Die neue Bankenkrise
Von Joachim Bischoff / Norbert Weber
Seit dem Übergreifen der Immobilienkrise auf den Bankenbereich im Jahr 2008 und den folgenden Rettungsaktionen mit Steuergeldern in Milliardenhöhe stehen die Banken weltweit besonders im Fokus der Beobachtung, der Kritik und der Regulierungsbemühungen. Unter dem Druck der Finanzierung des Schuldenüberhanges einiger Länder der Euro-Zone entwickelt sich die Krisenkaskade immer mehr auch zu einer Bankenkrise.
Den Ausbruch aus dem Teufelskreis wollen die wirtschaftlichen und politischen Eliten durch eine Stärkung der Banken erreichen. Die Banken in den USA und der EU sollen ihre Kapitalbasis stärken, um krisenresistenter zu werden. In der Bewertung dominiert der Zweifel, ob die gegenwärtigen Kapital- und Haftungsregeln der Banken ausreichen, namentlich in den europäischen Peripheriestaaten, um die Staatsschuldenkrise zu überstehen. Die Unsicherheit wird vom Umstand genährt, dass Banken in Ländern wie Italien, Griechenland oder Belgien Bestände an Staatsanleihen halten, die volumenmäßig einem großen Teil des aggregierten Eigenkapitals gleichkommen oder es, wie im Fall Belgiens, gar übersteigen.
Weil mit zunehmender Schuldenlast in der Regel auch die Abhängigkeit von ausländischen Kreditgebern steigt, finden sich Staatstitel nicht nur in den Büchern einheimischer, sondern auch in denen ausländischer Banken. Diese früher sicheren Engagements (Staatsbonds), die auch keine Eigenkapitalhinterlegung brauchten, sind zu Risikopositionen mutiert. Einstmals risikofreie Renditepapiere sind – mindestens für etliche Staaten der Euro-Zone – zu existenzbedrohenden toxischen Papieren geworden, die auf das gesamte Bankensystem ausstrahlen. In der Konsequenz werden die Banken wiederum noch kritischer betrachtet.
Stresstest
Die US-Notenbank (FED) hat die Neuauflage eines Stresstests für amerikanische Banken angekündigt. Angesichts der Sorge um die Auswirkungen der europäischen Schuldenkrise auf die USA müssen die 31 größten Banken des Landes beweisen, dass sie in der Lage wären, eine mit Ende des Jahres beginnende Rezession mit stark steigender Arbeitslosigkeit zu überstehen. Die Testbedingungen wurden massiv verschärft: Die Tragfähigkeit der Großbanken soll daran gemessen werden, dass eine deutlicher Wirtschaftsabschwung nicht nur in den USA, sondern weltweit angenommen wird. Die Banken sollen bis Januar 2012 nachweisen, dass sie genügend Kapitalreserven haben, um prognostizierte Verluste bei einer solch schweren Krise kompensieren zu können.
Auch den europäischen Finanzmarktakteuren droht Ungemach: Die Europäische Bankenaufsicht (EBA) verlangt eine bessere Kapitalausstattung der Banken. Das Kernkapital soll auf mindestens 9% aufgestockt werden. Der Blitz-Stresstest ist bereits erfolgt, als Reaktion brach beispielsweise bei der Commerzbank der Aktienkurs zweistellig ein. Dabei sind die Ergebnisse noch gar nicht veröffentlicht worden. Dies soll erst im Rahmen des Treffens der EU-Finanzminister Ende November erfolgen.
Die aktuelle Zuspitzung der Krise in der Bankensphäre hat auch den Hintergrund, dass der Interbankenmarkt nicht mehr reibungslos funktioniert. Die stark gestiegenen Bankeneinlagen bei der europäischen Zentralbank sind ein deutliches Zeichen der Krise. Italienische, spanische und portugiesische Banken haben Einlagen im zweistelligen Prozentbereich verloren. Nicht nur die institutionellen Anleger fliehen, sondern auch die »kleinen Leute« lösen ihre Konten auf. Zwar haben die europäischen Banken immer noch ausreichende Einlagen – doch im kommenden Jahr werden Schulden in der Höhe von 800 Mrd. Euro fällig. Diese sind angesichts der Marktlage schwer zu refinanzieren. Hinzu kommt die Drohung eines erneuten Absturzes in eine Abwärtsspirale. Kein Wunder, dass hinter den Kulissen bereits heftig über europaweite Staatshilfen für die Banken verhandelt wird.
