Es geht um mehr als den Euro: Wider das Neben- und Gegeneinander im Europa der Nationalstaaten!
Von Jürgen Klute
Im linken wie im rechten Lager, in den gebeutelten Krisenländern wie im stolzen Club der AAA-Länder: Die europäische Gemeinschaftswährung scheint rapide an politischer Unterstützung zu verlieren. Vom unilateralen Ausstieg aus dem Euro, über die parallele Wiedereinführung nationalstaatlicher Währungen bis zur Auflösung der Währungsunion: Die Debatte über die Zukunft des Euro ist längst enttabuisiert. Trotzdem greift die Debatte – gerade in der Linken – zu kurz, wenn sie sich allein auf ökonomische Aspekte stützt und die politischen Ziele der europäischen Integration außer Acht lässt.
Das Ziel der Gründungsväter des europäischen Projekts war klar: Über Jahrhunderte war der europäische Kontinent von Kriegen gezeichnet. Die im 19. Jahrhundert in Europa entstandene Ideologie des Nationalismus hat Millionen Europäer in zwei entsetzliche Weltkriege geführt. Europa hat der Welt für nicht möglich gehaltene menschliche Abgründe offenbart, einschließlich des durch die deutschen Nationalsozialisten zu verantwortenden Holocaust. Geprägt durch diese bitteren Erfahrungen, waren die Pioniere der europäischen Integration überzeugt von der Notwendigkeit, das System der Europäischen Nationalstaaten zu überwinden. Jenseits der Nationalstaaten wollten sie eine stabile, dauerhafte europäische Friedensordnung aufbauen. Für Schuman, Adenauer und ihre Generation der einzige Weg, um Europa auf den verlassenen Weg des zivilisatorischen Fortschritts zurückführen zu können!
Dass das europäische Projekt 1951 mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle- und Stahl (EGKS bzw. Montanunion) begonnen wurde, hatte einen einfachen Grund. Die Montanindustrie war seinerzeit der rüstungsrelevanteste Teil der Industrie. Sie zwischen den Gründungsstaaten zu vernetzen, sollte Transparenz schaffen und ein erneutes Wettrüsten der europäischen Staaten gegeneinander im Keim ersticken.
Wie alles begann: Der Unterbau der europäischen Vereinigung
Zugleich sollte eine immer dichter werdende ökonomische Verflechtung und Integration zur Grundlage der angestrebten europäischen Friedensordnung werden. Wenn man der Einsicht folgt, dass eine Gesellschaft im Wesentlichen durch ihre Produktionsbedingungen geprägt wird, also durch die wirtschaftlichen Verhältnisse, dann muss man zu dem Schluss kommen, dass jener Ansatz konsequent, effektiv und richtig war und ist.
Für uns und die Debatte, die wir heute führen heißt das aber auch, dass wir einen Fehler begehen, wenn wir das Projekt der Währungsintegration auf seine ökonomischen Aspekte abstrahieren und unser Urteil ohne Berücksichtigung der Gründungsziele der EU fällen. Mit der Infragestellung der Währungsunion – die zweifelsohne zu den tiefsten Formen der wirtschaftlichen Integration gehört – werden zwangsläufig auch die politischen Ziele der Europäischen Einigung infrage gestellt, die in Europa heute unauflösbar mit dem gemeinsamen Markt und der gemeinsamen Währung verknüpft sind.
Ohne Frage: Das Projekt einer europäischen Einigung hat kein Paradies hervorgebracht. Aber es hat zu einer politischen Stabilität in Europa geführt und zu einer Zivilisierung der Aushandlung von Interessenkonflikten innerhalb Europas, die historisch einmalig sind. Und seien wir ehrlich: Bei aller berechtigten Kritik an der europäischen Außenpolitik müssen wir uns eben auch die Frage stellen, was die nahe liegende Alternative – ein politisch instabiles und vom Nationalismus geprägtes Europa – heute für die anderen Teile der Welt bedeuten würde! Und wie risikoreich der Zerfall eines Staatenbündnisses ist, zeigt der Zerfall des Warschauer Paktes Anfang der 1990er Jahre. Innerhalb kürzester Zeit hat dieser Zerfall zu regionalen militärischen Konflikten geführt, mit deren Folgen wir bis heute konfrontiert sind.
Zu der aus der europäischen Geschichte entstandenen Begründung für eine europäische Einigung kommen heute neue politische Begründungen hinzu. Kein Mitgliedsland der EU wäre alleine im Stande, auf die umweltpolitischen Herausforderungen wirksame Antworten geben zu können. Ebenso wenig wäre die Energieversorgung heute noch auf einzelstaatlicher Ebene sicher zu stellen. Und auch die begrenzten Vorräte an Rohstoffen erfordern eine Form der Kooperation, zu denen Nationalstaaten kaum fähig sind. Schließlich sind die erforderlichen Regulierungen der Wirtschaft, insbesondere der Finanzmärkte, im Zeitalter des Internets nicht mehr im Rahmen der historischen Nationalstaaten machbar.
