Ein neues Führungsteam ist nicht alles

Joachim Bischoff / Hasko Hüning / Björn Radke: Zur Zukunft der Linkspartei

29.04.2012 / Sozialismus Aktuell

Anfang Juni findet in Göttingen der Bundesparteitag der LINKEN statt. Der seit langem festgelegte Termin stellt die gesamte Partei vor große Herausforderungen. Sie will nicht nur die personelle Neubesetzung der Führungsebene klären, sondern auch in einer breiten innerparteilichen Debatte eine Verständigung auf eine politisch-strategische Konzeption zustande bringen.

Entgegen den mittelfristigen Planungen ist das Jahr 2012 zu einem wichtigen Kräftemessen geworden und die Linkspartei kämpft um die politische Selbstbehauptung. In Schleswig-Holstein und vor allem in Nordrhein-Westfalen geht es nicht nur um den Wiedereinzug in die Landesparlamente, sondern auch um die Verteidigung eines gesamtdeutschen Profils. Galt der Einzug ins Parlament des größten Bundeslandes mit 5,6% im Mai 2010 als Beleg, den Durchbruch im Westen geschafft zu haben, wäre im Umkehrschluss ein Scheitern in NRW ein erheblicher Rückschlag als gesamtdeutsches linkes Projekt.

Zweieinhalb Jahre nach dem fulminanten Bundestagswahlergebnis (11,9%) und fünf Jahre nach dem Zusammenschluss von WASG und Linkspartei.PDS, der ein wichtiger Schritt war, die Spaltung der Linken in Deutschland durch trennende politische Lager wie auch die Ost-West-Spaltung zu überwinden, zeigt sich aber auch, wie brüchig die »vereinigte Partei« ist.

Mittlerweile ist die Diagnose eines nachhaltigen Niederganges seit 2009 weithin unstrittig. Ein Mitgliederverlust von ca. 8.000 Mitgliedern unter die Marke von 70.000 – Tendenz weiter fallend – und ein sichtbarer Verlust des politischen Einflusses sprechen eine eindeutige Sprache. Es häufen sich die Meldungen über den Rückzug von wichtigen Funktionären und Mandatsträgern und Übertritte zu anderen Parteien. Die Partei ist zerstritten und viele Protestwähler sind zu den Piraten weitergezogen.

Nicht nur die Medien halten es für ungewiss, ob die Partei sich auf der politischen Bühne Deutschlands jemals wieder so kraftvoll wird bewegen können, wie zur Zeit ihrer Gründung vor fünf Jahren. Die Partei wird »im Westen des Landes nicht mal mehr wahrgenommen«, konstatiert nicht ohne Häme zum Beispiel die Frankfurter Rundschau.

Erschwerend kommt hinzu: In der »Berliner Republik« hat die Sozialdemokratie politisches Terrain und damit auch Teile der früher kritischen BürgerInnen zurückerobert. Mindestlohn, Kampf gegen Altersarmut sind kein allein bei der Linkspartei angebundenes Mobilisierungsthema mehr. Das Hartz-IV-Regime hat wegen der Expansion des Sektors prekärer Beschäftigung seinen exemplarischen Schrecken verloren und aus Afghanistan wollen mittlerweile sogar die NATO und die Bundesregierung abziehen.

Die spannende Frage nicht nur an die neu zu bestellenden Führungskader lautet: Wie kann DIE LINKE ihre systemkritische Sicht auf die anhaltende Große Krise des Kapitalismus in einen größeren politischen Einfluss umsetzen? Die erste Voraussetzung dafür ist, dass die anstehenden Herausforderungen sowohl in der Gesellschaft wie im Bundestag aufgegriffen und dafür Deutungen und Antworten entwickelt werden müssen:

Es steht die Abstimmung über den europäischen Fiskalpakt an, der den Staaten Europas unter Führung

der schwarz-gelben Bundesregierung die »griechische Rosskur« verschreibt, und eine massive

Verschärfung der gesellschaftlichen Spaltung billigend in Kauf nimmt.

