Ein Ideologischer Kreuzzug und seine Folgen - US-Streit befördert eine weltweit neue Rezession
Von Joachim Bischoff
Die US-Regierung und der Internationale Währungsfonds (IWF) haben vor schweren weltwirtschaftlichen Folgen des Streits um die öffentlichen Finanzen in den USA gewarnt. Sollte der Kongress die bisherige Schuldengrenze nicht rechtzeitig erhöhen, könnte es zur größten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg kommen, also die Wirtschaftskrise, die uns seit 2007/08 in unterschiedlichen Formen beherrscht, erneut massiv verschärfen. »Die ganze Welt würde Probleme bekommen«, warnte US-Präsident Barack Obama. »Wenn wir das vermasseln, vermasseln wir es für jeden.«
Obama wirft den Republikanern im Repräsentantenhaus vor, einen »ideologischen Kreuzzug« gegen die Gesundheitsreform zu führen und deshalb die Verwaltung des Landes zum Erliegen gebracht zu haben. Obamas Gesundheitsreform war 2010 nach zähen Auseinandersetzungen verabschiedet worden. Sie beinhaltet eine Pflicht für einen Großteil der 310 Millionen US-Bürger, zum 1. Januar 2014 eine Krankenversicherung abzuschließen.
Erstmals dürfen Versicherungen Menschen mit bereits bekannten Erkrankungen nicht mehr abweisen. Der rechte Flügel der Republikaner sieht in dem Gesetz einen Einschnitt in »Freiheitsrechte« und behauptet, dass das Gesetz schlecht für die Wirtschaft sei. Der Streit um die Gesundheitsreform bestimmt in letzter Zeit mehr und mehr die Haushaltsberatungen und die Pläne zur Sanierung der öffentlichen Finanzen.
Republikaner und Demokraten sind seit längerem in einen erbitterten Streit um den US-Haushalt verstrickt, der eingebaut ist in einen Konflikt um die Anhebung der Schuldengrenze. Grob lässt sich der Konflikt in folgende Etappen auseinander nehmen,
Erstens: Zum Jahresende 2012 drohte das Land über eine »Fiskal Clip« zu gehen, was die US-Ökonomie und die Weltwirtschaft aus der leichten Erholungsbahn hinauskatapultiert hätte. Für den Fall, dass keine Einigung über den Etat zustande gekommen wäre, wären automatisch Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen in Kraft getreten sowie mehrere bereits beschlossene Steuererleichterungen ausgelaufen. Die Steuerbelastung wäre um rund 536 Milliarden Dollar (406 Milliarden Euro) gestiegen. Außerdem waren Ausgabenkürzungen um rund 110 Milliarden Dollar (83 Milliarden Euro) programmiert: je zur Hälfte bei der Armee und beim Gros der Bundesbehörden.
Zweitens: Eine solche Kombination aus Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen könnte die USA nach Einschätzung vieler Wirtschaftsexperten in eine Rezession hineintreiben. Diese Bewertung war die Grundlage für einen Kompromiss und die Verabschiedung eines Übergangsetats. Die Steuererhöhungen wurden reduziert und die Begünstigung für die höheren Einkommen zurückgenommen; eine von den Demokraten gewünschte deutliche Erhöhung der Tarife für höhere Einkommen kam nicht zustande. Über die Ausgabenkürzungen wurde weiterverhandelt. Weil keine Einigung zustande kam, traten automatische Haushaltskürzungen in Höhe von 85 Milliarden Dollar pro Jahr in Kraft.
Drittens: Auf der Grundlage dieser Maßnahmen sollte Washingtons Defizit im Fiskaljahr 2013 von 6,9% auf 4,5% des Bruttoinlandprodukts (BIP) sinken. Selbst dem IWF schien diese Sanierung der öffentlichen Finanzen überzogen, war doch der Preis, dass sich das Wirtschaftswachstum rechnerisch um bis zu 1¾ Prozentpunkte verringerte. Die Ausgaben des Bundesstaates werden nominal von 3,60 Billionen Dollar 2011 auf voraussichtlich 3,46 Billionen im Fiskaljahr 2013 (per Ende September) sinken. Das Defizit wird bei 4% des BIP zu liegen kommen, nachdem es 2009 noch bei 10% lag. Das Ziel einer Stabilisierung der Schuldenstandsquote bis 2016 werden die USA nicht einhalten. So lag diese Kennzahl 2010 für den Bund (also ohne Gliedstaaten und Kommunen) bei 63%. Das Budgetbüro des Kongresses schätzt, dass es bis 2016auf73% ansteigen wird. Vor der Krise 2007 hatte die Quote erst bei 35% gelegen.
Viertens: Am 1. Oktober 2013 begann ein neues Haushaltsjahr. Der Streit um die Sanierung der öffentlichen Finanzen nahm erneut an Schärfe zu. Ein Etat für das Fiskaljahr konnte nicht verabschiedet werden, weil insbesondere der rechte Flügel der Republikaner um die Tea Party die Verschiebung der Gesundheitsreform um ein Jahr zur Bedingung machte. Die Folge war der »shut down« mit der Schließung weiter Bereiche der Bundesverwaltung. Rund 800.000 öffentlich Beschäftigte wurden in Zwangsurlaub geschickt. Einsparungseffekte sind damit nicht verbunden. Im Winter 1995/1996, als Präsident Clinton mit den Republikanern um ein Budget rang, blieb die Verwaltung 26 Tage geschlossen, was zwei Milliarden Dollar Mehrkosten verursachte, weil die Ausfalltage letztlich als Arbeitszeit vergütet wurden.
