Wir bleiben die Partei, die für Frieden, soziale Gerechtigkeit und Demokratie steht

Rede von Oskar Lafontaine, Vorsitzender der Partei DIE LINKE

16.05.2010

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieser Gruß gilt zunächst den Gästen unseres Parteitages.

Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde, als wir vor fünf Jahren nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen uns gemeinsam auf den Weg machten, die neue Linke in Deutschland auf den Weg zu bringen, konnte niemand von uns wissen, was daraus werden würde. Heute können wir sagen: Wir haben das 5-Parteien-System in der Bundesrepublik Deutschland etabliert. Wir sind die erfolgreichste Parteiengründung in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Krieg. Wir sind mittlerweile in 13 Landtagen wie die Grünen vertreten, und wir sind im Bundestag stärker, obwohl man das medial nie so ganz merkt. Aber ich sage es einmal: Wir sind stärker als Grüne und CSU. Das sollte man ab und zu auch in der Berichterstattung merken. Wir sind stärker als diese Beiden. Es war für uns auch ein Triumpf, im größten Flächenstaat des Westens eine Landtagsfraktion zu bilden. Ich bin besonders froh, dass wir alles geschafft haben, dass unsere Genossinnen und Genossen auch in Nordrhein-Westfalen im Landtag sind. Ich gratuliere Bärbel Beuermann, Wolfgang Zimmermann und allen Genossinnen und Genossen, die diesen großen Erfolg zustande gebracht haben. ...

Es geht bei uns nicht um das Regierung Ja oder Nein. Ich will es noch einmal sagen: Es geht immer nur darum, unter welchen Bedingungen wir bereit sind, uns an einer Regierung zu beteiligen. Ich sage hier ganz offiziell: Wir sind bereit, eine rot-rot-grüne Koalition mitzumachen. So leicht fällt uns das ja nicht. Wir sind bereit, mitzumachen, wenn der Sozialabbau in Deutschland verbindlich im Bundesrat gestoppt wird. Das ist doch ein Ziel, wofür wir alle gemeinsam eintreten und kämpfen können.

Niemand von uns hätte erwartet, dass wir heute bereits so weit sind. Ich bin oft gefragt worden, ob ich jetzt nicht mit Wehmut aus dem Amt scheide. Mich erfüllt eher ein Gefühl der Dankbarkeit gegenüber vielen Genossinnen und Genossen, die diesen Wahlerfolg, die diesen Triumpf möglich gemacht haben. Es sind in erster Linie diejenigen, die keine Mandate und Ämter begleiten. Mich erfüllt auch ein Gefühl der Dankbarkeit gegenüber unseren Wählerinnen und Wähler, denn unsere besten Programme nützen ja nichts, wenn wir die Zustimmung der Menschen in Deutschland nicht haben.

