Politisches Patt geht weiter
Von Joachim Bischoff und Bernhard Müller
Die schwedischen WählerInnern haben bei einer hohen Wahlbeteiligung von 83,3% die Koalition der bürgerlichen Parteien unter Führung des Konservativen Fredrik Reinfeldt abgewählt. Reinfeldt hat noch in der Wahlnacht seinen Rücktritt von den Ämtern als Ministerpräsident und Parteichef angekündigt.
Nach acht Jahren Regierungszeit und zwei Mandatsperioden verliert die bürgerlich-konservative Koalitionsregierung unter der Führung von Reinfeldt die Regierungsmacht. Obwohl die Sozialdemokraten (SAP) ihr erklärtes Ziel von 35% nach den vorläufigen Ergebnissen klar verfehlten (31,2%; 2010: 30,66%), ist es nun an Reinfeldts Herausforderer Stefan Löfven, eine Regierung zu bilden.
Immerhin hat die SAP über 100.000 Stimmen dazu gewonnen. Gleichwohl: Löfvens potenzielle Koalition kommt gemeinsam nur auf 158 der 349 Sitze. Zu einer absoluten Mehrheit fehlen also 17 Mandate. Reinfeldts Mitte-Rechts-Bündnis erreichte nur mehr 142 Sitze, die rechtspopulistischen Schwedendemokraten, mit denen keine der anderen Parteien zusammenarbeiten möchte, kam auf 49 Mandate.
Löfven will zusätzlich mit einer Partei aus dem bisherigen Reinfeldt-Bündnis eine Absprache treffen. Der frühere Gewerkschaftsfunktionär strebt ein politisches Bündnis mit den Grünen (6,8%) und der Linkspartei (5,7%) an, zeigte sich aber im Wahlkampf stets offen für eine Zusammenarbeit über Blockgrenzen hinaus. Kommt es nicht zu einer Verabredung mit einer der bürgerlichen Parteien droht – wie in den letzten Jahren – eine Minderheitsregierung, die sich um entsprechende Zustimmung zu Budget und politischen Projekten bemühen muss.
Auch die abgewählte Vier-Parteien-Regierung war eine Minderheitsregierung, die von den Grünen toleriert wurde. Diese wollten damit verhindern, dass die rechtspopulistischen Schwedendemokraten, die 2010 erstmals ins Parlament einzogen, die Ausländerpolitik negativ beeinflussen. Die einwanderungskritischen Schwedendemokraten um ihren Vorsitzenden Jimmie Åkesson haben nun ihr Wahlergebnis von 2010 mehr als verdoppelt. Nach 5,7% vor vier Jahren kam die Partei diesmal auf knapp 13% und wurde so drittstärkste Kraft. Mit ihren 49 Mandaten könnte sie eine fortschrittliche Regierungskoalition in etlichen Entscheidungen blockieren.
Die Entwicklung in Schweden steht exemplarisch für die Entwicklung in einem Großteil der ökonomisch und politisch wohlsituierten Gesellschaften Europas. Schwedens Wirtschaft ist 2013 um gut 1,5% gewachsen und hat sich im zweiten Halbjahr 2014 stärker belebt. Insgesamt wird 2014 mit einem Zuwachs des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 2,5% gerechnet. 2015 soll die Wirtschaft dann weiter an Fahrt aufnehmen und um 3,0% wachsen.
Ein potenzielles Risiko stellt nach wie vor die hohe Verschuldung der Privathaushalte dar. Seit 1996 hat sich diese in Relation zum verfügbaren Einkommen mit einem Anstieg von 90% auf 170% nahezu verdoppelt. Im Jahresdurchschnitt ist mit einem Rückgang der Arbeitslosenquote von 8,0% (2013) auf 7,6% im Jahr 2015 zu rechnen.
Der Arbeitsmarkt wurde zum wichtigen Thema der Wahlen. Gemessen an ihren eigenen Zielen haben die Bürgerlichen versagt: Im August 2014 waren 7,9% der 15- bis 74-Jährigen arbeitslos, was rund 1 Prozentpunkt mehr ist als 2006. Kein Wunder, dass sich die Bürgerlichen anhören mussten, dass ihre Regierung zu wenig gegen die Massenarbeitslosigkeit getan habe.
Deren Arbeitsmarktpolitik stand unter der Devise »Lohn statt Beiträge«. Der Hintergrund: 2006 war trotz Hochkonjunktur ein Fünftel der Bevölkerung von staatlichen Leistungen abhängig, über eine Million Einwohner standen außerhalb des Arbeitsmarkts. Für die 340.000 offiziellen und versteckten Arbeitslosen, die 460.000 Frühpensionierten, 177 .000 Krankgeschriebenen und 94.000 Sozialhilfeempfänger prägte die Regierung den Begriff des »Außenseitertums«, das es um jeden Preis zu beseitigen galt.
Der schwedische Arbeitsmarkt
Um die Arbeitsanreize zu erhöhen, wurden die Einkommenssteuern zwischen 2007 und 2012 in fünf Schritten um insgesamt 85 Mrd. sKr. (rund 9,2 Mrd. Euro) gesenkt. Leute mit niedrigen und mittleren Einkommen profitierten überproportional davon. Zudem wurden die Arbeitgeberbeiträge für Jugendliche halbiert, die Arbeitnehmerbeiträge an die Arbeitslosenversicherung erhöht und Steuerreduktionen auf »haushaltnahe« Dienstleistungen wie Reinigung, Babysitting oder Gartenarbeiten eingeführt, um die Schwarzarbeit zu bekämpfen und die Schaffung neuer Stellen zu erleichtern.
