Zukuft thematisiert! Gegenwart vernachlässigt? Die CDU nach dem Kölner Parteitag
Joachim Bischoff und Bernhard Müller
Für den CDU-Parteitag hatte die unionsinterne politischen Kommunikation eine Linie vorgegeben: keine romantischen Rückblicke, jede Verstrickung in die Gegenwart vermeiden, mutig und energisch die Zukunft thematisieren. Diese Haltung bestimmte auch die Bestätigung des Führungspersonals – Angela Merkel und die bekannte Crew machen weiter wie gehabt.
Diese Kommunikationsstrategie war kein Kunststück: Die Unionsparteien liegen in aktuellen Meinungsumfragen deutlich über 40%, die Bewegung der rechten »Wutbürger« hat noch keine spürbaren Einbrüche auf der Bundesebene hinterlassen. Die Sozialdemokratie dümpelt bei 25% WählerInnenzustimmung und hat sich offenkundig in ihrem wahlpolitischen Absturz eingerichtet.
Wenig überraschend ist auch, dass in der Bilanz der Parteivorsitzenden das Lob auf die gute Position Deutschlands im internationalen Ranking nicht fehlen durfte: »Wir haben viel erreicht. Wir leben in einem wohlhabenden und international geachteten Land. Wir sind ein erfolgreicher Industriestandort. Wir haben einen starken Mittelstand… Unsere Arbeitslosigkeit liegt unter 3 Millionen… Noch nie waren so viele Menschen erwerbstätig wie heute: 43 Millionen Menschen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse ist auf über 30 Millionen gestiegen… Dieses Jahr werden die Nettolöhne zum sechsten Mal in Folge steigen.«
Dies alles sei auch die Grundlage »für das bemerkenswerteste Ergebnis dieser Bilanz zum Ende dieses Jahres. Nach 46 Jahren haben wir im Deutschen Bundestag zum ersten Mal einen Haushalt verabschiedet, bei dem der Bund im kommenden Jahr keine neuen Schulden aufnimmt. Das gilt auch für die kommenden Jahre.«
Auf diesen Lorbeeren, so die Botschaft der Bundeskanzlerin, dürfen sich die Partei und das bürgerliche Lager allerdings nicht ausruhen. »Ich will nicht, dass wir uns morgen nur noch an erfolgreiche Politik von gestern erinnern. Ich will, dass wir Deutschlands Zukunft gestalten.«
Um Deutschlands Position als eines »der wettbewerbsfähigsten, innovativsten und attraktivsten Länder der Welt« zu behaupten, seien einige fundamentale Weichenstellungen erforderlich.
Dies betreffe erstens die Digitalisierung. Sie werde die Arbeitswelt massiv verändern. »Neben neuen Geschäftsfeldern für junge Unternehmen ergeben sich vor allem für die klassische Industrie durch Automatisierung, Digitalisierung und Vernetzung viele neue Möglichkeiten. Diese so genannte Industrie 4.0. bietet große Zukunftschancen für die deutsche Industrie.« Die Aufgabe der Politik sei es, hierfür die richtigen Rahmenbedingungen (Netzausbau, Zugang, Datenpolitik etc.) zu garantieren. »Wenn wir es richtig anstellen, wird sie mehr Beschäftigung schaffen, als wir an anderen Stellen Beschäftigung verlieren.«
Dies betreffe zweitens die Demografie, also die Veränderung des Altersaufbaus der Gesellschaft. Hier seien mit der »unverzichtbaren« Rente mit 67 und ersten Elementen einer Flexi-Rente, die bessere Bedingungen für das Arbeiten auch nach Überschreiten der Altersgrenze schaffe, bereits wichtige Eckdaten gesetzt worden. Hinzu komme, dass eine älter werdende Gesellschaft der Gesundheitswirtschaft neue Chancen eröffne und das ehrenamtliche Engagement der Alten den »Zusammenhalt der Generationen unter veränderten Lebensbedingungen« stärke.