Mich erfüllt aber heute auch ein Gefühl der Dankbarkeit gegenüber denjenigen, mit denen ich besonders in den letzten Jahren zusammengearbeitet habe. Ich nenne als ersten meinen Mitvorsitzenden Lothar Bisky. Ich weiß, lieber Lothar, ohne Deine Unterstützung am Anfang wäre dieses Projekt niemals auf den Weg gekommen. Herzlichen Dank für diese Unterstützung. Ich nenne heute ganz besonders auch Gesine Lötzsch, weil sie von Beginn an in der Bundestagsfraktion darauf hingewirkt hat, dass Ost und West zusammenfinden. Das ist die Aufgabe der Zukunft. Deshalb verdient sie unsere Unterstützung. Noch eine Zwischenbemerkung: Ich habe in der Zeitung gelesen, dass sie mir zu wenig widerspricht. Das ist ein Irrtum, liebe Genossinnen und Genossen, sie hat auch schon manchmal Haare auf den Zähnen. Das Geheimnis darf ich verraten. Aber wenn sie mir widerspricht, sagt sie mir das unter vier Augen. Deshalb schätze ich sie besonders. Sie gibt dann keine Interviews. Herzlichen Dank, liebe Gesine. Aber ganz besonders – das wird Jeder hier im Saal verstehen – möchte ich mich bei Gregor Gysi bedanken, der mir ein treuer Weggefährte war, mit dem ich vieles zusammen zustande gebracht habe. Ohne ihn wäre das niemals nicht gegangen. Und nachdem ich im Gehässigkeitsmagazin "DER SPIEGEL" gelesen habe, Gregor sei ein IM Oskar, möchte ich mich hier outen: Ich bin in Zukunft und war es auch ein IM Gregor. Wir werden weiterhin solidarisch zusammenarbeiten. Und noch etwas, weil ich drei Namen genannt habe: Ohne die PDS wäre DIE LINKE niemals möglich gewesen. Ich danke allen, die die PDS aufgebaut haben, auch den Ost-Landesvorsitzenden, die mich so oft kritisiert haben. Ohne Euch wäre das nicht möglich gewesen. Ich danke aber auch den Mitgliedern der WASG, an erster Stelle Klaus Ernst, der mich immer wieder angerufen hat und versucht hat, mich wieder zu reaktivieren. Ob jeder darüber glücklich war, weiß ich ja nicht, lieber Klaus, aber ich danke Dir, dass Du mich überzeugt hast, wieder mitzumachen. Wir haben doch gemeinsam vieles zustande gebracht. Herzlichen Dank. Ich danke Ulrich Maurer, dass er aus dem ehemaligen SPD-Präsidium kommend, in dem wir schon lange Zeit zusammengearbeitet haben, meine Arbeit in der Partei DIE LINKE unterstützt hat. Man braucht auch Unterstützung und braucht insbesondere auch Weggefährten, die man viele Jahre lang kennt, auf die man sich verlassen kann. Herzlichen Dank, lieber Uli. Und ich danke dem saarländischen Vorsitzenden, Rolf Linsler, der zwei Jahrzehnte ver.di an der Saar geführt hat. Er hat mir den Rücken an der Saar freigehalten. Ohne seine Arbeit wären die guten Wahlergebnisse an der Saar nicht möglich gewesen und wäre auch meine Arbeit auf Bundesebene in dieser Form nicht möglich gewesen.

Liebe Freundinnen und Freunde, wir haben uns als wir aufbrachen als Korrekturfaktor der neoliberalen Politik verstanden. Wir wollten die Politik der anderen Parteien verändern, und das ist uns gelungen. Wir haben – das will ich später noch darlegen – die Politik der anderen Parteien, auch unterstützt durch die Entwicklung der Weltwirtschaft, stärker durch unsere Programmatik verändert, vielleicht sogar stärker als die Grünen Politik in ihrer Gründungsphase verändert haben.

Wir sind die Partei des Demokratischen Sozialismus. Wir wollen den demokratischen Sozialismus. Und wir können auch sagen, was wir damit meinen. Das ist gar nicht so schwer. Demokratischer Sozialismus meint eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und ohne Unterdrückung. So einfach ist das. Damit steht er nicht nur in der Tradition der Arbeiterbewegung. Er steht im Grunde genommen der Tradition der Freiheitsbewegung dieser Welt. Für mich war der demokratische Sozialismus immer eine Bewegung hin zur menschlichen Freiheit, hin zur Freiheit eines jeden Einzelnen. Deshalb steht er in einer großen historischen Tradition. Ich nenne mal die Sklavenaufstände in Rom, ich nenne die Bauernkriege im Mittelalter, ich nenne die Französische Revolution, ich nenne die Novemberrevolution 1918, die wir immer noch aufarbeiten müssen und ich nenne auch die friedliche Revolution 1989. In dieser Freiheitstradition steht der demokratische Sozialismus, stehen wir alle. Wir sind eine große Freiheitsbewegung. Der Kampf um mehr Freiheit begleitet die Menschheitsgeschichte, und deshalb wird er niemals zu Ende sein. Die Freiheit verlangt in der modernen Gesellschaft eine Gesellschaftsorganisation, die wir Demokratie nennen. Wenn man über Freiheit und Demokratie spricht, dann muss man auch in der Lage sein, zu sagen, was man damit meint. Freiheit heißt nun einmal, das Recht jedes einzelnen Menschen, sein Leben soweit wie möglich selbst zu bestimmen. Die Grenze findet dieses Recht nur in dem gleichen Recht des anderen. Hier liegt auch die tiefe Begründung der Demokratie, einer Gesellschaft, in der die Interessen der Mehrheit sich durchsetzen. Eine Demokratie ist nur möglich, wenn jeder Einzelne soweit wie möglich sein Leben selbst bestimmen kann. Das heißt, die Mehrheit kann sich zwar durchsetzen, sie darf aber nicht der Minderheit ihren Willen aufzwingen.