Die bürgerliche Regierungskoalition hatte einen entschiedenen Deregulierungskurs verfolgt. Projekte wie die Privatisierung des Schulsystems, der Verkauf der öffentlichen Verkehrsbetriebe in vielen Gemeinden und radikale Leistungskürzungen bei Krankenkassen und Arbeitslosenversicherung haben tiefe Gräben in der schwedischen Gesellschaft aufgerissen.
Während die abgewählte bürgerliche Regierungskoalition weiterhin ihr Motto »Arbeiten soll sich lohnen« propagierte und deshalb die Arbeitslosenhilfe in den vergangenen Jahren gekürzt und stattdessen Anreize für Unternehmen geschaffen hat, vor allem jugendliche Arbeitnehmer einzustellen, wollen die Sozialdemokraten 40.000 Trainee-Jobs, also Praktikumsplätze, schaffen, um die hohe Jugendarbeitslosigkeit von 22% in den Griff zu bekommen.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte der bürgerlichen Koalition dringend geraten, auf dem Immobilienmarkt die Deregulierung zurückzunehmen. Konkret sollte die 2010 eingeführte Belehnungsgrenze von 85% des Marktwertes auf 75% gesenkt und eine Amortisationspflicht eingeführt werden. Wegen fehlender Anreize haben letztes Jahr bloß 60% aller Hypothekarschuldner Abzahlungen geleistet. Zudem wäre eine Begrenzung des Schuldendienstes im Verhältnis zum Einkommen ratsam.
Derzeit muss ein Durchschnittshaushalt nur 4% des verfügbaren Einkommens für Zinszahlungen verwenden. Auch die Reduktion des Steuerabzugs sowie eine Reform der Immobiliensteuer könnten die Situation verbessern. Neben nachfrageseitigen Maßnahmen müsse auch das Angebot an Immobilien markant steigen, um der in den Städten akuten Wohnungsknappheit gegenzusteuern.
Die in den letzten Jahren regierende bürgerliche Koalition rückte im Wahlkampf schließlich das Thema Migration in den Mittelpunkt. Ministerpräsident Reinfeldt argumentierte, aufgrund der instabilen Situation in vielen Regionen der Welt stünde Schweden vor einer Flüchtlingswelle noch nie da gewesener Größe. Die Kosten für die Aufnahme dieser vielen Flüchtlinge seien so hoch, dass es in der kommenden Legislaturperiode weder Spielraum für Steuersenkungen noch für erhöhte Investitionen in anderen Bereichen als Einwanderung gebe.
Die bürgerlich-liberale Minderheitsregierung hatte konsequent eine für europäische Verhältnisse großzügige Migrationspolitik verfolgt, teilweise sogar mit Unterstützung der oppositionellen Grünen. Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR nimmt Schweden von allen europäischen Ländern, gemessen an der Einwohnerzahl von 9,5 Mio., nach Malta die meisten Flüchtlinge auf.
Von allen acht im schwedischen Parlament vertretenen Parteien sind die Schwedendemokraten die einzige Partei, die die Zuwanderung begrenzen will. Bei allen anderen Parteien herrscht von weit links bis Mitte ein Konsens gegen jegliche Grenzen für die Zuwanderung. Im Jahr 2014 nimmt Schweden in der Woche so viele Zuwanderer auf wie Finnland im ganzen Jahr. Selbst im Vergleich zu Österreich, das im Jahr 2013 eine Nettozuwanderung von ca. 43.000 Menschen verzeichnete, zeigt sich, dass Schweden bei einer vergleichbaren Bevölkerungsgröße mit ca. 115.000 Menschen im Jahr 2013 eine beinahe dreimal so hohe Nettozuwanderung hatte.
Die Alternative für schwedische WählerInnen, die dem Mythos einer unkontrollierten Massenzuwanderung folgten, war die Partei der Schwedendemokraten. Die Wurzeln der 1988 gegründeten Schwedendemokraten liegen teilweise im rechtsextremen Milieu, weshalb ihr bis heute ein schwereres Erbe anhaftet als den Parteien in Dänemark und Norwegen, die aus neoliberalen Steuerprotestparteien entstanden.
Jetzt ist die Einwanderungsthematik durch die bürgerlichen Parteien dramatisch aufgewertet worden, womit die rechte Partei ihre politische Quarantäne verlassen kann. Seit 2010 waren die einwanderungsfeindlichen Schwedendemokraten im Parlament eine Randgruppe, künftig werden sie mit knapp 13% Stimmanteil in der politischen Kommunikation eine größere Aufmerksamkeit finden. Obwohl alle anderen Parteien die Zusammenarbeit mit der den Schwedendemokraten verweigern, wird sie mit ihrer Stimmkraft in vielen Fragen ein gewichtiges Zünglein an der Waage spielen können.
Die Rechtspopulisten haben im Wahlkampf eine radikale Begrenzung der Einwanderung propagiert, die ihrer Meinung nach Riesensummen verschlingt und auf Kosten der Wohlfahrtsleistungen geht. Die Partei verdankt ihren Vormarsch vormaligen Wählern der Konservativen, aber auch die Sozialdemokraten haben Stimmen an die Schwedendemokraten verloren.
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