Der CDU-Parteitag: Wiedererweckung des Konservatismus?
Von Joachim Bischoff und Bernhard Müller
Die CDU und insbesondere ihre SpitzenpolitikerInnen haben auf ihrem Parteitag in Karlsruhe – trotz der in Maßen kontroversen Debatte über die Präimplantationsdiagnostik (PID) – vor allem Optimismus verbreiteten können. Die Kanzlerin kommuniziert das zudem mit vier Versprechen in einer bundesweiten Anzeigenkampagne. Passt das zur politischen Realität?
Für die CDU war das Jahr nach der für das bürgerliche Lager gewonnenen Bundestagswahl im September 2009 wenig erfreulich. Entscheidend zunächst der Absturz der FDP in der Wählergunst; die CDU konnte von dieser Umgruppierung nicht profitieren und pendelt seither um die 30%-Marke. Das schlechte Auftreten der neuen Koalition – die verbalen Keilereien im schwarz-gelben Bündnis markieren die koalitionsinternen Zwistigkeiten – trugen wesentlich zum Verlust der Landtagswahlen in NRW bei.
Und schließlich der Aderlass beim Führungspersonal (Roland Koch, Jürgen Rüttgers, Christian Wulf) haben in der CDU eine Debatte über die inhaltlich-strategische Ausrichtung der Union ausgelöst. Der Abgang von Roland Koch und der rechten Frontfrau Erika Steinbach haben gar Gerüchte genährt, dass die nunmehr heimatlos und frustriert gewordenen Alt-Konservativen auf dem Sprung zu einer neuen Partei sind.
Zum Verdruss beigetragen hat vor allem auch, dass die wirtschaftliche Erholung mit einem Zuwachs der Wirtschaftsleistung von 3-4% in diesem Jahr von den BürgerInnen nicht dem schwarz-gelben Konto gutgeschrieben wird, sondern Sozialdemokraten und – vor allem – Grüne von der Wählergunst profitieren. Der Frust darüber, war der Parteivorsitzenden Merkel auf »ihrem« Parteitag deutlich anzumerken: »Die Arbeitslosigkeit ist unten, die Wachstumsraten sind oben – und die hämischen Kritiker sind weg oder mischen sich unter die Demonstranten von Gorleben, natürlich nicht ohne vorher den Dienstwagen abgestellt zu haben, schön von der Polizei bewacht.«
Hinzu kommt, dass jetzt auch Teile des bürgerlichen Wählerklientels vor dem Hintergrund eines massiven Misstrauens in die Politik in außerparlamentarische Bewegung geraten sind und einfordern, an Entscheidungen über wichtige gesellschaftliche Großprojekte wie Stuttgart 21 oder auch die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerden beteiligt zu werden. Die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende, die schon früh die Landtagswahlen in Baden-Württemberg im Frühjahr 2011 zur »Schicksalswahl« erklärt hat, offenbart in ihrer Frontstellung gegen die Bahnhofs- und Atomkraftgegner vor allem Unverständnis über soviel staatsbürgerlicher Renitenz: »Wenn zum Beispiel in Stuttgart durch den Bau von Stuttgart 21 bis zu 17.000 neue Arbeitsplätze entstehen, dann stärkt das Baden Württemberg, dann stärkt das Deutschland… Da kann es – bei aller Schutzwürdigkeit – nicht richtig sein, dass Juchtenkäfer und Kammmolche herhalten müssen, um solche Projekte zu verhindern... Da kann es auch nicht richtig sein, dass Großprojekte, die über Jahrzehnte hinweg geplant sind, plötzlich wieder in Frage gestellt werden… Es kann in unserem Land nicht die Arbeitsteilung geben: Erst entscheiden Politiker, Parlamente, Gerichte, dann kommen Demonstranten, und dann wird ein Projekt eingestampft.«
