Schluss mit der halben Demokratie
Von Heinz-J. Bontrup
In Deutschland gibt es keine wirtschaftliche Mitbestimmung der Beschäftigten in den Unternehmen. Das Betriebsverfassungsgesetz erlaubt nur die Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten. Mitentscheidungsrechte in wirtschaftlichen Angelegenheiten sind hier Fehlanzeige. Auch nicht im unternehmensbezogenen Mitbestimmungsgesetz von 1976 und schon gar nicht im Drittelbeteiligungsgesetz von 2004, das für kleinere Firmen gilt, liegt eine tatsächliche demokratische Mitbestimmung vor. Immer hat das Kapital das Letztentscheidungsrecht, wenn es unter anderem um Investitionen, Fusionen, Unternehmensorganisationen, Entlassungen oder auch um die Gewinnverwendung geht.
Nur im Montanmitbestimmungsgesetz von 1951, beschränkt auf die Wirtschaftssektoren Kohle und Stahl, herrscht eine qualitative (echte) Parität zwischen Kapital und Arbeit. Weder die Kapitaleigner noch die Mitbestimmungsvertreter der Beschäftigten können hier alleine die notwendigen wirtschaftlichen Entscheidungen in den Unternehmen treffen. Eine auftretende Pattsituation der numerisch gleich stark besetzten Arbeitnehmer-und Kapitalbank wird von einer neutralen Person im Aufsichtsrat aufgelöst beziehungsweise diese entscheidet dann endgültig für die Kontrahenten. Dies ist die einzige wirklich demokratische Mitbestimmungsform in Deutschland. Sie gilt aber aufgrund des stark geschrumpften Bergbaus und der Stahlindustrie nur für rund 0,2 Prozent aller abhängig Beschäftigten.
Daher wird es höchste Zeit, endlich die parlamentarische Demokratie durch eine Wirtschaftsdemokratie in den Unternehmen zu ergänzen. Demokratie darf nicht am Fabriktor enden. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Das Kapital ist zu seiner Verwertung in den Unternehmen auf die Arbeit der Menschen uneingeschränkt angewiesen. In jedem Produktionsprozess kommen, neben einem Naturgebrauch, immer zwei Inputfaktoren zum Einsatz –lebendige Arbeit und totes Kapital. Mit nur einem dieser Faktoren ist kein Output möglich. Kapital (Maschinen und Gebäude) schafft ohne den Menschen keine Wertschöpfung.
Wenn dies ein unbestreitbares ökonomisches Gesetz ist, warum haben dann aber nur die Kapitalgeber und ihre Manager in den Unternehmen das Sagen? Außerdem ist es in einer Demokratie nicht akzeptabel, dass wenige Kapitaleigner unkontrollierte autokratische Macht über Millionen von Menschenausüben und diese damit zu Handlungen zwingen, die sie ohne diese Kapitalmacht nicht akzeptieren würden. Und ebenso wenig ist es hinzunehmen, dass der Mensch weiter vom Kapital und seiner eigentumsimmanenten Verfügungsgewalt die Rolle eines ausschließlichen Kostenfaktors zugewiesen bekommt.
Zu Recht hat daher die Bundestagsfraktion der SPD in der letzten Legislaturperiode eine rechtliche und wirtschaftliche Gleichstellung zwischen Kapital und Arbeit als „echte Parität“im Sinne des Montanmitbestimmungsgesetzes für alle Kapitalgesellschaften ab 1000 Beschäftigte in Deutschland eingefordert. Sie hat außerdem vom Bundestag verlangt, er möge ein Mitbestimmungsgesetz verabschieden, das die deutsche Mitbestimmung gesetzlich auch auf Unternehmen ausländischer Rechtsformen mit Verwaltungssitz oder Zweitniederlassung in Deutschland zur Anwendung bringt. Zusätzlich sollte ein gesetzlicher Mindestkatalog für zustimmungsbedürftige Geschäfte im Aufsichtsrat festgelegt werden.
Damals scheiterte die SPD an der Stimmenmehrheit der mitbestimmungsfeindlichen Regierung aus CDU/CSU und FDP im Bundestag. Ihnen widersprach die SPD in der vergangenen Legislaturperiode in ihrem Gesetzesantrag vehement. „Wir brauchen mehr demokratische Teilhabe von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmernin Unternehmen.“
Weiter heißt es dort: „Deutschland ist das einzige Land in der Europäischen Union, in dem die Reallöhne im Durchschnitt nicht gestiegen sind, sondern seit bald zwei Jahrzehnten stagnieren. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden demnach in Deutschland am wachsenden Wohlstand real nicht mehr beteiligt. Dieser Umstand spiegelt sich auch in der historisch niedrigen Lohnquote und der steigenden Armut wider. Mit ursächlich hierfür ist das Shareholder-Value-Prinzip, das einzig und allein das Eigentümerinteresse nach raschen und hohen Profiten in den Mittelpunkt des unternehmerischen Wirtschaftens stellt. Umso wichtiger ist eine Weiterentwicklung und Stärkung der Mitbestimmung als Lehre aus der Krise.“
Da kann man nur sagen: Alles richtig. Und jetzt? Weder im Wahlkampf noch in den Koalitionsverhandlungen spielte der Ausbau der Mitbestimmung aufseiten der SPD auch nur die geringste Rolle. Offensichtlich leidet hier die SPD, zumindest ihre Spitze, unter Gedächnisschwund. Daher sollten die Gewerkschaften die SPD, die jetzt in der Regierungsverantwortung steht, schnellstens an den Gesetzesantrag zur Mitbestimmung aus der vergangenen Legislaturperiode mit Nachdruck erinnern.
Die nur „halbe“Demokratie muss in Deutschland beendet werden. Wirtschaftsdemokratie gehört endlich auf die Tagesordnung des Parlaments gesetzt.
Zuerst erschienen in: Frankfurter Rundschau
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