Kleine Anfrage zu großen Problemen
Von Judith Dellheim
Ende Februar erhielt die Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag Antwort auf ihre Kleine Anfrage «Bilanz der Krisenpolitik in Griechenland».
Die Antworten sprechen für sich. Bevor auf einige näher eingegangen wird, zunächst drei Vorbemerkungen: Erstens zu den sozialen Auswirkungen der Austeritätspolitik 2010–2014, zweitens zu den Privatisierungen, mit denen im Allgemeinen weitere Verschlechterungen der sozialen und demokratischen Standards (Beschäftigung, Arbeitsvergütung, Bedingungen für den Erhalt von Leistungen, Qualität der Leistungen, soziale und demokratische Rechte) verbunden sind. Die dritte Vorbemerkung betrifft ökonomische und Machtgewinne Deutschlands.
Eine kleine Statistik zum 25. Januar 2015, dem Tag, an dem SYRIZA an die Regierung in Griechenland gewählt wurde, illustriert die von der Troika verordneten sozialen Grausamkeiten seit Ausbruch der «Euro-Krise» bzw. der «Griechenlandkrise» im Jahre 2010:
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Eine Million Menschen wurden erwerbslos, das ist eine Steigerung um 190,9 Prozent, 60 Prozent der Jugendlichen sind ohne bezahlte Arbeit; im öffentlichen Sektor konnte eine Arbeitskraft bleiben, wenn zuvor fünf gegangen waren bzw. entlassen wurden,
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das gesetzliche Renteneintrittsalter wurde auf 67 Jahre erhöht,
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30 Prozent der Unternehmen wurden geschlossen,
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die Einkommen sanken um 38 Prozent, um 45 Prozent die Renten, die Löhne um 23,8 Prozent,
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das Bruttoinlandsprodukt fiel um 25 Prozent,
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die Haushaltseinkommen sind um 30 Prozent geschrumpft,
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die Kindersterblichkeit stieg um 42,8 Prozent, 37 Prozent der Schulkinder leiden unter Ernährungsunsicherheit, 27 Prozent kennen sogar Hunger,
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die Suizidrate explodierte um 272,7 Prozent, täglich geschahen zwei Selbstmorde,
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die öffentlichen Schulden sind um 35,2 Prozent gewachsen,
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die Investitionstätigkeit ist um 84,3 Prozent abgestürzt,
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die Armutsrate ist um 98,2 Prozent gestiegen, 450.000 Familien sind ohne Erwerbsperson, mehr als drei Millionen Menschen sind ohne Krankenversicherung, mehr als 20.000 EinwohnerInnen Athens sind auf Suppenküchen angewiesen,
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die Steuerbelastung für Menschen mit mittleren Einkommen hat um 25 Prozent zugenommen,
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die Eigentumssteuer, die sich wesentlich auf Immobilien bezieht, ist um mehr als das Fünffache gestiegen, weshalb 65 Prozent der privaten Haushalte verschuldet sind,[2]
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der öffentliche Sektor wurde so geschrumpft, dass das Gesundheitswesen weitgehend zusammengebrochen ist, Gesundheitsbetreuung und Pflege wurden für die Meisten unbezahlbar, dringend erforderliche Sozialleistungen können nicht mehr abgesichert werden.
Die Aufzählung kann fortgesetzt werden: Die griechische Menschenrechtsorganisation HLHR hat eine umfangreiche Studie zu Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Austeritätspolitik veröffentlicht.[3] Oft haben diese Menschenrechtsverletzungen mit Privatisierungen zu tun.
Eine zentrale Forderung der Gläubiger und der Troika ist die Privatisierung öffentlichen Eigentums. Bis 2020 sollen 50 Milliarden Euro aus Privatisierungen eingenommen werden. Die Privatisierungen verlaufen aber nicht planmäßig und bei Weitem nicht mit dem erhofften Erfolg. Der Vermögensentwicklungsfonds der Republik Griechenland HRADAF wurde am 1. Juli 2011 gegründet, um die mit der Troika vereinbarten Privatisierungen vorzunehmen. Diesem Fonds wurde staatliches Eigentum in Form von realem Vermögen, Unternehmensanteilen und Stimmrechten übergebene. Es darf nicht wieder in staatliches bzw. öffentliches Eigentum verwandelt werden. Zum Bestand des Fonds gehören 35 Gebäude, Anteile am Athener Flughafen, an Hellenic Petroleum, an Ellinikon, am Pferderennen, an LARCO und OLP, OLTH, an den Wasser- und Abwasserbetrieben von Athen und Thessaloniki, an den Autobahnen, der Fußballorganisation, an der ALPHA-, der National- und der Piräus-Bank, die Rechte an dem Naturgaslager Südliches Kavala, an der staatlichen Lotterie und der Fußballwette, an 39 regionalen Flughäfen, an Mobile Spectrum und den Mobiltelefon-Frequenzen, die Stimmrechte an der Post und an zehn Häfen.[4] Damit haben sich die ohnehin arg beschränkten Möglichkeiten, soziale, ökologische und wirtschaftliche Entwicklungen gerecht und solidarisch zu gestalten, weiter gravierend verschlechtert.[5] An den Privatisierungen zu viel zu geringen Preisen sind auch Unternehmen aus Deutschland wie z. B. FRAPORT beteiligt. Sie stärken auf Kosten Griechenlands ihre ökonomischen und wirtschaftspolitischen Positionen. Übrigens gehört auch der Bundeshaushalt zu den Profiteuren der Krise, wie das Handelsblatt schon 2012 thematisierte: «Tatsächlich profitiert der Bundeshaushalt massiv von der Euro-Krise, wie Berechnungen … zeigen: So wird der deutsche Staat für all die Anleihen, die er in den letzten dreieinhalb Jahren ausgegeben hat, nur noch 86 Milliarden Euro Zinskosten zahlen müssen. Lägen die Zinsen dagegen noch immer auf dem Niveau wie zwischen 1999 und 2008, so wären es satte 154 Milliarden gewesen. Deutschland kann also 68 Milliarden einsparen – allein durch niedrigere Zinsen … Die Zinsersparnisse in Milliardenhöhe relativieren auch die bislang ausgezahlten deutschen Hilfen für die Krisenländer deutlich.»
[3] Fidh/HLHR (2014): Downgrading rights: the cost of austerity in Greece, Athens, Paris.
[4] www.hradf.com
[5] Eine Übersicht der abgeschlossenen, laufenden und für die nächsten zwölf Monate geplanten Privatisierungen ist zu finden unter: www.hradf.com
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