Die Mitte kann sich Gabriels SPD nicht leisten
Von Matthias Höhn
"Jetzt ist entschieden, wo es langgeht, und so machen wir das jetzt auch." Nach seiner Wiederwahl deutete er sein bislang schlechtestes Wahlergebnis um in eine Dreiviertel-Mehrheit, die seinen Kurs in der SPD unterstützt. Und Gabriel hat Recht. Weniger für ihn als vielmehr für die SPD-Linke war dieser Parteitag eine herbe Niederlage. Die Partei folgt dem "Mitte-Kurs" des Vorsitzenden. Kanzler wird er so nicht.
Ob die Freihandelsabkommen TTIP und CETA, der Kurs in der Euro-Krise, Kontingente für Flüchtlinge, Vorratsdatenspeicherung, Wirtschaftspolitik oder die Absage an eine gerechte Steuerpolitik: Gabriel verschiebt die Ausrichtung der Partei wieder nach rechts. Die - zugegeben nicht üppigen - Gemeinsamkeiten, die es zwischenzeitlich mit einem gesellschaftlichen Reformprojekt für einen sozial-ökologischen Wandel gab, haben sich fast gänzlich wieder erschöpft. Die teils linke, durchaus sozialdemokratische Programmatik des Bundestagswahlprogramms 2013 war offenkundig nur ein Intermezzo: Die SPD ist wieder dort, wo sie im Grunde seit 16 Jahren steht.
Das Problem der Mitte-Politik ist, dass sie keine Politik für die Mitte macht
1999 riefen Schröder und Blair den dritten Weg der Sozialdemokratie mit einer Politik der "Neuen Mitte" aus. Kurze Zeit später kamen die Agenda-Reformen. Seitdem verfolgt die SPD in Regierung oder Opposition mehr oder weniger kontinuierlich eine "Politik der Mitte". Mit welchem Erfolg? Sowohl die Mitte der Gesellschaft als auch die SPD ist geschrumpft. Millionen sind aus der Mittelschicht abgerutscht, Millionen haben sich von der SPD abgewendet. Denn das Problem der "Politik der Mitte" war und ist, dass sie in Wahrheit keine Politik für die gesellschaftliche Mitte macht. Im Gegenteil: Sie spielt die Mitte gegen Unten zugunsten von Oben aus.
Wo müsste Gabriel ansetzen, wenn er Politik für die Mitte machen will, wenn er von der "Arbeitnehmermitte" oder "der Mehrheit - das Zentrum der Arbeitsgesellschaft" spricht, die die SPD in den Blick nehmen sollte?
Versuchen wir es mit ein paar Zahlen:
Die Einkommensmitte - nicht das durchschnittliche Einkommen - liegt derzeit nach EU-Statistik bei 1645 Euro netto monatlich pro Person. Einkommensmitte heißt:
die eine Hälfte der Bevölkerung verdient mehr und die andere weniger. Nach Definition des DIW gehört zur Mittelschicht, wer mit seinem Einkommen zwischen 70 und 150 Prozent dieses zentralen Wertes liegt. Das ist nicht viel, aber das ist die Mitte: z.B. ein Großteil der Angestellten im öffentlichen Dienst, in den Städten und Gemeinden von der Kita über die Pflege bis zur Polizei, das ist das Handwerk, das sind viele Selbstständige und Beschäftigte im Einzelhandel usw.
Politik für die Mitte
Und was macht Gabriel? Auf dem Parteitag sagte er, Verteilungsgerechtigkeit sei nicht über Steuerpolitik erreichbar. Wie bitte? Steuerhöhungen für Reiche, wie sie die SPD 2013 noch forderte, erteilte er eine Absage. Obwohl er ganz genau weiß, dass die gesellschaftliche Mitte mit ihren Steuern das Gemeinwesen am Laufen hält. Eine Politik für die Mitte spielte nicht den Vermögensverwalter der Reichen, sondern verteilte kräftig um: mit gerechten Steuern, die die Millionäre, Erben und Spitzenverdiener nicht verschont bei der Finanzierung des Öffentlichen. Denn höhere Einnahmen über deren Steuern sind dringend notwendig: für Bildung, Gesundheit, Pflege, Wohnen, mehr Personal und bessere Bezahlung im öffentlichen Dienst und eine erfolgreiche Integration von Migrantinnen und Migranten. Letztlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt: Die Mitte kann sich Gabriels Steuerpolitik gar nicht länger leisten. Und nicht nur das: dessen Rentenpolitik auch nicht. Das oben genannte mittlere Einkommen von 1645 Euro netto im Monat wird im Alter nur noch für eine Rente knapp oberhalb der Grundsicherung reichen - eine halbwegs ungebrochene Erwerbsbiografie vorausgesetzt. So sieht Rentenpolitik für die Mitte aus?
Die SPD muss begreifen: Die gesellschaftliche Mitte kann sich eine solche Sozialdemokratie nicht länger leisten. Nur wer eine Politik für die Mitte macht, ist für DIE LINKE überhaupt koalitionsfähig. Dann klappt es vielleicht irgendwann auch mal wieder mit dem Kanzleramt.
PS: Angela Merkel, die die SPD ja angeblich aus ihrer Kanzlerschaft verdrängen will, hat wenige Tage nach Gabriel auf ihrem Parteitag par excellence vorgeführt, dass allein sie die überzeugende Repräsentantin einer Politik ist, die 75 Prozent der SPD-Delegierten gern für sich pachten würden. Es bleibt dabei: Nichts sichert die Kanzlerschaft der CDU so dauerhaft, wie eine SPD nach Gabriels Bilde.
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