»Nur mit der LINKEN gibt es Widerstand gegen Sozialabbau«

Interview der Woche mit Sevim Dagdelen

02.04.2012 / 02.04.2012

Sevim Dagdelen, MdB aus Nordrhein-Westfalen und Sprecherin für Migrations- und Integrationspolitik sowie Internationale Beziehungen, über die erneut von Schließung bedrohten Opel-Werke in Bochum, Rassismus und Rechtsextremismus in NRW, die Finanznot der Kommunen und warum man die Hartz-IV-Parteien im NRW-Landtag nicht alleine lassen darf


Sie haben ihr Wahlkreisbüro in Bochum. In der vergangenen Woche sind dunkle Wolken über dem Bochumer Opel-Werk aufgezogen. Es droht die Schließung. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Sevim Dagdelen: Zwar hat der Vorstandsvorsitzende von Opel, Karl-Friedrich Stracke, bestätigt, dass sich Opel und General Motors an die bestehenden Verträge halten werden, wonach es bis Ende 2014 keine betriebsbedingten Kündigungen und keine Werksschließungen geben wird. Die Beschäftigten fragen sich aber zu Recht, was nach 2014 passiert, weil die Gefahr von Werksschließungen nicht vom Tisch ist. Die neuesten Spekulationen über die Schließung von Ellesmere Port in Großbritannien und dem Opel-Werk in Bochum verunsichern die Beschäftigten, ihre Familien und die Menschen in der Region insgesamt. Welche Folgen hätte die Schließung für die Stadt und die Region? Nachdem bereits Nokia 2008 in der Erwartung auf höhere Renditen das Werk schloss und nach Rumänien zog und über 2000 direkte Arbeitsplätze wegfielen und wir bei Thyssen Krupp Nirosta Anfang des Jahres durch den Verkauf der Edelstahlsparte eine Sicherung der rund 1000 Arbeitsplätze bis 2016 haben, wäre eine Schließung von Opel Bochum ein weiterer schwerer Schlag für Bochum und die Region. Von einer Schließung des Bochumer Opel-Werkes wären in NRW über 45.000 Arbeitsplätze im Bochumer Opel-Werk, in den Partnerbetrieben, Dienstleistern und Zulieferbetrieben betroffen. In unserer mittlerweile strukturschwachen Region hätten diese Menschen meist kaum Chancen auf einen anderen Arbeitsplatz.

Formiert sich Widerstand? Und wie stehen die Chancen?
Opel-Bochum ist der zweitgrößte Opel-Betrieb und wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach mit Schließung bedroht. Diese Pläne konnten die kämpferischen Beschäftigten bisher erfolgreich verhindern. Auch jetzt sind die Beschäftigten entschlossen, eine eventuelle Schließung nicht hinzunehmen und um den Erhalt der Arbeitsplätze zu kämpfen. Die Menschen in Bochum und in der Region stehen dabei auf ihrer Seite. Opel-Bochum ist nicht nur sehr produktiv, es ist auch traditionsreich. Wir feiern dieses Jahr 50-jähriges Jubiläum. Es wird nun gemeinsam gekämpft, dass die Bundes- und die zukünftige Landesregierung von NRW bei Opel einsteigen und gemeinsam mit der Belegschaft, den Autohersteller auf Zukunftskurs bringen. So soll die Entscheidungsmacht über Arbeitsplätze nicht der Kapitalseite überlassen werden. Vor knapp zwei Wochen fanden sich an mehreren Fahrzeugen in unmittelbarer Nähe Ihres Wahlkreisbüros Schmierereien – „Dagdelen Verräterin des Islam“ oder „Dagdelen Judenfreund“. Wissen Sie, was es mit diesen Attacken auf sich hat? Mittlerweile sind neuere ähnliche Taten hinzugekommen. Die Ermittlungen laufen noch. Wir kennen die Täter noch nicht, aber es ist naheliegend, sie in antisemitischen Kreisen zu suchen. Es könnte im Zusammenhang mit den Protesten von über 30.000 Menschen gegen die Auszeichnung des türkischen Premierministers Erdogan mit dem Steiger Award in Bochum stehen. Offenbar hat meine Kritik an der Preisverleihung nicht allen in Bochum gefallen.

Seitdem bekannt ist, dass die NSU jahrelang unbehelligt mordend durchs Land ziehen konnte, stehen Rassismus und Rechtsextremismus wieder auf der politischen Agenda. Wie stark ist die rechtsextreme Szene in NRW? Die Zahl der Gewaltdelikte von Nazis hat in NRW 2011 um circa 23 Prozent zugenommen und mit 190 Gewalttaten einen Höchststand erreicht. Bundesweit betrug der Anstieg drei Prozent. Letztes Jahr wurden in NRW 3.015 Nazi-Straftaten registriert, darunter 293 Sachbeschädigungen, 318 Fälle von Volksverhetzung und 169 Körperverletzungen. Doch nicht nur die Nazi-Szene ist ein Problem in NRW. Auch die rassistischen Parteien und Organisationen wie Pro NRW und Pro Köln vergiften mit ihrem Hass gegen Migrantinnen und Migranten und speziell Muslime das Klima und stellen gefährliche geistige Brandstifter dar.



