DIE LINKE: Ein Rücktritt und verpasste Chancen
Joachim Bischoff und Björn Radke, Aus: Sozialismus Aktuell
Der überraschende Rücktritt der Co-Vorsitzenden Lötzsch aus privaten Gründen hat ein großes mediales Echo hervorgerufen. Immerhin wurde auf die Ausleuchtung des persönlichen Hintergrundes verzichtet und die Entscheidung selbst von den politischen Konkurrenten mit Respekt zur Kenntnis genommen.
Zwei Themen wurden ins Zentrum der Kommentierung gerückt: die Amtsführung des Führungsduos Lötzsch und Ernst, sowie die Frage nach der weiteren Zukunft der vereinigten Linken in der Bundesrepublik.
Der rasante Aufstieg und Verankerung im politischen System, den die Linkspartei nach der Fusion von PDS und der Neugründung WASG ab 2005 hingelegt hatte, sei unter der Führung von Lötzsch und Ernst in einen chronischen Niedergang umgeschlagen. Landtagswahlen gingen verloren, die Umfragewerte sackten ab, und die beiden Vorsitzenden seien zu Recht auch innerparteilich wegen eines unprofessionellen Führungsstils und politischen Managements nicht breit unterstützt worden. Gesine Lötzsch wurde zudem immer wieder ihre politische Vergangenheit in der Sozialistischen Einheitspartei und der DDR vorgehalten – ein Vorurteil, das durch die verunglückte Diskussion über ihren Debattenbeitrag »Wege zum Kommunismus« (2011) leicht aktiviert werden konnte.
In diesem Beitrag hatte Gesine Lötzsch über die geopolitischen Konstellationen nachgedacht und einen gewaltigen »verworrenen Problemhaufen« konstatiert, für den keiner – auch DIE LINKE nicht, wie sie erfrischend offen zugab – eine Lösung habe. Diese sei »noch nicht wirklich gut gerüstet, wenn es um die Bewältigung von Gesellschaftskrisen geht.«
Zum »Problemhaufen« gehörten aus ihrer Sicht folgende Szenarien:
- die Gefahr des Untergangs des Euro den nächsten zwei Jahren;
- der mögliche Bruch der Europäische Union;
- die Situation, dass die USA nicht aus der Wirtschaftskrise komme und bei den nächsten Präsidentschaftswahlen in die Hände von radikal-fundamentalistischen Christen falle;
- die dramatische Klimaänderung, in deren Folge Flüchtlingsströme die »Festung Europa« überrennen.
Die Benennung dieser Herausforderungen wurde ignoriert, stattdessen empörte sich die Öffentlichkeit: Wer nach 20 Jahren »Deutscher Einheit« noch immer von Rosa Luxemburgs Plänen der »Machteroberung« schwärme und den Systemwechsel propagiere, habe aus der »blutigen Geschichte des Kommunismus« nichts gelernt. Die Frankfurter Rundschau kommentierte damals: »Der Artikel ist so wirr, so substanzlos und unreflektiert, dass jeder Versuch, aus ihm eine kohärente Aussage zu destillieren, auch beim 10.000. Mal scheitern muss.«
Auch im Rückblick auf die mediale Abrechnung fällt auf, dass die Stoßrichtung des Diskussionsbeitrages von Gesine Lötzsch nicht gefiel. Und dass auch parteiintern das Problem kaum aufgegriffen wurde. Die Parteivorsitzende hatte damit nämlich zugleich die Frage aufgeworfen, weshalb nach Jahren anhaltender Wirtschafts- und Demokratiekrise und auffallender Hilf- und Konzeptionslosigkeit der anderen Parteien dieser offenkundige Systemcrash oder immer undurchsichtigere Problemhaufen von der Linkspartei nicht zu einer Ausweitung ihres politischen Einflusses genutzt werden konnte.
»Wir werden gefragt, ob wir für diesen verworrenen Problemhaufen eine Lösung haben. Wer behauptet, dass er für dieses Szenario eine Strategie in der Schublade hat, der ist ein Hochstapler. Was wir anbieten können sollten, ist eine Methode für den Umgang mit solchen Problemhaufen. Wir wissen gar nicht, ob die Mechanismen der Wohlstands- und Verteilungsdemokratie der Bundesrepublik geeignet sind, solche komplexen Aufgaben zu lösen und friedlich abzuarbeiten. Ich habe da meine Zweifel. Die Regierung verbreitet schon jetzt nur noch Kompetenzillusionen. Allerdings sehe ich auch die Linken noch nicht wirklich gut gerüstet, wenn es um die Bewältigung von Gesellschaftskrisen geht.«
Der in der Öffentlichkeit allein herausgestellte Kommunismus-Bezug steht in diesem Zusammenhang. Gesine Lötzsch schrieb in Anlehnung an einen frühen Marx-Text: »Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung. Viel zu lange stehen wir zusammen an Weggabelungen und streiten über den richtigen Weg, anstatt die verschiedenen Wege auszuprobieren.«
Und sie mahnte zugleich an, das politische Vermächtnis Rosa Luxemburgs nach »revolutionärer Realpolitik« in Verbindung zu politischen Lernprozessen an, die politische Linke hierzulande müsse selbstkritisch neue Analyse-, Deutungs- und Lösungskompetenz zur Erklärung der gesellschaftlichen Verwerfungen entwickeln: »Ich weiß natürlich, dass eine solche radikale Realpolitik die Austragung von Widersprüchen und Konflikten einschließt, uns Veränderung und Selbstveränderung abverlangt. Das ist nicht einfach. Nicht ein Entweder-Oder von grundlegender Gesellschaftsentwicklung einerseits oder konkreten Reformschritten andererseits führt zum Erfolg. Die organische, lebendige Verknüpfung von eigenem Wirken der Bürgerinnen und Bürger, sozialen Bewegungen und Initiativen und dem Wirken linker Parteien in Parlamenten oder Regierungen, von Protest und Gestaltung, macht den Unterschied aus, auf den es ankommt.«
Dieser Diskussionsbeitrag ist gründlich missverstanden worden, auch innerhalb der Partei DIE LINKE. Warum dieser Anstoß zu einer wichtigen Verständigung ohne nachhaltige Konsequenzen blieb, darüber haben sich die politische Führung und die verschiedenen Strömungen innerhalb der Partei bislang keine Rechenschaft abgelegt.
