Austeritätspolitik beenden - für ein europäisches Investitionsprogramm
Von Axel Troost
Lange Zeit wurde das Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro-Verbund von der Mehrheit der wirtschaftlich-politischen Eliten für eine enormes wirtschaftlich-finanzielles Risiko (Domino-Effekt für andere Krisenländer) und damit als politischer Super-Gau für die Legitimität Europas eingeschätzt. Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble will neuerdings einen ungeplanten, plötzlichen Austritt Athens aus der gemeinsamen Währung Europas nicht mehr ausschließen. „Grexit by accident“, ein Euro-Ausstieg als Betriebsunfall – so wird dieses Szenario inzwischen genannt. Schäuble hält einen ungeplanten, unfallartigen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone für möglich. „Da ja die Verantwortung, die Möglichkeit, zu entscheiden was passiert, nur bei Griechenland liegt, und da wir nicht so genau wissen, was die Verantwortlichen in Griechenland tun, können wir es nicht ausschließen“, sagte der Finanzminister.
Die politische Rhetorik und die Auflagenpolitik der neoliberalen Politiker erhöhen in der Tat das Risiko einer massiven Beschädigung Griechenlands und der europäischen Union. Finanzminister Schäuble profiliert sich als neoliberaler Scharfmacher: Bis November 2014 sei Athen auf einem guten Weg gewesen. Die Linksradikalen hätten die Fortschritte verspielt. Tsipras´ Konzept werde „so nicht funktionieren“. Er kenne niemanden in den internationalen Institutionen, der ihm sagen könne, was Athen eigentlich wolle. Es sei an der Zeit, dass das Land sich „allmählich langsam an die Realität“ annähere. Es sei falsch zu glauben, „wir hätten das Land zu Tode gespart“. Die griechischen Eliten hätten über Jahrzehnte versagt, dazu habe das Euro-Land über seine Verhältnisse gelebt. Schäubles Schlussfolgerung: Wenn aber „die Verantwortlichen in diesem Land das Volk belügen“, dann sei es nicht verwunderlich, dass das Volk so reagiere. Entweder werde Syriza scheitern oder das Gegenteil seiner Wahlkampfversprechen umsetzen müssen.
In seinem ideologischen Eifer biegt der deutsche Finanzminister die Fakten zurecht. Griechenland hat im Jahr 2014 ein bescheidenes Wirtschaftswachstum nach mehreren Jahren der Schrumpfung von 0,8 Prozent erwirtschaftet. Das letzte Quartal (Oktober – Dezember 2014) brachte erneut rote Zahlen von 0,4 Prozent. Die damalige Regierung Samaras verweigerte weitere Sozial- und Personalkürzungen, erhielt keine weiteren Finanztranchen aus den laufenden Programmen, die zudem bis Februar 2015 verlängert wurden. Athen war schon vor der Regierungsübernahme durch Syriza auf keinem guten Weg.
Während Finanzminister Schäuble die politische Niederlage der griechischen Regierung offenkundig erzwingen will, warnt EU-Ratspräsident Tusk die EU-Staaten davor, das überschuldete Griechenland versehentlich aus der Eurozone ausscheiden zu lassen. Ein „Grexit“ hätte dramatische Folgen: „Wir haben ein solches idiotisches Szenario zu verhindern.“ In der Geschichte Europas habe es bereits zu viele Dinge gegeben, die versehentlich passiert seien, sagte der frühere polnische Ministerpräsident. Der Verbleib Griechenlands in der Eurozone sei nicht nur eine Frage des Geldes. „Ein Ausscheiden Griechenlands wäre das dramatischste Kapitel in der gesamten Geschichte der Europäischen Union. Wir müssen Griechenland helfen, das ist unstrittig.“ Er forderte alle Akteure auf, sich einander in Würde und Achtung zu begegnen.
In der immer deutlicher werdenden Richtungsauseinandersetzung der europäischen Politik sollte sich die LINKE verstärkt an der Seite von Syriza und allen anderen Befürwortern einer Beendigung der Austeritätspolitik engagieren. Es geht vorrangig nicht um finanzielle Liquidität und Schuldentilgung, sondern um einen Politikwechsel in Griechenland und Europa. Entgegen eines zufälligen oder politisch erzwungenen Grexit kämpfen wir dafür, Griechenland und die anderen Krisenländer innerhalb des Eurosystems ökonomisch und sozial zu stärken. Abgesehen von der unverzüglichen Auszahlung der ausstehenden Finanztranchen für Griechenland sollte endlich die bisherige Austeritätspolitik beendet und ein umfassendes europäisches Investitionsprogramm umgesetzt werden. Das Billionen-Aufkaufprogramm der europäischen Zentralbank zielt wiederum auf die Entlastung der Finanzinstitute und die Unterstützung der Vermögenden. Stattdessen könnte es um eine Art europäischen New Deal gehen: den gezielten Aufbau einer nachhaltigen, wettbewerbsfähigen Wirtschafts- und öffentlichen Infrastruktur. Der Aufbau Griechenlands sollte in ein umfassendes Programm zur wirtschaftsstrukturellen Stärkung des Eurolands eingebettet werden.
