Von Schwarz-Grün zu Grün-Rot?
Joachim Bischoff / Bernhard Müller: Das Ende der GAL-CDU-Koalition in Hamburg
Die Grün-Alternative Liste (GAL) hat die bundesweit erste Koalition mit der konservativ-neoliberalen CDU nach zweieinhalb Jahren wegen fehlender Stabilität und Verlässlichkeit aufgekündigt. Das Ende von Schwarz-Grün hatte sich seit dem Rücktritt des Architekten dieser Koalition, Ole von Beust, angebahnt, aber der Zeitpunkt der Trennung kam für CDU und Öffentlichkeit dann doch überraschend.
Die Hamburger Grünen hatten zuvor das Bündnis noch vehement verteidigt, als der Finanzsenator Frigge zurücktrat – Grund war seine Verwicklung in parteipolitisch fragwürdige Geschäfte in Rheinland-Pfalz –, und die Koalition unter diesen misslichen Bedingungen den Rotstift-Haushalt begründen musste. Doch die Treueschwüre stellten sich als bloße Lippenbekenntnisse heraus – innerlich hatten sich die Grünen schon von der Koalition verabschiedet. Ihre Begründung für diese Aufkündigung: mangelnde Verlässlichkeit im Alltags-Regierungsgeschäft und die überraschende Verflüchtigung des Koalitionsgeistes.
Schwarz-Grün in Hamburg wollte zukunftsweisend unter Beweis stellen, dass konservative Werte und ökologische Grundüberzeugungen eine konstruktive Schnittmenge bieten. Vor allem im Bereich der Integration von BürgerInnen mit Migrationshintergrund und der Versöhnung von Ökologie und Ökonomie wollten die Koalitionspartner eine moderne Stadtpolitik des 21. Jahrhunderts entwickeln.
Das Bündnis von Christdemokraten und Grünen stand angesichts tiefer gesellschaftlicher und politischer Gräben bei zentralen Themen wie Kohlekraftwerk Moorburg, Elbvertiefung, Schulreform und Bekämpfung von Armut von Beginn an unter keinem guten Stern. Nach von Beusts Rücktritt, der mit seiner moderaten Art die Koalition zusammenhielt, und einer Reihe von Senatorenwechseln war das Ende der Koalition absehbar.
Das Experiment, das die politischen Lager in Deutschland aufbrechen sollte, ist damit schon nach knapp drei Jahren gescheitert. Das Ende hatte sich bereits im Sommer abgezeichnet, als die schwarz-grüne Schulreform – das bedeutendste gemeinsame Projekt – von einem Volksentscheid ausgebremst wurde und die Galionsfigur des Bündnisses, Bürgermeister Ole von Beust, sich aus der Politik zurückzog. Danach fehlte der schwarz-grünen Koalition der inhaltliche und personelle Zusammenhalt.
Die Ziele, und damit der Geist, die diesem Bündnis unterlegen hatten, lösten sich unter dem Druck der ökonomischen Verhältnisse und der anhaltenden Krise der öffentlichen Finanzen auf. Mit der Wirtschaftskrise war die Vision des schwarz-grünen Senats – das »Wachsens mit Weitsicht« – gescheitert. Die Stadt ist faktisch pleite – ausgezehrt durch schwindende Steuereinnahmen und eine verschwenderische Haushaltspolitik, die mit der Realisierung von »Leuchtturmprojekten« (Elbphilharmonie u.a.) jedes Maß verloren hat.
Im Gründungsjahr des schwarz-grünen Bündnisse 2008 konnte der Koalitionsfrieden zunächst noch gehalten werden, weil beide Partner reichlich öffentliches Geld für ihre »Lieblings«projekte hatten. Mit dem Einbruch der Realökonomie und dem nachfolgenden drastischen Rückgang der Steuereinnahmen verkürzte sich die Gemeinsamkeit auf die Umsetzung einer zunächst antizyklischen Wirtschaft- und Finanzpolitik.
In den letzten Monaten legten die Meinungsumfragen den Grünen nahe, aus der Zusammenarbeit mit der Union auszusteigen: Im Bund, wo die Grünen Opposition sind, stehen sie so hoch wie nie im Kurs. In Hamburg, wo sie mit der Union zusammen die Regierung bilden, ist die Zustimmung zu ihrer Politik gerade mal halb so groß – und das in einem Stadtstaat, in dem die Grünen traditionell über dem Bundesschnitt liegen. Was liegt da näher, als aus dem wenig fruchtbaren Bündnis auszusteigen und im Wahlkampf aus der Opposition heraus an den Bundestrend anzuknüpfen? Es waren also die drastische Veränderung der ökonomisch-sozialen Gesamtkonstellation und der Versuch, taktische Vorteile durch den Übergang in die Opposition zu erlangen, die für die Aufkündigung des Bündnisses maßgeblich waren.
Christoph Ahlhaus, der rechtskonservative Nachfolger des liberalen Ole von Beust, und die CDU der Hansestadt werteten die Aufkündigung der Koalition als »Flucht vor der Verantwortung«. Die so wichtige Wirtschaftsregion Hamburg brauche Stabilität und politische Verlässlichkeit. Der Entschluss der GAL, Neuwahlen herbeizuführen, wird zudem als Beweis für eine schon seit längerem anhaltenden Linksbewegung an der grünen Basis interpretiert. Diese Umschichtung führe zum Verschwinden bisher betonter Gemeinsamkeiten. Hamburg stehe nun vor einer Grundsatzauseinandersetzung »zwischen links-grüner Verweigerungshaltung und bürgerlich-liberalem Fortschritt«.
