Mehrheit für Rot-Grün: Verblasst die Linke?
Verschiebungen in der politischen Tektonik
Bundesweit setzt sich in der politischen Arena nach der Regierungsbildung in NRW die Ausbreitung der politischen Stimmung zugunsten von Rot-Grün fort. Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, könnte Rot-Grün mit der absoluten Mehrheit rechnen: SPD und Grüne kämen zusammen auf 47% und könnten damit Deutschland regieren – auch ohne die Stimmen der Linkspartei.
Auf die SPD würden dabei 28% entfallen, die wie in der Vorwoche ihr Jahreshoch erreicht. Sie bekäme fünf Prozentpunkte mehr als bei der Bundestagswahl im September 2009. Den Grünen würden 19% ihre Stimme geben (10,7%) – ein neues Rekordhoch.
Seit der Bundestagswahl im September 2009, wo sie 23% der Stimmen erreichte, konnten die Sozialdemokraten beständig an Zustimmung gewinnen. Bei der jüngsten Allensbach-Umfrage fällt die Tendenz gleichermaßen deutlich aus: Danach zieht die SPD mit der Union gleich. Beide liegen demnach bei 31,5%, im Juni hatte die Union noch bei 32% gelegen, die Sozialdemokraten kamen damals auf 29%. Die weiteren Werte: FDP 6,5%, Linke 9,5%, Grüne 15,5%, Sonstige 5,5%.
Der demoskopische Höhenflug von Sozialdemokratie und Grünen hat sicherlich viel mit der Schwäche der Regierung Merkel zu tun. In Scharen laufen die WählerInnen den etablierten Parteien des bürgerlichen Lagers davon. Eine Analyse des Forsa Meinungsforschungsinstituts kommt zu der These: Nur knapp zwei Drittel der Unionswähler (64%) würden CDU und CSU wie bei der Bundestagswahl 2009 erneut ihre Stimme geben. Und nur etwa jede/r fünfte FDP-WählerIn (22%) von damals würde jetzt wieder für die Liberalen stimmen. Mehr als fünf Millionen WählerInnen vom Herbst wenden sich von der Union ab. Immerhin konnten CDU und CSU aber im Gegenzug 3,7 Millionen neue WählerInnen hinzugewinnen. Mit fast 1,4 Millionen Neuzugängen stammt ein großer Teil aus dem Lager der FDP. Unterm Strich ist die FDP der großer Verlierer, aber auch für das bürgerliche Lager insgesamt hält der Erosionsprozess der Volkspartei CDU/CSU durch massive Abwanderung zu den Nicht-Wählern an.
Was ist der Grund für diese Verschiebung in der politischen Tektonik und wie stabil ist diese Veränderung?
Die vielen handwerklichen Fehler in der bürgerlichen Regierungskoalition bei dem Versuch, sich gemeinsam auf eine Exit-Strategie aus der bisherigen Politik des Staatsinterventionismus hin zu einer Haushaltskonsolidierungspolitik zu verständigen, kommen erst vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Wahrnehmung der ökonomischen Großwetterlage zur vollen Wirkung. Die Deutsche Bundesbank rechnet mit einer kräftigen Konjunkturerholung im zweiten Quartal in Deutschland. Zudem sei von einer Stabilisierung des privaten Konsums auszugehen. Die erkennbar verbesserte Lage spiegele sich in der hohen Zufriedenheit der Unternehmen wider.
Triebfeder ist nicht die Binnenkonjunktur oder gar das aufgelegte Konjunkturstimulierungsprogramm, sondern die sehr "dynamisch wachsende Weltwirtschaft". Die äußerst gute Arbeitsmarktentwicklung, vergleichsweise robuste Einzelhandelsumsätze und die hohe Anschaffungsneigung der privaten Haushalte haben zudem entscheidenden Einfluss auf den privaten Konsum.
Wegen der kräftig anziehenden Konjunktur wird der deutsche Staat in diesem Jahr geringere Steuereinbrüche als befürchtet zu verkraften haben. Im Juni lagen die Steuereinnahmen von Bund und Ländern nach Angaben des Bundesfinanzministeriums um 2,4% höher als im Vorjahresmonat. Dazu trugen vor allem die stark steigende Körperschaftsteuer, die veranlagte Einkommensteuer und die nicht veranlagten Steuern vom Ertrag bei. Das Aufkommen aus der Lohnsteuer und den Umsatzsteuern, die den Löwenanteil ausmachen, sank dagegen. Zusammengefasst: Es macht sich in einem Großteil der bundesdeutschen Gesellschaft verhaltener Optimismus breit, zu dem die verbissenen Inszenierungen der Parteien des bürgerlichen Lagers nicht passen.
