Albrecht Müller: Einige wenige Anmerkungen zum Koalitionsvertrag und zum Personal
Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP hat 124 eng beschriebene Seiten. Der wichtigste Rat im Umgang mit dieser Koalition scheint mir zu sein: Vorsicht. Das ist eine Koalition von perfekten Darstellern und Verkäufern. Sie sagen oft das Gegenteil dessen, was ist. So war es schon im Wahlkampf. Zu manchem schweigen sie perfekt.
Zur Einstimmung der Leser sei auf einen Ausschnitt aus der Pressekonferenz verwiesen, mit der die drei Parteivorsitzenden den Koalitionsvertrag am 24. Oktober vorgestellt haben: Merkel zu Finanzminister Schäuble und den 100.000 D-Mark. Einen offenen und ehrlichen Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern werden wir auch von dieser Regierung nicht zu erwarten haben.
Einige Gedanken und Beobachtungen:
- Die Unwahrheiten ziehen sich wie ein roter Faden sogar von Überschrift zu Überschrift
- „Wohlstand für alle“ heißt der Titel von Kapitel I. Im Text wird dann an vielen Stellen deutlich, dass den Besserverdienenden mehr gegeben wird als den Schwächeren. Mit der Veränderung der Erbschaftssteuer, mit der Erhöhung der Kindersteuerfreibeträge und des Kindergeldes, sogar bei der Erhöhung des Schonvermögens etc.. Von der ohnehin geringeren Erhöhung des Kindergeldes haben die Kinder von Hartz IV-Empfängern nichts, weil dieses angerechnet wird.
- Westerwelle zum Beispiel spricht trotz dieser zuvor genannten Fakten auf dem Parteitag der FDP vom 25. Oktober von einem Signal an die Familien. Die Fakten spielen keine Rolle. Es kommt auf die penetrante Wiederholung auch unwahrer Behauptungen an.
- „Bildungsrepublik Deutschland“ lautet die Überschrift von Kapitel II. Den Schwerpunkt Bildung tragen die Verantwortlichen schon seit einigen Jahren wie eine Monstranz vor sich her. Aber positive Folgen hatte dies bei den Finanzen für Bildung nicht. Bei einer Koalition, deren geistlose Hauptformel „Mehr netto vom brutto“ ist, wird die „Bildungsrepublik Deutschland“ eine Propagandaformel bleiben.
- „Sozialer Fortschritt. Durch Zusammenhalt und Solidarität“ heißt es in der Überschrift des Kapitels III. Eine Koalition, die die sozialen Sicherungssysteme weiter beschädigt, indem sie die sogenannte paritätische Finanzierung der Beiträge jetzt auch bei den Krankenkassenbeiträgen und bei der Pflegeversicherung auflöst und damit die Arbeitgeber aus der weiteren Beitragskostenbelastung entlässt, schwächt den Zusammenhalt.
- Das soziale Image wird bewusst und penetrant gepflegt. Westerwelle baut vor.
Das besonders gute Abschneiden der FDP bei der Wahl ist auch damit zu erklären, dass Westerwelle im Wahlkampf nahezu penetrant versucht hat, der FDP auch ein soziales Image zu verpassen. Er hat damit die Barriere abgebaut, die ehemalige Wähler der Grünen und der SPD bisher daran gehindert hatten, zur FDP zu wechseln. Ähnlich ist es bei CDU und CSU. Sie hätten noch mehr verloren, wenn sie sich nicht das Image von Auch-Arbeitnehmerparteien gegeben hätten.
Westerwelle nimmt den im Wahlkampf gesponnenen Faden bei der Präsentation des Koalitionsvertrages auf, wenn er meint, er setze „auf wirtschaftliche Vernunft und soziale Gerechtigkeit“. - Die Wohltaten werden beschrieben, die Belastungen werden eher versteckt
Die Steuersenkungspläne, um die sich die Koalitionsverhandlungen offenbar über lange Zeit sinnloserweise drehten, sind formuliert. Welche Belastungen auf die Arbeitnehmer durch Erhöhung der Beiträge und auf Arbeitnehmer und Rentner durch die Beschlüsse zur Gesundheitspolitik zukommen und welche aus den Beschlüssen der Koalition folgenden Gebührenerhöhungen alle Menschen belasten werden, wird nicht vorgerechnet. Hier gilt, was schon oft geschrieben und vorhergesagt wurde: nach der nordrhein-westfälischen Landtagswahl im Mai nächsten Jahres werden wir uns noch wundern.
