Ablösung von Merkel und Rösler durch Rückbesinnung auf Erhard?
Von Axel Troost, finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE und stellvertretender Vorsitzender der Partei DIE LINKE
Kanzlerin Merkel (CDU) hat in ihrer Ansprache zum Jahreswechsel angesichts einer sich verschlechternden Wirtschaftslage im Jahr 2013 zu Leistungsbereitschaft und Zusammenhalt aufgerufen. Das wirtschaftliche Umfeld werde „nächstes Jahr nicht einfacher, sondern schwieriger“. „Das sollte uns jedoch nicht mutlos werden lassen, sondern - im Gegenteil - Ansporn sein.“ In der europäischen Staatsschuldenkrise begännen die Reformen zu wirken. „Dennoch brauchen wir weiterhin viel Geduld. Die Krise ist noch längst nicht überwunden“.
Im Regierungsapparat werden unter dem Titel „Mittelfristige Haushaltsziele des Bundes“ weitere Konsolidierungsmaßnahmen vorbereitet, also eine Verschärfung der Rotstiftpolitik. Im Fall einer Verschlechterung der ökonomischen Großwetterlage will die schwarzgelbe Regierungskoalition eine Kürzungskonzeption in der Schublade haben. Geklärt werden soll schon jetzt, wie sich die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse auch bei einem deutlich verschlechterten wirtschaftlich Umfeld realisieren lässt. Vorgeschlagen wird dafür: den ermäßigten Mehrwertsteuersatz abzuschaffen und die Lebensarbeitszeit weiter zu verlängern.
Wohin führt diese Kürzungspolitik? Sarah Wagenknecht weist im Gespräch im aktuellenSpiegel zurecht darauf hin, dass diese Politik mit dem großen Versprechen Ludwigs Erhards und der sozialen Marktwirtschaft - Wohlstand für alle - nichts mehr zu tun hat. Gleichwohl scheint der Vorschlag zu kurz gegriffen, dass sich die LINKE an der Konzeption des früheren CDU-Wirtschaftsministers Ludwig Erhard orientieren soll. „Erhard wäre bei uns mit seinen Ansprüchen am besten aufgehoben“, so die These von Sarah Wagenknecht.
Was spricht dafür, sich an den Ansprüchen der CDU-Politik der fünfziger Jahre zu orientieren? „Die Linke will Wohlstand für alle und steht damit im heutigen Parteienspektrum ziemlich allein.“ Richtig. Folgt daraus, dass die wirtschaftspolitischen Prinzipien, die von den Gründungsvätern der sozialen Marktwirtschaft aufgestellt wurden, unsere Leitlinie sein können? „Der damalige Neoliberalismus war das Gegenteil des stumpfsinnigen Glaubens an den Segen deregulierter Märkte, den man heute mit diesem Begriff verknüpft“, sagt Sarah Wagenknecht. „Ökonomen wie Wilhelm Röpke, Walter Eucken und Alfred Müller-Armack waren überzeugt, dass der Markt nicht alles richten kann, der Staat muss die Regeln und den Ordnungsrahmen setzen.“
Der frühere Wirtschaftsminister und Bundeskanzler Erhard ist aber schon in den sechziger Jahren gescheitert. Er nahm für sich in Anspruch, den Konjunkturzyklus überwunden zu haben und „über einen kontinuierlichen Aufstieg der Wirtschaft die Koppelung von voller Beschäftigung und Mengenkonjunktur zu erreichen.“
Neben der Steuerung der Akkumulation ging es damals um veränderte Verteilungsverhältnisse. Der „Wohlstand für alle“ (1957) sollte durch Produktivitätssteigerungen und eine massive Ausweitung des gesellschaftlichen Produkts erfolgen. Erhards Wirtschaftspolitik zielte darauf, die hergebrachten Vorstellungen der früheren Einkommensgliederung zu überwinden. Er wollte in Übereinstimmung mit der Mehrheit der CDU „eine Wirtschaftsverfassung, die immer weitere und breitere Schichten unseres Volkes zu Wohlstand zu führen vermag.“ Auf dem Wege über den Wettbewerb soll eine Sozialisierung des Fortschritts und des Gewinns bewirkt und dazu noch das persönliche Leistungsstreben wachgehalten werden.
