Willkommens-"Un"Kultur in Deutschland
Von Otto König und Richard Detje
Eigentlich gelten die Bundesbürger als weltoffenes Volk. Doch kaum steigt die Zahl der Flüchtlinge, bekommen rassistische Kampagnen gegen Zuwanderer Zulauf. Seit Januar haben mehr als 130.000 Frauen, Männer und Kinder in Deutschland Schutz gesucht. Flüchtlinge, die hier ankommen, sind Terror und Krieg entkommen, oft unter Lebensgefahr. Diesen Menschen geben seit Wochen Tausende auf den bundesdeutschen Straßen deutlich zu verstehen, dass sie nicht willkommen sind.
Besonders drastisch im beschaulichen Kneippkurort Bad Schandau in der Sächsischen Schweiz, wo Einwohner am Ortseingang ein Schild aufgestellt haben: »Bitte flüchten Sie weiter, es gibt hier nichts zu wohnen!«
Gleich, wo die Flüchtlinge untergebracht werden sollen, ob im vornehmen Hamburger Stadtteil Harvestehude oder im proletarischen Berlin-Marzahn, formiert sich Widerstand. Gegen den Plan, das ehemalige Kreiswehrersatzamt in der Sophienterrasse 1a, eine von Hamburgs Topadressen, zu einer neuen Flüchtlingsunterkunft für 220 Personen umzubauen, klagen Anwohner, weil sie die Unterbringung von Flüchtlingen im »geschützten Wohngebiet« für rechtswidrig halten, steigende Kriminalität und den Wertverlust ihrer Grundstücke befürchten.
Oder im Plattenbauviertel im Osten der Hauptstadt: Dort sind die Mieten niedrig und die Arbeitslosenquote liegt im zweistelligen Bereich. Auch dort lautet die Parole: »Asylanten gehören nicht hierher«. Seit Wochen demonstrieren Anwohner gemeinsam mit organisierten Neonazis gegen die Errichtung eines Containerdorfs.[1] Die Aktionen unter dem Motto »Gegen Asylmissbrauch den Mund aufmachen« zeigen, hier geht es um weit mehr als um den Protest gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft.
Die Flüchtlingsorganisation »Pro Asyl« hat in der Bundesrepublik bis Ende November 2014 bereits rund 220 flüchtlingsfeindliche Aufmärsche und Kundgebungen gezählt; im gleichen Zeitraum gab es 31 Sachbeschädigungen, 24 Brandanschläge und 33 körperliche Angriffe. Vor dem Hintergrund dieser aggressiven Eskalation gewinnt der Brandanschlag im mittelfränkischen Vorra (Landkreis Nürnberg) im Dezember 2014 gegen drei geplante Flüchtlingsunterkünfte besondere Aktualität – Hakenkreuz-Schmierereien verweisen auf das Täterumfeld. Das erinnert an 1992/93, als Brandanschläge gegen Ausländer- und Flüchtlingswohnungen fast schon an der Tagesordnung waren: Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen.
Auch nach der Tat in Vorra flammte öffentliche Empörung auf. Doch erneut war es oft nur politische Heuchelei, die Konjunktur hatte. Vor allem jene politischen Kräfte, die entscheidend dazu beigetragen haben, das Asylrecht einzuschränken, die Flüchtlinge in ghettoähnlichen Anlagen bevorzugt in sozialen Brennpunkten kasernieren, entrüsteten sich pflichtgemäß, nachdem Neonazis ihre Propaganda von der »Asylantenschwemme« wörtlich genommen hatten.
Heribert Prantl beschreibt dieses Phänomen in der »Süddeutschen Zeitung«: »Brandsätze bestehen aus Salpeter, Schwefel oder Phosphor, aus Benzin, Heizöl und Schwefelsäure; wenn das Zeug in Flaschen abgefüllt ist, nennt man es Molotowcocktail. Es gibt auch noch andere brandgefährliche Cocktails, die nicht aus Benzin hergestellt werden, sondern, und dies in aller Öffentlichkeit, aus hetzerischen Reden, aus Reden gegen Muslime, gegen Flüchtlinge und Asylbewerber.« (13.12.2014) Diese Agitationscocktails sind brandgefährlich – wie es die CSU zum wiederholten Male praktizierte.[2]
Jenseits der ausländerfeindlichen Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte haben seit Oktober 2014 Demonstrationen »gegen die Islamisierung« regen Zulauf. Offiziell richten sie sich gegen »Salafismus« und gegen »nicht-integrierte Muslime«; faktisch ein Deckmantel, um gegen alle Migranten zu protestieren – eine Taktik, die in der rechtsradikalen Szene seit Jahren angewandt wird.
Zunächst erregte eine Organisation namens »Hooligans gegen Salafisten« (HoGeSa) öffentlich Aufmerksamkeit. Mitte Oktober mobilisierte sie rund 5.000 Menschen nach Köln. Auf der Kundgebung, an der zahlreiche gewaltbereite Neonazis teilnahmen, kam es zu schweren Ausschreitungen. Inzwischen hat »Pegida«, ein Zusammenschluss, der sich »Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« nennt, und bei wöchentlichen Demonstrationen in der sächsischen Landeshauptstadt Dresden über 10.000 Menschen anzieht, der »HoGeSa« den Rang abgelaufen.