Drittens gehe es – als »entscheidender Schlüssel« – um die Sicherung von Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit. Um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, müsse
- mehr investiert werden und Deutschland bei der Investitionsquote möglichst schnell mindestens den OECD-Durchschnitt erreichen. »Es geht um Investitionen in Straßen und in den Breitbandausbau, in Verkehrwege, in Schienenwege, in Gebäudedämmung und in umweltfreundliche Technologien, aber eben auch um Investitionen in junge Menschen, in kluge Ideen, in Forschergeist und Kreativität.«
- die Energiewende konsequent umgesetzt werden. »Gelingt sie, ist sie ein absolutes Zukunftsprogramm mit neuen Technologien. Gelingt sie nicht, ist sie eine Gefahr für den Industriestandort Deutschland.«
- schließlich auch der Freihandel zügig ausgebaut werden. »Nicht ohne Grund ist Deutschland einer der größten Profiteure von Europäischem Binnenmarkt und der Globalisierung. Deshalb wollen wir den Freihandel weiter voranbringen. Besondere Bedeutung haben die angestrebten Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit Kanada (CETA) sowie – vor allem mit den USA (TTIP)… Das Freihandelsabkommen muss neben der NATO die zweite Säule der transatlantischen Partnerschaft werden.«
Als vierter Faktor wird die Stabilisierung der Europäischen Union genannt. Die Staatsschuldenkrise sei zwar unter Kontrolle gebracht, »aber dauerhaft überwunden ist sie noch nicht«. Europa sei heute kein »dynamischer Kontinent«. Das könne sich nur ändern, wenn strikt am Stabilitäts- und Wachstumspakt festgehalten und verloren gegangenes Vertrauen wieder aufgebaut bzw. erhalten werde. Das von der EU-Kommission jetzt vorgelegte Wachstumsprogramm könne wesentliche Impulse geben, um Europa aus der wirtschaftlichen Stagnation herauszuführen.
Dieses Zukunftsprogramm enthält viele Versprechen und Worthülsen, viele »warme Worte für die Wirtschaft«. (FAZ) Konkret setzt man für die Sicherung des Standorts Deutschland auf noch mehr Arbeitsamkeit (vor allem bei den Älteren) und Freihandel. Das soll abgesichert werden durch ein Mehr an öffentliche Investitionen in Deutschland und Europa.
Hier setzt allerdings die Monstranz der Schwarzen Null enge Grenzen. »Der Staat muss mit seinen Einnahmen auskommen. Daher darf der ausgeglichene Haushalt für 2015 keine Ausnahme sein, sondern die Regel werden.« Daher müssten »die nötigen Spielräume für Investitionen und Steuerentlastungen durch eine konsequente Konsolidierung des Bundeshaushalts erarbeitet werden«, sprich durch Ausgabenkürzungen wohl vor allem im Sozialbereich. »Dies ist angesichts von Rekordsteuereinnahmen nicht nur möglich, sondern angesichts der derzeitigen Ausgabenstruktur auch nötig. Wir wollen den Anteil für Investitionen steigern.«
Sicher, die Tendenz zu luftigen Versprechen ist nicht zu übersehen. Aber unter dem Regime Merkel ist auch in den letzten Jahren bei eher niedrigen Wachstumsraten und teils schmerzhaften Kürzungen eine deutliche Erhöhung des Arbeitspotenzials der Republik erreicht worden. Eine gesunkene Investitionsquote, ein großer Niedriglohnsektor und erhebliche Absenkungen beim Niveau der Alterssicherung – diese Folgen neoliberaler Strukturreformen wurden durch die Ausweitung der Beschäftigung kompensiert.
Der einzige Aufreger im Vorfeld des Parteitags, die Debatte um die Bekämpfung der »kalten Progression« (die es laut Berechnungen des Finanzministeriums 2015 gar nicht gibt) macht die Dilemmata dieser Politik deutlich. Wirtschafts- und Arbeitnehmerflügel drängen auf Steuersenkungen, um die durch Lohn- und Arbeitsdruck gebeutelte»gesellschaftliche Mitte« zu besänftigen. Das führt logischerweise zu Steuermindereinnahmen.