Hinzu kommt, dass der auf Bundesebene angekündigte Übergang zu einer harten Austeritätspolitik letztlich große Teile der Bevölkerung gar nicht betrifft. Die massiven Kürzungen und Absenkungen des Lebensstandards gehen vor allem zulasten der dauerhaft Ausgegrenzten und der prekarisierten Lohnabhängigen. Auf der Ebene der Länder und der Kommunen richten sich die angekündigten Kürzungsmaßnahmen gegen die Leistungen und die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Auch hier wird die Bedrohung für die alltägliche Lebenspraxis von einem Teil der Bevölkerung eher auf die leichte Schulter genommen.
Die schwarz-gelbe Politik sozialer Spaltung tangiert auch nicht das Kernklientel von Rot-Grün und wird nicht mehr mit der Agenda-Politik und den Hartz-Gesetzen in Verbindung gebracht. Dies wird durch die anhaltende Tendenz des Bedeutungsverlustes des kollektiven Gedächtnisses befördert. Viele WählerInnen sind sich nicht mehr darüber im Klaren, dass der entscheidende Durchbruch der finanzgetriebenen Kapitalakkumulation der Steuer- und Sozialgesetzgebung der rot-grünen Koalition seit 1998 zu verdanken ist.
Die politische Kehrseite dieser Verschiebungen in der politischen Tektonik zeigt sich bei der Linken jenseits der Sozialdemokratie. Mittlerweile ist es eine feuilletonistische Binsenweisheit: Die Zeit der größten Krise seit den 1930er Jahren ist nicht die Stunde der Linken. Gegenüber der weitgehenden Marginalisierung der kritischen Linken im Großteil von Europa spiegelt die Entwicklung der LINKEN in Deutschland eher eine Ausnahmekonstellation. Offenkundig – folgt man der jüngsten Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Allensbach – sehen wir auch hier eine Trendveränderung in Richtung europäischer Normalität: "Das Verblassen der Linkspartei" titelte die FAZ am 21.7. die Kommentierung deren neuester Umfragen.
"Die politischen Ereignisse der letzten Monate hätten der Partei ‚Die Linke' eigentlich zum endgültigen Durchbruch auch in Westdeutschland verhelfen müssen: Bei der Bundestagswahl 2009 erreichte sie das beste Ergebnis ihrer Geschichte und der ihrer Vorgängerparteien seit der Wiedervereinigung. Nach und nach zieht sie in die westdeutschen Länderparlamente ein... Doch nun, nach dem auch von der 'Linken' ermöglichten Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen, ist nichts von einem Durchbruch in der Akzeptanz zu erkennen. Im Gegenteil: Die Skepsis der Bevölkerung gegenüber der Linkspartei nimmt sogar wieder etwas zu... Obwohl sich seit letztem Herbst der Anteil derjenigen an der Bevölkerung nicht wesentlich verändert hat, die angeben, sie würden die Linkspartei wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, ist die Zahl derer, die sagen, es gebe in ihrem Bekanntenkreis jemanden, der für die 'Linke' ist, von 51 auf 41% zurückgegangen. Offensichtlich sinkt die Bekenntnisbereitschaft der Linken-Anhänger. So gerät die Partei trotz ihrer jüngsten Erfolge unter Druck. Das gesellschaftliche Klima wendet sich gegen sie, die potenziellen Partner halten nach wie vor Distanz." (ebenda)
Können die PolitikerInnen der LINKEN diesen Trend zum Verblassen unterlaufen? Wohl eher nicht. Dennoch steht DIE LINKE steht nach wie vor vor der Herausforderung, das Spannungsverhältnis von wirtschaftlicher Erholung, anhaltenden ökonomischen Ungleichgewichten, bürgerlicher Spaltungspolitik und einer "unaufgeregten" Skepsis bis politischer Passivität im Alltagsbewusstsein zu deuten und darüber die Bereitschaft zu einem erforderlichen Politikwechsel bei Mitgliedern und Wählern argumentativ zu stärken. Für eine solche öffentlichkeitswirksame politische Kommunikation trägt die auf dem Rostocker Parteitag erneuerte Bundesebene der Partei DIE LINKE eine erhöhte Verantwortung.
Mit Sicherheit ist die aktuelle gesellschaftspolitische Konstellation nicht stabil und die von der Bundesregierung angekündigten Kürzungsmaßnahmen werden auf mittlere Sicht ihre Wirkung weder auf das Wirtschaftswachstum, noch auf die weiter Verschärfung der sozialen Spaltung und damit auf das Alltagsbewusstsein verfehlen. DIE LINKE sollte an ihrem Kurs des Politikwechsels festhalten und sich unaufgeregt nicht an den Manövern einer weiteren Verkürzung des Leistungsangebotes des Sozialstaates und des öffentlichen Sektors beteiligen. Sie sollte allerdings zugleich alle zivilgesellschaftlichen Ebenen und Bündniskonstellationen nutzen, über die Langfristwirkungen der gegenwärtigen sozialen Spaltungspolitik aufzuklären und ihre Alternativvorschläge zu präzisieren.Ähnliche Artikel
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