Es sind nicht nur »Glatzen« und »Schläger in Springer-Stiefeln«, Hooligans, Kameradschaftstypen und NPD-Funktionäre, die da durch die Dresdner Altstadt marschieren. Es sind viele Bürger darunter, die zuvor massenhaft die Säle bei Buchlesungen von Thilo Sarrazin füllten, die sich nicht nur am rechten Rand der CDU/CSU, sondern neuerdings vor allem bei der Partei »Alternative für Deutschland« (AfD) tummeln.[3]
Wohl selten ist das Entstehen und die Verbreiterung einer rechtspopulistischen Bewegung über längere Zeit sozialwissenschaftlich so eng begleitet worden wie hierzulande. Das an der Universität Bielefeld angesiedelte Projekt »Deutsche Zustände« hat die Mentalitäten, Ressentiments, Themenfelder und erschreckenden Potenziale »gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit« in einer zehnjährigen Untersuchung beschrieben[4] – niemand kann sich auf Unwissenheit zurückziehen. Doch bezeichnend ist gerade: Zu einem Zeitpunkt, zu dem der Vulkan explodiert, läuft die Projektförderung aus.
Relevante Teile der Mitte der Gesellschaft sind offen für fremdenfeindliche Ressentiments und tumbe Vorurteile. Sie wenden sich gegen die angebliche »Islamisierung des Abendlandes«, protestieren gegen Einwanderung und Überfremdung, fordern Asylrechtsverschärfungen und jubeln dem Pegida-Sprecher und selbsterklärtem »Ausländerfreund« Lutz Bachmann[5] zu, der mit rechtspopulistischen Sprüchen ihre Vorurteile bedient, indem er beispielsweise gegen die »dezentrale Unterbringung mit Vollausstattung« von Asylbewerbern wettert, während »deutsche Mütter ihren Kindern keine Weihnachtsgeschenke« kaufen könnten. Und wenn Kathrin Oertel vom Orga-Team[6] hinterher schiebt, für alle Einwanderer müssten »deutsche Sitten, deutsche Bräuche, deutsche Kultur« gelten, dann schließt sich der Kreis zum Leitantrag des CSU-Parteitags.
Es ist kein »geschlossenes rechtes Weltbild« (Heitmeyer), das die Mehrheit der Teilnehmer auf den »Schweigemarsch« durch Dresden führt. Es sind vielmehr reaktionäre Versatzstücke und Ressentiments, gepaart mit einem grundsätzlichen Unwohlsein gegenüber dem Parlamentarismus. Diese »neue« rassistische Bewegung, die sich gegen Flüchtlinge und eine angebliche »Islamisierung« richtet, kann sich auf eine breitere Zustimmung in der Bevölkerung stützen: So stieg der Anteil derjenigen, die eine großzügige Prüfung von Asylanträgen strikt ablehnen, von 25,8% in 2011 auf 76% in 2014. Nicht mehr 30,2%, sondern 43% fühlen sich durch die vielen Muslime, wie Fremde im eigenen Land.
Besondere Abneigung schlägt vor allem Roma entgegen. Für 55,9% (2011: 44,2%) steht fest, dass Sinti und Roma zur Kriminalität neigen.[7] Für Joachim Bischoff und Bernhard Müller wächst deshalb mit der größten Flüchtlingsbewegung seit dem zweiten Weltkrieg und dem schleichenden Niedergang der gesellschaftlichen Mitte rechts von CDU und CSU mit der AfD »ein rechtspopulistischer politischer David« heran (SozialismusAktuell, 12.12.2014).
Für die sächsische AfD-Landesvorsitzende Frauke Petry thematisiert Pegida Probleme, die von den etablierten Parteien vernachlässigt werden. Da die AfD, so Petry, als einzige Partei diese aufgreife, sei eine »inhaltliche Überschneidung« der Forderungen der Bewegung mit dem Programm der AfD »offensichtlich« (TAZ, 16.12.2104). So ist es nur konsequent, wenn auf der Facebook-Seite des AfD-Parteisprechers Bernd Lucke zu lesen ist: »Ich halte die Forderungen der Pegida für legitim, was nicht alle teilen werden.«
Während Bundesjustizminister Heiko Maas die Pegida zu Recht als »Schande für Deutschland« abkanzelt, will sein Kollege am Kabinettstisch der Großen Koalition, Bundesinnenminister Thomas de Maiziere, die Ängste der demonstrierenden BürgerInnen ernst nehmen. Der Wunsch von Unionspolitikern nach einem wie immer gearteten Dialog mit den Pegida-Demonstranten speist sich aus der Annahme, damit ihre Erosion in der vielzitierten Mitte der Gesellschaft stoppen zu können.