Nun haben wir eine Situation in der Welt, dass die Demokratie und die Freiheit auf eine einmalige, niemals dagewesene Art und Weise herausgefordert werden. Lothar Bisky hat es seinem Referat bereits gesagt: Ich hätte mir das vor Jahren niemals vorstellen können. Die Finanzkrise hat das auf bittere Art und Weise jetzt bewiesen, was vor 15 Jahren etwa der damalige Bundesbankpräsident Tietmeyer auf dem Weltwirtschaftsforum sagte: Ihr Politiker – ich sage es in meinen Worten – habt gar nichts mehr zu sagen. Ihr steht jetzt alle unter der Kontrolle der internationalen Finanzmärkte. Damals wurde diese Analyse noch bejubelt. Die Demokratie ist erledigt. Die Parlamente und die Regierungen sind nur noch Marionettenparlamente und Marionettenregierungen, die den Finanzmärkten hinterher hecheln und Riesensummen beschließen, ohne zu wissen, was sie eigentlich machen. Deshalb können wir zurecht sagen, wir sind eine Bewegung der demokratischen Erneuerung, denn – nun will ich ein großes Geheimnis verraten – wir, die angeblich wirtschaftsinkompetente Partei, wir, diese Populisten und Ideologen, wir sind die Einzigen, die die modernen Antworten auf die Finanzkrise und auf die Weltwirtschaftskrise gegeben haben. Wir sind die Einzigen! Die anderen schreiben alle von uns ab.

