Linke Realpolitik unter Austeritäts-Zwängen
Axel Troost: Zur komplizierten Lage in Griechenland
Dieser Text ist zu erst erschienen auf www.sozialismus.de
Seit Beginn der Eurokrise wird Griechenland in deutschen Medien zumeist nur aus ganz bestimmten Anlässen behandelt, die – selbst bei ausgewogener Berichterstattung im Detail – im Großen ein einseitiges und verzerrtes Bild des Landes vermitteln: Wenn die schwelende Krise periodisch zu einem Spektakel eskaliert, wenn eine letzte Verhandlungsrunde über das Schicksal der Eurozone zu entscheiden droht.
Oder, wenn die politische Situation personalisiert werden kann, beispielsweise als mit dem schwäbischen Konservativen Wolfgang Schäuble und dem ungestümen, »marxistisch angehauchten Keynesianer« Yanis Varoufakis verschiedene Welten aufeinander prallten und die passenden symbolischen Bilder für den polit-ökonomischen Konflikt in Europa lieferten.
Aber auch in ruhigeren Zeiten, wenn von Zeit zu Zeit die deutschen Medien mit strengem Blick prüfen, ob »die« Griechen »ihre Hausaufgaben« gemacht haben oder von »uns« bis auf weiteres die totale Rettung gefordert ist. Schließlich, wenn Gesellschaftsportraits gezeichnet werden über verarmende Unter- und Mittelschichten, generelle Frustration und den griechischen Brain-Drain aus einem »hoffnungslos unreformierbaren« Land.
»Packt die Campingsachen zusammen und macht euch an die Arbeit!«(Euro-Gruppen-Vorsitzender Jeroen Dijsselbloem an die griechische Regierung)
Meist zu kurz kommt in der medialen Öffentlichkeit hingegen die alltägliche Realpolitik – also die politischen Maßnahmen, die sich aus den konkreten Vorgaben der Troika sowie den konkreten Plänen und Maßnahmen der linken Regierung ergeben. In Deutschland wird zu wenig berichtet, wie sich die realpolitische Situation in Griechenland gestaltet, welche Zwänge herrschen und wie die linke Regierung ihre verbliebenen Autonomiespielräume zu nutzen versteht.
Dass der Regierung von Alexis Tsipras kaum finanzielle Mittel zur Verfügung stehen und der Spielraum für Politik äußerst eng bleibt, ist auch in Deutschland weithin bekannt. Weniger kommuniziert wird hierzulande jedoch, wie weit die europäischen Auflagen auch in die konkrete Ausgestaltung der politischen Maßnahmen hineinreichen und die griechische Regierung regelrecht bevormunden. Hierzu einige Beispiele aus den aktuellen Verhandlungen.
Austeritäts-Vorgaben bis ins Detail, Unbeugsamkeit in verbleibenden Nischen
Besonders kritisch zu sehen sind die ständigen Einwände der Gläubiger gegen geplante Maßnahmen im mittelfristigen Finanzplan, die die völlige Verarmung von abgehängten Bevölkerungsschichten in Griechenland verhindern oder wenigstens abfedern sollen: Pilotprojekte, wie die Einführung einer »sozialen Solidaritätsbeihilfe« (Koinoniko Epidoma Allilengyis, KEA) in 30 Kommunen, die Menschen helfen soll, die unter Bedingungen extremer Armut leben, werden von den Institutionen verzögert oder verunmöglicht.
Ähnlich die Einwände der Institutionen gegen die geplante Maßnahme, Freiberuflern ältere fällige Abgaben und Beiträge bis Ende des Jahres zu stunden (unter der strikten Bedingung, dass diese ihre laufenden Verbindlichkeiten bedienen). Auf diesem Wege sollten eigentlich großflächige Insolvenzen von Freiberuflern, ihr Abwandern in die Schwarzarbeit oder die neu zu beobachtende Verlegung ihres Steuersitzes in Nachbarländer wie Bulgarien verhindert werden. So werden von europäischer Seite und mit Billigung der Bundesregierung sinnfällige Maßnahmen unterbunden, die auch in Deutschland weitgehend konsensfähig wären.
Weiterhin blockierten die Gläubiger zwei Maßnahmen, die Premierminister Tsipras am 10. September auf der Internationalen Messe Thessaloniki angekündigt hatte:
- Erstens die Schaffung eines unpfändbaren Kontos für Unternehmen, das im Rahmen des Gesetzesentwurfs über elektronische Transaktionen eingeführt werden sollte. Dieses Konto sollte ausschließlich für die Zahlung von Lieferanten, Angestellten, Versicherungsbeiträgen und Steuern verwendet werden, um den Dominoeffekt von Unternehmenspleiten abzupuffern. Es liegt nahe, dass hier die Ideologie des freien Unternehmertums höher gestellt wird als Maßnahmen zur Schaffung von Vertrauen in einer destabilisierten, kriselnden Wirtschaft.
