Fluthilfe-Fonds nicht deckeln
Rede von Katja Kipping zur Sondersitzung im Bundestag
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
So manchem Betrieb steht nach dem Hochwasser nun finanziell das Wasser bis zum Hals. So manches landwirtschaftliche Unternehmen ist existenziell gefährdet. Auch Hoteliers und Gastronomen sind betroffen. Viele Menschen haben während der Flut ihr Hab und Gut verloren. Diese Menschen brauchen nun Hilfe, und zwar unbürokratisch und schnell. Da werden wir die Bundesregierung beim Wort nehmen.
(Beifall bei der LINKEN)
Noch ist das Ausmaß der Schäden nicht in Gänze abzuschätzen. Jetzt die Höhe des Fluthilfefonds definitiv auf 8 Milliarden Euro zu begrenzen, heißt, einen Deckel einzuziehen, wo eigentlich kein Deckel hingehört. 2002 betrug das Volumen des Hilfefonds 10 Milliarden Euro. Ich meine, zu gegebener Zeit wird man die Höhe des Fluthilfefonds noch einmal überprüfen müssen.
Herr Döring, in einer solchen Situation ideologische Gesänge des Sparens und ideologische Gesänge für ein Verbot zur Aufnahme von Krediten anzustimmen, so wie Sie das hier gemacht haben, finde ich zutiefst unangemessen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Patrick Döring [FDP]: Ich war selten so unideologisch!)
- Wenn das bei Ihnen unideologisch ist, dann will ich nicht wissen, was dabei herauskommt, wenn Sie so richtig ideologisch werden.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich habe mich mit Menschen unterhalten, die von der Flut direkt betroffen sind, und dabei so manchen guten Hinweis bekommen. Ich möchte nur einen nennen. Viele Menschen und Unternehmen, die innerhalb weniger Jahre zum wiederholten Male vom Hochwasser betroffen sind, wollen aus den direkt gefährdeten Gebieten wegziehen. Aber sie wollen eben in der Region bleiben.
Diesen Menschen muss man jetzt Unterstützung anbieten, sei es durch die Ausweisung von neuen Gewerbegebieten, sei es in Form einer Entschädigung, um ihnen einen Neuanfang in der Region zu ermöglichen. Das ist eine wichtige Voraussetzung, damit die Menschen aus den besonders gefährdeten Gebieten wegziehen, aber in der Region bleiben können.
(Beifall bei der LINKEN)
Bei den vom Hochwasser Betroffenen sollte unser besonderes Augenmerk denen gelten, die ohnehin wenig haben, also Menschen, die kein Auto haben, um einfach wegzufahren, Menschen, die sich eben nicht für die Zeit der Flut ein Hotelzimmer leisten können, oder Menschen, die keine Verwandten haben, bei denen sie für einige Tage unterkommen können. Eine Kollegin aus Grimma hat mir erzählt, dass es zum Beispiel Flutopfer gab, die bis zu einer Woche in einer Notunterkunft in einer Turnhalle leben mussten, und zwar in dem Wissen, dass all ihr Hab und Gut währenddessen durch das Hochwasser zerstört wird.
Insofern hat mich eine Geschichte besonders berührt. Eine sächsische Oberbürgermeisterin erzählte mir von einer recht armen Familie, die alle Materialien für die Schuleinführung ihrer Tochter im Keller gelagert hatte, und vom Ranzen bis zum Schreibheft war alles dem Hochwasser zum Opfer gefallen. Die Oberbürgermeisterin wollte nun bei der Neuanschaffung von Schulheften helfen, und sie sagte zu mir: Aber bei Geldspenden müssen wir davon ausgehen, dass das sofort auf die Sozialleistungen angerechnet wird.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist falsch!)
Deswegen mussten wir einen Gutschein für einen Schreibwarenladen organisieren. Der örtliche Schreibwarenladen war aber auch von der Flut betroffen.
(Widerspruch bei der CDU/CSU und FDP)
– Ja, zum Glück hat sich inzwischen herumgesprochen, dass Fluthilfe und Spendengelder nicht auf Sozialleistungen angerechnet werden müssen.
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aber erst mal behaupten Sie das!)
