Das ist unser Job.
Bodo Ramelow, Ministerpräsident des Landes Thüringen, zur Verantwortung von Politikerinnen und Politikern in der Flüchtlingsdebatte.
Heute habe ich einen Offenen Brief des Landrats des Wartburgkreises bekommen, in dem er dem Land einen vorübergehenden Aufnahmestopp für Flüchtlinge ankündigt. Wenn es um ernste Anliegen geht und wenn man wirklich einvernehmliche Lösungen anstrebt, dann scheint mir das Mittel eines Offenen Briefes ziemlich ungeeignet zu sein. Auf offene Briefe antwortet man ja auch eigentlich nicht – nicht mal öffentlich. An diese Regel will ich mich auch halten, mal ganz davon abgesehen, dass der richtige Adressat für dieses ernste Anliegen und zu diesen Fragen das Landesverwaltungsamt ist.
Ich will aber die Gelegenheit nutzen und einige grundlegende Sätze zur Verantwortung von Politikerinnen und Politikern in der Flüchtlingskrise verlieren. Und ich spreche hier ganz ausdrücklich von allen, die in den Kommunen, in den Ländern und im Bund administrative oder parlamentarische Verantwortung wahrnehmen.
Wir alle erleben jetzt eine Stunde der Bewährung, in der sich zeigt, was unsere Sonntagsbekenntnisse zum Grundgesetz wert sind, wenn es ernst wird. Wir alle müssen jetzt zeigen, ob wir in einer Krisensituation in der Lage sind, Verantwortung als gewählte Anführerinnen und Anführer eines demokratischen Gemeinwesens zu übernehmen. Die Situation ist außerordentlich schwierig. So viele Menschen in so kurzer Zeit sind seit Jahrzehnten nicht mehr nach Deutschland gekommen. Und es bringt auch nichts, das Offensichtliche zu leugnen. Alle staatlichen Ebenen stoßen gegenwärtig oft genug an ihre Grenzen. Wir müssen improvisieren, wir müssen kurzfristig pragmatische Lösungen finden, wir müssen von liebgewordenen ideologischen Ruhekissen Abschied nehmen.
Den einen fällt das leichter, den anderen schwerer. Ich weiß, wovon ich rede. Der Freistaat Thüringen hat seine Erstaufnahmekapazitäten seit Jahresbeginn verzehnfacht, ohne dass jemand bisher in Zelten oder Containern muss. Und wir gehen gerade auf dieser Basis eine weitere Verdoppelung an. Wir eröffnen im Monatstakt riesige Aufnahmeeinrichtungen, wir besorgen Betten, wir bauen Bäder und Toiletten, wir bekommen Hilfe von vielen Engagierten. Dafür tragen in Thüringen drei Menschen die wesentliche Verantwortung: Migrationsminister Dieter Lauinger, Migrationsstaatssekretärin Silke Albin und Landesverwaltungsamtspräsident Frank Roßner. Diesen dreien danke ich stellvertretend für alle anderen, die in dieser Krise erst einmal das tun, was die Bürgerinnen und Bürger von uns Politikerinnen und Politikern erwarten: dass wir unseren Job machen, anstatt zu klagen und zu sagen, was alles nicht geht.
Genau das tun tagtäglich auch hunderte Menschen in den Thüringer Kommunen. Auch dafür meinen herzlichen Dank. Thüringen wird keinen Brief an die Kanzlerin schreiben und sagen, dass wir es nicht schaffen. Dafür ist Thüringen zu stark und zu stolz. Es ist nicht so, dass sich irgendwer in Deutschland diese Krise ausgesucht hätte. Aber jetzt ist sie da. Eine Völkerwanderung ist im Gange, die Menschen haben sich zu Hunderttausenden aufgemacht, und kein Zaun der Welt wird sie stoppen. Wer das Gegenteil erzählt, ist ein Scharlatan, der die Menschen belügt. Es gab und gibt keine vernünftige Alternative zu einem Realismus in humanitärer Verantwortung. Wir haben uns diese Krise nicht ausgesucht, aber wir müssen sie lösen. Kein Bürgermeister, kein Landrat und keine Regierung kommt mit dem Versprechen ins Amt, nur dann zu regieren, wenn das Wetter gut ist.
Natürlich weiß ich, dass viele Menschen Angst haben vor dem, was auf uns zukommt. Ich selbst frage mich oft genug am Abend, wie wir die Probleme des kommenden Tages lösen sollen. Aber es ist doch so: wir Politikerinnen und Politiker haben in dieser Situation die Wahl, ob wir die Angst regieren lassen oder dem Mut eine Stimme geben. Ich plädiere für letzteres. Und deshalb: ja, wir schaffen das. Wir werden in dieser Krise ein humanes Gesicht zeigen, wenigstens die meisten. Wir werden keine Bilder wie in Ungarn oder Mazedonien zulassen. Und natürlich werden wir darüber entscheiden müssen, wer bleiben kann, und wer nicht. Aber viel wichtiger als das ist die Frage, wie wir diejenigen, die bleiben, so integrieren, dass es ein Gewinn für alle wird. Das ist unser Job.
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