Für NRW zeichnet sich ein klarer Trend für die Fortführung der rot-grünen Koalition ab. Nach aktuellen Umfragen hätte eine rot-grüne Regierung eine eindeutige parlamentarische Mehrheit. Sollte sich bewahrheiten, dass die FDP nicht wieder in den Landtag kommt, wird das der Partei zwar auch die Rückkehr in den Bundestag weiter erschweren, nicht aber automatisch den Sturz der schwarz-gelben Koalition in Berlin nach sich ziehen.

Durch das Erstarken der Piraten, denen nach letzten Umfragen nicht nur der Einzug in die Landesparlamente, sondern auch in den Bundestag (aktuell 13%) prognostiziert wird, ist eine neue Situation entstanden: Die CDU bleibt stärkste Kraft zwischen 34 und 36%, die SPD schwankt zwischen 28 und 24% und bildet damit nach Sichtweise des Parteivorsitzenden Gabriel »das Zentrum von Mehrheitsbildungen jenseits der Union«. Die Grünen sind wieder zwischen 12 und 14% angelangt, die FDP schwankt zwischen 3-5%, wobei die Tendenz aktuell in Richtung 5% geht. Die Piraten liegen in einer Bandbreite von 8 bis13%. DIE LINKE stagniert bei derzeit 6-7%.

Sicher: Die schwarz-gelbe Mehrheit ist dahin, aber die sicher geglaubte rot-grüne Mehrheit nicht erreichbar. Bei der Abstimmung über den Fiskalpakt ist klar, dass alle Parteien – außer der LINKEN – ihm zustimmen werden. SPD und Grüne fordern für ihre Zustimmung die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Beide betonten, mit einem Fiskalpakt allein komme Europa nicht aus der Krise, nötig seien auch Wachstumsprogramme.

Linke Strategie an der veränderten Großwetterlage in Europa ausrichten

Nun hat sich die politische Großwetterlage in den letzten Wochen auch noch in anderer Hinsicht verändert: Der Wahlsieger des ersten Wahlgangs in Frankreich, der Sozialist Hollande hat sich ebenfalls dafür ausgesprochen, den Fiskalpakt durch ein Wachtsums-und Investitionsprogramm zu ergänzen. Der Front de Gauche konnte deutlich machen, dass ein grundlegender Politikwechsel eine Alternative darstellt und damit den Druck auf die Sozialistische Partei erhöhen. Auf die Zerrissenheit der französischen Gesellschaft versucht das Bündnis um Mélenchon mit der neuen Konzeption einer solidarischen und gemischten Gesellschaft (»société métissée«) zu antworten. Die zentrale Orientierung nach Teilhabe ist eingebettet in die Forderung nach einer sechsten Republik, einer sozialen Neugründung des Staates, in dem das Volk selbst eine größere Rolle einnehmen soll. Mit gut 11% gelang es der Linksfront, das einst zerfallene Lage von Kommunisten, Globalisierungsgegnern, Linkssozialisten und Linksradikalen wieder zusammen zu führen.

Die Linksfront versteht sich nicht als Koalition von Parteien, sondern als eine Partnerschaft von linken Parteien und gesellschaftlichen Bewegungen – in Respektierung unterschiedlicher Herkunft und der jeweiligen politischen Kultur. Es wurde ein gemeinsamer Raum geschaffen, in dem neben den Mitgliedern der Parteien und Bewegungen auch unorganisierte BürgerInnen auf unterschiedlichen Ebenen mitarbeiten und sich einbringen können, ohne Mitglied einer der drei Parteien zu werden.

In den Niederlanden erlebt die (Links)Sozialistische Partei (SP) einen rasanten Aufschwung, nachdem der Rechtspopulist Geert Wilders die amtierende bürgerliche Regierungskoalition wegen der Ausweglosigkeit der Austeritätspolitik aufgekündigt hatte. Geht man von den aktuellen Umfragewerten von fast 20% aus (bei der letzten Wahl erreichten sie waren 9,8%), könnte sie zur zweitstärksten Kraft werden. Die SP lehnt »einen von der EU aufgezwungenen Neoliberalismus« ab, Sparmaßnahmen im sozialen Bereich sind mit ihr nicht zu machen.

