"Zu den Waffen greifen" - Gauck fordert Ende der "Zurückhaltung"
Von Otto König und Richard Detje
Vier Monate nach seiner Rede auf der 50. Münchner Sicherheitskonferenz verlangt Bundespräsident Joachim Gauck erneut mehr militärisches Engagement. Am 31. Januar hatte er in der bayrischen Landeshauptstadt gefordert, Deutschland solle sich »früher, entschiedener und substanzieller einbringen.«
Er hatte das Wort vermieden, aber seine Zuhörer – knapp 20 Staats- und Regierungschefs sowie über 50 Außen- und Verteidigungsminister aus aller Welt – hatten verstanden: Er sprach von Kriegseinsätzen.
Nun, Mitte Juni, am Ende eines Staatsbesuchs in Norwegen, plädiert der ehemalige evangelische Pastor aus Rostock, der in der DDR »Schwerter zu Pflugscharen« machen wollte, ein weiteres Mal dafür, dass sich Deutschland kräftiger in die Weltpolitik einmischen müsse, wobei es im »Kampf für Menschenrechte« unter Umständen erforderlich sei, »auch zu den Waffen zu greifen«, und »als letztes Mittel ... den Einsatz militärischer Mittel nicht von vornherein zu verwerfen«.[1]
Was meint der Mann mit »kräftiger«? Gegenwärtig befinden sich rund 4.600 deutsche Soldaten in 15 Einsatzgebieten im Ausland – von Nordafrika bis Zentralasien. Und was Rüstungsgüter anbelangt ist die deutsche Exportnation eine der führenden Lieferanten – auch an Staaten wie Saudi Arabien, die sich profilieren mit Ignoranz gegenüber Menschenrechten. Um diese geht es doch bestenfalls als Legitimationsargument – von Vietnam, über Jugoslawien, Irak und Afghanistan bis Libyen. Waffen als ultima ratio sind allzu oft das Gegenteil einer Lösung.
»Unser Land sollte eine Zurückhaltung, die in vergangenen Jahrzehnten geboten war, vielleicht ablegen zugunsten einer größeren Wahrnehmung von Verantwortung«, betonte Gauck in dem Interview. Das ist angesichts von zwei Weltkriegen, in denen Millionen Menschen starben und halb Europa in Schutt und Asche gelegt wurde, eine zutiefst ahistorische Argumentation.
Oder präziser: eine Argumentation, die Geschichtsrevisionismus im Kontext einer Neudefinition deutscher Außen- und Sicherheitspolitik betreibt. Die Deutungsdiskurse 100 Jahre nach »Ausbruch« Erstens Weltkrieges gehören dazu. Dabei sind konkurrierende Strategien in der politischen Klasse virulent: eine Neudefinition der deutschen Außenpolitik zusammen mit Frankreich steht neben Strategien traditioneller Atlantiker und neu-alter Kalter Krieger.
Gauck, von der SPD ins Präsidentenamt gehievt, erweist sich zunehmend »als nützlicher Gehilfe einer konservativen Deutungselite« (Albrecht von Lucke), die um Überzeugungen und Mehrheiten erst noch ringen muss.
Widerspenstigkeit gegen militärische Einsätze belegt eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes TNS Infratest im Auftrag der Hamburger Körber Stiftung, die im April und Mai durchgeführt wurde: Rund 60% der Bevölkerung sind der Auffassung, dass sich Deutschland in weltpolitischen Krisen »eher zurückhalten« solle.[2] 82% wünschen sich weniger Einsätze deutscher Soldaten. Wenn die Bundesregierung sich unbedingt stärker einmischen wolle, dann solle sie dies mit humanitärer Hilfe und diplomatischen Verhandlungen tun, äußern jeweils gut 85%.
Sympathien für Militäreinsätze der Bundeswehr oder für Waffenlieferungen an Verbündete haben lediglich 13% der an der Umfrage Beteiligten. Bertold Brecht empfahl in den Buckower Elegien, als sich Volk und Regierung der DDR 1953 entzweite: »Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?« Wie wär es damit, Herr Bundespräsident?
Joachim Gauck und Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen stehen für einen Paradigmenwechsel in der deutschen Außenpolitik. Semantisch aufgepeppt geht es um einen Wechsel von einer Kultur der Zurückhaltung zu einer »Kultur der Kriegsfähigkeit« (Zeit-Herausgeber Josef Joffe) und um einen Wechsel hin zu einer Kultur der Interessen.
Gaucks Menschenrechtsinterventionismus ist Teil einer über Leitmedien verbreiteten Kampagne, »Ziele und Anliegen« der deutschen Weltpolitik gegenüber der Bevölkerung »effektiver zu kommunizieren«, wie es im Strategiepapier »Neue Macht – Neue Verantwortung«[3] vom Herbst 2013 heißt – Kriegseinsätze inklusiv. »Wenn sein neues Wort nun nicht nur für kurzzeitige Irritationen, sondern auch für ein breiteres gesellschaftliches Nachdenken sorgt, hätte das Wort des Bundespräsidenten gewirkt«, stellt Christoph Seils in Cicero (»Warum Gauck Recht hat«, 14.6.2014) fest.
Interessant im konservativen Diskurs könnte neben Gauck eine andere nicht-säkulare Stimme von erheblich größerem Gewicht sein. Konträr und zugespitzt hat das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche in einem Interview mit der katalonischen Zeitung »La Vanguardia« (13.6.2014) gesagt: »Der Kapitalismus braucht den Krieg. Damit das System fortbestehen kann, müssen Kriege geführt werden, wie es die großen Imperien immer getan haben. Einen dritten Weltkrieg kann man jedoch nicht führen, und so greift man eben zu regionalen Kriegen«, sagte Franziskus. Die Rüstungsindustrie opfere Menschenleben im Dienst am »Idol des Profits«.
Wie wohltuend aufklärerisch gegenüber der Invasions-Rhetorik von Gauck & Co. Denn »von allen Dogmen der bigotten Politik unserer Tage hat keine mehr Unheil angerichtet als die, dass ›um Frieden zu haben, man sich zum Kriege rüsten muss‹«.[4]
[1] Interview mit Hans-Joachim Gauck im Deutschlandradio Kultur am 14.6.2013.
[2] Einmischen oder zurückhalten? »Kommt ganz drauf an!« Infratest-Umfrage im Auftrag Körber-Stiftung zu den außenpolitischen Einstellungen der Deutschen, Mai 2014.
[3] Neue Macht – Neue Verantwortung. Elemente einer deutschen Außen- und Sicherheitspolitik für eine Welt im Umbruch. Ein Papier der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und des German Marshall Fund of the United States (GMF), Oktober 2013.
[4] Karl Marx: Invasion!, MEW 13, S. 444.
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