Strategie: Bundestagswahl
Von Axel Troost, Stellvertretender Vorsitzender der Partei DIE LINKE und Finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE
Kanzlerin Merkel will mit ihrer europapolitischen Option die Bundestagswahl gewinnen. Sie will im Bundestagswahlkampf 2013 den weiteren Kurs der Europäischen Union zum Wahlkampfthema machen. Die Frage der weiteren Solidarität für andere Staaten sei für jedes Land ganz wichtig. "Ohne Europa können wir unsere Werte, unsere Vorstellungen, unsere Ideale überhaupt nicht mehr gemeinsam vertreten", sagte sie. Europa müsse verbindlicher werden, der europäische Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin sei ein Schritt auf diesem Weg. Darum werde im nächsten Jahr darüber abgestimmt, wo Europa steht und welche Vorstellungen die Wähler von Europa hätten. Die CSU drängt auf eine konfrontative Auseinandersetzung: bei der Bundestagswahl gehe es um Grundfragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. "Die kann man in einem Kuschelwahlkampf nicht darstellen." Die Strategie, den Gegner einzulullen, sei 2009 aus der großen Koalition heraus "richtig und erfolgreich" gewesen. Aber jetzt erfordere die Situation eine harte Auseinandersetzung mit der Opposition.
Objektiv gesehen sieht die Bilanz der letzten 25 Gipfeltreffen der europäischen Staats- und Regierungschef nicht positiv aus. Auch die OECD, der Internationale Währungsfonds u.a. können an der Europapolitik wenig Überzeugendes entdecken. Die sich immer weiter verschärfende Krise sei ein Zeichen dafür, "dass die Ursachen dafür weiter nicht angegangen werden". "Die Europäische Währungsunion verfügt noch immer nicht über die grundsätzlichen Werkzeuge, die die negativen Wechselwirkungen zwischen Staatshaushalten, Banken und der Realwirtschaft aufbrechen könnten." Fünf Jahre sind seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2007 vergangen und die Globalökonomie und das internationale Finanzsystem haben – trotz etlicher Regulierungen der Finanzmarktarchitektur – noch immer nicht aus dem Teufelskreis herausgefunden. Im Gegenteil: Die Ungleichgewichte sind im Sommer 2012 größer als je zuvor, da die miteinander verknüpften Schwachstellen sich weiter gegenseitig verstärken.
Gleichwohl: es ist nicht auszuschließen, dass der Bundestagswahlkampf durch die Frage der Eurozonenkrise, deren Überwindung und gesellschaftspolitische Grundfragen geprägt sein wird. Die Frage, wie es mit Europa weiter gehen kann, mischt sich bei einem Großteil der Bevölkerung mit dem verbreiteten Unbehagen an dem kapitalistischen System. Selbst der Ökonom Hüther, Direktor des gewiss nicht gesellschaftskritisch ausgerichteten Instituts der deutschen Wirtschaft konstatiert zurecht: "Der Kapitalismus ist in Verruf geraten, mit ihm die Wirtschaftsordnung der Sozialen Marktwirtschaft. Krisen, Funktionsstörungen und nicht eingelöste Leistungsversprechen sind für viele hinreichende Gründe, sich von ihr abzuwenden und nach neuem zu suchen. Kritik und Zweifel beschränken sich dieses mal nicht auf die üblichen Verdächtigungen, sondern haben weite Kreise des Bürgertums erfasst."
Der Legitimationsverlust des Kapitalismus geht von der seit Jahren ungelösten Wirtschafts- und Finanzkrise aus. Aber auch die politische Klasse verliert mehr und mehr an Glaubwürdigkeit. Nach zwei sogenannten Rettungspaketen für Griechenland – von der LINKEN wegen der grundlegend falschen Ausrichtung kritisiert, erwägt jetzt die Bundesregierung weitere Finanzhilfen für Griechenland nicht mehr mitzutragen und der FDP-Vorsitzende und Wirtschaftsminister Rößler hält einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone für machbar. Ein solcher Schritt habe "längst seinen Schrecken verloren". Damit verkennt er vollkommen die Folgen einer Kettenreaktion, die jetzt schon Spanien nach Griechenland ebenfalls an den Rand des ökonomischen Zusammenbruchs bringt und die Krise des gesamten Euro-Systems weiter verschärft.
