Das Wahldilemma der SPD - über Unterschiede der Wahlprogramme der im Bundestag vertretenen Parteien
Von Christoph Butterwegge, Professor für Politikwissenschaften an der Uni Köln
Man hört dieser Tage oft, es gebe zwischen den zur Wahl stehenden oder den tatsächlich chancenreichen Parteien keine großen programmatischen Unterschiede mehr. Ganz im Gegenteil weisen die Wahl- bzw. Regierungsprogramme von CDU und CSU, FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Linkspartei auf mehreren Politikfeldern (z.B. der Sozial-, Gesundheits-, Steuer- und Finanzpolitik) diesmal deutlichere Konturen auf, weshalb sich auch schärfere Konfliktlinien zwischen den voraussichtlich wieder im Bundestag vertretenen Parteien abzeichnen. Dies kontrastiert aber mit deren geringer Bereitschaft, daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, auf Konfrontationskurs zu gehen und neue, noch gar nicht erprobte Bündnismöglichkeiten auszuloten.
Während die bürgerlichen Parteien CDU, CSU und FDP auf ihre angeblich erfolgreiche Regierungsarbeit der ablaufenden Legislaturperiode verweisen, ohne die zwischen ihnen bestehenden Meinungsverschiedenheiten unter den Tisch zu kehren, bieten die Oppositionsparteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und LINKE ein Bild wahlstrategischer Orientierungslosigkeit. Statt gleichfalls einen inhaltlich legitimierten Lagerwahlkampf zu betreiben und ihren SympathisantInnen damit eine realistische und mobilisierend wirkende Machtperspektive für die nächste Legislaturperiode zu bieten, präsentieren SPD und Bündnisgrüne mit der von ihnen angestrebten Wiederauflage des rot-grünen Regierungsbündnisses à la Schröder/Fischer erkennbar nur eine Scheinalternative: Weder gibt es dafür die Aussicht auf eine Mehrheit im nächsten Bundestag, noch erscheint die Neuauflage jener Koalition, die mit der »Agenda 2010«, den Hartz-Gesetzen und anderen Reformen den Sozialstaat seinerzeit wie keine andere demontiert hat, einer Mehrheit der WählerInnen attraktiv.
Unlösbar erscheint das Dilemma, in dem sich die bei Meinungsumfragen dahindümpelnde SPD befindet. Ihre politische Glaubwürdigkeit leidet enorm darunter, dass sie als Partei der kleinen Leute auftritt und mit Peer Steinbrück einen Mann des großen Geldes zum Kanzlerkandidaten erkoren hat. Nach der Möglichkeit einer weiteren Großen Koalition gefragt, verkündet dieser in zahllosen Interviews, alle demokratischen Parteien müssten miteinander koalitionsfähig sein. Gleichwohl schließen er und andere sozialdemokratische Spitzenpolitiker eine Zusammenarbeit mit der LINKEN aus, weil diese durch ihre Außen- und Sicherheitspolitik - gemeint sind offenbar Forderungen nach einem Verzicht auf Kampfeinsätze der Bundeswehr, dem NATO-Austritt und der Schaffung eines kollektiven Sicherheitssystems unter Einschluss Russlands - die »Stabilität Deutschlands« (Sigmar Gabriel) gefährde. Augenscheinlich handelt es sich bei dieser Begründung für die Ausgrenzung der LINKEN um eine bloße Schutzbehauptung.
Woran es in Wahrheit mangelt, ist die Entschlossenheit von SPD (und Bündnisgrünen) zu anderen gesellschafts-, wirtschafts- und sozialpolitischen Weichenstellungen. Der gemeinsame Nenner von SPD, Bündnisgrünen und der LINKEN im Sozial- und Gesundheitsbereich wäre die Bürgerversicherung. Auch wenn es unterschiedliche Schwerpunkt- und Akzentsetzungen gibt, könnte hier die inhaltliche Klammer eines Zweckbündnisses der drei Parteien liegen. Ähnliches gilt für einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn, über dessen genaue Höhe man sich - guten Willen und Kompromissbereitschaft auf allen Seiten vorausgesetzt - ebenso leicht verständigen könnte wie über viele weitere Forderungen.
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