- Um die Wirtschaftskompetenz steht es personell und in der Sache schlecht
Eigentlich müssten im Amt des Bundeswirtschaftsministers und/oder jenem des Bundesfinanzministers Persönlichkeiten sitzen, die gesamtwirtschaftliche und weltwirtschaftliche Zusammenhänge durchschauen und auch fachlich auf dieses Amt vorbereitet sind. Das ist wichtig, damit die verantwortlichen Personen in diesem schwierigen Feld die richtigen Entscheidungen vorbereiten können und damit dies rechtzeitig geschieht. Deutschland hat seit Jahren ein Defizit an wirtschaftspolitisch und vor allem makroökonomisch gebildeten Personen. Entsprechend schlecht war und ist diese Politik, wie sich an den schlechten Beschäftigung- und Wachstumsziffern und an der Entwicklung der realen Löhne ablesen lässt.
Die Kombination aus Glos beziehungsweise Guttenberg als Bundeswirtschaftsminister und Steinbrück als Bundesfinanzminister war aus makroökonomischer Sicht schon eine Zumutung. Es ist nicht zu erkennen, dass es mit Brüderle und Schäuble besser werden könnte. Unabhängig von der parteipolitischen Orientierung würde ich mir das wünschen, weil es für die Menschen und Familien so zentral wichtig ist, dass sie Arbeit und einen ausreichenden Lohn finden. Deshalb habe ich in den Texten des Koalitionsvertrags nach Anhaltspunkten gesucht, die die Hoffnung vermitteln könnten, es habe sich die Einsicht verstärkt, dass die Bundesregierung eine makroökonomische Verantwortung hat:- Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es im zweiten Absatz der Seite 1. Da wird immerhin vor Kürzungen bei öffentlichen Investitionen gewarnt und einer prozyklischen Politik nicht gerade das Wort geredet.
- Aber dann werden wir mit den üblichen Mythen und Legenden konfrontiert, die die deutsche Wirtschaftspolitik schon seit dem Lambsdorff-Papier begleiten und prägen: Wenn man die Steuern senkt („mehr netto vom brutto“), dann gibt es mehr Investitionen; eine Legende, die schon zu Kohls Zeiten widerlegt wurde, spätestens aber nach Gerhard Schröders großer Unternehmenssteuersenkungs-Reform hätte begraben werden müssen. - Die Senkung beziehungsweise Stabilisierung der Lohnzusatzkosten wird als Hebel für Wachstum betrachtet; deshalb wird von Schwarz-gelb angestrebt, sie unter 40 % vom Lohn zu halten. Auch dies auf der Basis eines Ammenmärchens.
- Im Koalitionspapier wird auch nicht andeutungsweise sichtbar, dass sich die Bundesregierung auf eine möglicherweise sehr viel kritischere Beschäftigungssituation einstellen muss. Immerhin läuft die Welle der Entlassungen, Unternehmen brechen zusammen, die Kurzarbeit läuft aus. Der Text der Koalitionsvereinbarung und die Auswahl der beiden Personen Brüderle und Schäuble lässt nicht erkennen, dass die am 27. September Gewählten ihre Verantwortung für die konjunkturelle Steuerung erkannt hätten. Hätten sie dies, würden sie ein drittes echtes und großes Investitionsprogramm vorbereiten.
- Eine der schlimmsten Weichenstellungen: Die weitere Verarmung des Staates
Dass die FDP mit der ausgelutschten Forderung nach niedrigeren und einfacheren Steuern im Jahr 2009, also ein halbes Jahrhundert nach Poujade und seinem Poujadismus sowie nach Glistrup Wahlen gewinnen und die weitere Regierungsarbeit in Deutschland wesentlich bestimmen kann, ist schon erstaunlich. Die Folge wird sein, dass es die Renaissance öffentlicher Verantwortung in Deutschland nicht geben wird. Es wird weitergehen mit der Verarmung des Staates, mit Entstaatlichung, mit Privatisierung und dem Angriff auf die sozialen, solidarischen Sicherungssysteme.
- Das Finanzcasino kann weiterlaufen
Die einschlägigen Texte zeigen, dass die neue Koalition keine Korrektur vornimmt. In Ziffer 1 des gesamten Textes wird zwar festgestellt, dass der Staat in der Weltwirtschaftskrise eine stärkere Rolle gespielt hat und sich an Wirtschaftsunternehmen und Finanzinstituten beteiligen musste. Aber dann wird schon in diesem einleitenden Text, der den Charakter einer Präambel hat, von einer „Ausstiegs-Strategie“ gesprochen, mit der „wir jetzt beginnen werden“. Die Sorgen dieser Leute möchte man haben. Hier soll offensichtlich die eigene Klientel mit dem Versprechen, dass der Staat sich schnell wieder zurückzieht, ideologisch beruhigt werden. Eine wirkliche Groteske. Der Staat, da sind wir Steuerzahler, wird also nicht nur zur Rettung der Spekulierenden in Anspruch genommen, den Spekulanten wird nach der Rettung auch noch die ideologische Genugtuung zuteil, dass die staatliche Rettungsaktion eigentlich etwas war, was man möglichst schnell wieder vergessen können soll.