Auf dieses doppelte Unbehagen haben die Sozialdemokratie und Grünen keine wirkliche Antwort. Angesichts konstant guter Umfragewerte für die Kanzlerin setzt die Sozialdemokratie auf eine schärfere Abgrenzung im anstehenden Bundestagswahlkampf. Die SPD will eine scharfe Kontrolle der Finanzbranche und die soziale Gerechtigkeit zum Wahlkampf-Thema 2013 machen. SPD-Chef Sigmar Gabriel greift neuerdings die Banken scharf an. Er werfe den Banken unter anderem Beihilfe zur Steuerhinterziehung und Erpressung vor. Die Bundestagswahl 2013 müsse zu einer Entscheidung über die Bändigung des Banken- und Finanzsektors werden. Und der frühere Bundesfinanzminister Steinbrück ergänzt den sozialdemokratischen Ausblick: "Wir werden die Menschen ansprechen, die mehr Gemeinwohlorientierung und mehr Fairness in der Gesellschaft wollen."
Die SPD-Spitze freundet sich wahlpolitisch mit der Kapitalismuskritik an. Die Geldhäuser würden den Staat erpressen, die Politik diktieren, unanständige Gehälter zahlen und riskant mit dem Geld ihrer Sparer spekulieren. Außerdem leisteten manche Institute Beihilfe zur Steuerkriminalität. Auch würden Banken manipulieren, weil sie Kunden beispielsweise Schrottpapiere aufschwatzten.
Als Gegenmaßnahmen fordert SPD-Chef Gabriel unter anderem ein europäisches Recht für Bankeninsolvenzen, das dafür sorge, dass Banken auch pleite gehen könnten, ohne dass ganze Volkswirtschaften in Mitleidenschaft gezogen würden, Zugleich verlangt Gabriel die Aufspaltung von Großbanken. Der normale Bankenbetrieb müsse bilanziell oder rechtlich vom Investmentbanking getrennt werden. "Der Bankensektor muss sich wieder gesund schrumpfen". "Statt großer und nicht mehr kontrollierbarer Banken brauchen wir wieder kleinere Banken mit einem tragfähigen Geschäftsmodell." Mit Blick auf die Steuerflucht in die Schweiz fordert der SPD-Chef eine Strafverfolgungspflicht für den deutschen Generalbundesanwalt gegen ausländische Kreditinstitute und deren Mitarbeiter.
Offensichtlich nimmt also die Auseinandersetzung um zentrale Themen des Bundestagswahlkampfes 2013 Fahrt auf. SPD und Grüne, beide angetreten die schwarzgelbe Regierungskoalition abzulösen, wollen die gesellschaftlichen Grundsatzfragen aufnehmen und beklagen, dass in der Europapolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel kein langfristiges Konzept erkennbar sei. Der Grünen-Politiker Kretschmann betont: man könne am europäischen Projekt nicht so "visionslos" arbeiten wie die Kanzlerin. "Wir brauchen etwas, das uns beflügelt. Man könne in der Politik "nicht nur auf Sicht fahren". Man müsse auch sagen, wohin sich Europa und das Land bewegen solle. Mit ihrer Zustimmung zum Fiskalpakt und ESM unterstützen beide aber die Hauptlinie Merkels und damit bleibt weiterhin die Frage nach der Ernsthaftigkeit der jüngsten Stellungnahmen.
Auch die DIE LINKE muss ihre Strategie für das nächste Jahr präzisieren. Die Ablehnung von Fiskalpakt und ESM und die immer wieder im Zentrum stehende Bankenkritik kann in eine Gesamtkonzeption eingebunden werden. Die öffentliche Hand muss bei einer Rekapitalisierung von Banken mit staatlichem Geld echte Entscheidungsbefugnisse bekommen und wirklich auch wahrnehmen, damit der Weg zu einem strikt öffentlich-demokratisch kontrollierten und deutlich verkleinerten Finanzsystem eingeschlagen werden kann. Ebenso brauchen wir ein effektives EU-weites Einlagensicherungssystem sowie den Aufbau eines von der Finanzwirtschaft selber finanzierten Bankenrettungsfonds. Schuldenbremsen für Europa bedeuten weiteren Demokratie- und Sozialabbau, sie verhindern notwendige Investitionen und heizen den Druck auf Löhne und Sozialleistungen an. Sollten die Klagen gegen den Fiskalpakt und den ESM Erfolg haben, bietet sich eine Chance, den betroffenen Staaten mit echten Konjunktur- und Beschäftigung schaffenden Zukunftsprogrammen wirtschaftlich auf die Beine zu helfen und damit die Voraussetzungen zu schaffen, dass sie die Hilfen auch zurückzahlen können. Einer aktuelle Umfrage von TNS Emnid zufolge lehnen zwei Drittel der Befragten den Fiskalpakt und den ESM ab.
DIE LINKE kann deutlich machen, dass ihre Vorstellungen darauf abzielen ein solidarisches und soziales Europa zu schaffen, und sich klar und deutlich von europafeindlichen Positionen unterscheidet.