- Zweitens ein Gesetz zur freiwilligen Offenlegung nichtdeklarierter Einkünfte (also der Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung): Hier sperrten sich die Institutionen und machten zur Bedingung, dass für eine Gewährung von Straffreiheit eine deutlich höhere Besteuerung anzusetzen sei, die dann höher als der geschuldete Betrag ausfallen kann. Vergleicht man das deutsche Sonderrecht der strafbefreienden Selbstanzeige, das die LINKE immer wieder scharf kritisiert, aber gerade der konservative Teil der deutschen Bundesregierung vehement verteidigt, wird deutlich, dass auch hier mit zweierlei Maß gemessen wird.
Aus Regierungskreisen wurde zwar verlautbart, dass diese Regelungen notfalls auch einseitig, also ohne Einverständnis der Gläubiger, in Kraft gesetzt werden können. Jedoch ist Griechenland hier strukturell am kürzeren Hebel und es ist offen, ob eine linke Politik wenigstens in Nischen dieses austeritären Rahmens erfolgreich implementiert werden kann.
Blinder Privatisierungsdruck und erkämpfte Investitionen
Weiterhin besteht nicht nur ein großer Druck zu Privatisierungen, sondern es wurde von den Institutionen konkret und bis ins Detail festgelegt, welche öffentlichen Unternehmen bis wann privatisiert sein müssen, und wie der Privatisierungsfonds ausgestaltet sein soll. Allerdings zeigt sich auch hier, mit welcher Unbeugsamkeit die griechische Regierung den Institutionen jeweils Achtungserfolge abtrotzt.
Der Privatisierungsfonds wird in der Presse »Superfonds für staatliche Sicherheiten« genannt, seine offizielle Bezeichnung ist »Griechische Gesellschaft für Beteiligungen und Vermögen Aktiengesellschaft« (Elliniki Etaireia Symmetochon kai Periousias – EESP AE). Er ist für eine Laufzeit von 99 Jahren ausgelegt und soll gewinnorientiert betrieben werden. Die griechische Seite konnte dabei durchsetzen, dass die Einnahmen nicht vollständig, sondern nur zu 50% in die Schuldenbedienung fließen, die andere Hälfte jedoch für Investitionen verwendet werden soll.
Der Aufsichtsratsvorsitzende des Fonds und ein weiteres Mitglied des fünfköpfigen Aufsichtsrats werden direkt von der Kommission und dem ESF ernannt. Die erforderliche Zustimmung des griechischen Finanzministers dürfte bei den bestehenden Kräfteverhältnissen eher eine Formalie sein. Die übrigen drei Mitglieder werden umgekehrt vom griechischen Finanzministerium ernannt, bedürfen jedoch wiederum der Zustimmung der Europäischen Kommission und des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), die bereits die ersten griechischen Vorschläge abgelehnt haben.
Auch wenn schon jetzt die Dominanz der Institutionen sichtbar wird: Immerhin hat die Regierung SYRIZA es geschafft, die ursprünglich von Bundesfinanzminister Schäuble unterstützte Forderung abzuwenden, den Fonds in Luxemburg anzusiedeln und komplett der Kontrolle der griechischen Seite zu entziehen.
Nun liegt die zweite Liste von staatlichen Unternehmen vor, die aktuell unter die Verwaltung des Privatisierungsfonds gestellt werden sollen: das öffentliche Elektrizitätsversorgungsunternehmen (DEI), die Wasser- und Abwasserwerke Athen (EYDAP), die Wasser- und Abwasserwerke Thessaloniki (EYDATH), die Baugesellschaft von U- und Straßenbahnlinien (Attiko Metro), die Liegenschaftsdienste (Ktimatikes Ypiresies) und die griechische Fahrzeugindustrie (ELVO). Der Zufall will es, dass sich auf der Liste der von ELVO unter Lizenz hergestellten Fahrzeuge auch der deutsche Kampfpanzer Leopard 2 A6 befindet.
Dass hier teilweise rentable Unternehmen wie die Wasserwerke Athen und Thessaloniki, die bislang einen ständigen positiven Beitrag zum Staatshaushalt leisten, privatisiert werden sollen, entspringt einer neoliberalen Marktideologie und ist eher im Interesse des Kapitals, als dass es langfristig zu einem ausgewogenen Staatshaushalt führen könnte. Gerade vor dem Hintergrund der Enttäuschungen in Deutschland mit Privatisierungen, Cross-Border-Leasings, Public-Private-Partnerships sowie der stattfindenden Rekommunalisierungen von Stadtwerken etc. entlarvt sich diese Privatisierungsvorgabe als schädliche, überholte Ideologie.