Unser Programm lässt sich in drei Buchstaben zusammenfassen: KFW. Damit ist nicht die Kreditanstalt für Wiederaufbau gemeint. Damit ist gemeint Keynesianismus, Finanzmarktregulierung und Wirtschaftsregierung auf europäischer Ebene. Das sind die drei Säulen unserer Wirtschaftspolitik. Der Keynesianismus er hat in dieser Krise die Weltwirtschaft gerettet. Ohne den Keynesianismus, ohne die Geldpumpe der Staaten und der Zentralbanken wäre die Weltwirtschaft zusammengebrochen. Aber jetzt kommt etwas Neues, was die angebotsorientierte Wirtschaftslehre in Deutschland noch nicht begriffen hat: Der Keynesianismus kann nur funktionieren, wenn die Finanzmärkte rereguliert werden. Wenn sie das nicht werden, dann läuft er ins leere, dann geht das Geld der Zentralbanken in die Spekulation, und dann gibt es keinen wirtschaftlichen Aufbau, sondern die Zerstörung der Wirtschaft geht immer weiter. Deshalb können wir auf dieses Doppel stolz sein. Keynesianismus, verbunden mit Finanzmarktregulierung – das sind die Rezepte der Zukunft. Anders ist die Weltwirtschaft nicht mehr zu retten und wieder in Gang zu setzen. Die europäische Wirtschaftsregierung – wir haben sie lange Jahre gefordert, auch im Bundestag, immer wieder. Wir haben darauf hingewiesen, dass es nicht anders geht. Da braucht man gar nicht einen tiefen Einblick in die Zusammenhänge haben. Es war doch so, dass die Griechen immer ihre Löhne zu stark erhöht haben. Und es war schon so, dass die Deutschen immer ihre Löhne zu gering erhöht haben. Der Ausgleichmechanismus war simpel: Die griechische Währung wurde abgewertet. Die deutsche Währung wurde aufgewertet. Das war der Ausgleichmechanismus für auseinanderdriftende Löhne, wirtschaftlich präziser gesprochen auseinanderdriftende Lohnstückkosten. Und jeder muss sich doch die Frage stellen: Was passiert denn dann, wenn das nicht mehr geht? Dann war die Antwort der Wirtschaftswissenschaft in anderen europäischen Ländern – ich nenne als Kronzeugen insbesondere Jaques Delors: Wir brauchen eine europäische Wirtschaftsregierung. Wir brauchen eine Instanz, die jetzt die Finanzpolitik koordiniert, die jetzt die Steuerpolitik koordiniert, die jetzt vor allem die Lohnpolitik koordiniert sonst bricht der Euro auseinander. Auseinanderdriftende Lohnstückkosten, auseinanderdriftende ökonomische Entwicklungen brauchen Ausgleichmechanismen. Das ist der Sinn der europäischen Wirtschaftsregierung. Wir, DIE LINKE, waren die einzigen, die das im Deutschen Bundestag gefordert haben. Und als wir ein europäisches Wirtschaftsprogramm forderten als die Krise sichtbar wurde, da hieß im Deutschen Bundestag: Jeder kehre vor seiner eigenen Tür. Das ist der Rückfall in den Nationalismus, von dem Lothar gesprochen hat. Jeder kehre vor seiner eigenen Tür. So geht das heute nicht mehr. Wir können die Geschichte nicht mehr zurückdrehen. Wir müssen jetzt internationale Regelmechanismen finden. Die internationalen Regelmechanismen heißen globale Koordination beim Keynesianismus – was dann mit einem Jahr Verzögerung auch eingetreten ist – globale Regulierung der Finanzmärkte und europäische Wirtschaftsregierung. Man darf sich bei dieser Aufgabe nicht herausreden und sagen, zu Hause können wir nichts tun. Würde der Deutsche Bundestag ein einziges Gesetz beschließen, in dem stünde, das, was wir in den letzten Jahren an Deregulierung vorgenommen haben, nehmen wir wieder zurück, dann wären viele kriminelle Geschäfte verboten. Rot-Grün – man darf das nicht vergessen, die tun ja alle heute so, als wären sie schon immer für Regulierungen gewesen - haben den Haien den roten Teppich ausgerollt. Und die große Koalition hat noch in ihrem Programm stehen, wir müssen den Verbriefungsmarkt ausbauen. Die ganzen "Massenvernichtungswaffen" sind doch in Deutschland zugelassen worden. In einem einzigen Gesetz könnte stehen, alle Deregulierungsmaßnahmen werden zurückgenommen. Dann hätten wir in Deutschland das Verbot von Hedgefonds, wir hätten keine Zweckgesellschaften. Wir hätten den Handel mit Giftpapieren verboten, und wir hätten insbesondere das kriminelle Geschäft mit Steueroasen verboten. Das ist doch ein Skandal. Da könnt Ihr doch sehen, was eigentlich los ist. Die Bundesregierung ist die Hehlerin des Steuerbetrugs. Sie finanziert mit 18. Milliarden die Commerzbank, die zum Steuerbetrug in ihren Broschüren und Prospekten aufruft. Das ist der Zustand unserer Gesellschaft.