Hinzu kommt, dass von einer solchen Steuerreform auch das steuerliche Mindesteinkommen, d.h. die Höhe des Einkommens ab dem Steuern bezahlt werden müssen, betroffen wäre. Setzt man hier das steuerfreie Mindesteinkommen höher an, wird die Kluft zu den in der Mindestsicherung geltenden Regelsätzen zu groß, so dass ein kostspieliger Anpassungszwang entstünde. Der auf dem Parteitag gefundene Kompromiss eines »Einstiegs« noch in dieser Legislaturperiode steht deshalb unter Finanzierungsvorbehalt.
Die Schattenseiten des Modells Deutschlands spielen in der CDU-Agenda nur eine untergeordnete Rolle. Die Wachstumsbremse soziale Ungleichheit (OECD), durch die auch die mittleren Einkommenslagen zunehmend unter Druck geraten, Kinder- und Altersarmut oder Langzeitarbeitslosigkeit sind höchstens indirekt ein Thema. Unberührt lassen sie die Konservativen allerdings nicht, weil die Folgen der durch die Haushaltskonsolidierungspolitik noch verstärkten ökonomisch-sozialen Problemlagen auf Kommunal- und Landesebene sehr viel deutlicher spürbar sind.
Dadurch wird es für das bürgerliche Lager auf diesen Ebenen immer schwieriger, politische Mehrheiten zu organisieren. So stellt die CDU nur noch in vier Bundesländern Ministerpräsidenten. Diese immer größer werdenden Flecke in der politischen Hegemonie der Bürgerlichen in den Bundesländern und Kommunen hat mit dem Niedergang der neoliberalen Freidemokraten und einer wachsenden Bewegung der rechtspopulistischen Wutbürger zu tun.
In der Tat: Unter dem Druck der größten Flüchtlingsbewegung seit dem zweiten Weltkrieg und dem schleichenden Niedergang der gesellschaftlichen Mitte wächst rechts von CDU und CSU mit der »Alternative für Deutschland« (AfD) ein rechtspopulistischer politischer David heran.
Teile der von den bürgerlichen Parteien enttäuschten und von Abstiegsängsten geplagten »gesellschaftlichen Mitte« nehmen ihren Mut zusammen und fordern die Abgrenzung gegenüber Fremden – vor allem gegenüber islamischen MigrantInnen. Sie als »Sammelbecken für Weltverschwörungstheoretiker« abzutun und durch rechtspopulistisches Flügelschlagen einzuhegen versuchen, wird deren Unruhe nicht auflösen.
Gelingt die Konsolidierung der AfD, hat dies Folgen für die Kräfteverhältnisse bei der nächsten Bundestagswahl 2017. Merkels nostalgischer Blick auf die dahinscheidende FDP als »immer noch Wunschpartner« verrät entgegen der Kommunikationslogik doch den romantischen Rückblick in die Vergangenheit. »Die FDP ist und bleibt unser natürlicher Koalitionspartner.«
Das galt bis zur Finanzmarktkrise. Dann zerlegten sich die Neoliberalen. Etwas wehmütig klingt die Erinnerung der Bundeskanzlerin: »Manchmal kann ich mich nur wundern, wie die FDP heute schon von vielen abgeschrieben wird«, sagte sie auf dem CDU-Parteitag in Köln.
Der Sozialdemokratie traut die Führungsspitze der Union offensichtlich nicht zu, einen Modernisierungskurs für das Land mitzuorganisieren (siehe ökologische Wende). Deshalb – festgemacht an Rot-Rot-Grün in Thüringen – Merkels Klatsche in Richtung SPD. »Ich halte das Verhalten der SPD in Thüringen für eine Bankrotterklärung.« Diese habe sich dort als »linke stolze Volkspartei« in die Rolle des Juniorpartners der LINKEN begeben: »Wie viel kleiner will die SPD sich eigentlich noch machen?«
Und dann zitierte Merkel den ehemaligen thüringischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel: Dieser hatte gesagt, Thüringen sei für DIE LINKE nur eine Etappe. Es sei die Aufgabe einer starken Union, betonte Merkel, DIE LINKE 2017 als potenziellen Partner der SPD im Bund zu verhindern.