In Irland, wo in vier Wochen ein Referendum über den Fiskalpakt stattfindet, kommen die Gegner des Vertrags bereits auf knapp ein Viertel der Stimmen. In Tschechien werden die Proteste lauter. In Griechenland ist bei den vorgezogenen Neuwahlen ein Desaster der etablierten Parteien zu erwarten.

Dies sind die veränderten Bedingungen, die DIE LINKE bei ihrer strategischen Ausrichtung für die kommenden Auseinandersetzungen bis hin zu den Bundestagswahlen in Rechnung stellen müsste. Der Parteivorstand hat einen Leitantrag[1] vorgelegt, in dem zunächst zu Recht festgehalten wird, dass »nicht nur das wirtschaftliche, soziale und politische Umfeld schwieriger geworden (ist), auch eigene Fehler haben das politische Gewicht der LINKEN geringer werden lassen. So hat sich die Partei oft allzu sehr mit sich selbst beschäftigt. Personalfragen und interne Streitereien ließen den politischen Auftrag und die politischen Inhalte in den Hintergrund treten, womit sich DIE LINKE von den Menschen und ihren Sorgen, Nöten, aber auch Wünschen entfernt hat.«

Die quälend lange Debatte um das Führungspersonal hat in der Tat die notwendige Verständigung über die Entwicklung und Umsetzung einer »revolutionären Realpolitik« in Verbindung mit politisch-strategischen Perspektiven, um Alternativen zu der aus den Fugen geratenden gesellschaftlichen Entwicklung zu präzisieren, in den Hintergrund gedrängt. Insofern ist eine Rückbesinnung auf Analysen & Alternativen richtig.

In der Bestandsaufnahme des Leitantrages heißt es: »Deutschland ist bislang relativ glimpflich durch die Finanz-und Wirtschaftskrise gekommen. Doch die wirtschaftliche Besserung in den Jahren 2010 und 2011 ist bei den Menschen nicht angekommen. (...) Arbeit wird immer unsicherer. So hat in den letzten Jahren der Anteil der prekären Arbeit, also Leiharbeit, befristete Beschäftigung, Minijobs oder auch der Missbrauch von Werkverträgen stark zugenommen. Rund ein Fünftel aller Beschäftigten arbeitet im Niedriglohnsektor. Die Arbeitsprozesse selbst werden immer mehr verdichtet.« Das ist unbestreitbar, allerdings fehlt im Leitantrag die Zuspitzung. Die gesellschaftlichen Welten stehen nicht neben-und gegeneinander, sondern haben einen inneren Zusammenhang: Das »zweite deutsche Wirtschaftswunder«, die arbeitsmarktpolitische Bewältigung der Großen Krise, ist nur unter der Voraussetzung der Absenkung der Löhne, der Schaffung von Niedriglohnsektoren, der Ausweitung prekärer Jobs, und nochmals verdichtete, intensivierte Arbeitsprozesse bei wieder verlängerten Arbeitszeiten möglich geworden. Und die Perspektive für das Gemeinwesen kommt geradezu schnörkellos daher: Sozialstaatsabbau, Leistungsverschlechterungen und Privatisierung in Gestalt einer Schuldenbremse.

Im Leitantrag heißt es weiter: »Wenn schon in Zeiten noch relativ günstiger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen die sozialen Widersprüche zunehmen und die Chancen für ein gutes Arbeiten und Leben vieler Menschen sinken, wie wird dies dann erst, wenn die Krise stärker auf Deutschland durchschlägt? Wenn die jetzt schon brüchige wirtschaftliche Entwicklung weiter an Dynamik verliert, drohen angesichts der herrschenden Politik auch in Deutschland erhebliche soziale Einschnitte.« In der Tat ist es schwer vorstellbar, dass die mit dem Fiskalpakt einhergehende Verelendungsstrategie, nach der die Bevölkerungen in der Euro-Zone sich auf Jahrzehnte mit höheren Steuern, niedrigeren Renten und steigenden Krankenkassenbeiträgen abfinden sollen, widerstandslos hingenommen wird.

