Schottische Unabhängigkeit – nervöse Unionisten
Von Ulrich Bochum
Am 18. September kommt es in Schottland zum Referendum über die Abspaltung vom Vereinigten Königreich. Ausnahmsweise hantiert diese Unabhängigkeitsbewegung nicht mit fremdenfeindlichen Argumenten und sie ist auch nicht bestrebt, eigene ökonomische Vorteile gegen andere Regionen des Zentralstaats egoistisch zu bewahren, wie dies etwa in Katalonien oder bei den Flamen in Belgien der Fall ist.
Die die Unabhängigkeit betreibende Kraft ist die Scottish National Party (SNP), die sich mittlerweile zur besseren sozialdemokratischen Partei entwickelt hat, und massenweise Labour-WählerInnen auf ihre Seite zieht.
Die schottische Unabhängigkeitsbewegung hat eine längere Tradition, bereits 1979 und 1997 gab es Volksabstimmungen über eine Selbstregierung Schottlands. Die Stimmung heute ist jedoch anders. Beobachter haben einen Emanzipationsprozess ausgemacht, der die Menschen in Schottland verändert hat – sie beurteilen ihr Land jetzt anders und trauen sich selbstbewusst zu, es grundlegend zu verändern.
1707 wurden die beiden Königreiche Schottland und England zum Königreich Großbritannien vereinigt. Durch einen weiteren Zusammenschluss mit dem Königreich Irland entstand 1801 das Vereinigte Königreich Großbritannien und Irland (heute Nord-Irland). Das Referendum besteht aus einer einfachen Ja-Nein-Frage über die vollständige Unabhängigkeit. Im Gegensatz zu anderen Unabhängigkeits-Bestrebungen, etwa im Fall Katalonien-Spanien, hat die britische Regierung erklärt, das Ergebnis in jedem Fall anzuerkennen.
Grundlage für das Bestreben Schottlands nach Unabhängigkeit ist der Eindruck, die eigenen, schottischen Angelegenheiten nicht selbst bestimmen zu können, sondern von »Westminster« politische Vorgaben aufgedrückt zu bekommen, die den Schotten zu tiefst gegen den Strich gehen. Dies betrifft vor allem den von der konservativ-liberalen Regierung betriebenen systematischen Abbau des britischen Sozialstaats und des nationalen Gesundheitsdienstes (NHS) und die damit verbundene Privatisierungspolitik.
In Schottland, wo man Gleichheit und Fairness als nationale Werte hochhält, gilt die Kluft zwischen privatem Reichtum und öffentlicher Armut als nicht hinnehmbar. Insofern ist die Kritik an britischen Zuständen mit sinkenden Reallöhnen und zunehmend verbreiteten flexiblen Arbeitsverträgen auf Abruf – so genannten Null-Stunden-Verträgen – in Schottland besonders stark ausgeprägt.
Die Regierung in Schottland hat sich seit Ende der 1990er Jahre um die Bewahrung des Restbestandes des britischen Nachkriegs-Konsenses bemüht, der durch Thatcher, Major aber auch durch Blair und Gordon Brown aufgekündigt worden ist. Ohnmacht gegenüber einer zentralstaatlich verfügten kriegerischen Außenpolitik und einer Labour-Politik, die als Fortsetzung des Thatcherismus wahrgenommen wurde, sind weitere Gründe für die Abwendung der Schotten von der im britischen Unterhaus beschlossenen Politik.[1]
Schottland spielt als Standort der britischen Navy eine wichtige Rolle. Hier sind die Atom-U-Boote der Trident-Klasse stationiert, die nach dem Willen der britischen Regierung mit mehr als drei Mrd. Pfund modernisiert werden sollen. Die SNP hat dies massiv kritisiert und gefordert, dieses Geld in die Modernisierung des öffentlichen Sektors zu investieren.
Hinzu kommt, dass die Person des britischen Premierministers Cameron für viele Schotten allein schon Grund genug ist, die Loslösung vom Vereinigten Königreich zu verlangen. Cameron wirkt in Schottland als rotes Tuch. Daher wird die Kampagne für ein Zusammenbleiben von Schottland und England (»Better together«) auch nicht von einem Politiker der konservativen Partei angeführt, sondern vom Labour-Politiker Alistair Darling, Schotte und ehemaliger Schatzkanzler im Kabinett von Gordon Brown. Gordon Brown ist ebenfalls Schotte, wie man überhaupt festhalten muss, dass der Einfluss schottischer Politiker in den Labour-Regierungen der letzten Jahre sehr hoch war.
Labour hat unter Blair den Prozess der Devolution, also der Übertragung von politischen Kompetenzen auf die regionalen Parlamente, erst richtig angestoßen. Ausdruck dafür ist der Scotland-Act von 1998, der die Einrichtung eines schottischen Parlaments ermöglichte und die Gesetzgebungs-Kompetenzen dieses Parlaments festlegte.