Ganze nationale Bankensysteme hängen am Tropf der Europäischen Zentralbank (EZB). Sie ist mehr und mehr zum wichtigsten Geschäftspartner europäischer Banken mutiert. Die Staatsschuldenkrise schürt das Misstrauen unter den Geldhäusern derart, dass sie untereinander kaum noch Gelder handeln. Entsprechend weichen sie sowohl mit ihrer Liquiditätsnachfrage als auch mit ihrem -angebot auf die Notenbank aus.
Bank mit Staat in Sippenhaft
Die Nachfrage nach Notenbankgeld ist deshalb so groß, weil viele Institute vom Interbankenmarkt abgeschnitten sind, da ihnen die Konkurrenten keine ungedeckten (nicht mit Wertpapieren abgesicherten) Kredite gewähren wollen. Dabei scheinen ganze nationale Bankensysteme mit den Staatshaushalten ihrer Regierungen in Sippenhaftung genommen zu werden. Griechische, irische und portugiesische Institute hängen schon seit längerem am Tropf der Notenbank. Seit dem Sommer 2011 werden aber laut involvierten Händlern auch französische, italienische, spanische und belgische Banken am Interbankenmarkt gemieden.
Das Vertrauen gegenüber Banken aus ansteckungsgefährdeten Ländern ist besonders auf der anderen Seite des Atlantiks angekratzt. US-Häuser leihen europäischen Konkurrenten aus Krisenländern keine US-Dollar mehr. Aus diesem Grund hat die EZB ein Swap-Abkommen mit der FED abgeschlossen, wonach sie europäischen Instituten auch US-Dollar leihen kann. Zudem kommt es in Krisenzeiten immer wieder vor, dass sich Banken über Nacht mittels der Spitzenfazilität der EZB Geld leihen müssen.
Die Banken der Euro-Zone, die sich am Interbankenmarkt weiterhin komfortabel refinanzieren können, deponieren ihre Überschussliquidität wiederum bei der EZB, um sie nicht Konkurrenten auszuleihen, denen sie nicht mehr trauen. So sind insbesondere die stark gestiegenen Einlagen der Banken bei der Notenbank ein klares Zeichen der Verspannung am Interbankenmarkt. Der Deutsche Bankenverband hat berichtet, dass die Umsetzung der hohen Regulierungsanforderungen (Basel III), die jüngsten Beschlüsse auf EU-Ebene zur Stärkung des europäischen Bankensektors und die Anforderungen des EBA-Blitzbankenstresstests, die Basel III teilweise vorwegnehmen, den Bankenalltag enorm belasten. Die Europäische Zentralbank hat in den letzten Tagen Anfragen von Liquiditätshilfen von europäischen Banken erhalten wie zuletzt in der zurückliegenden Bankenkrise nach Konkurs der US-Bank Lehman Brother.
Die EZB fungiert erneut als »lender of last resort« für die Banken der Euro-Zone. Sie sichert die Refinanzierung des europäischen Bankensystems und damit die Finanzstabilität. Sie hatte eigentlich geplant, im laufenden Jahr zum normalen Prozedere zurückzukehren, bei dem die Banken für das Notenbankgeld bieten müssen. Doch die erneute Zuspitzung der Krise hat dies bisher verunmöglicht. Unter den gegenwärtigen Bedingungen ist die Vollzuteilung, wo jede Bank jede von ihr gewünschte Menge an Notenbankliquidität erhält, wichtig, damit die Banken Planungssicherheit haben.