Für diese eher hilflose Entschiedenheit erhielt die CDU-Vorsitzende in Karlsruhe viel Beifall. Überhaupt ist dieser Parteitag gemessen an den Turbulenzen, die die CDU in den letzten Wochen und Monaten durchlebt hat, relativ geräuschlos über die Bühne gegangen. Das neue Merkel nahestehende Führungspersonal (Norbert Röttgen, Ursula von der Leyen u.a.) wurde mit deutlichen Mehrheiten gewählt und die CDU-Vorsitzende hat für eine Rede an die konservative Seele der Delegierten Standing Ovations erhalten. Die FAZ kommentierte das entsprechend: »Das Anstimmen des hohen C, die Berufung auf Adenauer und Kohl wie auch die vaterländische Rhetorik waren darauf gerichtet, ein Bedürfnis zu stillen, das in der CDU in den letzten Jahren immer seltener befriedigt worden ist. In Karlsruhe verabreichte Frau Merkel ihrer Partei die lange vermisste Seelenmassage, ergänzt um eine Fangopackung für das im Schein des halben Mondes schmerzende Kreuz.«
Zur »Seelenmassage« gehörte auch die Fronstellung gegenüber Sozialdemokratie und Grünen, den politischen Profiteuren im »Wirtschaftswunder«jahr, mit einer deutlichen Absage an alle Koalitionen jenseits von Schwarz-Gelb. »Wenn im Zusammenhang mit den Grünen immer von bürgerlicher Politik gesprochen wird, dann sage ich: Dagegen zu sein, ist das Gegenteil von bürgerlicher Politik. Bürgerliche Politik erschöpft sich nicht im Halten von Demonstrationsschildern. Bürgerliche Politik steht vielmehr für die Tugenden und Werte, mit denen wir dieses Land vorangebracht haben. Bürgerliche Politik steht vor allem für ein gutes und besseres Ganzes, für Maß und Mitte.«
Die Krux besteht allerdings genau darin, dass die, »die jeden morgen früh aufstehen, die hart arbeiten, die Verantwortung übernehmen, Arbeitsplätze schaffen, im Kleinen und im Großen« den Christdemokraten scharenweise die Loyalität aufgekündigt haben. Die »Mitte«, auf die sich die CDU nicht mehr verlassen kann, ist massiv von sozialem Abstieg betroffen oder aber von Abstiegsängsten geplagt. Die »Leistungsträger«, auf die sich das bürgerliche Lager gerne beruft, haben die praktische Erfahrung gemacht, dass zentrale Versprechen bürgerlicher Politik (Einkommen nach Leistung, soziale Sicherheit etc.) nicht mehr gelten und sind zutiefst beunruhigt und verunsichert.
Dies geht einher mit einer wachsenden Distanz zum politischen System, das offensichtlich gesellschaftlichen Wandel kaum noch beeinflussen kann oder will. Die Ursache: Neoliberale Politik hat die dem Finanzmarktkapitalismus inhärenten Tendenzen der massiven Begünstigung der Vermögenseinkommen, damit der sozialen Polarisierung und der Zerstörung der Lohnarbeitsgesellschaft massiv befördert. Das Versprechen an die (besserverdienenden) Lohnabhängigen, verloren gegangene soziale Sicherheit durch private Absicherung kompensieren zu können, ist seit Ausbruch der Großen Krise desavouiert.
Der mit der wirtschaftlichen Erholung in Deutschland erfolgte Übergang der schwarz-gelben Bundesregierung zu einer rigorosen Austeritätspolitik und einer im Bündnis mit den großen Konzernen planwirtschaftlichen Energiepolitik wird an dieser Verunsicherung wenig ändern. Im Gegenteil. Der »Herbst der Entscheidungen«, den Merkel und Co. ausgerufen haben, wird mit dem
- schonungsvollen Umgang mit Banken und Vermögensbesitzern,
- der einseitigen Belastung der unteren sozialen Schichten durch eine rigorose Sparpolitik,
- einer Gesundheitsreform, die die Unternehmen schont und die BürgerInnen mit höhere Beiträgen und einer Gesundheitsprämie belastet und faktisch größere Teile der Bevölkerung von einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung ausschließt
- und dem Festhalten an der Rente mit 67
die Prozesse sozialer Polarisierung weiter forcieren und einen Eigenbeitrag zur Unterlaufung der eh fragilen wirtschaftlichen Erholung leisten.
