Gefährlicher Wachstumstaumel
Kolumne von Christa Luft
Die deutsche Wirtschaft wächst so stark wie keine andere in Europa, die Arbeitslosigkeit erreicht einen Tiefstand, die Steuerquellen sprudeln, und der Export boomt. Die Bundesregierung habe also bei der Krisenbewältigung alles richtig gemacht, verkündet sie stolz.
Abgesehen davon, dass sich in ihrer Bilanz auch statistische Tricks verbergen, geht der unerwartete Aufwärtstrend nur zum geringen Teil auf das Konto der deutschen Politik. Ausschlaggebend war vor allem die durch üppige Konjunkturprogramme anderer Länder gestützte Nachfrage nach Produkten und Leistungen „Made in Germany“. Deren Wettbewerbsfähigkeit wurde auf Kosten der hiesigen Beschäftigten durch Lohn- und Steuerdumping erhöht. Allein im August 2010 legte der Export im Vergleich zum Vorjahresmonat um fast 29 Prozent zu.
Solche Dynamik wird aber wegen der Lage in den Hauptabnehmerländern keineswegs dauerhaft sein. Die hoch verschuldeten USA nähern sich erneut einer Rezession. In China kann die Immobilienblase platzen. Die Grundstückspreise sind dort seit 2003 um 800 Prozent gestiegen. Einige EU-Länder versinken im Haushaltsdefizit und sind zu drastischen Kürzungen öffentlicher wie privater Ausgaben gezwungen. Der latente Währungskrieg zwischen den USA, China und dem Euroraum kann protektionistische Tendenzen stärken. Die USA wollen ihre Wettbewerbsfähigkeit durch einen schwachen, die eigenen Exporte verbilligenden Dollar steigern. Von den Chinesen erwarten sie die Aufwertung des Renminbi mit einem exportdämpfenden Effekt.
Deutschland hat in der vergangenen Dekade für 1,3 Billionen Euro mehr ex- als importiert. Diesem gigantischen Überschuß steht eine entsprechend hohe Verschuldung der Einfuhrländer gegenüber. Anhaltende globale Handelsungleichgewichte, zu denen auch China und Japan beitragen, bergen gefährliches Krisenpotenzial. Obwohl Deutschland pro Kopf weltweit den höchsten Leistungsbilanzüberschuss aufweist, sehen Bundespolitiker keinen Grund zum Handeln. Der sicher im Eigeninteresse unterbreitete US-amerikanische Vorschlag, künftig nicht nur die am Bruttoinlandsprodukt gemessene Verschuldung zu begrenzen, sondern auch den Exportüberschuss, wird als „planwirtschaftliches Denken“ verhöhnt.
Zu kritisieren ist nicht die Exportstärke Deutschlands, schon gar nicht sein erfreulich hohes technologisches Niveau. Kritikwürdig ist das ungesunde Ausmaß des Ausfuhrübergewichts und die gedrosselte Binnennachfrage, die die Exportaussichten der Partnerländer beschränkt. An die 150 Mrd. Euro wird der Exportüberschuss allein 2010 betragen, Sparvolumen, das nicht im Inland zum Einsatz kommt, sondern ins Ausland fließt.
Kurzgesagt, es geht um das zur Strategie gewordene bundesrepublikanische Bestreben, sich Wachstum immer nur borgen zu wollen, anstatt im eigenen Land mehr öffentliche und private Nachfragekraft zu generieren. Geschehen könnte das durch eine Investitionsoffensive in der Daseinsvorsorge, in Infrastruktur und Umweltschutz sowie durch eine Politik, die auf eine an Produktivität und Inflationsrate orientierte Entlohnung und auf rasche Eindämmung des Niedriglohnsektors drängt. Durch Steuererhöhungen für Spitzeneinkommen und hohe Vermögen (aktuell werden in Deutschland 861.000 Vermögensmillionäre und 103 Milliardäre gezählt) könnte ein Teil von deren überbordendem privaten Sparvolumen durch den Staat in die Realwirtschaft umgelenkt und so der Spekulativen entzogen werden. Das wäre zum Wohle des Gemeinwesens.
Anhaltend hohe Leistungsbilanzüberschüsse mögen im Interesse von Exportkonzernen sein. Im gesellschaftlichen Interesse sind sie nicht. Makroökonomisches Denken ist gefragt.
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