Was wurde im Laufe der vergangenen Jahre versäumt? Es fehlt eine klare Analyse rassistischer Diskriminierung in Deutschland. Jeder Neonazi ist zwar ein Rassist, aber nicht jeder Rassist ein Neonazi. Der Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus wird leider oftmals gleichgesetzt mit Rassismus. Es fehlen auch Maßnahmen zur Bekämpfung von Rassismus, besonders für den institutionellen Rassismus. Durch diskriminierende und ausgrenzende Gesetze und Vorschriften, die Migrantinnen und Migranten als "nicht gleichwertig" stigmatisieren, wird die Hemmschwelle für Rassisten und Nazis, sie anzugreifen, häufig erheblich gesenkt. Die Bekämpfung von Rassismus als Herrschaftsinstrument kann nur über die Herstellung sozialer und gesellschaftlicher Teilhabe aller Menschen gelingen. Dafür setzen wir uns ein. 



Am 13. Mai wählt Nordrhein-Westfalen einen neuen Landtag. Rot-Grün scheiterte am Haushalt. Auch in NRW wird gespart. Was bedeutet das für die soziale Balance in NRW? In NRW ist das Armutsrisiko von 13,9 Prozent im Jahr 2006 auf 15,4 Prozent in 2011 gestiegen, obwohl der Anteil der Hartz-IV-Empfänger fast gleich geblieben ist. Menschen in NRW sind also zunehmend auch oberhalb des Hartz-IV-Satzes von Armut betroffen. Vor allem im Ruhrgebiet gibt es sehr hohe Armutsquoten mit seit Jahren steigender Tendenz. Jahrelang wurde nicht investiert. Für SPD und Grüne war ein Milliardenzuschuss für die Landesbank WestLB wichtiger als zum Beispiel eine gute Bezahlung der Beschäftigten oder die Mobilität durch die Einführung eines landesweiten Sozialtickets, was nur 35 Millionen Euro gekostet hätte. NRW ist auch leider bundesweit das Schlusslicht in Ausstattung und Anzahl von Kita-Plätzen und zugleich das Land der Kinderarmut. Und trotzdem wollten SPD und Grüne in ihrem Haushalt das Projekt "Eine warme Mahlzeit für jedes Kind" um 70 Prozent kürzen. Das darf nicht sein.

NRW macht auch immer wieder Schlagzeilen wegen der verheerenden finanziellen Lage von vielen Kommunen. Wer trägt die Schuld daran? Die Finanznot der Kommunen in NRW ist auch Ergebnis der Umverteilungspolitik von unten nach oben. Städte und Gemeinden wurden von Land und Bund ausgeplündert, obwohl sie 70 Prozent der öffentlichen Investitionen tragen. Immer mehr Aufgaben wurden den Kommunen übertragen, ohne entsprechende Ressourcen zur Verfügung zu stellen. So wurde beispielsweise der Verbundsatz, den die NRW-Kommunen vom Land zugeteilt bekommen, seit 1983 von 28,5 auf 23 Prozent gesenkt. Dies hat mit zu massiven Kürzungshaushalten und starken Gebührenerhöhungen geführt.
Was muss dagegen getan werden? Die Kommunen haben kein Ausgaben-, sondern ein Einnahmenproblem. DIE LINKE fordert deshalb eine umfassende Steuerreform, um die Kommunen und den Staat endlich mit den erforderlichen Mitteln auszustatten. Dazu haben wir auf Bundesebene bereits Konzepte vorgelegt, die unter anderem die Einführung einer Millionärssteuer und der Finanztransaktionssteuer, die Wiederbelebung der Vermögenssteuer, die Ausweitung der Gewerbesteuer zur Gemeindewirtschaftssteuer und die Ausweitung der Unternehmensbesteuerung umfassen. Solch ein Programm würde allein in NRW die Einnahmen um 22 Milliarden Euro verbessern. Hiervon könnten dann 14 Milliarden in die Infrastruktur und Entschuldung der Kommunen investiert werden. Wie wäre die vergangene Legislatur eigentlich ohne die LINKE gelaufen? Wie sähe NRW aus? Wie hat die LINKE gewirkt? DIE LINKE hat die SPD-Grüne Landesregierung gezwungen, sich in sozialen Kernthemen zu positionieren. In einigen Punkten erfolgreich: Unsere Abgeordneten haben es ermöglicht, dass die Studiengebühren bereits zum letzten Semester abgeschafft wurden, dass für öffentliche Aufträge ein Mindestlohn gilt, dass die unmenschliche Residenzpflicht für Flüchtlinge aufgehoben und dass die Mitbestimmung im Öffentlichen Dienst wieder ausgebaut wurde. In anderen Punkten musste die Landesregierung ihre soziale Maske fallen lassen: Ein landesweites Sozialticket wurde verweigert; auch mehr Geld für Kitas. Und statt "Einer Schule für alle" gibt es "dank“ SPD, Grüne und CDU nun eine Schulform mehr. Warum braucht NRW auch in Zukunft eine starke LINKE? Weil man die Hartz-IV-Parteien im NRW-Landtag nicht unter sich lassen darf, wo sie ohne Druck von links eine soziale Schweinerei nach der anderen beschließen werden. Und weil nur mit uns Linken es Widerstand gegen Sozial- und Stellenabbau und die Privatisierung öffentlichen Eigentums geben wird. Nur mit der Linken kann es gebührenfreie Kitaplätze für alle, gute Löhne, ein landesweites Sozialticket für alle, mehr sozialen Wohnraum, Investitionen in die Bildung und die Stärkung der Kommunen geben. All das ist einfach und machbar, wenn man sich das Geld dort holt, wo es ist - bei den Millionären, und nicht wie sonst bei den Beschäftigten durch Reallohnsenkungen, Stellenabbau und Sozialkürzungen. Deshalb heißt unsere Schuldenbremse Millionärssteuer.

linksfraktion.de, 2. April 2012