Mit dieser Unsicherheit über den weiteren Gang der wirtschaftlichen Entwicklung goss die CDU-Vorsitzende nur einmal ein wenig Wasser in jenes Parteitagslagerfeuer, »an dem man sich in einer Welt, die als kälter werdend empfunden wird, wärmen kann« (FAZ) Sie stimmte ihre Partei darauf ein, dass die Verschuldungskrise die Europäische Union an die Grenzen ihrer Belastbarkeit bringen könnte. »Es geht ums Ganze; denn scheitert der Euro, dann scheitert Europa. Dann scheitert die europäische Werte- und Einigungsidee. … Früher haben wir ja alle manchmal gelächelt, wenn Helmut Kohl … nicht müde wurde, zu sagen: Es geht um Krieg und Frieden. Die Sprache mag uns vielleicht etwas fremd geworden sein. Sein Vermächtnis sollte es uns aber niemals werden.«
Die großen Risiken für »Euroland« sind das eine, das andere sind die Auseinandersetzungen um das internationale Währungssystem (»Währungskrieg«) und die kontraproduktive Sparpolitik in vielen Ländern. Die Große Krise ist eben noch keineswegs ausgestanden. Die von der CDU genährte Hoffnung, dass ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum alle Wunden heilen wird, steht auf tönernen Füßen.
Ein bürgerliches Projekt, das die Vorherrschaft der Vermögensbesitzer beendet und die soziale Spaltung eindämmt, ist (auch) in Deutschland nicht in Sicht – das zeigt der CDU-Parteitag. Die Hoffnung dass Angela Merkels »neue Wärme« auf die schon verlorene Wählerschaft ausstrahlt, dürfte vergeblich sein. Damit besteht allerdings die Gefahr, dass (nicht nur) die vielen enttäuschten bürgerlichen WählerInnen empfänglich werden für rechtspopulistische Konzeptionen, die die Lösung aller Probleme durch die Ausgrenzung der »Nichtleistungs- oder Integrationswilligen«, den Sozialleistungs-EmpfängerInnen und MigrantInnen versprechen.
Die CDU hat sich auf ihrem Parteitag in Karlsruhe neu inszeniert und die zuvor unüberhörbaren Selbstzweifel zu verdrängen versucht. Angela Merkel hat mit einem personell weitgehend erneuerten Führungsteam die konservative Ausrichtung der großen Volkspartei bedient. Mit Attacken auf die Grünen hat die Bundeskanzlerin die CDU-Basis auf langfristige Koalitionen mit der FDP eingeschworen.
Angela Merkel schloss auf absehbare Zeit Bündnisse mit den Grünen auf Bundesebene aus, auch eine erneute große Koalition und ein Jamaika-Bündnis kommen für die CDU-Vorsitzende nicht in Frage: »Illusionen« & »Hirngespinste«. Die Kanzlerin hat eine strategische Option vorgeben, die von den Mehrheit der liberal-konservativen Delegierten goutiert wurde: Hauptthema Wirtschaft, gefolgt von Sicherheitsfragen und schließlich die Frage des »Zusammenhalts in der Gesellschaft« als Kernpunkte einer der Politik im 21. Jahrhundert.
Das waren die Themen, die in den letzten Monaten vernachlässigt worden waren. Die gesellschaftliche Wirklichkeit wird den vermeintlichen Aufbruch allerdings schnell klein arbeiten, denn die Hoffnung auf eine Erneuerung der gesellschaftlichen Mitte ist mit Blick auf die gesellschaftlichen Realitäten in jeder Hinsicht unrealistisch.
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