Das zweite große Thema neben unserer Antwort auf die weltwirtschaftlichen Fragen ist für uns die Wiederherstellung des Sozialstaates. Das gehört zum Kernbestand linker Politik. Damit meinen wir, dass wir wieder eine Arbeitslosenversicherung schaffen müssen, die diesen Namen verdient. Wir haben doch eine Vorstellung. Wir sagen nicht nur, wir sind gegen irgendetwas. Wir sagen, wir wollen eine Arbeitslosenversicherung nach der Maßgabe pro Jahr Einzahlung einen Monat Arbeitslosengeld. Das ist doch nachvollziehbar. Das ist eine sinnvolle Regelung, die insbesondere eine lebenslange Arbeitsleistung honoriert. Die Kurzformel heißt nach wie vor: Hartz IV muss weg, weil wir nicht wollen, dass die Bestimmung, die jeden zwingt, eine Arbeit nach einem Jahr anzunehmen, weit unterhalb seiner Qualifikation, weit unterhalb seiner früheren Bezahlung, Bestand hat, denn sie ist die Grundlage des Lohndumpings und des Niedriglohnsektors in Deutschland. Wir wollen eine Rente, die den älteren Menschen einen Lebensabend ermöglicht, den man als würdig bezeichnen kann. Die Zerstörung der Rentenversicherung ist katastrophal. Alle anderen Parteien haben daran mitgewirkt. Man kann sie in Zahlen benennen. Wir heute 1.000,00 ¤ im Monat hat, hat in Deutschland nach 45 Arbeitsjahren nur einen Rentenanspruch von 400,00 ¤. Unglaublich. Der Durchschnitt der OECD-Staaten liegt bei 730,00 ¤. Was für einen Grund gibt es in Deutschland, die Rente so zu ramponieren? Deshalb sagen wir: Wir, DIE LINKE, kämpfen für eine Rentenversicherung, die ein würdiges Leben im Alter ermöglicht. Das heißt, die Kürzungsfaktoren müssen wieder raus aus der Rentenformel. So einfach ist das. Der dritte Punkt ist die Krankenversicherung. Man wagt sich gar nicht, sich klarzumachen, welche Gesinnung dahintersteckt, wenn man da kaltlächelnd erklärt, wir sind für Gleichheit. Gleichheit heißt für uns, der Pförtner zahlt den selben Krankenkassenbeitrag wie der Generaldirektor. Das ist doch ungeheuer gerecht. Alle haben dieselbe Leistung, alle die selbe Bezahlung. Diese Pervertierung der Gleichheit durch die sogenannten Liberalen weisen wir zurück. Wir wollen soziale Gerechtigkeit. Wir haben einen anderen Begriff von Gleichheit. Der Sozialstaat, liebe Freundinnen und Freunde, ist auch die Grundlage der Freiheit. Wer das nicht erkennt, hat keinen Begriff von Freiheit. Wer am Monatsende nicht weiß, ob er seine Miete zahlen kann, wer nicht weiß, ob er noch einkaufen kann, der ist nicht frei. Wer sein Leben nicht planen kann, der ist nicht frei. Wer sein Leben nicht planen kann, kann am demokratischen Leben nicht teilhaben. Deshalb sind befristete Arbeitsverhältnisse ein Anschlag auf die Freiheit. Leiharbeit ist ein Anschlag auf die Freiheit. Minijobs sind ein Anschlag auf die Freiheit. Wir werden diese Formen der Ausgrenzung niemals akzeptieren, weil wir wissen, was Freiheit bedeutet, weil wir uns als Freiheitsbewegung verstehen. Lassen wir es niemals zu, dass in einer reichen Gesellschaft Menschen ausgegrenzt werden und ein unfreies Leben führen müssen.

Wer die Demokratie erneuern will, muss ein Begriff von Demokratie haben. Wir haben die anderen Parteien immer konfrontiert mit dem Satz "Demokratie ist eine Gesellschaft in der sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen", ist doch nicht so schwer. Und wir haben dann gesagt, wenn die Löhne auf breiter Front sinken und wenn die Renten auf breiter Front sinken, wenn die sozialen Leistungen auf breiter Front sinken, dann setzen sich in Deutschland die Interessen der Mehrheit nicht mehr durch.

Das gilt auch für die Finanzkrise. Es ist ja wohl ein Witz, wenn man behauptet, diese hunderte von Milliarden zur Rettung der Banken würden im Interesse der Mehrheit bereitgestellt. Deshalb müssen wir daran gehen, die Demokratie wieder aufzubauen, dass es wieder möglich wird, dass sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen. Das beginnt natürlich bei uns selbst und deshalb bin ich stolz darauf, dass im neuen Programmentwurf der Mitgliederentscheid, wenn man so will, die Instanz ist, die entscheidet, wenn es um Richtungsentscheidungen geht. Es geht nicht anders, liebe Freundinnen und Freunde, der Mitgliederentscheid ist die letzte Instanz, noch nicht mal der Parteitag. Und wer Begründungen haben will, der schaue nur auf die SPD. Hätte die SPD Agenda 2010, hätte sie Hartz IV, hätte sie die Kriegsbeteiligung dem Mitgliederentscheid unterworfen, sie stünde heute mit Sicherheit noch zwischen 35 und 38 Prozent. Das ist meine Überzeugung. Eines können wir zusätzlich lernen aus den letzten Jahren. Wir müssen bei all unseren Entscheidungen unsere Mitglieder und Wähler mitnehmen, sonst scheitern wir, sonst fallen wir wieder zurück und wollen wir vermeiden. Deshalb sind wir hier für den Mitgliederentscheid. Volksbegehren sind in der parlamentarischen Demokratie eine Möglichkeit, Wege zu eröffnen, dass sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen. Und die parlamentarischen Systeme sind, das sieht man in der ganzen Welt, keine Garantie dafür. Volksbegehren hätte man beispielsweise bei Hartz IV oder bei der Rente mit 67 durchführen können.Wie das ausgegangen wäre, das brauche ich ja hier wohl nicht zu sagen.

