»Wir wollen die Gesellschaft verändern«
Im Interview der Woche: DIETMAR BARTSCH, ULRICH MAURER
Dietmar Bartsch und Ulrich Maurer, beide stellvetretende Fraktionsvorsitzende, sprechen im INTERVIEW DER WOCHE über braunen Terror, der trotz Einsatz von V-Leuten jahrelang unentdeckt blieb. Sie diskutieren die sich weiter verschärfende Finanzmarktkrise, ihre Folgen für Demokratie und weisen den Weg aus der Krise. Und sie zeigen auf, wo die zentralen Herausforderungen für die Fraktionsarbeit in der zweiten Hälfe der Legislatur liegen.
In der vergangenen Woche erschütterte Deutschland die Nachricht, dass ein rechtsextremes Trio über Jahre hinaus Migranten in der Bundesrepublik ermordet hat. Wurde die Gefahr von rechts unterschätzt?
Dietmar Bartsch
: DIE LINKE hat diese Gefahr nicht unterschätzt. Wir haben eine lange und stolze antifaschistische Tradition und bleiben Antifaschisten. Die ungeheuerlichen Vorgänge, die jetzt bekannt werden, wie auch nicht wenige Wahlergebnisse zeigen, dass die Anstrengungen demokratischer Kräfte gegen alte und neue Nazis nicht ausreichen. Jede NPD-Fraktion ist auch für uns eine Niederlage. Wenn die Bundesregierung einen Haushaltsentwurf vorlegt, in dem Kürzungen bei einigen Programmen gegen Rechtsextremismus vorgeschlagen werden, dann ist das keine bloße Unterschätzung von Gefahren, sondern eine unglaubliche Ignoranz und Verantwortungslosigkeit.Ulrich Maurer: DIE LINKE setzt sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus ein und fordert deswegen unter anderem auch ein Verbotsverfahren gegen die NPD. Aus der Beantwortung unserer regelmäßigen parlamentarischen Anfragen an die Bundesregierung geht klar hervor, dass die Anzahl der rechtsmotivierten Straftaten steigt. Die Bevölkerung nimmt dies auch vor Ort zwangsläufig wahr. Einzig Bundesregierung und Bundesverfassungsschutz scheinen auf dem rechten Auge blind.
Wie bewerten Sie die Rolle des Verfassungsschutzes?
Ulrich Maurer: Das Problem ist, dass der Verfassungsschutz nur von sich selber kontrolliert wird. Er legt selber fest, welche Daten er an das Parlamentarische Kontrollgremium weiterleitet. Ob Waffenhandel oder Aufbau rechter Strukturen, ob Kiep oder Roewer, der Bundesverfassungsschutz dient nur seiner Selbsterhaltung, weshalb sich DIE LINKE schon seit jeher für seine Abschaffung einsetzt. Man muss sich schon fragen, wer hier eigentlich wen unterwandert.
Dietmar Bartsch: Es wird immer offensichtlicher, dass der Verfassungsschutz gegenüber dem Rechtsextremismus schlampig und leichtfertig agiert und auf ganzer Linie versagt hat. Der Verfassungsschutz wird zur direkten Gefahr für das Grundgesetz, das zu schützen seine Aufgabe ist.
Die Eurokrise nimmt kein Ende. Die irrtümliche Abwertung Frankreichs durch Standard & Poor’s sorgte für einigen Wirbel. Mehr denn je hat man den Eindruck, dass die Höhe der Zinsen für Staatsanleihen über die Zukunft von Demokratie und der Europäischen Union entscheidet. Dürfen wir angesichts dieses Dramas noch auf ein Happy End hoffen?
Ulrich Maurer: Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Allerdings ist das Handeln der Regierungen seit Jahren widersinnig: Zuerst fragen SPD und Grüne, wie sie die Finanzwirtschaft unterstützen können. Woraufhin die Banken antworten: Wir brauchen Hedgefonds, Spekulationen auf Derivate und Lebensmittel, schlicht freie Spekulation auf alles. Als die ersten künstlichen Finanzprodukte platzen, fragen die Regierungen - erst Union und SPD, jetzt Union und FDP: Liebe Banken, was können wir denn nun machen? Die Antwort der LINKEN lautet einfach: Die Verursacher der Krise müssen zur Kasse gebeten werden. Das sind nun mal die Banken, und nicht die Steuerzahler.
Die handelnden Politiker haben aus Sicht vieler Bürgerinnen und Bürger längst die Kontrolle über das Geschehen verloren. Wie groß ist der Schaden, den die Demokratie nimmt?
Dietmar Bartsch: Im Gestrüpp der Milliardenbeträge, Rettungsschirme und Hebel sieht kaum jemand mehr durch, auch viele Politikerinnen und Politiker nicht. Bei der Euro- oder Griechenlandrettung werden immerzu „Durchbrüche“ erzielt, die am nächsten Tag wertlos sind. Verglichen mit dieser Politik ist Sisyphos ein Siegertyp. Zur Frage der Demokratie ist dreierlei festzustellen: dass die Regierungsparteien bei den Wahlen des Jahres 2011 deutliche Denkzettel bekamen, DIE LINKE vom finanz- und gesellschaftspolitischen Desaster nicht profitierte und eine Protestbewegung zwar im Wachsen ist, das aber ziemlich allmählich geschieht.