Mittlerweile ist eine nicht mehr geringe Zahl an Banken, auf diese Liquidität angewiesen. In bestimmten Regionen sind es sogar sehr viele Banken, die keinen Zugang mehr zum Geld- und Interbankenmarkt haben. Geändert werden soll dies auf mittlere Sicht durch einen Rekapitalisierungs- und Refinanzierungsplan, um die Abhängigkeit der Finanzinstitute von der EZB zu reduzieren. Der Stresstest ist also nur die Einleitung eines Projektes der Aufstockung des Eigenkapitals und der Verschärfung der Haftungsbedingungen. Allein in der Euro-Zone wird der Kapitalbedarf für die Banken auf 100-200 Mrd. Euro taxiert.
Der Fall Commerzbank
Befürchtet wird, dass die Commerzbank, Deutschlands zweitgrößte Bank, fünf weitere Mrd. Euro an Eigenkapital benötigt, um die neuen Mindestanforderungen erfüllen zu können. Seit der letzten Stützungsaktion zur Rettung der Commerzbank hält der Bund bereits 25% an der Bank sowie 1,9 Mrd. Euro an stillen Einlagen.
Es muss allerdings bezweifelt werden, dass die Bank – wie angekündigt – die Eigenkapitalerhöhung aus eigener Kraft schaffen kann. Welche Möglichkeiten hätte sie?
- eine erneute Kapitalerhöhung: Die Chancen sind äußerst gering. Bereits bei der aktuellen Reaktion der Börse auf die möglicherweise vorhandene Eigenkapitallücke brach der Aktienkurs auf ein Allzeittief von 1,15 Euro / Aktie ein. Unter 1,00 Euro Nennwert je Aktie ist eine Kapitalerhöhung nicht möglich
- Bilanzreduzierung: Hier könnte die Bank sich entweder von Aktivpositionen wie Portfolien oder Beteiligungen / Firmenteilen trennen oder deutliche Einschränkung bei der Kreditvergabe vornehmen. Beide Möglichkeiten schädigen die Bank nachhaltig. Verkaufen ohne Verlust dürften sich nur Ertragsbringer, die dann jedoch wieder für den operativen Erfolg fehlen. Einschränkung bei Kreditvergaben trifft ebenfalls die Zukunft der Bank, denn die klassische Klientel der Commerzbank, der Mittelstand, wird sich bei restriktiveren Vergabebedingungen zur Kreditversorgung anderweitig umsehen müssen und die Bank wechseln.
Hinzu kommt, dass die Bank bisher nur unzureichend Kreditvorsorge betrieben hat. Sollte die Konjunktur nicht, wie erhofft, Fahrt aufnehmen, muss die Bank Kreditvorsorge nachholen. Damit wären Kapitalerhöhungen aus Gewinnthesaurierungen auch nicht mehr realistisch. Bleibt nur die öffentliche Hand. Der Bund wird wieder nachschießen müssen.
Analysten schätzen, dass die deutsche Bankenlandschaft mindestens 10 Mrd. Euro (lt. »Handelsblatt« wird bereits eine Lücke von 12 Mrd. Euro gehandelt) an zusätzlichem Eigenkapital benötigt. Selbst der Deutschen Bank droht offensichtlich aktuellsten Marktspekulationen zufolge beim Banken-Stresstest eine Kapitallücke von drei Mrd. Euro.
Unterstellt, ein Teil der Banken kann die notwendige Eigenkapitalaufstockungen stemmen, dürfte das zumindest zu Lasten der Gewinne gehen. Dies hat auch Auswirkungen auf den ins Leben gerufenen Rettungsfonds (Restrukturierungsfonds) der Banken. Da der Maßstab für Dotierungen bzw. Einzahlungen die ausgewiesenen Gewinne sind, dürfte das Ansparziel des Fonds von 70 Mrd. Euro in absehbarer Zeit unerreichbare Utopie bleiben. Konsequenz aus alledem ist, dass der höchst fragile Zustand der Banken zu einem erneuten Risiko für die SteuerzahlerInnen geworden ist. Neue Schieflagen würden wieder zu Lasten des Bundes und der Länder gehen müssen.