Damit sind wir bei einem Kern zukünftiger Politikgestaltung: Soll die bürgerliche Hegemonie einem Politikwechsel weichen, dann müssen Sozialdemokraten, Grüne und die Linkspartei an einem gemeinsamen Projekt arbeiten. Es ist ja ermutigend, wenn Unionspolitiker der LINKEN eine strategische Operation auf mehrere Jahre zutrauen; aber bei der so gerühmten Partei hat man doch mitunter Zweifel, ob die notwendige Klugheit und Entschlossenheit schon ausgebildet sind.
Bleibt als politischer Joker zur bürgerlichen Herrschaftssicherung die Partei der Grünen. Merkel sagt, dass die Grünen nach der letzten Bundestagswahl ein Bündnis mit CDU/CSU ausgeschlagen haben. Die Union sei zum Wagnis bereit gewesen. Aber wer mit den Grünen regieren will, darf zu Ökologie, Klima und Massentierhaltung nicht schweigen: »Die Zukunft zu thematisieren, ohne den Umwelt- und Klimaschutz zu benennen, ist verantwortungslos gegenüber nachfolgenden Generationen«, kontern die Angesprochenen. »Die CDU betreibt Mythen-Bildung. Die Union blieb bei den entscheidenden Themen stur, gerade im Bereich Öko hat sie sich keinen Zentimeter bewegt. Das geht dann natürlich nicht«, sagte die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckart, der Bild-Zeitung.
Die Union wird in den nächsten Monaten auf Bundesebene weiterhin deutlich stärkste Kraft bleiben. Ihre große Akzeptanz speist sich aus den relativ günstigen ökonomischen Rahmenbedingungen mit einem mäßigen Wirtschaftswachstum und einem stabilen Arbeitsmarkt. Die dadurch bedingten Steuereinnahmen werden auch künftig noch eine relativ geräuschlose Haushaltskonsolidierung ermöglichen.
In einer aktuellen Umfrage wird die konjunkturelle Lage von einer erdrückenden Mehrheit der Deutschen nach wie vor grundsätzlich positiv beurteilt. Sieben von zehn Bundesbürgern bewerten zum Jahresende die ökonomische Situation als sehr oder überwiegend gut. Alles in allem positiv fällt auch der Blick der Deutschen auf 2015 aus. Nach 9% im November erwartet aktuell jeder Fünfte, dass sich die wirtschaftliche Lage binnen Jahresfrist wesentlich oder zumindest etwas besser darstellen wird.
In diesem wirtschaftlichen Umfeld fällt es der Bundesregierung weiterhin leicht, überwiegend gute Noten für ihre Arbeit zu erzielen. Zum Jahresende äußern sich ähnlich wie im Vormonat 53% der BundesbürgerInnen zufrieden mit den Leistungen der Großen Koalition.
Ändern sich diese Bedingungen oder kommt es zu Zuspitzungen bei den aktuellen Krisenkonstellationen etwa in der Ukraine (wo der Kurs der Bundesregierung selbst von Teilen der ökonomischen und politischen Eliten nicht geteilt wird), wird sich die jetzt schon erkennbare Unruhe im politischen Feld weiter verstärken. Gleichwohl ist auf Bundesebene die Herrschaft des Regimes Merkel nicht gefährdet.
Insofern zeichnen sich auch bei Wahlumfragen kaum Änderungen ab. Die Union käme aktuell bei einer Bundestagswahl auf 40%, die SPD auf 26%. Während die Union gegenüber November einen Punkt abgibt, legt die SPD im gleichen Umfang minimal zu. Drittstärkste Kraft wären die Grünen, die mit 11% geringfügig besser abschneiden als im November (+1). Die Linke käme wie im Vormonat auf 9%, die AfD auf 7%. Die FDP verliert weiter an Zustimmung und bekommt derzeit nur noch 2% der Wählerstimmen (-1). Allerdings ist dieses Kräfteverhältnis eines geordneten »Paradieses« nicht ohne Bedrohungspotenziale von Innen wie von Außen.
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