Die Durchsetzungsrichtlinie zur europäischen Arbeitnehmerentsenderichtlinie ist eine neoliberale Mogelpackung
Von Frank Schmidt-Hullmann
Regeln für grenzüberschreitende Arbeitnehmerentsendung – eine unendliche Geschichte
In den letzten 15 Jahren hat die EU-Kommission im Bunde mit dem Europäischen Gerichtshof(EuGH) die konkreten Kontrollmöglichkeiten der Mitgliedsstaaten gegenüber Entsendefirmen, die ihre Beschäftigten grenzüberschreitend einsetzen, immer mehr eingeschränkt. Und selbst ihre Teilniederlage bei der Bolkesteinrichtlinie hat sie davon nicht abgebracht. Es gab den Versuch, mit einer „Entsendeleitlinie“ die Mitgliedstaaten einzuschüchtern. Es gab Vertragsverletzungsverfahren gegen einige Mitgliedstaaten, z.B. Luxemburg und Deutschland, immer mit dem Ziel, noch den unseriösesten Unternehmern freie Bahn bei der Ausbeutung von Entsendebeschäftigten zu verschaffen. Die Arbeitnehmerentsenderichtlinie, mit der die damalige Kommission vor fast 20 Jahren eigentlich den Schutz der Entsendearbeiter vor unlauteren Praktiken beabsichtigt hatte, wurde in ihr Gegenteil uminterpretiert. Nach neuer Lesart sollte sie nun die entsendenden Unternehmen vor den Zielländern schützen und das alles im Namen der „Europäischen Dienstleistungsfreiheit“.
Zwar sehen die entsprechenden Artikel der Europäischen Verträge immer noch vor, dass Dienstleistungsfreiheit nur darin besteht, in einem anderen Mitgliedstaat vorübergehend Dienstezu den dort geltenden Regeln zu erbringen, also nicht gegenüber dortigen Unternehmen diskriminiert zu werden, ohne aber Sonderrechte zu genießen. Aber der ebenfalls zum Binnenmarktfundamentalismus neigende Europäische Gerichtshof hat dies gegen den Wortlaut der Verträge in eine grundsätzliche Befreiung der Dienstleistungserbringung von den dort geltenden Regeln umgedeutet, es sei denn, die rechtlichen Regeln ließen sich besonders rechtfertigen.
Parallel dazu wurde aber in immer mehr EU-Mitgliedstaaten deutlich, dass viele Entsender ihren Geschäftszweck hauptsächlich darin haben, örtliche Mindeststandards zu unterlaufen und dadurch Arbeitskräfte zu Preisen zu liefern, die den Beschäftigten am Arbeitsort keine langfristige Lebensführung erlauben. Das funktioniert in der Regel nur bei Mindestlohnbetrug und Gruppenunterbringung sowie einem Verbleib der Familien im Heimatland.
Beispiele und Urteile
Entsendung von osteuropäischen Monteuren über Briefkastenfirmen in Zypern auf AKW-Baustellen in Frankreich und Finnland unter skandalösen Bedingungen, Gefährdung von Verkehrsteilnehmern durch übermüdete „entsandte“ LKW-Fahrer, immer mehr organisierte Scheinselbständigkeit zur Umgehung des Arbeits- und Sozialrechts, massenhafte Entsendung in Fleischfabriken – all dies hat dazu geführt, dass es inzwischen nicht mehr nur die Baugewerkschaften in Europa sind, die diese Zustände anprangern. Mit den EuGH-Urteilen in den Fällen Laval, Rüffert und Luxemburg wurden die Möglichkeiten der Zielländer zur Bekämpfung dieser Missbräuche dennoch weiter beschränkt.
Der politische Druck der Gewerkschaften, Europaabgeordneten und Regierungsstellen vieler Mitgliedstaaten auf die EU-Kommission führte bei der Wiederwahl des Kommissionspräsidenten Barroso 2009 dazu, dass er versprach, das Sozialdumping bei der Entsendung besser zu bekämpfen. Die von ihm damals angekündigten Richtlinien aber ließen auf sich warten. 2012 hat die Kommission nach vielen Terminverschiebungen den Entwurf einer so genannten Umsetzungsrichtlinie zur Arbeitnehmerentsenderichtlinie vorgelegt. Er soll der Missbrauchsbekämpfung bei der Entsendung dienen. Auf ihrer Webseite verkündete die Kommission stolz: „Kommission stärkt Schutz für entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“[1]. Leider ist das eine propagandistische Mogelpackung, denn trotz einiger guter Ansätze bei der grenzüberschreitenden Vollstreckung und gegenseitigen Information ist dieses Vorhaben ansonsten gründlich misslungen.
