Eine Chance für einen Politikwechsel in Europa
Von Axel Troost
Aus den vorgezogenen griechischen Parlamentswahlen ist das linke Parteienbündnis SYRIZA mit deutlichem Vorsprung als stärkste politische Kraft hervorgegangen. 2,155 Millionen Wählerinnen und Wähler haben eine klare Entscheidung zwischen zwei grundverschiedenen finanz- und wirtschaftspolitische Konzepten getroffen. Bei einer Wahlbeteiligung von etwa 64% erhielt Syriza 36,4% der Stimmen und wird mit 149 der 300 Sitze ins Parlament einziehen. Die bislang regierenden Konservativen und Sozial-demokraten müssen in die Opposition. In der Wahlnacht bekräftigte Syriza Parteivor-sitzender Alexis Tsipras: „Griechenland lässt die Austerität, die zur Zerstörung geführt hat, hinter sich… Das griechische Volk hat Geschichte geschrieben“. Die Wähler hätten die internationale Gläubiger-Troika aus EU, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) sowie ihre Kontrolle über das Land für „beendet“ erklärt.
Das Votum der griechischen Wähler bedeutet in der Tat, dass die Troika nicht fortgesetzt werden kann. Das ist auch eine Chance für einen Politikwechsel in der Euro-Zone insgesamt. Schon jetzt signalisiert die Mehrheit der Regierungschefs der Euro-Zone: „Wir respektieren das Ergebnis der demokratischen Abstimmung“, kommentierte etwa der finnische Ministerpräsident Alexander Stubb: „Allerdings werden wir bei dem bleiben, was wir vorher abgemacht haben.“ Das soll darauf hinauslaufen, dass sich eine neue griechische Regierung an die Verträge hält, die das Land einmal mit anderen Ländern geschlossen hat. Dazu zählt auch das finanzielle Hilfspaket im Gegenzug zu umfangreichen Sozialkürzungen. Ein Teil der europäischen Führung will also im Konfliktfall das bis Ende Februar verlängerte Programm auslaufen lassen und Athen müsse dann sehen, woher sie die Finanzmittel für die Beendigung der humanitären Krise und für eine Erneuerung der griechischen Wirtschaft bekommen.
Ein kleines abermaliges Entgegenkommen von Seiten der anderen Euroländer könnte der neuen Regierung einen wirtschafts-und sozialpolitischen Neustart ermöglichen. Syriza sucht ein Arrangement mit den europäischen Regierungen. Die Griechen wollen die Gemeinschaftswährung behalten, das belegen alle Umfragen. Nicht nur die Links-partei, sondern die große Mehrheit ihrer Wähler wissen, dass ein Neuanfang in Griechenland nur mit europäischer Unterstützung möglich wird.
Die absehbaren Herausforderungen und Schwierigkeiten einer von Syriza geführten Regierung sind enorm und der Zeitrahmen eng. Die schnelle Entscheidung für die Bildung einer Koalitionsregierung mit der rechtspopulistischen Partei der Unabhängigen Griechen AREL ergibt sich aus der Übereinstimmung in der Kritik an dem brutalen Konsolidierungskurs unter strikter Kontrolle der Troika von EU-Kommission, Europä-ischer Zentralbank (EZB) und IWF und den Folgen der sechs Jahre andauernden Rezession in Griechenland. Die bisherige Krisenpolitik hat die grassierenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme nicht gelöst, sondern durch ihre einseitige Ausrichtung auf Austerität und Währungsstabilität erheblich verschärft. Syriza hatte sich deshalb festgelegt: es muss ein Bruch mit der neoliberalen Sanierungslogik unter Ausschluss einer breiten Beteiligung der Bevölkerung sein. Nur die rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen plädieren gleichfalls für einen Neuanfang. Wie belastbar ein solches Bündnis sein wird, wird sich zeigen.
Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann hat mit seiner Bewertung recht: Das Wahlergebnis in Griechenland ist vor allem eine Chance für einen Neuanfang und damit einen Politikwechsel in Europa. „Es muss endlich Schluss sein mit einer Sparpolitik, die vor allem auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen wird, und in Griechenland wie in anderen Ländern zu skandalösen Lebensverhältnissen geführt hat. 800.000 Men-schen in Griechenland haben keine Krankenversicherung, über 50 Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos, Sozialleistungen wurden dramatisch gesenkt - aber die Verursacher der Krise werden nicht zur Verantwortung gezogen“, sagte Hoffmann. „Der politische Kurswechsel der EU muss jetzt eingeleitet werden, in Griechenland und in allen anderen Krisenländern - weg von Spardiktaten, hin zu Investitionen. Ich erwarte, dass die deutsche Bundesregierung dieses demokratische Wahlergebnis respektiert und Syriza unterstützt, statt wieder wilde Spekulationen zum Euro zu führen.“
Ich teile diese Einschätzung. Griechenland muss mit einer europäischen Investitions-Offensive die massiven Folgen des Austeritätskurses überwinden und wir müssen in Europa eine neue sozial-ökologische Entwicklung mit dem Schwerpunkt auf den südeuropäischen Krisenländern eröffnen. Mit einem Sofortprogramm will sich das Links-bündnis Syriza gegen die „humanitäre Krise“ stemmen. Dies sieht laut Alexis Tsipras in erster Linie steuerpolitische Gerechtigkeit vor.