Und dann haben wir noch etwas. Wir wollen in der Tradition der europäischen Linken, wir wollen in der Tradition Luxemburgs und Liebknechts den Generalstreik, den politischen Streik, wenn denn die Mehrheit mit Sozialabbau konfrontiert wird. Das geht natürlich nicht ohne die Mitglieder. Da haben die Gewerkschaftsführer, die skeptisch sind Recht. Ich könnte aber um zu überzeugen die Zahl der europäischen Sozialisten aufführen, die dafür geworben haben, angefangen von Aristide Briand, einem jungen Anwalt, der damals in Nantes als einer der ersten die Forderung nach einem Generalstreik erhoben hat. Natürlich ist es richtig, dass man die Mitglieder mitnehmen muss. Aber man darf die Mitglieder auf Dauer nicht frustrieren. Deswegen muss man den Widerstand so organisieren, dass er etwas bewirkt, dass es nicht nur eine Versammlung ist, mit einer Rede und anschließend gehen alle Bier trinken und es tut sich überhaupt nichts. Wenn das die Form des Protestes ist, dann werden wir damit die Demokratie eher beschädigen, denn die Menschen, die protestieren, wollen auch etwas bewirken. Deshalb gibt es auch eine Kleinigkeit, die auch ein Alleinstellungsmerkmal der LINKEN ist. Die Kleinigkeit heißt, wir müssen die Unterwanderung des parlamentarischen Systems durch den Lobbyismus beenden. Wir müssen die Käuflichkeit der Politik beenden, die ja mittlerweile Ausmaße angenommen hat, die es vorher noch niemals gab. Und deshalb sind wir für das Verbot von Unternehmensspenden wie in Frankreich und wir sind dafür, die Einzelspenden von Privatpersonen in der Höhe zu begrenzen, auf einen relativ bescheidenen Betrag, wie in Frankreich. Der Hartz IV-Empfänger kann sich keine politische Entscheidung kaufen, der Besitzer der Mövenpick-Hotels sehr wohl. Das ist nicht demokratisch. Wir wollen, dass jede Stimme das gleiche Gewicht hat. Und wenn die anderen das nicht mitmachen, dann wäre doch ein Stück Ehrlichkeit angebracht wie das im Spitzensport längst der Fall ist. Die Spitzensportler haben es zur Tradition gemacht ihre Sponsoren immer auf dem Trikot zu tragen und das wäre ein Beitrag zur Offenheit und Transparenz der Demokratie. Stellt euch einmal vor, Sitzung des Bundestages, der Präsident eröffnet, die Fraktionen ziehen ein und da kommt, ja nennen wir zuerst Guido Westerwelle mit einem Mövenpick-Trikot und dann folgt die Kanzlerin mit einem Trikot: Deutsche Bank, und dann kommen die Sozialdemokraten im Trikot: Daimler Benz und die lieben Grünen kommen mit einem Trikot: Hoffentlich Allianz versichert, nur die LINKE kann im Straßenanzug ins Parlament ziehen. Das wäre doch ein Bild.

Unsere Programmatik der demokratischen Erneuerung vermittelt sich aber vor allem über die Eigentumsfrage. Das ist die Kernidee der Arbeiterbewegung von Anfang an. Für uns gilt ein einfacher Satz, der ist revolutionär. Der heißt: Eigentum entsteht durch Arbeit. Wir sind die einzige politische Kraft, die diesen Satz ernst nimmt. Wir sind in einer Gesellschaft, in der immer mehr Eigentum durch Nichtarbeit entsteht, aber genau das wollen wir, DIE LINKE, ändern. Wir wollen wieder, dass das Eigentum auch Arbeit gründet, nicht auf Erbschaft, Faulheit und Spekulationen. So steht es im Übrigen im Bürgerlichen Gesetzbuch: "Wer durch Verarbeitung oder Umbildung eines oder mehrerer Stoffe eine neue bewegliche Sache herstellt, erwirbt das Eigentum an dieser neuen Sache." Das ist der § 950 des bürgerlichen Gesetzbuches, gegen den in unserer Wirtschaft jeden Tag verstoßen wird. Würden wir diesen Satz ernst nehmen, dann müssten wir unsere Wirtschaftsordnung völlig neu gestalten. Was eine Schwäche unseres Grundgesetzes ist, ist dass dort das Eigentum nicht definiert wird. Wir sind die einzige politische Kraft, die fragt, was gehört, aus welchen Gründen, wem? Diese Frage muss doch eine Gesellschaft, in der es gerecht zugehen soll, beantworten. Wir sagen, das große Vermögen von BMW haben nicht die Damen Klatten und Quandt geschaffen, es waren zig-tausende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das große Vermögen von Schäffler hat nicht Frau Schäffler geschaffen, es waren zig-tausende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Und das Große Vermögen von VW hat nicht Herr Piech geschaffen, es waren zig-tausende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen man ihr Vermögen endlich zurückgeben muss. Das ist eine Kernforderung der LINKEN.

