Was bedeutet "Ende des Spardiktats"? Zeitenwende in Griechenland und Europa
Von Redaktion Sozialismus
Nach dem deutlichen Ausgang der griechischen Parlamentswahl ist Alexis Tsipras vom Bündnis der radikalen Linken (Syriza) als neuer Regierungschef vereidigt worden. Als Juniorpartner holte Tsipras die rechtspopulistische Partei Anel ins Boot. Gemeinsamer Nenner der beiden Koalitionspartner ist die strikte Ablehnung der Sparprogramme und die Forderung eines Schuldenerlasses durch die internationalen Kreditgeber.
Mit der Unterstützung der 13 Anel-Abgeordneten kommt Syriza auf eine komfortable Mehrheit von 162 Stimmen. Ein Sprecher von Syriza bestätigte die Kooperation mit der Rechtsaußenpartei, die sich 2012 von der konservativen Nea Dimokratia (ND) abgespalten hatte.
Gewonnen hat diese Wahl eine politische Partei, die mit der deutschen Linkspartei vergleichbar ist und nicht mit der SPD. Syriza verspricht dem Land nicht nur ein besseres Leben, d.h. die Beseitigung der humanitären Krise, mehr Jobs, höhere Löhne, bessere Renten, Wachstum und das Ende der alten, korrupten Eliten. Syriza verspricht den GriechInnen auch die Befreiung von den Schuldenfesseln, dem Spardiktat der EU, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Bundesregierung.
Dass die GriechInnen nach dem – mit verschuldeten – Verlust ihrer finanzpolitischen Souveränität mehr Freiheit verlangen würden, war absehbar. Kein Land erträgt es auf Dauer widerstandslos, dass Politiker und Beamte anderer Nationen detailliert vorgeben können, wo im nationalen Haushalt gespart werden muss und wofür Geld ausgegeben werden darf. Mehr als vier Jahre eines repressiven Finanzregimes sind zu Ende. Seit Monaten versuchte die abgewählte Regierung Bedingungen für einen Handlungsspielraum zu vereinbaren. Weniger Auflagen, weniger Kontrollen, mehr Rechte. Dass zu diesem neuen Weg auch etwas höhere Sozialausgaben gehören würden, kann keinen überraschen.
Griechenlands Reiche und Vermögende haben in den vergangenen Jahrzehnten einen großen Anteil am Niedergang des Landes. Sie haben kaum Steuern gezahlt, sie waren korrupt und haben sich bereichert. Sie haben möglichst viel Geld möglichst schnell außer Landes gebracht. Weder die jetzt abgewählten Konservativen noch die zuvor regierenden Sozialdemokraten von der Pasok haben ernsthaft etwas dagegen unternommen. Dass Syriza verspricht, die alten, verhassten Eliten finanziell heranzuziehen, sollten die herrschenden Eliten Europas akzeptieren.
Der Schlüsselkonflikt: Verhandlungen mit der Troika sind nötig, da Athen nach verbreiteter Einschätzung vorerst weitere Unterstützung braucht und das derzeitige Hilfsprogramm des Euro-Krisenfonds EFSF Ende Februar ausläuft. Für dessen Abschluss und eine allfällige Anschlussregelung müsste sich die neue Mannschaft mit der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und IWF über ausstehende Reformschritte einigen – mit jener Troika also, die sie im Wahlkampf zum Teufel gewünscht hat.
Die vorstehende Abbildung zeigt, in welcher Misere die griechische Wirtschaft rund fünf Jahre nach Ausbruch der Eurokrise steckt: Das Bruttoinlandprodukt (BIP) lag Ende 2014 knapp 25% unter dem Niveau, das im ersten Quartal 2008 gemessen wurde (dunkelblaue Kurve). Kein anderes Euroland hat einen ähnlich heftigen Wirtschaftseinbruch erlebt. Der ständige Spardruck erklärt die Popularität des Linksbündnisses Syriza: Ab 2012 verzeichnete es massiven Zulauf. Nun hat es mit dem Versprechen, sich gegen das Spardiktat zu wehren, die Parlamentswahlen klar gewonnen.
Vor allem die deutsche Bundesregierung wehrt sich gegen Vorwürfe der Wahlsieger in Athen, sie seien für die schlechte wirtschaftliche Lage des Landes mitverantwortlich. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble etwa lehnt jegliche Mitschuld ab: »Die griechische Bevölkerung leidet nicht wegen Entscheidungen in Berlin oder Brüssel, sondern wegen des jahrzehntelangen Versagens der dortigen Eliten.«
Wie EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sieht Schäuble die GriechInnen auf einem guten Weg – wirtschaftlich, was ein Zynismus ist. Er gesteht ihnen zu, dass dieser Weg anstrengend sei. Die Rolle der EZB bei der Überwachung der Reformauflagen durch die Troika sei »voll und ganz« im Einklang mit europäischem Recht.
In Griechenland dagegen – und dort nicht nur die linken Sieger der Parlamentswahl – wird Deutschland in hohem Maße für den schlechten Zustand der Wirtschaft verantwortlich gemacht. Sowohl Alexis Tsipras und sein Syriza-Bündnis als auch andere Parteien geben dem nicht zuletzt von Deutschland verordneten Sparkurs der Bundesregierung für sein Land die Schuld an dem Zusammenbruch der Wirtschaft.
Wird das Programm nicht ordentlich beendet, verfällt nicht nur die letzte Kredittranche des EFSF von 1,8 Mrd. Euro, sondern es fließen auch bereits überwiesene, aber ungenutzte Mittel aus einem Topf für Bankenhilfen von gut 10 Mrd. Euro zurück an den EFSF. Ein »dirty exit« würde zudem das noch bis März 2016 laufende Kreditprogramm des IWF gefährden und Griechenlands Zugang zu den Finanzmärkten erschweren.
Ohne Einigung über die Fortsetzung der Sanierungs- und Reformprogramme erhielte die neue Regierung die letzte Tranche der Hilfskredite von 7,2 Mrd. Euro nicht ausgezahlt, und sie müsste zudem auf weitere Milliarden verzichten, die zur Bankenrekapitalisierung vorgesehen waren. Ferner würde sich die EZB weigern müssen, griechische Staatstitel zu erwerben und die griechischen Banken weiterhin mit Liquidität zu versorgen.
In der Tat ist die griechische Bruttoverschuldung mit zuletzt rund 176% des Bruttoinlandprodukts zwar hoch, aber derzeit nicht allzu drückend: Bei den EFSF-Krediten, die 44% der Gesamtschuld ausmachen, werden erste Rückzahlungen erst 2022 fällig, und bis dann werden auch die Zinsen gestundet. Auch die Konditionen der bilateralen Kredite der Euro-Staaten sind günstig.
Eine Lösung für die hohen Kreditschulden drängt nicht in den nächsten Monaten. Entscheidend für den weiteren Verlauf wird sein, ob die Troika einer teilweisen Korrektur der massiven Kürzungen und – auch um den Preis neuer Schulden – einem Programm gegen die humanitäre Krise zustimmt.
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