Noch steht Deutschland im EU-Vergleich recht gut da. Wenn aber nicht endlich europaweit Maßnahmen und Regulierungen gegen den Abwärtsstrudel ergriffen werden, könnte sich das Blatt wenden. Ein derartiges Szenario ist leider nicht mehr jenseits aller Vorstellungen.
In der vergangenen Woche hat die Ratingagentur Moody´s für Unruhe unter den Landesbanken gesorgt. Neun deutsche Landesbanken sowie die Deka-Bank sind im Rating deutlich zurückgestuft worden. Von der Herabstufung verschont blieb lediglich die Landesbank Berlin. Unter Berücksichtigung aller Parameter und Eventualitäten wird der Staat die Folgen nicht problemlos bewältigen können. Die Landesbanken als problematischste Kettenglieder der deutschen Bankenlandschaft wurden durch die Herabstufung im Rating nunmehr deutlich abgestraft.
Die Landesbanken gaben sich zunächst gelassen und teilweise entrüstet. Man könne das überhaupt nicht nachvollziehen. So fühlt sich die HSH Nordbank »ungerecht behandelt«. Ihr Chef, Paul Lerbinger, konnte die Herabstufung diesmal nicht unkommentiert hinnehmen. Als vor einigen Monaten Standard & Poor´s eine ähnliche Rückstufung der HSH vornahm, hat die Bank die »Geschäftsbeziehung« zur herabstufenden Ratingagentur noch beleidigt gekündigt. Bei Moody´s geht das nicht mehr so einfach. Die HSH Nordbank würde schlichtweg wesentliche Refinanzierungsmöglichkeiten verlieren. Die HSH ist mit Baa2 die am schlechtesten bewertete Landesbank. Die West-LB bleibt hierbei unberücksichtigt, sie wird im Zusammenhang mit ihrer bevorstehenden Zerschlagung noch weitergehenden Prüfungen unterzogen.
Moody´s weist darauf hin, dass die Rückstufungen nicht im Zusammenhang mit der Schuldenkrise zu sehen sind. Aber was ist dann der Grund? Im Wesentlichen sind hierfür zwei Gründe ausschlaggebend:
- Die Landesbanken haben – auch aus Sicht von Moody´s – nach wie vor noch kein neues tragfähiges Geschäftsmodell und damit auch noch nicht ihren neuen Platz in der Bankenlandschaft gefunden. Sie haben sich immer noch nicht dem Wettbewerb mit ihren eigenen Sparkassen gestellt. Das Alleinstellungsmerkmal ihrer Geschäftsfelder aus der Vergangenheit ist längst Geschichte.
- Moody´s zweifelt in der Begründung an, dass die Landesbanken zukünftig weiter uneingeschränkt mit Unterstützung ihrer Eigentümer und damit der öffentlichen Hand rechnen können. Einerseits dürfte es den Ländern und dem Bund schwer allen, erneute Stützungsmaßnahmen für ihre Landesbanken zu stemmen, andererseits wird das die EU-Kommission auch nicht mehr uneingeschränkt zulassen. Einige Landesbanken, wie die HSH-Nordbank, hatten bereits große Schwierigkeiten, die EU-Beihilfeverfahren im Zusammenhang mit den bereits erfolgten Stützungsmaßnahmen heil und ohne Rückzahlungsauflagen zu überstehen.
Und was bedeutet das jetzt für die Landesbanken? Ihre Rentabilität dürfte weiter sinken. Um ihre angekündigten Neuausrichtung umsetzen zu können, müssen sie über ausreichend Liquidität verfügen. Sie können sich diese über Kundengelder besorgen, z.B. durch Einsammeln von Termin- bzw. Spareinlagen oder verbriefte Verbindlichkeiten wie z.B. HSH Nordbank-Wertpapiere. Anderseits sind sie aber auch auf Refinanzierungsmöglichkeiten im Interbankenmarkt angewiesen. Dieser Weg ist bereits deutlich enger geworden, denn die Banken legen ihre eigenen Guthaben lieber bei der EZB an und leihen sie nicht mehr an andere Banken aus. Selbst Banken misstrauen der Bonität und Rückzahlungsmöglichkeiten ihrer Bank-Kollegen.