»Durch kleinere Korrekturen die Krise überwinden zu wollen, und damit weiterzumachen wie bisher, ist illusionär. Notwendig ist vielmehr eine politische Alternative: Ohne mehr soziale Gerechtigkeit und mehr demokratische Teilhabe geht es nicht – weder in Deutschland noch in Europa!« Auch hier kann man den AutorInnen des Antrags zustimmen.

Leider – und das ist der gravierendste Mangel des Leitantrags – findet sich keine Skizze für eine strategische Option, wie und mit wem diese politische Alternative gestaltet und umgesetzt werden soll. Das Verhältnis zur Sozialdemokratie bleibt unbestimmt. Da die SPD sich als das »Zentrum von Mehrheitsbildungen jenseits der CDU« sieht, kann das für DIE LINKE nur heißen, den Druck auf diese zu erhöhen. Wenn der Sozialdemokratie europaweit tragfähige strategische Konzepte zu einem europäischen Ausweg aus der Großen Krise fehlen, dann sollte die Linke jenseits der SPD dieses Strukturdefizit in den Mittelpunkt Politik rücken. Abgewehrt werden muss ein autoritäres, in wiederholten und langen Krisenprozessen mit sozialen Ängsten aufgeladenes Europa, in dem Finanzmarktakteure der politischen Funktionselite den Schneid abgekauft haben. Positiv geht es um ein Europa, das Armut und soziale Spaltungen überwindet, neue gesellschaftliche Entwicklungshorizonte eröffnet und national geschleifte politische Handlungsfelder transnational neu erschließt.

Die SPD will dem europäischen Fiskalpakt nur »konditioniert zustimmen«, was darauf hinausläuft, eine geringfügig abgemilderte krisenverschärfende Austeritätspolitik abzusegnen. Würde die SPD ihre Erklärungen zu Wachstum (»ökologisch ausgewiesen«) und Beschäftigung (»nicht in prekarisierten Formen«) ernst nehmen, müsste sie den Fiskalpakt ablehnen. Ein paar Milliarden für Wachstum und Beschäftigung würden nicht annähernd die Kürzungen bei öffentlichen Investitionen, öffentlichem Konsum, öffentlicher Beschäftigung und Privatisierungen ausgleichen. DIE LINKE hätte also sehr wohl Möglichkeiten den Druck auf die SPD zu erhöhen – wenn sie sich auf die offensive Auseinandersetzung mit ihr einließe.

Während die Linke in vielen europäischen Nachbarländern diese führt und als politisch-organisatorisch Kraft deutliche Konturen gewinnt, hat DIE LINKE in Deutschland wachsende Schwierigkeiten sich diesen politisch-strategischen Anforderungen zu stellen. Und auch mit Blick auf die massiven Strukturprobleme in der Ökonomie und in anderen gesellschaftlichen Bereichen (z.B. bei Bildung, Gesundheit und sozialer Sicherheit) hat die politische Linke massive Orientierungsschwierigkeiten. Verbunden sind diese mit einer Unterschätzung der rechtspopulistischen Herausforderung.

Europa, Abstiegsängste und aufkommender Rechtspopulismus

In den 1980er Jahren gehörten in Westdeutschland zwei Drittel der Bürger zur Mittelschicht. 64% betrug der Anteil im Jahr 2000. Heute sind es laut DIW nicht mehr als 60%. Die Oberschicht ist gewachsen, noch viel stärker jedoch die Unterschicht. Die Einkommensungleichheit hat Ausmaße angenommen wie selten in den vergangenen Jahrzehnten.

