»Die vermeintliche Brückentechnologie Atomkraft führt energiepolitisch in eine Sackgasse«
INTERVIEW DER WOCHE MIT DIETMAR BARTSCH
Dietmar Bartsch, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, hat am vergangenen Montag für die Fraktion DIE LINKE am Treffen der Partei- und Fraktionsspitzen im Kanzleramt teilgenommen, zu dem Bundeskanzlerin Merkel eingeladen hatte. Es ging u.a. um einen Plan für den Atomausstieg – der allerdings, so Dietmar Bartsch, »auf halber Strecke stecken blieb«. Die Fraktion DIE LINKE kritisiert insbesondere, dass die Monopolstrukturen im Energiesektor weiter bestehen bleiben und so letztlich Verbraucherinnen und Verbraucher die Energiewende über steigende Strompreise finanzieren müssen. Dazu gibt es Alternativen. Dietmar Bartsch stellt im Interview der Woche den Sieben-Punkte-Plan der Fraktion zum Atomausstieg vor.
Dietmar Bartsch, weshalb waren Sie denn nach dem Treffen im Kanzleramt vergangene Woche so enttäuscht?
Die Kanzlerin konnte mich nicht enttäuschen, sondern bestenfalls überraschen, aber das hat sie leider nicht getan. Wir haben wenig Neues von der Kanzlerin zu ihren Atomplänen erfahren, sondern das parlamentarische Verfahren erläutert bekommen. Auf unsere Frage, ob die sieben ältesten Atomkraftwerke, die aufgrund des „Atom“-Moratoriums vorübergehend vom Netz gingen, endgültig stillgelegt werden sollen, gab sie keine Antwort. Genauso wenig gab sie ihre Vorstellungen für den Zeitplan bis zum Abschalten des letzten Atomkraftwerks preis. Nichtsdestotrotz forderte sie von den Oppositionsparteien die Zustimmung für eine beschleunigte Beratung der Atomgesetze in Bundestag und Bundesrat ein. Nicht die Opposition, die Bundeskanzlerin steht in der Bringschuld. Zwei Monate hat sie mit vagen Ankündigungen und der Einsetzung von Kommissionen verbracht, statt die Diskussion um den Atomausstieg dort zu führen, wo sie hingehört: im Parlament. Einem Durchpeitschen ihres Atom-Deals durch den Bundestag unter Missachtung von parlamentarischen Rechten wird DIE LINKE nicht zustimmen. Auch mit Blick auf mögliche Klagen der Energiekonzerne wären Verfahrensfehler verhängnisvoll.
Was wünschen Sie sich: Wann soll das letzte AKW in Deutschland vom Netz gehen?
Das letzte Atomkraftwerk sollte Ende des Jahres 2014 stillgelegt werden. Dazu hat unsere Bundestagsfraktion einen konkreten Ausstiegsfahrplan vorgelegt, der das technisch und wirtschaftlich Mögliche aufzeigt. Elf der 17 Atomkraftwerke in Deutschland können sofort stillgelegt werden– ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden. Wie es der Zufall will, sind schon heute - seit dem 5. Mai 2011 - aufgrund des „Atom“-Moratoriums und wegen laufender Revisionen elf Atomkraftwerke nicht am Netz. Die verbleibenden sechs Atomkraftwerke sollen schrittweise, zwei AKWs pro Jahr, bis Ende 2014 abgeschaltet werden.
Wie Ihre Fraktion einen Atomausstieg zu fordern, der »unverzüglich und unumkehrbar« stattfindet, erschreckt viele Menschen. Die Leute glauben, dass Strom dann unbezahlbar wird. Und dass in Deutschland die Lichter ausgehen, wenn wir nicht Atomstrom aus dem Ausland dazu kaufen. Ist dem nicht so?