Es geht der LINKEN also nicht um Enteignung, es geht der LINKEN darum, die schleichende Enteignung des wirtschaftlichen Alltags rückgängig zu machen. Und jeder der mit uns diskutiert soll die Frage beantworten, was, aus welchen Gründen, wem gehört. Deshalb wünsche ich mir auch, dass Brechts Gedicht "Fragen eines lesenden Arbeiters" auf der ersten Seite unseres Grundsatzprogramms steht. In diesem Gedicht ist die Kernfrage angesprochen: "Wer baute das siebentorige Theben. In den Büchern stehen die Namen von Königen. Haben die Könige die Feldbrocken herbeigeschleppt?" Das ist der Grundirrtum unserer Gesellschaft, dass allzu viele meinen, die Wirtschaftsbosse hätten die Felsbrocken herbeigeschleppt. Ein Grundirrtum hat sich über Jahrtausende gehalten hat. Und nun differenzieren wir die Eigentumsfrage aus. Die Schweden haben all ihre Banken in der Wirtschaftskrise verstaatlicht. Als wir jetzt ins Programm geschrieben haben, wir wollen eine Vergesellschaftung der Banken gab es auch in unseren Reihen Irritationen. Und natürlich ist der Begriff Verstaatlichung nicht nur populär in der Bevölkerung, das wissen wir alle. Er ist auch nicht der Weisheit letzter Schluss, ich werde darauf noch zu sprechen kommen, aber im Finanzsektor geht es jetzt darum, dass endlich die demokratische Kontrolle wieder verankert wird und das geht jetzt nur, indem der Staat jetzt bei den großen Instituten die Verantwortung übernimmt. Ich will euch die Begründung nennen. Unbemerkt von der Öffentlichkeit haben sich alle größeren Banken und Institute selbst verstaatlicht, seit langer Zeit. Die Verstaatlichung dieser Institute heißt, wir zocken mit Milliarden Summen. Die Gewinne streichen wir ein, wenn aber etwas schief geht, dann haben wir einen Anteilseigner, den Vater Staat und diese Dummenverstaatlichung, die lehnt DIE LINKE ab. Wir wollen, wenn schon die Verluste sozialisiert werden, aber auch Gewinne für die Allgemeinheit.

Dasselbe gilt für die Energieversorgungsunternehmen. In Frankreich wäre das überhaupt gar keine Diskussion, in anderen Staaten auch nicht, aber bei uns natürlich wieder, weil wir ideologisch fixiert sind, wie kaum eine andere Gesellschaft. Wir wollen die Rekommunalisierung der Energieversorgung. Das ist auch der Kerninhalt des Programms in Nordrhein-Westfalen. Wir wollen die Grünen davon überzeugen, dass nur eine dezentrale Energieversorgung umweltfreundlich ist. Wenn die Grünen sich als Schutzpatronen von RWE und den anderen großen Energieversorgern aufspielen, ist das nicht Grün, sondern es ist reaktionär, um das mal deutlich zu sagen. Nun kommt diese entscheidende Frage im Bereich der Wirtschaft; was ist mit den strukturbestimmenden Unternehmen? Da gibt es bei uns Diskussionsbedarf. Da setzen die einen auf staatliche Beteiligung und da setzen die anderen, zu denen ich gehöre, viel stärker auf Belegschaftsbeteiligung. Das ist eine Diskussion, die wir noch zu Ende führen müssen. Das haben wir ja am Beispiel Opel gezeigt. Bei Opel war es so, man höre und staune, dass die ersten die für Staatsbeteiligung plädiert haben, Merkel und Koch waren. Und dann haben Gregor und ich gesagt, wir wollen keine VEB Opel, weil wir mit dieser Kampfformel denen beibringen wollten, dass wir die Belegschaftsbeteiligung wollen. Wir wollen die Freiheit runter differenzieren auf den Einzelnen. Die Mitarbeitergesellschaft ist die Utopie der Zukunft, die Utopie einer wahrhaft linken Partei.