Mit dem bürgerlich-liberalen Fortschritt ist es allerdings so eine Sache. Die FDP ist nicht in der Bürgerschaft vertreten und kämpft bei den anstehenden Neuwahlen um das Abstreifen ihrer politischen Bedeutungslosigkeit. Angesichts anhaltender innerparteilicher Streitereien würde sie nach der jüngsten Umfrage nur noch auf 4% kommen. Umso beherzter ihre Ansage an die CDU: Diese habe die Quittung für ihren Anti-FDP-Kurs erhalten.
Zu den larmoyanten potenziellen Bündnispartnern wird möglicherweise noch eine neue Partei der Reformschulgegner stoßen. Der Gründer der Volksinitiative gegen die Schulreform, Walter Scheuerl, hatte bereits vor dem Ende von Schwarz-Grün die Gründung einer neuen Partei für Hamburger angedeutet, was bis heute in der CDU für erhebliche Unruhe sorgt. Die Konkurrenz im bürgerlichen Lager könnte besonders ihre Wählerstimmen kosten. Auch die FDP ist außerordentlich alarmiert. Scheuerl selbst erklärte vor kurzem selbstbewusst, die Sozialdemokraten würden besser zum Profil einer möglichen neuen Partei passen.
Der GAL ist die Aufkündigung der Koalition mit der CDU auch deshalb leicht gefallen, weil sie auf eine baldige Rückkehr in die Regierung hoffen kann – als Partner der SPD. Ein Traumergebnis werden die hanseatischen Grünen am 20. Februar 2011 zwar nicht erreichen, aber als leicht gefledderter Junior-Partner in einen SPD-geführten Senat eintreten können. Damit nehmen die Grünen auch in Hamburg Kurs auf ein rot-grünes Bündnis: »Es soll eine andere Politik geben«, sagte Parteichefin Roth. »Es soll eine moderne Großstadtpolitik geben, eine ökologische Politik, eine soziale Politik, eine verlässliche Politik.« Man werde zwar für die eigene Stärke kämpfen, die Nähe zur SPD sei jedoch »deutlich ausgeprägter als zu einer CDU in Hamburg, die sich in Erosion befindet«.
Das schwarz-grüne Projekt ist auf absehbare Zeit keine realistische Perspektive mehr. Die Union ist voll auf Konfrontationskurs zu den Grünen gegangen, bereits auf dem CDU-Parteitag in Karlsruhe hatte Angela Merkel schwarz-grüne Bündnisse als »Hirngespinste« bezeichnet und dafür begeisterten Beifall erhalten. Und bei der Haushaltsdebatte im Bundestag nahmen sich die Redner der Union die Grünen, und nicht die SPD, als Hauptgegner vor.
Man täusche sich allerdings nicht: Die Grünen werden nicht so töricht sein und sich dauerhaft auf Gedeih und Verderb mit einer SPD zu verbinden, deren Profil unscharf und deren Volkspartei-Charakter von einer Art ist, dass man beim Verblassen zusehen kann. Und auch die CDU wird nicht so leichtfertig sein, zu glauben, allein die labile FDP werde ihr zur Regierungsverantwortung im Bund und in Ländern verhelfen.
Die GAL geht also mit der Aussicht in die vorgezogenen Bürgerschaftswahlen Ende Februar, an der Seite der Sozialdemokraten, die in Hamburg derzeit deutlich stärker als im Bund sind, erneut in Regierungsverantwortung zu kommen. Allerdings bleibt Skepsis – auch Rot-Grün hat kaum Ansätze zur Lösung der Zukunftsprobleme der Metropolregion Hamburg. Die SPD hat angekündigt, die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und von Arbeitsplätzen sowie die Verbesserung der beruflichen Bildung in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs zu stellen. Gleichzeitig soll die Politik der Haushaltskonsolidierung fortgesetzt werden. Beides zusammenzubringen, wird die große Herausforderung sein. Hinzu kommt, dass der designierte Bürgermeisterkandidat der SPD und ehemalige Bundesarbeitsminister, Olaf Scholz, nicht nur für die gescheiterte Agenda-Politik von Rot-Grün auf Bundesebene steht, sondern sich in Hamburg in rechtspopulistischer Manier als Sprachrohr der politikverdrossenen BürgerInnen geriert. Die alten politischen Lager werden restauriert: Schwarz-Gelb gegen Rot-Grün. Wie in Nordrhein-Westfalen wird der Wahlkampf unter der Formel stehen: Die Linkspartei ist überflüssig.
Für DIE LINKE ist auch deshalb der vorgezogene Wahltermin sowohl organisatorisch als auch politisch eine große Herausforderung. Im Jahr 2007/2008 wurde das neue politische Projekt öffentlich von einer Mischung aus Hoffnung und Ablehnung begleitet. Jetzt besteht die Aufgabe darin, die geringe Medienaufmerksamkeit mit eigenen Positionsbestimmungen zu den Problemen der Stadt und Vorschlägen für eine andere Stadtpolitik zu durchbrechen. Dabei geht es zum einen um Verbesserungen der Lebenslage der vielen sozial benachteiligten Menschen in der Stadt. Zum anderen um Investitionen in die Bereiche Bildung, Wohnungsbau, Öffentlichen Personennahverkehr und soziale Infrastruktur, um einen ökonomisch-sozialen Umbau der Stadt einzuleiten. Von einem solchen Zukunftsprojekt müssen dann gerade diejenigen BürgerInnen überzeugt werden, die sich zwischenzeitlich von der politischen Willensbildung verabschiedet haben.
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