Als Konsequenz aus der Herabstufung dürften nahezu alle Refinanzierungsquellen für die Landesbanken deutlich teurer werden. Sie können sich – nun auch aus Sicht der Ratingagentur Moody´s – nicht mehr auf die Bundesländer verlassen. Die Botschaft ist klar: Es muss endlich Schluss sein mit der Sozialisierung zukünftiger Verluste. Die Landesbanken müssen endlich selbst die Verantwortung und die Konsequenzen aus ihren Geschäftsentscheidungen auch in schlechten Zeiten übernehmen.
Rekapitalisierung notwendig
Am ehesten lässt sich eine solche Wende zum Schlechteren mit einer umgehenden, massiven Rekapitalisierung der Banken abwenden. Diese Erkenntnis ist zwar nicht neu, aber unverändert gültig. Je dicker die Eigenkapitalpolster einer Bank sind, umso größere Verluste auf Anlagenbestände kann sie absorbieren, und umso eher kann sie Vertrauenskapital aufnehmen. Zwar haben europäische Banken seit 2008 bereits über 300 Mrd. Euro an neuen Eigenmitteln aufgenommen, doch das dürfte kaum genügen.
Die European Banking Authority (EBA), in der die nationalen EU-Aufsichtsbehörden vertreten sind, ist derzeit damit beschäftigt, den zusätzlichen Kapitalbedarf systemisch relevanter EU-Banken abzuschätzen, wobei Anleihenbestände, anders als in früheren Fällen, diesmal zu Marktpreisen bewertet werden. Die Regulatoren möchten offenbar in weniger als einem Jahr eine Kernkapitalquote von 9% der risikogewichteten Aktiven durchsetzen, wobei als Kernkapital nur Eigenmittel höchster Qualität (Aktienkapital, Gewinnvorträge, offene Reserven) herangezogen werden können. Diese, wie es heißt, temporäre Verschärfung der Eigenmittelvorschriften könnte dazu führen, dass die EU-Banken, je nach Quelle und Modellrechnung, zwischen knapp 100 Mrd. Euro und 300 Mrd. Euro an zusätzlichen Eigenmitteln beschaffen müssen, um die geforderte Kapitalquote zu erreichen.
Doch mit der Erkenntnis, dass Banken möglichst rasch ihre Eigenmitteldecke verstärken müssen, um ihre Krisenfestigkeit zu verbessern, ist es nicht getan. Die Frage ist vielmehr, woher die neuen Mittel kommen sollen. Die Beschaffung von Mitteln über die Kapitalmärkte ist schwierig, und anders als beim Ausbruch der jüngsten Finanzkrise sind die Staatskassen in den Ländern mit dem größten Handlungsbedarf leer. Deshalb müssten die Regierungen dieser Länder neue Schulden auftürmen, was nicht ohne negative Auswirkungen auf Ratings und Zahlungsausfallprämien für Staatsanleihen (Credit-Default-Swaps) bliebe. Anders ausgedrückt: Was noch 2008 ein gangbarer Weg schien, würde heute womöglich die Schuldenkrise eher verschärfen, neue Ängste schüren und über die Tieferbewertung von Staatsanleihen auf die Bankbilanzen zurückschlagen. Die staatlichen Hilfestellungen könnten im ungünstigen Fall den Kapitalbedarf der Banken erhöhen, statt ihn zu verringern. Den Banken bliebe die Möglichkeit, kapitalintensive Geschäftsfelder aufzugeben, und damit ihre Bilanz zu verkürzen. Bei stabilem Eigenkapital und rückläufigen risikogewichteten Aktiven erhöht das zwar die Eigenkapitalquote; aber Banken, die ihre Aktivitäten reduzieren, sind keine Stütze für die Konjunktur.