Nein. Deutschland exportiert seit Jahren Strom ins Ausland. Das heißt: Es wird mehr Strom produziert, als verbraucht – Tendenz bislang zunehmend. Der Kraftwerkspark in Deutschland ist überdimensioniert, so dass elf Atomkraftwerke überflüssig sind. Die restlichen AKWs können durch die heute schon in Bau befindlichen Kraftwerke sowie Maßnahmen zur Senkung des Verbrauchs ersetzt werden.
Was die Preise angeht, so ist zunächst einmal festzuhalten: Der eigentliche Preistreiber der vergangenen Jahre war die Marktmacht der vier großen Energiekonzerne. Diese sind es auch, die den Menschen mit Horrorszenarien über angeblich unvermeidbare Preissteigerungen drohen. Kurz- und mittelfristig kann es geringfügige Preissteigerungen bei einem schnellen Atomausstieg geben. Hier ist der Staat in seiner politischen Verantwortung gefordert. Wirksamstes Mittel gegen profitgeprägte steigende Strompreise ist die Einführung einer staatlichen Strompreiskontrolle.
Trotz der immer noch nicht gelösten Endlager-Problematik hinsichtlich des radioaktiven Mülls gilt die Atomenergie vielen Menschen wegen des geringen CO2-Ausstoßes immer noch als klimafreundlich. Sind Atomausstieg und Klimaschutz miteinander vereinbar, ohne dass neue Kohlekraftwerke uns mit qualmenden Schloten den Himmel verdunkeln?
Da ist ein Umdenken im Gange, der leichtfertige Umgang mit einer lebensbedrohlichen Technologie erschreckt die Menschen mehr und mehr. Klimaschutz und Atomausstieg sind kein Widerspruch. Das Gegenteil ist der Fall. Denn die vermeintliche Brückentechnologie Atomkraft führt energiepolitisch in eine Sackgasse. Große so genannte Grundlastkraftwerke, also Atom- und Kohlemeiler, blockieren den Ausbau erneuerbarer Energien. Das sagt auch das Beratergremium der Bundesregierung, der Sachverständigenrat für Umweltfragen. Atom- und Kohlekraftwerke passen schon rein technisch nicht in ein auf erneuerbare Energien orientiertes Energiesystem. Das Abschalten der AKWs ermöglicht uns also einen beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien – und dient damit dem Klimaschutz. Wir wollen den Atomausstieg deshalb durch ein Sofortprogramm für die Wende hin zu erneuerbaren Energien begleiten.
Den Atomausstieg gab es ja schon einmal – damals, als die rot-grüne Bundesregierung Großes vor hatte. Im Herbst hat Schwarz-Gelb diesen Konsens dann ratz-fatz gekippt. Wie wollen Sie sicher stellen, dass der Ausstieg auch ein Ausstieg bleibt – »unumkehrbar«, wie Sie betonen?
Zunächst einmal waren die von Rot-Grün mit der Energiewirtschaft vereinbarten AKW-Restlaufzeiten von zwanzig Jahren zu lang. Nur ein zügiges Abschalten und Stillegen von Atomkraftwerken schafft Tatsachen. Damit der Atomausstieg wirklich unumkehrbar wird, sollte er in der Verfassung verankert werden. Wir haben dazu einen Gesetzesentwurf in den Bundestag eingebracht, der ein Verbot der Nutzung von Atomenergie und Atomwaffen im Grundgesetz vorsieht.
Einerseits ist es sicher wichtig, dass Deuschland diesen Schritt geht. Gleichwohl sind die Grenzen zu unseren Nachbarländern mit AKW erschreckend gut bestückt – einige davon, wie das tschechische Temelin oder das französische Cattenom, in bedenklichem Zustand hinsichtlich Alter und Technik. Ist der Atomausstieg nicht eigentlich ein gesamteuropäisches Thema?
Gewiss, das ist sogar ein globales Thema. Der Atomausstieg in Deutschland ist aber ein wichtiger Schritt. Als Vorreiter wird Deutschland eine Signalwirkung auf andere Staaten haben. Nach dem Motto „Seht her, es geht auch ohne Atom. Sicher, sauber, bezahlbar.“
linksfraktion.de, 16.05.2011
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