Stattdessen wurde auch parteiintern Gesine Lötsch zusammen mit dem früheren Gewerkschaftsfunktionär Klaus Ernst für den anhaltenden Niedergang der Linken verantwortlich gemacht. Die ARD-Tagesschau kommentierte nach dem Rücktritt der Vorsitzenden am 11.4.: »Galt Lötzsch bei ihrer Wahl zur Vorsitzenden in der Doppelspitze mit Ernst noch als Pragmatikerin, agierte sie in der Folge zunehmend glücklos. Sie schaffte es nicht mehr, die politischen Flügel in ihrer Partei zu einen. Auch aufgrund der Personaldebatten und inhaltlichen Streitigkeiten verlor die Linkspartei viele Stimmen in den Umfragen und sackte bei den Landtagswahlen, wie zuletzt im Saarland, stark ab. Kritiker warfen Lötzsch eine Mitschuld an den schlechten Ergebnissen vor.«
Die gewählten Führungsorgane der Partei DIE LINKE haben nicht rechtzeitig auf die wachsenden organisatorisch-politischen Probleme reagiert, haben die Mahnungen der Vorsitzenden aus dem Januar 2011 nicht aufgegriffen. Insofern trifft sie eine Mitverantwortung an der Entwicklung. Zutreffend ist aber auch, dass die Konflikte in den Landesverbänden und Regionalorganisationen nicht vom Führungspersonal verursacht wurden. DIE LINKE hierzulande wie in anderen europäischen Ländern hat nach wie vor große Schwierigkeiten ihr komplexes politisches Erbe so zu verarbeiten, dass mit Blick auf die anhaltenden Große Krise eine machbare, realistische Alternative sichtbar wird.
Natürlich muss DIE LINKE ihre Leitungsstrukturen sorgfältig und mit Blick auf die real vorhandenen Strömungen regeln, auch wenn das »Kapitäns«bild für eine Partei, die sich einer anderen politischen Kultur verschrieben hat, nicht so ganz treffend ist. Aber mindestens ebenso wichtig muss eine Verständigung über Inhalte und die politisch-strategischen Perspektiven erfolgen.
Die »Financial Times« benennt daher die richtigen Probleme, wenngleich sie – wie die anderen Medien auch – damit zugleich die personalpolitische Debatten befeuert und einen weiteren Niedergang der politischen Linken herbeischreiben möchte: »Was bringt der Rücktritt einer Parteivorsitzenden, wenn eigentlich die gesamte Partei abtreten müsste?... Denn nichts, was diese Partei groß gemacht hat, was ihr Nahrung gab und ihr die Wähler brachte, hat länger Bestand. Die Linkspartei hat sich längst überflüssig gemacht, und das hat sie vor allem sich selbst zuzuschreiben. Die Linke war gestartet als kapitalismuskritische Antwort auf Gerhard Schröders Reformkurs, als Anti-Agenda-2010-Partei. Und diente als Protestpartei der ›wir hier unten‹ gegen ›die da oben‹. … Dabei hätte es zuletzt genügend Anlässe gegeben, sich innovativ in die Debatte um die Euro-Krise und die Regulierung der Finanzmärkte einzubringen. Stattdessen dreschen ihre Vertreter nur alte Phrasen über Umverteilung – und sehen tatenlos zu, wie selbst CDU und FDP sich sozialer Themen gern bedienen. Zugleich machen ihr die Piraten die Rolle der Protestpartei streitig. Wer heute gegen ›die da oben‹ ist, kann nun die Jungs von der Internetpartei wählen.«
Innerhalb der angeschlagenen Linkspartei selbst helfen allerdings die Räsonnements über personalpolitischen Rochaden nicht weiter. Bei den anstehenden Wahlen im Norden und im Westen Deutschlands muss DIE LINKE um den Wiedereinzug in die Landtage kämpfen. Verpasst sie dieses Ziel, droht die vereinigte Linke wieder zu jener ostdeutschen Regionalpartei zu werden, die sie bis 2005 war – in welcher personalpolitischen Konstellation auch immer.
Deshalb sollten diejenigen Aktivisten, die jetzt vorpreschen, in der Hoffnung, damit einen Beitrag zur Lösung der Krise der Partei zu leisten, und erneut die Debatte um das Führungspersonal in den Vordergrund stellen, bedenken: Auch das neu an die Spitze drängende Personal muss sich zuallererst der Problematik stellen, die die vielgescholtene Gesine Lötzsch bereits im Januar 2011 angemahnt hat: Entwicklung und Umsetzung einer »revolutionären Realpolitik« in für die Menschen nachvollziehbaren Schritten in Verbindung mit politisch-strategischen Perspektiven, um Alternativen zu der aus den Fugen geratenden gesellschaftlichen Entwicklung zu präzisieren – das im Herbst 2011 beschlossene Grundsatzprogramm bietet dafür Anknüpfungspunkte. Das dürfte in den anstehenden wichtigen Wahlkämpfen mehr bringen als die Fortführung einer vorgezonenen Personaldebatte.
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