Was beinhaltet der Richtlinienentwurf und was bedeutet er für uns und die entsandten Beschäftigten?
Er würde das Kontrollsystem der Mitgliedstaaten gegenüber Entsendemissbräuchen und den Schutz entsandter Beschäftigter vor Betrug durch ihren Arbeitgeber weiter abschwächen. Das Sozialdumping würde durch diese Richtlinie gefördert statt bekämpft. Der Entwurf geht erheblich über die ohnehin schon fragwürdige EuGH-Rechtsprechung zur Einschränkung der Kontrollmöglichkeiten hinaus. Auch in Deutschland hätte die Neuregelung schwere Konsequenzen für die entsandten Beschäftigten, die Möglichkeiten der Kontrollbehörden und für die effektive Bekämpfung des Sozialdumpings im Rahmen von Werkverträgen. Der Entwurf greift zugunsten von Entsendefirmen und Auftraggebern massiv in das hier geltende Arbeitnehmerentsendegesetz ein, obwohl es in der aktuellen Fassung allen Vorgaben des Europäischen Gerichthofes entspricht.
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Im Gegensatz zur jetzigen europäischen und nationalen Rechtslage sieht der Entwurf vor, dass das Arbeitsland vom entsendenden Unternehmen nicht mehr die Benennung eines Zustellbevollmächtigten im Arbeitsland verlangen darf. Damit wird die Zustellung von Arbeitsschutzauflagen, Bußgeldbescheiden, Vorlageforderungen von Dokumenten usw. künstlich erschwert. Übersetzungen von fremdsprachigen Verträgen usw. darf das Arbeitsland nur noch verlangen, wenn die Dokumente standardisiert und nicht ungewöhnlich lang sind. Was macht ein Unternehmer mit Betrugsabsichten? Er bläht den Arbeitsvertrag einfach auf und schon kann der Kontrollbeamte nur noch rätseln, was das vierzehnseitige lettische Dokument bedeuten soll. Bis es übersetzt wird, ist der Unternehmer über alle Berge.
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Momentan haftet jede Firma, die Unteraufträge vergibt, in allen Mindestlohnbranchen in Deutschland unabhängig von ihrem Verschulden für die Nettolohnzahlung (und die Urlaubskassenbeiträge am Bau) für alle weiteren Unterauftragnehmer. In Zukunft soll sich das auftraggebende Unternehmen und jedes weitere Unternehmen in der Subunternehmerkette unter ihm darauf berufen können, es selbst habe die notwendige Sorgfalt angewendet, um nicht mehr zahlen zu müssen. Als Beweis soll dabei reichen, dass es sich irgendwelche, vom Subunternehmer fabrizierte „Beweise“ für die Lohnzahlung zeigen lässt. Diese „Beweise“ liegen zur Täuschung der Kontrollbehörden aber schon jetzt vor, indem z.B. von Arbeitern Blankounterschriften verlangt werden, auf die man dann angebliche Verträge, Zahlungsquittungen, Arbeitszeitnachweise usw. mit dem Computer aufdruckt oder indem sie leere Listen usw. unterschreiben müssen, die man dann passend ausfüllt. Die Neuregelung würde also in der Realität zum Gegenteil einer Auftraggeberhaftung führen. Dabei kommt sie schon heute ja nur dann zum Zug, wenn der Mindestlohn tatsächlich nicht gezahlt wurde, also die schöne Papierlage nicht stimmte. Die deutsche Regelung ist nach EuGH-Auffassung europarechtskonform. Wir haben durch sie Tausenden geprellten Entsendebeschäftigten zu ihren Löhnen verhelfen können. In all diesen Fällen wusste das Auftraggeberunternehmen trotz der gefälschten Lohnlisten usw. sehr genau, was mit den Arbeitern durch den Subunternehmer getrieben wurde. Denn es hatte Unteraufträge zu Arbeiterstundenverrechnungssätzen von 12-18 ¤ an Subunternehmer vergeben, obwohl auch ein Entsendeunternehmen aus Osteuropa mindestens ca. 26-27¤ pro Arbeiterstunde benötigt, um nur korrekt Steuer und SV im Herkunftsland und Umsatzsteuer, Mindestlohn und Urlaubskasse in Deutschland zu zahlen.