Erhards Kernbotschaft: Die Logik der „sozialen Marktwirtschaft“ lehrt, „wie ungleich sinnvoller es ist, alle einer Volkswirtschaft zur Verfügung stehenden Energien auf die Mehrung des Ertrages der Volkswirtschaft zu richten als sich in Kämpfen um die Distribution des Ertrages zu zermürben und sich dadurch von dem allein fruchtbaren Weg der Steigerung des Sozialproduktes abdrängen zu lassen. Es ist sehr viel leichter, jedem einzelnen aus einem immer größer werdenden Kuchen ein größeres Stuck zu gewähren als einen Gewinn aus einer Auseinandersetzung um die Verteilung eines kleinen Kuchens ziehen zu wollen, weil auf solche Weise jeder Vorteil mit einem Nachteil bezahlt werden muss.“
Erhard musste in den sechziger Jahren das Scheitern dieser Konzeption der Einbettung kapitalistischer Akkumulations- und Marktdynamik einräumen. Dies betraf die Rückkehr der Konjunkturzyklen und immer schärfer ausfallende Verteilungskonflikte. Der durch Erweiterung des gesellschaftlichen Kuchens geförderte Massenkonsum stieß in den 1960er Jahren an Grenzen. Erhard beklagte in seiner Regierungserklärung 1965, dass die Gesellschaft in organisierte Gruppen zerfalle, die um möglichst hohe Anteile am Sozialprodukt und um Einfluss auf die politischen Entscheidungen des Staates stritten. Diese Überforderung von Wohlstand und Wirtschaftspotenzial wollte er durch eine „formierte Gesellschaft“ überwinden. Im Prinzip begann damals die langwierige Transformation der „sozialen Marktwirtschaft".
Was wir seither erleben, ist eine neue, neoliberale Umformung des Kapitalismus, die sich in zahllosen kleinen und größeren Veränderungen und mentalen Verschiebungen von den Werkbänken bis in zivilgesellschaftliche Stockwerke ausbreitet. Die politischen, sozialen und kulturellen Umbrüche der letzten Jahrzehnte des 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts bringen eine epochale Transformation des Kapitalismus zum Ausdruck. Die finanzmarktgetriebene Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse setzt die sozialstaatlichen Regulationen zunehmend außer Kraft. Löhne, Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen geraten in der Logik der neuen Akkumulationsweise massiv unter Druck. Breite Beteiligung am erarbeiteten gesellschaftlichen Reichtum – auch bei fortschreitenden sozialen Unterschieden – ist längst keine Option des politischen Handelns der wirtschaftlichen und politischen Elite mehr.
Mit Deregulierung und Privatisierung wird die Tendenz zur Stärkung der leistungslosen Einkommen verstärkt. Die Abwärtsspirale der Ökonomie dreht sich schneller. Nur ein grundlegender Politikwechsel mit einer breiten Beteiligung der Beschäftigten über die Verteilungsprozesse in der Wirtschaft kann einen Ausweg weisen. Es gilt die Demokratisierung aber auf die gesamten Verteilungsverhältnisse und die Kontrolle der Finanzmärkte zu erweitern. Die kapitalistische Gesellschaft kann und muss einer demokratischen Kontrolle und Steuerung unterworfen werden.
Es geht um ein komplexes Reformprogramm in kritischer Anknüpfung an die Vorzüge und Schwächen der untergehenden Lohnarbeitsgesellschaft. Eine Neuauflage der gescheiterten Konzeption Ludwig Erhards führt dabei nicht weiter.
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