Von der Werkbank in die Gruft - Rente mit 69
Von Daniel Bratanovic
Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft fordert kontinuierliche Erhöhung des Eintrittsalters
Die anwesenden Damen und Herren »Arbeitgeber« sahen sich bei der Vorstellung bestätigt. Arbeiten bis 67 reicht längst nicht mehr aus. Die Rente mit 69 Jahren könne »einen deutlichen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung des Rentensystems leisten«. Dies verkündete die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) am Dienstag in Berlin. Die von dem Interessenverband Gesamtmetall gegründete Lobbyorganisation hatte eine Studie bestellt, die das gewünschte Ergebnis lieferte. Auftragsarbeit, wie sie sein soll. Angefertigt hatten die Studie »Demografie und Rente« das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Zusammenarbeit mit Reinhold Schnabel von der Universität Duisburg-Essen.
Schnabel und Ronald Bachmann vom RWI erläuterten entlang verschiedener Szenarien die Entwicklung des Rentenniveaus und der Beitragssätze bis ins Jahr 2050. Unabhängig davon, welches Szenario zugrunde gelegt wurde, der Trend blieb stets derselbe. Die Beiträge steigen, das Rentenniveau sinkt. Verantwortlich für diesen Prozeß zeichne keineswegs die Lohnhöhe, sondern einzig die demographische Entwicklung in der BRD, sagte Bachmann. Die Tatsachen scheinen für die Wirtschaftsforscher zu sprechen. Bei einer niedriger werdenden Geburtenrate und gleichzeitig wachsender Lebenserwartung zahlen weniger Lohnabhängige in die Rentenkasse, deren Gelder immer mehr Rentner beanspruchen. Präsentiert wurde diese Angelegenheit wie ein unumstößliches Naturgesetz, bei dem das Modell einer Rente mit 69 die günstigste Perspektive bot.
Es blieb Wolfgang Clement vorbehalten, aus diesen Ergebnissen die entsprechenden politischen Schlußfolgerungen abzuleiten. Der ehemalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident und jetzige Kuratoriumsvorsitzende der INSM machte deutlich, daß die Lobbygruppe der »Arbeitgeber« das Ende der Fahnenstange bei einem Renteneintrittsalter von 69 Jahren längst noch nicht erreicht sieht. Dieses sei »kontinuierlich mittels eines Automatismus an die steigende Lebenserwartung anzupassen«, forderte er. So könne ein Teil der hinzugewonnenen Lebensjahre aktiv am Arbeitsmarkt verbracht werden. »Viele Ältere wollen das auch so«, behauptete Clement.
»Enttäuscht« gab sich der Lobbymann darüber, daß die von der Studie präsentierten »Tatsachen« von den Parteien nicht zur Kenntnis genommen würden und statt dessen einen Wahlkampf wie in den 90er Jahren führten. Und »empört« darüber, daß die Regierungen Rentenzuschläge ausschütteten, statt in Kindergärten, Schulen und Hochschulen zu investieren. Das Problem der Altersarmut wurde kurzerhand zum Gespenst erklärt, das die Medien erzeugten. Dabei sei es »alles andere als ausgemacht, daß die Altersarmut wachsen wird«, gab sich Schnabel überzeugt.
Den Widerspruch zwischen wachsendem gesellschaftlichen Reichtum einerseits und einer längeren Arbeitszeit bei niedrigeren Renten andererseits zuzugeben, liegt nicht im Interesse der vom INSM vertretenen Unternehmen. Zu erwarten stehen mediale Kampagnen und Einflußnahme bei den Parteien zugunsten einer Rente mit 69, 71, 73 etc.
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