Zentrales Thema nicht nur der »Berliner Republik« ist die »Abwärtsmobilität«. Wer heute unten ist, bleibt länger unten als früher. Das macht Angst. Gerade bei den mittleren Schichten, deren Status sich auf Einkommen und nicht auf Besitz gründet, besteht eine große Sensibilität für Entwicklungen, die diesen Status bedrohen. Es geht nicht mehr um den Aufstieg, sondern um die Angst vor dem Abstieg.

Die Auszehrung der gesellschaftlichen Mitte setzt den Konservatismus von unten und oben gleichermaßen unter Druck. Von unten durch den Rechtspopulismus. In einer wachsenden Zahl von Staaten ist das konservative Lager auf deren Unterstützung angewiesen, um regieren zu können. In Frankreich und Österreich drohen die rechtspopulistischen Parteien 2012 und 2013 gar zur stärksten politischen Kraft zu werden. Drei Themen garantieren gegenwärtig deren Erfolg: Ausländerfeindlichkeit mit islamophobischer Zuspitzung, ein Solidaritätsverständnis, das auf dem Sozialstaat aufbaut, diesen aber in ein Instrument der Exklusion (gegen MigrantInnen, »Leistungsverweigerer« etc.) verwandelt, und ein Europapessimismus bis hin zu Europafeindlichkeit. Von oben wird dieser Aufstand des Ressentiments gestützt durch eine »rohe Bürgerlichkeit«, bei der das »klassische Leistungsprinzip zunehmend durch das Prinzip des Erfolgs ersetzt«, strikt nach »Gewinnern« und »Verlierern« sortiert und eine Politik verfolgt wird, die »dazu dient, eine zunehmend dichotome Sozialstruktur zu zementieren und zu legitimieren«.[2] Beide Entwicklungen haben auch im Deutschland Einfluss in der Bevölkerung, aber noch keinen distinkten politisch-organisatorischen Ausdruck gefunden.

Für eine Strategie der Re-Kommunalisierung

»Deutschland und Europa brauchen einen Politikwechsel. DIE LINKE steht dafür bereit. Wir unterstützen alle, die ebenfalls für eine solidarischere, gerechtere, demokratischere und friedlichere Gesellschaft streiten: Gewerkschaften, Sozialverbände, Erwerbsloseninitiativen, Kirchen, Attac, Friedens-, Occupy-und andere Bewegungen. Wir wollen ein breites gesellschaftliches Bündnis. Wir wissen, dass es ohne eine breite gesellschaftliche Bewegung keinen Politikwechsel geben wird.« Dem ist vorbehaltslos zuzustimmen. Dazu muss DIE LINKE aber die offensive Auseinandersetzung mit dem Lager »jenseits der CDU« aufnehmen. Nur dann eröffnet sich die Chance, dass die WählerInnen nachvollziehen können, dass eine linke Oppositionskraft vonnöten ist, um die SPD und andere unter den Druck zu und von krisenverschärfender Austeritätspolitik abzusetzen, statt ihre Profilierung von der CDU/CSU in Nebengefechten wie dem um das »Betreuungsgeld« zu suchen.

Der Leitantrag formuliert im Abschnitt »Schaffung guter Arbeits-und Lebensbedingungen« noch einmal die politische Kernforderung »Gute Arbeit – Gutes Leben« der Partei DIE LINKE. »Wir wollen, dass die Menschen vor den Folgen wirtschaftlicher Krisen geschützt werden, von einer guten wirtschaftlichen Entwicklung profitieren und jeder und jedem gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht wird.«

Dies muss vor allem im unmittelbaren Lebensumfeld, im kommunalen Lebensraum angegangen werden. Hier werden im Antrag eine ganze Reihe von wichtigen Einzelforderungen erhoben (bestmögliche medizinische Versorgung, eine wohnungspolitische Offensive für bezahlbaren Wohnraum und Sozialen Wohnungsbau, Verhinderung von Armut von Kindern und Ausbau von guter Teilhabe-und Entwicklungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche, die vor Ausgrenzung und Diskriminierung schützen, etc.), die in einer breiten Option für Re-Kommunalisierung zusammengefasst werden könnten. »Re-Kommunalisierung« steht auch für ein neues Bewusstsein für den Wert des Öffentlichen sowie für eine Suche nach sachlich begründeten besten Lösungen für die konkrete Erbringung grundlegender Leistungen der Daseinsvorsorge.

