Durchwursteln als politische Strategie - Die strategische Orientierung von CDU/CSU
Von Joachim Bischoff
Ende Juni werden die Unionsparteien ihr Wahlprogramm vorstellen. Nach einer parteiinternen Ankündigung von wesentlichen Punkten durch die CDU-Vorsitzende Angela Merkel ist der müde Wahlkampf belebt worden. Neben einer Untergrenze für Arbeitseinkommen und der weiteren Umsetzung der Energiewende wollen sich die Konservativen der Berliner Republik um einen Ausbau sozialer Leistungen kümmern.
Auf der Agenda steht die Erhöhung des Kindergeldes mit entsprechender Anhebung des Grundfreibetrags für Kinder auf das Niveau von Erwachsenen. Die Union kündigt ferner an, die Renten für Mütter aufstocken, eine Mietpreisbremse einführen und Milliarden Euro in den Straßen- und Schienenbau stecken zu wollen. Zugleich erteilt sie Steuererhöhungen eine kategorische Absage. Deutschland müsse ein unternehmerfreundliches Land sein, weil sonst eine Abwanderung von Firmen auch innerhalb der EU drohe. Merkel: »Ich sage ein klares Nein zu allen Steuererhöhungen.« Dies gelte besonders für die Besteuerung von Vermögen.
Sozialdemokraten und Grüne wittern neuen Wahlbetrug. Schon vor vier Jahren habe Merkel Milliarden Steuergeschenke versprochen – und nicht gehalten. Letztlich sorge diese Politik nur für Demokratieverdrossenheit.»2009 hat Frau Merkel den Wählern 20 Milliarden Euro Steuersenkung versprochen. Herausgekommen ist nichts außer der Mövenpick-Steuer zugunsten einer kleinen spendenfreudigen Gruppe«, poltert der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier. Im Chor kritisieren SPD, Grüne und LINKE: Mit ihren 28 Milliarden Euro teuren Wahlversprechen würden die Unionsparteien die WählerInnen für dumm zu verkaufen.
Dass Wahlkampf mit finanziellen Versprechungen betrieben wird, dürfte niemanden verwundern. Allerdings sind die Ausgabeneffekte für den Bundeshaushalt begrenzt: Die Energiewende zahlen die Verbraucher – mit Ausnahme der freigestellten energieintensiven Unternehmen. Die Mietpreisdeckelung hätten – würde sie überhaupt realisiert – die Eigentümer mit einer Schmälerung der Grundrente zu tragen. Und für eine Aufstockung sozialer Leistungen wird in die Kassen der Sozialversicherung – also der BeitragszahlerInnen – gegriffen. Die Austeritätskanzlerin Merkel sogleich zur »Schuldenkanzlerin« zu erklären, ist ein Fehlgriff in die rhetorische Mottenkiste.
Die Kanzlerin hat die politische Opposition auf dem falschen Fuß erwischt und sie insbesondere mit einem Kurswechsel in Sachen Mieterschutz verblüfft. Noch vor kurzem hatte die schwarz-gelbe Koalition jede Ausweitung desselben abgelehnt, jetzt redet auch die Union angesichts steigender Mieten von einer Mietpreisbremse. Wobei zwischen divergierenden Interessen offen bleibt, was letztlich umgesetzt wird: »Uns ist es wichtig, dass mehr bezahlbare Wohnungen gebaut werden, andererseits wollen wir gegen Mietwucher vorgehen«, sagt Angela Merkel. »Wir wollen in unserem Wahlprogramm festlegen, dass künftig auch bei Neuvermietung – also bei einem Mieterwechsel – die Miete nicht beliebig steigen kann.«
Neben der Opposition sehen sich auch Teile des herrschenden Lagers erneut düpiert. Für zwingend hält der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo, einschneidende »Strukturreformen«: »Wir brauchen im Grunde eine Agenda 2020«. Also fortgesetzte Umverteilung nach Oben und fortschreitende Deregulierung: »Wir sind im Moment relativ gut in Form. Und deshalb glauben viele Politiker offensichtlich, die Wirtschaft könne noch mehr schultern. Das ist aber ein Trugschluss«, erklärt der BDI. Doch mit dieser Absage an steigende Steuern und Sozialabgaben an Unternehmen liegt der BDI durchaus auf Merkels Seite. Deshalb wird die Kanzlerin auch kritische Stimmen aus ihrer eigenen Partei schnell zum Verstummen bringen.