Doch um den Spagat hinzubekommen, muss die Behauptung herhalten, die Demonstranten seien nicht fremdenfeindlich eingestellt. Wer jedoch ausländerfeindliche Parolen ruft, Ressentiments über Muslime verbreitet, verliert die Berührungsängste gegenüber der rechtsextremistischen Szene.
Gegenüber den Flüchtlingen, die sich hierzulande zum Teil über Jahre nur »geduldet« aufhalten, keinerlei Beschäftigung nach gehen dürfen, dem Sanktionsregime der Ausländerbehörden ausgeliefert sind, bis beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) über ihre Asylanträge entschieden wird, wäre es angebracht, sich Gedanken um Ängste zu machen. Doch stattdessen gehen zuständige Behörden zunehmend restriktiv und repressiv vor.
Schon kündigte Sachsens Innenminister Markus Ulkig (CDU) unter dem Beifall der Pegida-Demonstranten an, Sondereinheiten der Polizei speziell gegen »straffällige Asylsuchende« und »Intensivtäter« gründen zu wollen. Aus das erinnert an 1992: Da nahmen die Politiker die Ausschreitungen gegen die Flüchtlinge zum Anlass, das Asylrecht bis zur Unkenntlichkeit zu verstümmeln.
Wir leben in einer multiethnischen und multikulturellen Gesellschaft. Jeder Fünfte in Deutschland hat eine Einwanderungsgeschichte. »Es gibt Deutsche, die Chantal und Kevin heißen, aber auch Mohammed und Ayşe. Neben Kirchtürmen stehen Minarette. Das ist eine Herausforderung. Und wir können uns dieser Herausforderung nur dann erfolgreich stellen, wenn wir die Tatsache anerkennen, dass wir eine Einwanderungsgesellschaft sind, an der alle Menschen gleichberechtigt teilhaben«. (Kemal Hür, DLF 15.12.2014)
Es ist deshalb an der Zeit, dass die demokratischen, fortschrittlichen Kräfte in unserem Land den Brandstiftern und den Biedermännern unter ihnen eine klare Abfuhr erteilen. Mit Solidarität und menschlicher Empathie Flüchtlingen gegenüber.
Um den Rechtspopulismus einzuhegen, geht es dann allerdings auch darum, die Abstiegsängste in der gesellschaftlichen Mitte und deren ökonomisch-sozialen Hintergründe (Prekarisierung der Lohnarbeit, wachsende soziale Ungleichheit etc.) wirklich ernst zu nehmen und durch entsprechende politische Maßnahmen gegenzusteuern.
[1] Frank Metzger: Neue alte Herausforderungen: Rassistische »Bürgerinitiativen« agitieren gegen Flüchtlingsheime. www.blog.schattenbericht.de 24.10.2014.
[2] Aktuell mit ihrer inzwischen abgeschwächten Forderung »Migranten müssen Zuhause Deutsch sprechen«. Dass dies keine »regionale Politfolklore« ist, unterstreicht CSU-Chef Horst Seehofer, wenn er tönt, er wolle Einwanderer aus bestimmten Kulturkreisen »bis zur letzten Patrone« bekämpfen oder droht, innerhalb der EU wieder Grenzkontrollen einführen zu wollen. Siehe: Otto König/Richard Detje, Panikmache in der Zuwanderungsdebatte Wer betrügt, der fliegt!, SozialismusAktuell, 1.2.2014.
[3] Zur Analyse der AfD siehe auch den Beitrag »AfD: Zwischen Wettbewerbspopulismus und rechtem Kulturkampf« von Alexander Häusler in der Ausgabe 1-2015 von Sozialismus sowie das von ihm gemeinsam mit Rainer Roeser verfasste Buch Die rechten ›Mut‹-Bürger im VSA: Verlag.
[4] Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.): Deutsche Zustände Bd.-1-10, Frankfurt a.M./Berlin 2002-2011.
[5] Der PEGIDA-Wortführer Lutz Bachmann (41), der vor kriminellen Ausländern warnt, ist selbst mehrfach vorbestraft. Sein Strafregister: Auftragseinbrüche für das Rotlichtmilieu, Drogen, Fahren ohne Führerschein, Verletzung der Unterhaltspflicht, Flucht nach Südafrika vor der deutschen Justiz.
[6] Der zwölfköpfige Organisatoren-Kreis fand sich über eine Facebook-Gruppe zusammen, die unter dem Einfluss der Anti-Salafisten-Demonstrationen von Hooligans in Köln und Hannover stand (Der Freitag, 12.12.2014).
[7] Vgl. Oliver Decker, Johannes Kiess, Elmar Brähler: Die stabilisierte Mitte. Rechtsextreme Einstellung in Deutschland 2014, Leipzig 2014.
Ähnliche Artikel
- 25.10.2011
GREGOR GYSI: 90 Prozent unserer Zeit darauf verwenden, Politik zu machen
- 30.11.2014
- 23.04.2014
- 21.11.2010
- 27.09.2009
DIE LINKE.: Gemeinsam mit den Menschen diese Gesellschaft gestalten.