geschrieben haben.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
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