Wie auf diversen europäischen Gipfeln lautet die Formel, mit der alle Interessen zusammengebunden werden: Deutschland brauche eine Mischung aus Haushaltskonsolidierung und wachstumsfördernder Politik. Trotz Schuldenbremse plädiert Merkel für eine Ausweitung von Investitionen und eine Erhöhung einzelner Transfereinkommen. Neue Investitionen seien möglich, »in welche Richtung auch immer«. Im Zentrum stehen dabei Verbesserungen des Straßenbaus und der öffentlichen Infrastruktur. Gleichzeitig erteilt die Kanzlerin neuen schuldenfinanzierten Konjunkturprogrammen im Zusammenhang mit der Euro-Schuldenkrise eine klare Absage. Und dann kommt nach Haushaltskonsolidierung und Wachstumsförderung der – dem BDI wird’s zusagen – dritte Schlüsselbegriff: Strukturreformen zur Wiederherstellung bzw. zum Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit. »Diesen Weg können wir keinem der Länder ersparen.«
Außerdem müsse die Stabilität der Finanzmärkte wiederhergestellt werden: »Wir müssen feststellen, dass das Vertrauen in die Solidität der europäischen Banken nicht ausreichend da ist.« Da macht es der deutschen Kanzlerin – selbst in jenen Tagen, in denen von Seiten des Bundesverfassungsgerichts ein weit reichendes Urteil über die Politik der Europäischen Zentralbank ansteht – auch nichts aus, die Geldpolitik ins Visier zu nehmen. Für steigende Zinsen sieht Angela Merkel demnach erst dann Chancen, wenn das Vertrauen in Europas Banken wiederhergestellt ist und die Strukturreformen in den EU-Staaten greifen. »Je weniger neue Schulden entstehen, desto mehr Raum ist für Kreditvergaben an Unternehmen«.
Merkels Logik: Wo »Strukturreformen« zügig umgesetzt und Staatsschulden abgebaut werden, sei keine Politik des »quantitative easing« von Seiten der EZB mehr erforderlich und »dann werden auch die Zinsen wieder steigen. Dann wird man wieder zu einem Zinsniveau kommen können, das für die Sparer besser ist als das heute.«
Nimmt man die Logik der Forderungen der Union zusammen, dann ist die politische Aufregung nicht nachvollziehbar. Sie bleibt bei ihren Kurs und stellt dabei einige sozialpolitische Maßnahmen etwas mehr in den Vordergrund. Nicht nur mit Blick auf die SPD, sondern auch auf die FDP, die damit ihre Existenzberechtigung weiterhin als Ausgaben bremsender Koalitionspartner unter Beweis stellen kann.
Es ist einigermaßen töricht, wenn die Sozialdemokratie hier von einem Wildern im eigenen Programmvorrat spricht. Dass die Union Forderungen nach Mindestlöhnen und Obergrenzen für Mietsteigerungen übernimmt, ist auch Anpassung an veränderte gesellschaftliche Verhältnisse. Die Opposition könnte statt dem wenig überzeugenden Argument vom Programm-Klau deutlich die Fortführung der bisherigen Politik der Umverteilung von Unten nach Oben angreifen.
Zu geringe Lohnuntergrenzen und Begrenzung der Mietpreissteigerungen sind wahrlich keine durchgreifenden Veränderungen. Selbst bei weitgehender Umsetzung würde sich die Tendenz zur sozialen Spaltung in der Bevölkerung fortsetzen. Und ob mit diesem »weiter so« die grundlegenden Widersprüche in der Europafrage wirklich bewegt werden können, ist mehr als zweifelhaft. Wir sehen also keine Wilderung im Programmvorrat der Sozialdemokratie, sondern eine rot-grüne Opposition, die ihre gesellschaftspolitische Alternative nicht verdeutlichen kann.
Immer noch profitieren die Kanzlerin, die Unionsparteien CDU/CSU und selbst die FDP von den relativ günstigen ökonomischen Rahmenbedingungen (stagnierende Wirtschaft, aber entspannter Arbeitsmarkt im Vergleich zum Gros der EU-Mitgliedstaaten). Die weitere Zuspitzung der europäischen Schuldenkrise und eine Abschwächung der Konjunktur scheinen offenkundig bis in den Herbst vertagt. Das Schuldenmanagement der Bundeskanzlerin ist ungebrochen. Die Unionsparteien verfügen über kein auf soziale Inklusion gerichtetes Zukunftsprojekt für Deutschland und Europa.
Die strategische Orientierung der Union lautet: Mit dem aktuellen Krisenmanagement und der Bundeskanzlerin kommt dieses Land durch die Krise, die noch einige Jahre anhalten wird. »Europa befindet sich in einer sehr ernsten Lage«, so Merkel. Die Probleme seien nicht »in ein, zwei Jahren zu lösen«. Den einen großen Befreiungsschlag in der Euro-Krise gäbe es nicht. »Deshalb müssen wir auch weiter schrittweise vorgehen«. Die Losung heißt durchwursteln. In diesem Sinne verteidigt der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) das Wahlkampfkonzept der Union: »Die Kanzlerin klaut niemand irgendetwas, geschweige denn Themen«, sondern greife nur Themen aus der Gesellschaft auf. »Das ärgert dann die SPD.«
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