Aber es gibt bisher keine verbindliche Verordnung. Deswegen fordere ich in diesem Zusammenhang die Regierung auf: Sorgen Sie mit einer Verordnung dafür, dass es hier verbindliche Sicherheit gibt! Die Fluthilfe darf nicht auf Hartz IV angerechnet werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Nur ein kleiner Teil der Schäden ist versichert. Ich habe mit Interesse wahrgenommen, dass sich die Bundesregierung in einer Vorlage ganz klar gegen eine allgemeine Pflichtversicherung ausspricht. Darin heißt es: Das zu geringe Bewusstsein in der Bevölkerung soll durch Kampagnen geschärft werden. – Glauben Sie denn ernsthaft, dass das zu geringe Bewusstsein in der Bevölkerung das Problem ist? Allein in Sachsen gibt es 17 000 Wohngebäude, die als nicht versicherbar gelten.
Deswegen lautet eine zentrale Erkenntnis der letzten Wochen: Wir müssen ran an die Versicherungsgesetze.
(Beifall bei der LINKEN)
Es kann nicht sein, dass sich die Versicherungen einfach die Rosinen herauspicken. Wir brauchen eine allgemeine öffentliche Versicherung gegen Elementarschäden.
Wenn wir jetzt über das Hochwasser sprechen, dann geht es natürlich zuallererst um schnelle Hilfe. Aber es geht auch um die Frage, wie wir in Zukunft solche großen Schäden vermeiden können. Beim Hochwasserschutz geht es nicht nur um das Bauen von Mauern und um mobile Schutzwände. Sie können kurzfristig helfen, aber sie bringen auch Probleme mit sich. In meiner Heimatstadt Dresden zum Beispiel konnte durch mobile Wände größerer Schaden verhindert werden. Im Ergebnis hat das aber die Fließgeschwindigkeit der Elbe erhöht, und andere Städte wie Magdeburg, die weiter nördlich liegen, waren dann deutlich stärker betroffen.
Deswegen steht für uns als Linke eines ganz klar fest: Allein auf technischen Hochwasserschutz zu setzen, reicht nicht aus. Nachhaltiger Hochwasserschutz bedeutet nämlich vor allem eins: Wir brauchen Platz, damit Regenwasser versickern kann, und es braucht natürlichen Überflutungsraum.
(Beifall bei der LINKEN)
Nach der Flut 2002 hat beispielsweise eine von der sächsischen Staatsregierung eingesetzte Expertenkommission die Empfehlung gegeben, allein in Sachsen 7 500 Hektar natürliche Überschwemmungsfläche zu schaffen. In den letzten zehn Jahren hat das von der CDU regierte Sachsen gerade einmal 111 Hektar Überflutungsfläche geschaffen. Wenn wir so kleckern, dann
werden wir den drohenden Gefahren von Hochwasser wahrlich nicht gerecht.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, wir leben in einer Zeit, in der extreme Wetterlagen zunehmen und Jahrhunderthochwasser zu Jahrzehnthochwassern werden. Das ist auch eine Folge von globaler Erwärmung, und die ist von Menschen gemacht. Klimaschutz und die Reduktion von CO2 galten lange Zeit als ein Thema allein für Ökos oder, uncharmant ausgedrückt, für Körnerfresser. Ich denke, inzwischen kann niemand mehr die Augen vor der folgenden Tatsache verschließen: Wer beim Klimaschutz und beim nachhaltigen Hochwasserschutz spart, bekommt eine Rechnung präsentiert, die unbezahlbar ist. Klimaschutz und nachhaltiger Hochwasserschutz sind von enormer Bedeutung für uns alle. Deswegen dürfen sie nicht auf dem Altar von Profitinteressen geopfert werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Abschließend möchte ich mich auch im Namen der Linken bei allen Helferinnen und Helfern bedanken, den hauptamtlichen wie auch den ehrenamtlichen, sowie dem Technischen Hilfswerk. Ihrem selbstlosen Einsatz ist es zu verdanken, dass sich die Schäden in Grenzen gehalten haben. Ihr Einsatz war praktizierte Solidarität. Sie, die jenseits der Kameras und jenseits der medialen Öffentlichkeit geschuftet haben, sind die wahren Heldinnen und Helden der Fluthilfe. Ihnen gehört unser Dank.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
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