In der vergangenen Woche schlug EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier vor, die Ratings für bestimmte Länder in Zukunft aussetzen zu können. Wie kann die Vormachtstellung der großen privaten Ratingagenturen durchbrochen werden?
Ulrich Maurer: Bisher haben drei private Ratingagenturen aus Nordamerika das Sagen. Diese Macht muss gebändigt werden. Wenn eine falsche Presseerklärung einer Ratingagentur mehr Auswirkungen hat, als die einer Regierung, läuft etwas dramatisch verkehrt. Zuallererst benötigen wir in Europa eine eigene unabhängige Ratingagentur. Nach dem Verbot sämtlicher Giftpapiere, wie ihn DIE LINKE fordert, wird auch die Bedeutung der Ratingagenturen zurückgehen. Solange aber noch in Europa Personen wie Mario Monti, der Berater bei Goldman Sachs ist, zu Ministerpräsidenten gewählt werden, sind wir von dem Lösungswillen weit entfernt.
Was muss noch getan werden, damit die Finanzmärkte wieder der Mehrheit der Menschen nutzen und nicht nur einigen wenigen?
Dietmar Bartsch: Es darf nicht weiter gezögert werden, die internationalen Finanzmärkte zu regulieren, Reichtum muss anders verteilt und die Verursacher der Krise müssen zur Kasse gebeten werden. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dürfen nicht länger für Missmanagement und Spekulationen haften und es muss endlich Schluss damit sein, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden.
Die zweite Hälfte der Legislatur ist angebrochen. Wo sehen Sie weitere zentrale Herausforderungen für die Fraktion?
Dietmar Bartsch: Wir müssen konsequenter an Schwerpunkten dran bleiben, damit die Bürgerinnen und Bürger wieder ein Bild von unserer Partei und ihrer Fraktion bekommen und wissen: Dafür steht DIE LINKE. Die Wiedergewinnung des Öffentlichen kann ein Dreh- und Angelpunkt unserer Politik sein. Dabei geht es um öffentliches und demokratisch kontrolliertes Eigentum in Daseinsvorsorge, Infrastruktur und Finanzwesen. Das in Erfurt beschlossene Programm weist darauf hin, dass lebensnotwendige Leistungen wie Energie, Wasser und Mobilität, Wohnen, die soziale Infrastruktur, Gesundheit, Bildung, Kultur und Sport nicht dem Profitstreben überlassen werden dürfen. Das kann eine Klammer für linke Politik im Bundestag sein.
Ulrich Maurer: Die Finanzkrise wird alle anderen Themen beeinflussen. Damit sie sie nicht überschattet ist, es wichtig, eine Linke im Parlament und auf der Straße zu haben. Die Fraktion stemmt sich gegen fehlende Kitaplätze, fehlende Ausbildungsplätze, ein Schulsystem, dass nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig ist, und fehlende Studienplätze. Für eine friedliche Welt, gegen Rechtsterrorismus, ein soziales Netz in dem niemand unter Repressionen leiden muss - weder in der Jugend noch im Alter - und Löhne, die es den Erwerbstätigen ermöglichen, sich und ihre Familie ernähren zu können, sind nur ein paar der Hauptthemen, mit denen sich DIE LINKE in den nächsten zwei Jahren vorrangig beschäftigen wird.
Der Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi sagte kürzlich in einem Spiegel-Interview, die Menschen hätten in Bezug auf DIE LINKE immer noch Ängste. Verstehen Sie diese Ängste und wie können sie den Menschen genommen werden?
Ulrich Maurer: Ängste kann man immer nur durch Aufklärung nehmen. Eine offene mediale Berichterstattung findet in der Regel gar nicht mehr statt. So ist es an uns, über das Internet unsere eigenen Zeitungen, Zeitschriften sowie Flugblätter und bei Veranstaltungen auf uns selbst aufmerksam zu machen. Nach der Neuwahl des Fraktionsvorstandes sind wir gut aufgestellt, diesen Anforderungen gerecht zu werden. In den nächsten zwei Jahren werden wir konzentriert weiterarbeiten und so noch mehr Menschen ihre Ängste nehmen und sie von unserer parlamentarischen Arbeit überzeugen.
Einerseits schüren andere Parteien mitunter Ressentiments gegen DIE LINKE, andererseits machen sie sich immer öfter linke Themen und Vorschläge zu eigen. Wie bewerten Sie das?
Dietmar Bartsch: Ohne Augenzwinkern sage ich, dass es mich freut, wenn sich andere unsere Positionen zu eigen machen. Es zeigt: LINKS wirkt. Wir wollen doch die Gesellschaft verändern und nicht bloß Recht behalten. Nun will ich es mit der Selbstlosigkeit jedoch nicht übertreiben. Natürlich lässt es mich nicht kalt, wenn dieselben Politikerinnen und Politiker, die gnadenlos Inhalte bei uns klauen, uns der Politikunfähigkeit bezichtigen oder wenn ein seriöser Journalist wie Heribert Prantl in der Süddeutschen dreist behauptet, das Lied vom gesetzlichen Mindestlohn habe die SPD komponiert und getextet. Der Umgang der CDU mit unserer Mindestlohnidee zeigt: Wenn andere unsere Ideen klauen, ist Freude möglich, Vorsicht geboten und Argwohn angebracht.
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