Der von der EU vorgeschlagene Ausweg sieht vor, dass große Banken, deren Eigenkapital unter der geforderten Marke liegt, einen Plan vorlegen müssen, der zeigt, wie die Kapitallücke innerhalb einer Frist von voraussichtlich drei bis sechs Monaten geschlossen werden soll. Banken, die noch über genügend Vertrauenskapital verfügen, werden versuchen, fehlende Mittel an den Kapitalmärkten aufzutreiben.
In Frage käme zudem ein vorübergehender Verzicht auf die Ausschüttung von Dividenden und Bonuszahlungen. Die über die »Basel III«-Mindeststandards hinaus verschärften Kapitalanforderungen für UBS und Credit Suisse entpuppen sich als Vorteil. Zum einen entfalten sie Signalwirkung und schaffen in einem zusehends unsicheren Umfeld Vertrauen, obwohl sie noch gar nicht in Kraft getreten sind. Zum andern haben sie bereits einen Rekapitalisierungsprozess in Gang gesetzt, der bei den EU-Konkurrenten noch ansteht und schwieriger zu bewältigen sein wird.
Schuldenunion
Was machen die Banken, denen es innerhalb kürzester Frist nicht gelingt, ihr Kapital aus eigener Kraft aufzustocken? Geht es nach der EU, soll den erwähnten Risiken zum Trotz der Staat die benötigten Mittel zur Verfügung stellen. Ist er dazu nicht in der Lage, bleibt ihm der Rückgriff auf die Euro-Finanzstabilitätsfazilität (EFSF). Allerdings sind die Mittel der EFSF beschränkt. Sollte sich die Staatsschuldenkrise weiter verschärfen, ist es deshalb eine Frage der Zeit, bis die Idee forciert wird, der Europäischen Zentralbank (EZB) die Rolle eines »lender of last resort« zuzuteilen. Nur sie, so wird die Begründung lauten, ist in der Lage, unendlich viele Euro zu schöpfen, um damit unendlich viele notleidende Staatsanleihen aufzukaufen, so dass letztlich Staaten in die Lage versetzt werden, kapitalschwachen Banken beizustehen. In Sachen Liquiditätszuteilung an die Banken nimmt die EZB diese Rolle schon heute wahr.
All diese Probleme ließen sich entschärfen, wenn insolvente Banken einfacher in Konkurs gehen könnten und ein grenzüberschreitendes Abwicklungsregime zur Verfügung stünde. Der Fall der belgisch-französischen Dexia-Gruppe hat aber gezeigt, dass in der EU der Wille der Politik ungebrochen ist, marode Banken nicht einfach ihrem Schicksal zu überlassen. Umso wichtiger ist es, dass bald Klarheit darüber geschaffen wird, wie die Banken in der EU rekapitalisiert werden sollen, wie viele Mittel dafür bereitgestellt werden, und wie der Zeitplan aussieht.
Trotz des in öffentlichen Äußerungen immer wieder bekräftigten Widerstands der EZB und der in der Sicht der Märkte gegenwärtig den Ton angebenden deutschen Regierung gegen verstärkte, unlimitierte Eingriffe der Notenbank sehen immer mehr Beobachter nur noch diesen Ausweg. Ein Kollaps des Euro und die Wiedereinführung nationaler Währungen sei unvermeidbar und nur eine Frage der Zeit. Dutzende von Kommentatoren kommen aus den verschiedensten Blickwinkeln heraus zu diesem Schluss. Europas Staaten haben zu viele Schulden, von denen zu viele in den Büchern der im Prinzip insolventen Banken lagern. Außerdem bestehen enorme Handelsungleichgewichte zwischen peripheren und zentralen Euro-Ländern. Alle drei Probleme müssen gelöst werden, andernfalls implodiert die Euro-Zone in einer deflationären Spirale. Austeritätspolitik ist keine Lösung, da es für ein Land unmöglich ist, gleichzeitig die Defizite von Regierung und Privatsektor auszugleichen, während ein Handelsbilanzdefizit besteht. Der Aufwand für den »Haircut« von Staatsschulden und die Verluste der Banken liegt in der Euro-Zone bei rund 6 Billionen Euro.
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