Sonderfall Rüstungsausgaben – hier besteht die EU auf Aufrüstung
Obwohl ursprünglich ebenfalls auf der Privatisierungsliste wurden der rentable, unabhängige Elektrizitätsübertragungsnetzbetreiber (ADMIE) und die in der Ersatzteilherstellung und Wartung von Militärflugzeugen spezialisierte griechische Luftfahrtindustrie (EAV) als für die nationale Sicherheit relevantes Unternehmen von der griechischen Regierung davon ausgenommen. Diese zweite Ausnahme kann auch als eine Konzession an SYRIZAs kleinen Koalitionspartner, die national-konservative ANEL, die den Verteidigungsminister stellt, verstanden werden. Denn der griechische Rüstungsetat ist von seiner traditionell skurrilen Höhe (4,89% des BIP im Jahr 1999) konstant gesunken und hat sich bis heute halbiert. Deutliche Einschnitte fanden also statt.
Jedoch zeigt sich hier, mit welch widersprüchlichen Vorgaben Griechenland konfrontiert wird: Noch 2014 lobte der damalige NATO-Generalsekretär (und ehemalige dänische Ministerpräsident von der rechtsliberalen Venstre-Partei) Anders Fogh Rasmussen die einzigen vier NATO-Mitglieder, die das vorgegebene Ziel erfüllten, mindestens 2% des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben: die USA (4,4%), das Vereinigte Königreich (2,4%), Griechenland (2,3%) und Estland (2,0%).
Mittlerweile hat Griechenland es mit 2,38% seines BIP für Rüstungsausgaben auf den 2. Platz nach den USA geschafft, wobei im Haushalt für 2016 ursprünglich nur 1,85% des stark geschrumpften BIP (3,2 Mrd. Euro) für den Wehretat vorgesehen waren. Dass aus Kreisen des Militärs ausgerechnet die Flüchtlingskrise für den Anstieg um 0,53% verantwortlich gemacht wird, ist dabei extrem unglaubwürdig, da hauptsächlich verlassene, alte Kasernen zur Verfügung gestellt wurden und das Militär sich kaum an Rettungseinsätzen beteiligte.
Insgesamt beachtlich bleibt jedoch, dass der heutige Rüstungsetat hauptsächlich auf die bestehenden – und nicht ohne große soziale Verwerfungen und weiteren Proteste reduzierbaren – Betriebs- und Personalkosten geschrumpft wurde, aber die exorbitanten Rüstungsbestellungen (zu einem guten Teil bei deutschen Firmen und der Bundeswehr) vorerst der Vergangenheit angehören sollten. Aber hier eilt die Europäische Union zur Hilfe: Einerseits verlangt sie dem Land harte Sparmaßnahmen ab, andererseits fordert sie die Mitgliedstaaten auf, »die Einhaltung der Vorgabe von 2% des BIP für die Verteidigungsausgaben anzustreben und 20% ihres Verteidigungshaushalts für Großgerät auszugeben«. Ein Schelm, wer hier an die Interessen (nicht zuletzt der deutschen) Rüstungsindustrie denkt.
Deutlich machen diese exemplarischen Fälle, mit welchem neoliberalen und teils militaristischen Politikansatz die europäischen Institutionen im Verein mit dem IWF bis in die Details der griechischen Politik hineinregieren.
Diese linke Realpolitik unter Austeritätsdiktat müssen wir LINKE auch in Deutschland bekannt machen
Unter diesen Bedingungen ist klar, dass keine Regierung der Welt souverän und ganz nach Wahlprogramm die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gestalten könnte. Vielmehr zählt, mit welcher Integrität die politischen Ideale innerhalb dieses engen finanziellen und regulatorischen Korsetts verwirklicht werden. Daher ist es bewundernswert und hat den Respekt der Linken in ganz Europa verdient, mit welcher Ausdauer die Regierung SYRIZA unverzagt kämpft – kämpft, um den auferlegten Austeritätsdruck nicht – wie die Vorgängerregierungen überwiegend – auf die schwachen und marginalisierten Gruppen abzuwälzen, sondern die aufgezwungenen finanziellen Einschnitte und Deregulierungen so sozial verträglich wie möglich zu gestalten.
Die Art und die Tiefe dieser Maßnahmen wären für Deutschland schwer vorstellbar, ohne auch hierzulande zu einer politischen Kastration und ökonomischen Depression zu führen. Auch stieße dieses Kaleidoskop des austeritären Schreckens für die griechische Bevölkerung auf weniger Zustimmung in der deutschen Bevölkerung, wenn diese nicht eingelullt würde durch die in deutschen Medien ständig verlautbarten populistischen Appelle an »die Griechen«, »einfach sparsamer und fleißiger zu sein (eben: wie wir Deutsche)«.
Noch findet jedoch in den wenigsten Medienberichten die Verknüpfung der großen Politik mit der Verelendung breiter Bevölkerungsschichten statt. Die Bilder von Verhandlungsrunden und Listen mit Vorgaben müssten mit den dramatisch abfallenden sozio-ökonomischen Trends und ganz konkreten Schicksalen kontrastiert werden. Hier ist eine linke Gegenöffentlichkeit gefordert, zu der die LINKE beitragen sollte.
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