In den dann ab Seite 44 folgenden Texten zu den Finanzmärkten ist nicht zu erkennen, dass die neue Bundesregierung die Probleme der Finanzkrise und ihre Ursachen erkannt hat; es ist hingegen deutlich zu erkennen, dass die führenden Personen bei uns mit der Finanzwirtschaft verbunden sind. Im einzelnen:
- Es wird nicht erkannt, dass wir einen weit überdehnten Finanzdirektor haben und es eine vordringliche politische Aufgabe wäre, über die Konversion dieses Wirtschaftszweig (wie übrigens auch anderer Wirtschaftszweige) nachzudenken. Siehe dazu unseren Beitrag vom 7. Januar 2009.
- Es wird nicht erkannt, wie sehr unser Land unter der Plünderung vieler Unternehmen durch Hedgefonds und Private Equity Gruppen leidet. Zwar wird nicht so offen formuliert wie im Koalitionsvertrag von 2005, dass man den „Finanzplatz Deutschland“ weiter für spekulative Tätigkeiten öffnen will; aber es wird sichtbar, dass die neue Koalition die Geschäfte dieser Gruppen nicht erschweren will. Wörtlich: „Unser Ziel ist die Stärkung des Marktes für Beteiligungsunternehmen …“ Auf Seite 46 heißt es weiter: „Bei Real Estate Investment Trusts sind überflüssige Hemmschwellen für den deutschen Markt abzubauen, ohne die schutzbedürftigen Interessen der Verbraucher zu vernachlässigen.“ Der zweite Teil des Satzes ist ein bisschen weiße Salbe für die Mieter von Wohnungsbeständen, die forciert der Verschleuderung preisgegeben werden. - Das sind klare Belege für die Verflechtung der politisch Verantwortlichen mit der internationalen Finanzwirtschaft.
- Eine klare Positionierung gegen Spekulanten ist nicht erkennbar.
- Genauso wenig die Forderung und das Versprechen, die Steuervergünstigungen bei großen Vermögenstransfers zu streichen.
- Die Privatisierung geht vermutlich forciert weiter
- Zur Deutschen Bahn heißt es auf Seite 29: „Sobald der Kapitalmarkt dies zulässt, werden wir eine schrittweise, ertragsoptimierte Privatisierung der Transport- und Logistiksparten einleiten.“
- Die Privatisierung kommunaler Einrichtungen wird dadurch erleichtert, dass kommunale Betriebe künftig bei der Umsatzsteuer wie private Anbieter behandelt werden sollen.
- Wohnungsbestände - siehe oben 7.
- Usw.
- Im Text stecken eine Fülle von Festlegungen zu Gunsten der
Klientel von CDU, CSU und FDP. Nicht immer ist das für den Laien sofort
zu erkennen.
- Zum Beispiel wird auf Seite 29 ein Bekenntnis zum öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) abgegeben. Dann heißt es: „Unser Leitbild ist dabei ein unternehmerisch und wettbewerblich ausgerichteter ÖPNV. Dabei werden wir den Vorrang kommerzieller Verkehre gewährleisten“ und so weiter.
- Siehe oben Ziffer 8 und 7. Vor allem die Festlegungen zu Gunsten der Finanzindustrie sind nur erkennbar, wenn man die Hintergründe und die Fachausdrücke kennt.
Es ist anzunehmen, dass viele dieser konkreten, offenen oder versteckten Versprechen direkt von den Interessenten eingespeist worden sind.
- SPD und Grüne sind als oppositionelle Kräfte ziemlich gelähmt - vieles ist die Fortsetzung der von ihnen angelegten Politik
Das gilt für die Agenda 2010, für Afghanistan, für die Privatisierung der Bahn, für die Politik der einseitigen Steuersenkung für Unternehmen und Besserverdienende, für die Förderung spekulativer Tätigkeit auf den Finanzmärkten, für die Einführung der Privatvorsorge usw.. Was soll die SPD zum Beispiel zur staatlichen Verpflichtung zur Privatvorsorge in der Pflegeversicherung sagen, wenn Müntefering dies für die Riester-Rente mehrmals gefordert hat.
Nirgendwo kann die SPD richtig zuschlagen. Entsprechend fallen die Äußerungen zum Beispiel des Fraktionsvorsitzenden Steinmeier aus. Er sprach von einem “grandiosen Fehlstart”. Union und FDP seien “auf das Regieren offenkundig schlecht vorbereitet”, sagte er der “Bild am Sonntag”. “Schwarz-Gelb hat keinen Kurs und keinen Plan für die Zukunft unseres Landes. Der Koalitionsvertrag schafft in den meisten Feldern mehr Durcheinander als Klarheit.” (SpiegelOnline)
Das sind formale Einwände eines durch frühere Festlegungen gelähmten Oppositionsführers.
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