Die Gesetzgebungskompetenzen werden im negativen Aufzählungsverfahren geregelt, das heißt, es wird festgelegt, was das schottische Parlament nicht regeln darf. Der Scotland-Act sieht weiterhin die Einrichtung einer schottischen Exekutive vor, an deren Spitze der First Minister steht. Die Finanzverfassung legt fest, dass Schottland die finanziellen Mittel vollständig aus dem britischen Haushalt zugewiesen bekommt – eine Finanzautonomie besteht somit nicht.
Diese Zugeständnisse an eine größere politische Gestaltungsmacht reichten den schottischen Nationalisten allerdings nicht. 2007 wurde die Scottish Nationalist Party (SNP) stärkste Partei im schottischen Parlament und bildete eine Minderheitsregierung mit Alex Salmond als Erstem Minister. Seit 2011 regiert die SNP mit absoluter Mehrheit und betreibt die Abhaltung des Unabhängigkeitsreferendums. Diese Strategie führte im Oktober 2012 zu einer Vereinbarung (Abkommen von Edinburgh) zwischen dem britischen Premierminister Cameron und dem Ersten Minister von Schottland Alex Salmond, eine Volksabstimmung in Schottland über die Unabhängigkeit abzuhalten. Die mit Ja oder Nein zu beantwortende Frage heißt nun: »Should Scotland be an independent country?«
Bisher haben zwei Fernsehduelle zwischen zwischen Alex Salmond und Alistair Darling stattgefunden, die von Millionen von Zuschauern gesehen wurden. Das zweite im August ging laut Umfragen eindeutig an den schottischen Ersten Minister. Der bisher vorhandene Vorsprung des Lagers eines Verbleibs Schottlands im Vereinigten Königreich schrumpft zusehends. Umfragen, die nach dem Fernsehduell ausgetragen wurden, zeigen einen Anteil von 42% von Befürwortern der Unabhängigkeit und einen Anteil von 48% von Gegnern der Abspaltung, 11% sind unentschieden. Das Umfrage-Institut YouGov stellte in den letzten drei Wochen einen massiven Swing zugunsten der Yes-Kampagne fest.
Das ist umso erstaunlicher, als die Gegner der Unabhängigkeit bisher eine massive Angst-Kampagne hinsichtlich eines unabhängigen Schottlands betrieben haben. Schon seit Monaten veröffentlicht die Londoner Administration Studie um Studie, die den Schotten Angst um die Zukunft machen sollen. So wären angeblich die Wirtschaftskraft und die Sozialleistungen geringer, die Steuern höher und Schottland könne nicht sicher sein, in die EU aufgenommen zu werden. Das ist weitgehend nicht belegbar, aber es zielt darauf, dass das kleine Schottland auf das Wohlwollen des großen Bruders England angewiesen sei. Diese Haltung britischer Arroganz kommt in Schottland gar nicht gut an.
Im Zentrum steht die Frage einer zukünftigen Währung. Die Befürworter der Unabhängigkeit setzen auf eine Währungsunion zwischen Rest-Großbritannien und Schottland und wollen das Pfund als Währung beibehalten, was von den großen Parteien im britischen Unterhaus brüsk zurückgewiesen wurde. Dabei hat auch Joseph Stiglitz, der zum Beraterteam um Salmond gehört, darauf hingewiesen, dass es aufgrund der wirtschaftlichen Verflechtung zwischen beiden Ökonomien gar keine andere Lösung als die einer Währungsunion geben könne. Er hält daher die Ablehnung für bloßen Bluff.
Entscheidend wird auch die Haltung der EU in dieser Frage sein. Der ehemalige EU-Kommissar für die Währungsunion, Olli Rehn, äußerte sich dahingehend, dass es ein formales Übereinkommen zur Nutzung der britischen Währung geben müsse, denn Voraussetzung für die Mitgliedschaft eines Landes sei das Vorhandensein einer Zentralbank mit den entsprechenden monetären Handlungsmöglichkeiten.
Die Chancen für eine Unabhängigkeit Schottlands steigen mit jeder neuen Kampagne aus London, die darauf abzielt, die ökonomische Überlebensfähigkeit eines unabhängigen Schottlands in Frage zu stellen. Im Falle einer negativen Entscheidung der WählerInnen hat London versprochen, die Selbstregierungskompetenzen in Schottland weiter zu erhöhen – dieses Versprechen stößt jedoch auf Skepsis: »Wie ich die Politiker in Westminster kenne, werden sie nach dem Referendum sagen: Das hätten wir hinter uns. Die Schotten hatten ihren Willen. Jetzt können wir sie vergessen und uns wieder den wichtigen Dingen zuwenden: der Londoner Immobilienblase und der Frage, wer Ed Miliband an der Spitze der Labour Party ablösen wird.«[2]
[1] Vgl. dazu auch die Stellungnahmen im Rahmen der »Reflections on the Independence Referendum« in London Review of Books Nr. 17 / 2014
[2] Neal Ascherson: Selbstbewusste Schotten, in: Le Monde diplomatique, August 2014
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