Syriza schlägt die Neuverhandlung der Troika-Auflagen vor. Hauptziel ist die Ermög-lichung eines Programms zur Bekämpfung der humanitären Krise: Versorgung der ärmsten Familien mit Elektrizität, Nahrungsmittelgutscheine, Zugang für alle zum Gesundheitswesen, verbilligter Wohnraum zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit und eine Senkung der Besteuerung von Heizöl auf Vorkrisen-Niveau. Dieses Programm würde jährlich 1,8 Mrd. Euro kosten.
Eine von Syriza geführte Regierung will – so programmatische Äußerungen des Links-bündnisses – nach den Sofortmaßnahmen zur Linderung der humanitären Krise in einem zweiten Schritt umgehend ein soziales Investitionsprogramm auf den Weg bringen, mit dem die Arbeitslosigkeit bekämpft und die Wirtschaft wieder in Schwung gebracht werden kann. Ein solches mittelfristiges Programm soll rund 11,5 Mrd. Euro kosten und aus inländischen Mitteln finanziert werden, etwa durch Verbesserung der Steuererhebung und Bekämpfung des Schmuggels .
Tatsache ist aber auch, dass heute 228 Mrd. Euro Forderungen an Griechenland in öffentlicher Hand liegen. Daher ist es nicht überrascht, wenn aus Berlin und Brüssel übereinstimmend erklärt wird, dass ein Schuldenschnitt derzeit kein Thema sei. Mittlerweile wird auch von Teilen der Eliten zugestanden, dass ein einseitiges Kürzungs- und Sparprogramm – wie in Griechenland vollzogen – die Probleme nicht gelöst, son-dern verschärft hat. An die Adresse der vorherigen griechischen Regierungen konstatiert Elmar Broks (CDU): „Ich kenne kein Land in Europa, in dem die normalen Bürger so von der politischen und wirtschaftlichen Klasse über 30 Jahre betrogen wurden.“ Das sei noch nicht wieder in Ordnung gebracht worden. „Man kann kein Land in Ordnung bringen, wenn das nur der kleine Mann zu zahlen hat und man erneut an die Senkung der Renten herangeht. Hier müssen Reformen gemacht werden.“
Womöglich deutet sich hier der Korridor für die anstehenden Neuverhandlungen zwischen der neuen Regierung und der EU an.
Es geht aber nicht nur um Griechenland. Die Euro-Zone steckt selbst insgesamt im Krisenmodus. Der entscheidende Grund: Europa hat ein chronisches fundamentales Nachfrageproblem. In den vergangenen Jahrzehnten hat eine große Umverteilung von den Arbeitnehmern und vor allem von jenen mit geringen Einkommen zu den Unternehmen und Gutverdienenden stattgefunden. Damit wurde jenen Akteuren Geld genommen, die sehr viel von ihrem Einkommen konsumieren, zugunsten von Unternehmen und Gutverdienern, die relativ viel von ihrem Einkommen sparen. Die Umverteilung der Einkommen hat also eine große Nachfragelücke geschaffen. Das ist das Kernproblem. Die Verschärfung der Einkommens- und Vermögensungleichheit hätte politisch über die Steuerpolitik korrigiert werden können und müssen. Aber das Gegenteil ist geschehen: Unternehmen und Vermögen wurden sogar im Steuerwett-bewerb der Standorte noch mehr entlastet.
Die neoliberalen Strukturreformen haben die europäischen Wirtschaften und den sozialen Zusammenhalt massiv beschädigt. Der grundlegende Fehler dieser Politik ist: Unternehmen investieren nicht, wenn niemand die Waren und Dienstleistungen kauft. Die europäische Zentralbank verwaltet diesen grundlegenden Widerspruch, jüngst mit einem gigantischen geldpolitischen Programm von 1,1 Billionen Euro.
Auch die Europäische Kommission hat das Ziel ausgegeben, den Anteil des verarbei-tenden Gewerbes an der Wertschöpfung in den Mitgliedstaaten wieder auf 20 Prozent zu erhöhen. Präsident Juncker hat seinen Plan vorgelegt, wie mit öffentlich angeregten Investitionen von 315 Milliarden Euro ein Beitrag zur Überwindung der Krise zu leisten wäre. Das Geld soll größtenteils aus der Wirtschaft kommen, wobei die Kriterien für Projekte noch nicht offen auf dem Tisch liegen. Der Europäische Gewerkschaftsbund (ETUC), der selbst einen Vorschlag für einen europäischen Aufbauplan vorgelegt hat, ist skeptisch. Selbst wenn die Summe zustande kommt, gleicht sie nur 40 Prozent des Investitionsrückgangs seit Krisenbeginn aus. Folglich hält der europäische Gewerk-schaftsbund zusätzliche Investitionen in mehr als doppelter Höhe pro Jahr für nötig.
Die Wahl des Linksbündnisses Syriza ist ein demokratischer Weckruf für Europa. Die EU muss aus ihren Fehlern lernen, ihr Krisenmanagement überdenken und anpassen.
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