Und natürlich wollen wir kleine und mittlere Unternehmen besonders fördern. Wir waren die Einzigen die im Bundestag, die degressive Abschreibung auf alle Wirtschaftsgüter wieder einführen wollten im Interesse der kleineren Betriebe. Wir waren die Einzigen, die den Mittelstandsbauch abschaffen wollten im Interesse der kleineren Betriebe und wir sind die Einzigen, die mit Mindestlohn usw. die Binnennachfrage stärken wollen im Interesse der Betriebe, die hier in Deutschland ihr Geschäft machen und ihr Geld verdienen. Wer eine ökologische Gesellschaft will, der muss eine andere Machtverteilung anstreben. Im Energiesektor muss das für jeden nachvollziehbar sein. Das ökologische Prinzip ist auch ein Prinzip der Machtverteilung und Dezentralität. Und im Grunde genommen ist die Belegschaftsbeteiligung ebenfalls ökologisch wie Forschungen der Wirtschaftswissenschaften ergeben haben. Dort haben Leute den Nobelpreis bekommen, die wissenschaftlich nachgewiesen haben: Wenn gemeinschaftliche Güter verwaltet werden, ist das nachhaltiger. Das ist eine weitere Begründung für Belegschaftsbeteiligung auf breiter Front. Und so wenig wie der Krieg grün sein kann, so wenig kann die Deregulierung der Finanzmärkte grün sein. Das was die Grünen nicht verstanden haben ist. dass sie mit der Deregulierung der Finanzmärkte ökologische Katastrophen angerichtet haben, siehe jetzt die Ölwirtschaft im Golf von Mexiko.

Es bleibt auch dabei, Krieg ist die schlimmste Form der Umweltzerstörung. Und ich bin stolz darauf, am heutigen Tag sagen zu können: Wir sind die einzige Antikriegspartei Deutschlands. Wir stehen hier allein in der Tradition der Arbeiterbewegung. Wir halten fest an der Imperialismusthese der Arbeiterbewegung, die ja schlicht und einfach das Ergebnis einer gesellschaftlichen Analyse ist. Es ist wahr und die Kriege im vorderen Orient zeigen das: Kriege sind nicht Kämpfe für Freiheit und Demokratie, sie sind und waren immer Kriege um Rohstoff und Absatzmärkte und daran beteiligt sich die LINKE niemals. Es gibt für die sogenannte humanitäre Intervention, die leider auch im Grundsatzprogramm der SPD steht, die leider auch von den Grünen vertreten wird. Es gibt keine nachvollziehbare ethische Begründung. Ich sage es immer wieder und sage es am heutigen Tag, solange man mit viel, viel weniger Geld Millionen Menschen vor dem Hungertot bewahren kann, solange man mit viel, viel weniger Geld Millionen Menschen vor dem Tod durch Krankheiten bewahren kann, solange ist eine "humanitäre Intervention", die viele Milliarden kostet, ethisch nicht zu rechtfertigen.

Liebe Freundinnen und Freunde, Lothar und ich, wir geben heute den Stab weiter. Ich glaube, wir können zufrieden sein, dass wir mit euch allen Vieles erreicht haben. Und jetzt liegt es wiederum an euch allen und allen unseren Mitgliedern, dass wir diesen Weg unbeirrbar weitergehen. Er war erfolgreich und eine erfolgreiche Strategie wechselt man niemals aus. Wir werden weiterhin die Partei sein, die für Frieden und soziale Gerechtigkeit und für Demokratie steht.

In diesem Sinne euch allen ein Glück auf!