Regierung fälscht Opferzahlen
Rechte Gewalt seit Jahren verharmlost
Immer mehr Verdächtige, die dem Killer-Trio geholfen haben sollen, im Untergrund zu überleben und ihre Morde zu begehen, geraten ins Blickfeld der Ermittler. Aktuell habe man 20 Nazi-Sympathisanten in Verdacht. Dabei sind die Fahnder noch nicht einmal internationalen Spuren gefolgt.
»Wir trauern um Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kiliç, Yunus Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik, Halit Yozgat und Michéle Kiesewetter.« So heißt es in einer Resolution, die der Vorstand der Linkspartei am Samstag beschlossen hat.
Mit Sicherheit ist die Liste jener, um die zu trauern ist, weil sie Opfer rechtsextremistischer Gewalt geworden sind, viel länger. Rechtsextremismus ist hierzulande eine ständige Gefahr für Leib und Leben. Davor warnen Experten seit Jahren. Doch alle seit der Vereinigung amtierenden Bundesregierungen schönen die Realitäten. Die Bundestagsabgeordneten von PDS und Linkspartei Ulla Jelpke sowie Petra Pau, Vizepräsidentin des Parlaments, erfragten und erfragen seit Jahren regelmäßig die monatlichen Fallzahlen rechtsextremistischer Straftaten.
Offiziell werden im Schnitt bundesweit stündlich zweieinhalb Straftaten registriert. Tag für Tag stehen auch zweieinhalb rechtsextreme Gewalttaten in den Listen. Doch das wirkliche Ausmaß der Nazi-Brutalität wird dennoch kaschiert. Pau weiß: »Nach langjährigen Erfahrungen liegen die realen Zahlen rechtsextremer Ausfälle um rund 50 Prozent höher. Entsprechend groß ist die Anzahl der Opfer.«
Während Bundes- und Landesbehörden einen Gutteil der politischen Gewalttaten rechtsextremistischer Aktivisten der allgemeinen Kriminalität zuordnen, recherchierten unabhängige Beobachter, dass seit der deutschen Vereinigung 1990 bis zum September dieses Jahres 137 Menschen durch rechtsextreme Gewalt zu Tode kamen. Andere Experten erweitern die Liste auf annähernd 190 Todesopfer. Doch lediglich 48 Tote haben die Landeskriminalämter gemeldet. Die Regierung sieht (bislang) keinen Anlass, daran zu zweifeln.
Unterdessen wächst der Verdacht, deutsche Nachrichtendienste hatten engeren Kontakt zum Umfeld der Zwickauer Terrorzelle, als bislang zugegeben. So soll Erfurts Verfassungsschutz Ende der 1990er-Jahre mindestens drei V-Leute im Umfeld des Nazi-Trios eingesetzt haben. Damit stellt sich erneut die Frage, warum die Behörde nichts über den Verbleib von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe wusste. Selbst der Militärische Abschirmdienst ermittelte angeblich verdeckt, weil der Sprengstoff, den das Trio zum Bau von Rohrbomben benutzte, möglicherweise aus Bundeswehrdepots stammt.
Der Thüringer Verfassungsschutz geht von etwa 20 Unterstützern aus, die der Terrorzelle halfen. Nach aktuellem Ermittlungsstand sind darunter eine Friseurin, ein Lkw-Fahrer und ein Ehepaar mit Computerkenntnissen, das an der entdeckten DVD-Pink-Panther-Mord-Dokumentation mitgearbeitet haben soll.
Auch in die Schweiz von dort kommt angeblich eine Tatwaffe reichen Kontakte. Wie »Der Sonntag« berichtet, referierte Mario Friso von der »Partei National Orientierter Schweizer« (Pnos) auf Einladung der NPD in Zwickau. Ein Foto zeigt Friso mit zwei bekannten Neonazis. Thomas Gerlach und Peter Klose werden dem Umfeld der rechten Terrorzelle zugerechnet. Gerlach gilt als Schlüsselfigur der Rechtsextremisten in Zwickau und stammt wie das Mördertrio aus Thüringen. Klose, Ex-NPD-Landtagsabgeordneter in Dresden, sitzt als Parteiloser im Stadtrat und hatte vermutlich Kontakte zu den Mördern.
Auf dem Pnos-Parteitag vor rund einem Monat im Kanton Luzern trat der mehrfach verurteilte Axel Reitz, ein Aktivist sogenannter Freier Kameradschaften aus Deutschland, auf.
Neues Deutschland, 21. November 2011
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