Katja Kipping: »Kultur der Offenheit ist Schlüssel zum Erfolg«
INTERVIEW DER WOCHE
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Katja Kipping, Ihr dritter Weg endete in Göttingen. Von dort führen Sie DIE LINKE nun auf den vierten Weg. Wohin führt der?
Katja Kipping: Es freut mich, dass im Vorstand viele vertreten sind, die sich im Vorfeld klar für einen Bruch nach vorn ausgesprochen haben - weg vom Lagerdenken, hin zum gemeinsamen Handeln. Auffällig ist auch, dass mehrere so genannte Wossis im Vorstand sind - also Menschen, in deren Biografie Ost und West sich kreuzen. Ich würde die Wege nicht nummerieren, aber unser Weg erfordert Mut. Für die neue Führung und die Partei kann es nur eine Zukunft geben: wenn wir als pluralistische, gesamtdeutsche Partei stark werden. Es gibt in Deutschland viele Gruppen, die sich keine Lobbyisten leisten können, zum Beispiel Leiharbeiterinnen, die Schlecker-Frauen, Solo-Selbständige am Laptop, Erwerbslose, die auf dem Ämtern gedemütigt werden, oder Angestellte, die in der gleichen Arbeitszeit immer mehr leisten müssen. Unsere Aufgabe ist es, uns genau für und mit diesen Menschen gegen die schleichende Prekarisierung der Lebens- und Arbeitswelt einzusetzen, weil es niemand sonst tut.
Ist für DIE LINKE jetzt Schluss mit der Selbstbeschäftigung?
Nur weil ein Parteitag zu Ende geht, heißt dass nicht, dass strategische Differenzen weg sind. Diese sollen auch ruhig kontrovers ausgetragen werden. Vielleicht können wir uns aber auf ein Fairness-Abkommen verständigen, dass Folgendes vorsieht: Wir hören auf, uns gegenseitig jeweils als Parteirechte oder als Sektierer zu bezeichnen.
Zweitens schlage ich vor, dass jeder von uns in einer Tasche immer ein Eintrittsformular dabei hat. Und wenn wir über unsere Partei reden, können wir uns fragen, ob die Art, wie wir über unsere Partei reden, dazu führt, dass man am Ende eines Gespräches womöglich vom Gegenüber eine Unterschrift darunter bekommen könnte.
Als Vorsitzende des Arbeits- und Sozialausschusses des Bundestag moderieren Sie seit 2009 Schwarze, Gelbe, Grüne, Rosarote und Rote. Da mutet der LINKE-Parteivorsitz geradezu als Spaziergang an.
Mal sehen, ob Bernd Riexinger und ich viel zum Spaziergehen kommen. Auf jeden Fall haben wir uns am ersten Abend nach dem Parteitag erst einmal bei mir Zuhause zum Kochen getroffen, da ich so in der Nähe des Babyfons bleiben konnte.
Die neue Führung muss die Kunst des Zuhörens praktizieren. Wir werden bald eine Tour durch alle Bundesländer unternehmen, uns vorstellen und die Vorschläge unserer Basis aufnehmen. Wir werden im Internet einen Blog für Vorschläge unser Mitglieder und Sympathisanten einrichten. Der Schlüssel zum Erfolg für uns ist eine Kultur der Offenheit.
Wie viele Kompromisse verträgt eine Partei - nach innen und außen?
Wenn Kompromisse die Handlungsfähigkeit erhöhen oder als Mittel der zivilen Konfliktprävention dienen, bin ich sehr dafür. Kompromisse werden dann zum Problem, wenn darunter die Transparenz leidet und keiner versteht, was eigentlich gemeint ist. Dann sollten wir lieber einfach die Differenzen und offenen Fragen direkt benennen. Ich halte es da mit dem Slogan der Zapatistas: Fragend schreiten wir voran.
Aber wir sollten auch nicht vergessen, dass wir in vielen Punkten klare Beschlüsse haben: Mit uns gibt es keinen Sozialabbau, keine Zustimmung zu Kriegseinsätzen. Wir wollen Hartz IV durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung ersetzen. Wir haben gerade auf unserem Parteitag einen Beschluss gefasst, der eine Mindestrente von 1.050 Euro fordert. Das ist ein wichtiges Instrument, um Altersarmut aufzuhalten, die bereits jetzt um sich greift und in Zukunft anwachsen wird.
Welche Rolle spielt die Bundestagsfraktion bei der Umsetzung der Parteiziele?
Die Fraktion ist ein ganz wichtiges Kompetenzzentrum. In ihr werden gute Ideen entwickelt, wie das Konzept einer solidarischen Bürgerversicherung. In der Fraktion arbeiten viele Menschen, unter anderem in der Kontaktstelle soziale Bewegung, die wichtige Proteste wie die Blockupy-Aktionstage unterstützen. Auch verdanken wir der Fraktion wichtiges Zahlenmaterial, wie beispielsweise die Zahl, dass auf eine offene Stelle im Durchschnitt sieben Arbeitssuchende kommen. Daraus folgt, dass der Einzelne nicht an der Erwerbslosigkeit schuld ist.
linksfraktion.de, 5. Juni 2012
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