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Aber auch der Versuch des Entwurfs, Briefkastenfirmen und Scheinentsendungen durch genauere Definitionen besser zu bekämpfen, entpuppt sich als ein einziges Desaster: Der Entwurf unternimmt zwar den Versuch, genauer zu definieren, was ordnungsgemäße Entsendefirmen und entsandte Beschäftigte im Sinne der seit 1996 existierenden Arbeitnehmerentsenderichtlinie sein sollen. Die Rechtsfolge bei Verstößen dagegen bleibt aber völlig offen. Als ordnungsgemäß wird beispielsweise definiert, dass der Arbeitgeber die Unterkunft während der vorübergehenden Entsendung bezahlt. Hört sich gut an. Aber was passiert, wenn der Arbeitgeber die Unterkunft nicht zahlt, sondern die Kosten vom Lohn abzieht, wie dies bei Entsendefirmen gängig ist? Ist der Arbeiter dann kein Entsendearbeiter mehr und hat er dann möglicherweise auch keinen Anspruch mehr auf die Mindestlöhne des Arbeitslandes, wird er also doppelt bestraft? Gilt dann nur noch das Herkunftslandrecht? Darüber schweigt der Entwurf zwar, aber in der Begründung wird dazu auf die „Rom1“-Verordnung der EU verwiesen. Nach dieser würde in solchen Fällen in der Regel das Recht des Herkunftslandes gelten. Das berüchtigte Herkunftslandprinzip von Bolkestein käme also durch die Hintertür doch noch zum Zuge.
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Der Entwurf lässt sich so lesen, als könnten Kontrollen im Gastland künftig nur nach vorheriger Aufforderung durch das Sitzland des Unternehmens erfolgen. Das Ergebnis wäre verheerend. Kein einziges Land in der EU unternimmt nennenswerte Versuche, die Tätigkeit seiner eigenen Entsendefirmen und die Einhaltung der Mindeststandards des anderen Landes zugunsten der Beschäftigten wirksam zu kontrollieren. Im Gegenteil, selbst Sozialversicherungsdumping bei der Entsendung im Vergleich zu Tätigkeiten desselben Unternehmens im Inland wird von einigen Herkunftsländern durch Sonderregelungen oder systematisches Wegschauen ermöglicht, z.B. eine Beitragszahlung zum heimischen, niedrigsten Mindestlohn statt zum effektiv gezahlten Lohn, solange die Beschäftigten im Ausland eingesetzt werden. Das dient zwar der Exportbilanz, ist aber zum Schaden der Beschäftigten selbst. Sie bekommen nach ihrer Rückkehr niedrigeres Arbeitslosengeld und niedrigere Rente, als sie bei der gleichen Inlandstätigkeit bekommen hätten, und das trotz höherer Lohnzahlungen während der Entsendung.
Fazit
Durch diese Richtlinie droht im Vergleich zum keinesfalls befriedigenden Istzustand ein weiter verringerter Schutz für entsandte Beschäftigte und noch mehr Sozialdumping. Die kritischen Teile des Richtlinienentwurfs müssen vom Europäischen Parlament und vom Rat grundlegend überarbeitet werden. Der aktuelle Änderungsvorschlag der polnischen Berichterstatterin ist allerdings noch schlimmer als der Kommissionsentwurf. Bessere Änderungsanträge in die Gegenrichtung liegen im Parlament aber ebenfalls auf dem Tisch und werden von der Minderheit aus Sozialdemokraten, Grünen und Linken sowie einigen Christdemokraten aus Westeuropa und Deutschland unterstützt. Diese Kräfte müssen jetzt zusammenarbeiten und wir müssen massiven Druck machen, damit der Entwurf deutlich geändert wird. Gelingt dies nicht, muss das Vorhaben komplett abgelehnt werden. Dafür demonstrieren wir am 23.1.2013 europaweit in Brüssel unter dem Motto „Stoppt das Sozialdumping in Europa“.
[1] http://ec.europa.eu/social/main.jsp?langId=de&catId=471&newsId=1234&furtherNews=yes
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