Unternehmen, Banken und Finanzmärkte haben auf die politische Blockade bislang gelassen reagiert, weil davon ausgegangen wird, dass der »shut down« schnell zu einem Ende kommen und kaum eine Spur in der Konjunkturhinterlassen werde. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass jede Woche der Schließung das Wirtschaftswachstum um etwas mehr als einen Zehntelprozentpunkt vermindert. Wenn nach wenigen Wochen diese Blockade aufgehoben wäre, würde sich der Schaden in Grenzen halten.
Fünftens: Doch der Konflikt um den Bundeshaushalt ist in einen weit größeren eingebettet. Die derzeitige Schuldenobergrenze für den Bundesstaat ist am 17. Oktober definitiv ausgereizt. Dann gehen dem Staat laut Finanzminister Jack Lew die liquiden Mittel aus, sodass die Bundesadministration dann ohne die Aufnahme neuer Kredite zahlungsunfähig sein wird. Es droht damit wie schon vor zwei Jahren der technische Konkurs. Der Regierungsapparat wird lahm gelegt, wenn der Kongress nicht die gesetzliche Verschuldungsgrenze von 16,7 Billionen Dollar erhöht. Geschieht dies nicht, wäre der Bund nicht länger in der Lage, seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern nachzukommen.
»Wenn es eine Situation gibt, in der eine Fraktion bereit ist, den USA den Bankrott zu bringen, dann haben wir ein Problem«, sagt Obama. In der Tat sind die Vereinigten Staaten seit längerem durch einen tiefgehenden politischen Konflikt zwischen den Parteien blockiert. Auch aktuell – wenige Tage nach dem »shut down« zeichnet sich kein Ausweg ab. Die Demokraten wollen eine zumindest in Ansätzen sozial moderierte Sanierung der öffentlichen Finanzen.
Die Republikaner – mindestens der rechte Flügel – sehen die Entwicklung als Zerstörung der kapitalistischen Marktwirtschaft. Symbol dafür ist aus ihrer Sicht die Gesundheitsreform. Ihre Begründung: In den Wahlen vom vergangenen November 2012 hätten sie den Auftrag vom Wahlvolk erhalten, die Gesundheitsreform zu verhindern. Auf der Welle der Tea-Party-Bewegung gelangten vor drei Jahren einige Dutzend Republikaner ins Repräsentantenhaus, die sich dem Kampf gegen die Ausweitung des Sozialstaats verschrieben haben.
Kommt es zur Blockade bei der Erhöhung der Schuldenaufnahme, wären die Folgen nicht nur weitere Turbulenzen auf den Finanzmärkten und eine deutliche Beschädigung der Konjunktur. Der Versuch der Republikaner, die Bundesverwaltung in Geiselhaft zu nehmen, läuft aufeine Erpressung hinaus, die eine massive Beschädigung der politischen Willensbildung und des politischen Systems einschließt.
Solange sich der US-Kongress nicht auf einen Haushalt einigen kann, ist unklar, in welche Richtung sich die weltgrößte Volkswirtschaft entwickelt. Die USA geben für die globale Konjunktur noch immer den Takt an. Die Weltwirtschaft erholt sich nur langsam von der Finanzkrise. Die Erholung in den USA ist schleppend – eine fragile Aufwärtstendenz.
Angesichts der massiven Einkommensunterschiede ist Anfang des Jahres mit einem ersten Schritt eine Erhöhung der Steuern für Bezüger hoher Einkommen erreicht worden. Dieser zaghafte Schritt wurde ergänzt durch den Wegfall von Steuerprivilegien. Gleichzeitig haben sich im »Sequester« die »diskretionären« Ausgaben in den letzten Jahren um 10% verringert. Das sind Ausgaben, die jährlich autorisiert werden müssen, etwa für das Gerichtswesen, die Bildung, Forschung oder Infrastruktur.
Sie machen aber nur ein Drittel des Gesamtetats aus. Schließlich konnte durch Notenbankpolitik und staatliche Intervention eine Stabilisierung des Immobilen- und Häusermarktes erreicht werden; die staatlich kontrollierten Hypothekenfinanzierer Freddie Mac und Fannie Mae haben erstmals 2013 100 Milliarden Dollar an das Finanzministerium von ihren Zuschüssen zurückbezahlen können.
Ohne die fragile und widersprüchliche Entwicklung in den zurückliegenden Jahren schön reden zu wollen: Es zeigt sich, dass es eine Alternative zu einer Austeritätspolitik gibt. Mit einer nachhaltigen, kräftigen Wirtschaftsbelebung kann die Arbeitslosigkeit reduziert werden, die soziale Sicherung, Bildung und Gesundheitsversorgung ausgebaut werden. Und mit entsprechenden Eingriffen in die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums erreicht man auch einen Pfad zur Sanierung von Staatsfinanzen.
Die Alternative zu langjährigen Kürzungsprogrammen ist: Der amerikanische Staat müsste Hunderttausende neue Staatsbedienstete einstellen und ein großes Konjunkturprogramm auflegen. Die einsetzenden Wachstumsimpulse könnten durch Ausbau des Sozialstaates und höhere Steuern für Reiche verstärkt werden. Und: Ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum würde zugleich die Basis für eine Sanierung der öffentlichen Finanzen eröffnen.
Das große Problem jedoch besteht darin, dass die Politik – verstrickt in einen ideologischen Kreuzzug – die eigentlichen Ursachen der Finanz- und Staatsschuldenkrisen nicht erkannt hat und die angedeutete Alternativen nicht zum Tragen kommen wird.
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