Die griechische Regierung ringt in Gesprächen mit Fachleuten der EZB, der EU-Kommission und des Internationalen Währungsfonds (IWF) um deren Zustimmung zu ihren jüngsten Reformplänen. Davon hängt ab, wie schnell die Finanzminister der Euro-Länder ausstehende Hilfsgelder aus dem Rettungsprogramm freigeben. Die Regierung in Athen steht unter Druck, weil sie ihre Schulden weiter bedienen, d.h. umschulden muss. Die EZB könnte den Rahmen für kurzfristige Staatsanleihen um zwei bis drei Milliarden Euro erhöhen.
Derzeit deuten die Entwicklungen nicht auf Kompromisse, sondern eher auf Verstärkung der Konfrontation zwischen der Mehrheit der europäischen Elite und der griechischen SYRIZA-Regierung hin. Besonders die deutsche Seite gibt den Hardliner: Finanzminister Schäuble vertritt unbeugsam die Forderung nach weiterer Umsetzung der Austeritätsprogramme.
Es kommt jetzt darauf an gesellschaftlichen Druck zu entwickeln, der die große Koalition und die politische Mehrheit in der Euro-Zone zu einem Kurswechsel zwingt. Die SPD hätte hier die Chance ein wenig von dem Profil wiederzufinden, dass sie noch im Wahlkampf 2013 propagiert hat. „Wenn wir in eine neue deutsche Bundesregierung eintreten, werden wir für mehr Zusammenarbeit, mehr Kooperation und mehr Demokratie in Europa, und für weniger technokratische Machtausübung sorgen. Übrigens: Wir werden alles dafür tun, dass endlich aus diesem Binnenmarkt Europa ein soziales Europa wird.“ Daher werde die europäische Sozialdemokratie wieder die Menschen und nicht nur die Banken in den Mittelpunkt stellen. Denn es lasse die sozialdemokratische Parteienfamilie nicht, dass sich mehr als 43 Millionen Menschen in Europa kein Essen mehr leisten können. „Diese wachsende Kluft zwischen Armen und Reichen darf eine mitfühlende europäische Sozialdemokratie nicht kalt lassen, und wir dürfen ihr nicht weiter tatenlos zusehen.“
Davon ist heute kaum noch die Rede mehr. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat sich in den Chor derer gestellt, die mit drastischen Ermahnungen gegen die SYRIZA-geführte Regierung in Athen hervortreten. „Ehrlich gesagt: es reicht jetzt. So kann das nicht weitergehen. Und so geht man nicht miteinander um!“ Der Sozialdemokrat verwies darauf, dass die deutschen Steuerzahler „in der Vergangenheit Milliarden von Euro an Risiken geschultert“ hätten, um Griechenland zu helfen. Es sei „nicht zu viel verlangt“ in der Diskussion um die umstrittenen Kreditprogramme Respekt und einen „anständigen Umgangston zu erwarten“, so Gabriel.
Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras setzt trotz des harten Konfrontationskurses auf eine Verständigung. „Diese Frage wird auf politischer Ebene bis zum Wochenende gelöst sein, entweder im Vorfeld oder, wenn nötig, auf dem EU-Gipfel selbst“. Tsipras sagte weiter: „Der Schlüssel zu einem ehrlichen Kompromiss ist die Anerkennung der Tatsache, dass die bisherige Politik eines extremen Sparens gescheitert ist, nicht nur in Griechenland, sondern in ganz Europa.“ Finanzminister Varoufakis schlägt vor: „Wir brauchen eine neue Doktrin, die Europa vereinigt. Frau Merkel könnte, bevor sie ihre Karriere beendet, ein Vermächtnis für Europa hinterlassen, an das sich alle als Merkel-Plan erinnern würden, so wie man sich heute an den Marshall-Plan erinnert.“
Ich teile die Vorstellung eine Wachstums- und Investitionsinitiative nicht nur für Griechenland, weil sie die Chance bietet einer destruktiven Entwicklung Europas Einhalt zu gebieten. Ein griechischer oder portugiesischer oder italienischer Ausstieg aus der Eurozone würde bald zu einem Zerfall der europäischen Gemeinschaft führen mit zunehmenden sozialen und ökonomischen Spannungen, von denen das anwachsende Lager des Rechtspopulismus und Rechtsextremismus mehr profitiert, als eine gesellschaftliche Linke.
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