Dies wäre eine tragfähige Strategie der Abkehr von der neoliberalen »Eigentümerdemokratie« und damit für die Popularisierung von alternativen, nichtkapitalistischen Eigentumsformen. Denn die Menschen bringen sie praktisch mit den Erfahrungen mit kommunalen Stadtwerken in Verbindung: Wohnen, Energie, Wasser, Abwasser, überhaupt Ver-und Entsorgung, aber auch öffentlicher Personennahverkehr und die Erzeugung, Erhaltung und Ausbau öffentlicher Infrastruktur.

Mit der Tendenz des Staates, sich aus den Öffentlichkeitsbeteiligungen zurück zu ziehen fand und findet keine Entscheidungsverlagerung auf zivilgesellschaftliche Strukturen statt, sondern Entscheidungen werden auf privilegierte Gruppen mit Marktzugang übertragen.

Re-Kommunalisierung bedeutet auch finanzielle Stärkung der Kommunen, um überhaupt die Voraussetzungen für neue Formen der Demokratie zu schaffen. Dazu muss die Akzeptanz in der Bevölkerung für diese Fragen erhöht werden. Die Kommunen stecken in der tiefsten Haushaltskrise seit Bestehen der Bundesrepublik: Nothaushalte, Streichkonzerte und Sparkommissare sind in aller Munde, die Bundes-und viele Landesregierungen schauen seit langem weg. Viele Kommunen fordern daher eine finanzielle Mindestausstattung als absolute Untergrenze, denn durch Fiskalpakt und Schuldenbremse drohen weitere Belastungen. Allerdings lässt sich die Finanznotlage der Kommunen auf lange Sicht nur durch eine grundlegende Neugestaltung der kommunalen Einnahmequellen lösen.

Die kapitalistische Gesellschaftsformation hat in den Hauptländern mit der Krise der irrationalen Verwendung des Surplus – leistungslose Ansprüche an das Wertprodukt zur Verwertung des eingesetzten Kapitals – zugleich die materiellen Bedingungen einer entwickelteren Produktionsform, zum Übergang zu einem rationellen Umgang mit dem Surplus geschaffen. Die kritischen Potenziale der Zivilgesellschaft und die politische Linke müssen dies thematisieren und zugleich Vorschläge zur Lösung der angesprochenen Probleme und zur Reorganisation sozialer Sicherheit sowie eines Übergangs zur Überflussgesellschaft entwickeln.

Die Alternative zum finanzmarktgetriebenen Kapitalismus ist also nicht einfach nur Verstaatlichung etwa des Banken-oder Finanzsystems, sondern unterstellt einen weitreichenden Prozess gesellschaftlicher Reformen. Dies deutlich zu machen, könnte dazu beitragen, die Grünen und die Sozialdemokratie zu stellen, der Forderung nach einem Politikwechsel eine eigenständige Kontur zu geben und den Bürgerinnen und Bürgern die Notwendigkeit eines Korrektivs von Seiten der Partei DIE LINKE plausibel zu machen. Dies ist die strategische Herausforderung nicht nur der nächsten Zeit.

[1]http://www.die-linke.de/partei/organe/parteitage/3parteitag1tagung/leitantrag/

[2] Eva Gross/Julia Gundlach/Wilhelm Heitmeyer: Die Ökonomisierung der Gesellschaft. Ein Nährboden für Menschenfeindlichkeit in oberen Status-und Einkommensgruppen, in: W. Heitmeyer (Hrsg.): Deutsche Zustände. Folge 9. Berlin 2010, S. 140.

Quelle: http://www.sozialismus.de/kommentare_analysen/detail/artikel/ein-neues-fuehrungsteam-ist-nicht-alles/