Es geht deshalb bei der Frage um die Zukunft der EU keineswegs um eine auf Emotionen gegründete Europabegeisterung, sondern es geht um sehr konkrete, handfeste politische Herausforderungen, die nur durch Kooperation und nicht in der Logik nationalstaatlicher Konkurrenzen und Abgrenzungen zu bewältigen sind. Dass Politiker und Politikerinnen heute vor Herausforderungen stehen, die nicht mehr nationalstaatlich, sondern nur durch neue Formen politischer Kooperation zu bewältigen sind, ist vor allem eine Folge technologischer und damit verbundener ökonomischer Entwicklungen. Sie erzwingen geradezu eine Überwindung von Nationalstaatlichkeit.
An der Krise, in der die EU gegenwärtig steckt, lässt sich dies besonders klar erkennen. Die Debatte, die die Linke derzeit über die EU führt, zeigt, dass wir zu großen Teilen noch nicht verstanden haben, dass die Eurokrise in ihrem Kern alles andere als eine ökonomische Krise ist. Sie ist vielmehr eine politische Krise – mit verheerenden ökonomischen und sozialen Folgen allerdings!
Nicht zuletzt sind es heute die klassischen Politikmuster, die auf nationalstaatliche Interessenswahrung zugeschnitten sind, die den heutigen Herausforderungen nicht mehr gerecht werden. Das unkontrollierte Umsichgreifen der Krise jedoch ist in allererster Linie die Folge des Vorgehens des Rats der Europäischen Union, also des Organs der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer. Sein Agieren in der Krise ist bestimmt von nationalen Interessen, vor allem von den Interessen der Bundesregierung und einiger anderer nordeuropäischer Mitgliedsländer.
Herausforderungen gemeinsam meistern? Nicht von allen gewollt ...
In einem ersten Austausch des Ausschusses des Europäischen Parlaments für Wirtschaft und Währung (ECON) mit dem neuen Vorsitzenden der Eurogruppe Jeroen Dijsselbloem am 7. Mai 2013 hat dieser ausschließlich von und über Mitgliedsländer gesprochen und kein einziges Mal den Begriff EU-Binnenmarkt in den Mund genommen, als gäbe es ihn gar nicht. Im Organ der Regierungschefs und ihrer Finanzminister scheint offensichtlich jeder Hauch einer europäische Perspektive verloren gegangen zu sein. Eine gemeinsame Verantwortung für die gesamte EU...? Nein, den Regierungen geht es heute einzig und alleine um die Vorteile und Gewinne, die jeder für sich selbst verbuchen kann. Selbst in den reformierten Politikinstrumenten wie dem neuen Instrument der wirtschaftlichen Steuerung wird jedes EU-Land letztlich alleine für seine wirtschaftliche und finanzielle Situation verantwortlich und haftbar gemacht. Als gäbe es keine Wechselwirkungen zwischen den Volkswirtschaften der Mitgliedsländer; als wirkte sich die Geldpolitik der EZB vor Ort nicht aus; als schlügen Mondschein-Entscheidungen wie jene zur Enteignung zyprischer Bankkunden keine Wellen auf den Kontinent!
À propos Zypern: Nicht ein einziger Finanzminister der Eurozone hatte Fragen gestellt oder gar protestiert, als die bei zyprischen Banken deponierten Geld- und Spareinlagen zur Rettung des Finanzsektors des Inselstaates herangezogen werden sollten. Ein Vorschlag gegen geltendes Gemeinschaftsrecht, denn eigentlich haben Kunden europäischer Banken einen rechtlichen Anspruch, dass selbst beim Zusammenbruch ihres Finanzinstituts bis zu 100.000 Euro geschützt bleiben. EU-Einlagensicherung hin oder her: Die Rettung zyprischer Banken solle es nur bei Beteiligung aller Insel-Sparer geben, so der Konsens der Euro-Finanzminister. Und als ob es noch eines endgültigen Beweises für die Überforderung des national dominierten Krisenregimes bedurfte, hielten die Regierungen für die Tage nach ihrer kolossalen Fehlentscheidung eine weitere Überaschung bereit: Während sich die Bundesregierung beeilte, durch ihren Sprecher der deutschen Öffentlichkeit mitteilen zu lassen, dass die Einlagen deutscher Sparer bei ihren Banken selbstverständlich sicher und durch geltende Einlagensicherungssysteme geschützt seien, meldete der neue Eurogruppen-Chef Dijsselbloem ebenso rasch, der für Zypern vorgesehene „Bail in"-Deal (Bail-in meint die Beteiligung der Einleger mit ihren Einlagen an einer Bankenrettung) habe selbstverständlich Modell-Charakter!
Wer Recht mit Füßen tritt, erntet kein Vertrauen
Wie soll ein Krisenmanagement von den Bürgern akzeptiert werden, das der Bevölkerung der Programm-Länder über Jahre härteste Entbehrungen, Wohlstandsverzichte und blankes Elend aufbürdet, um den Vertrauensverlust der Märkte aufzuholen? Wie kann man den Regierungen glauben, wenn sie ihre Hinhaltetaktik bei der Einführung der Finanztransaktionssteuer damit begründen, eine solche geringe und kalkulierbare steuerliche Belastung könne Investoren aus der EU vertreiben? Der massive Vertrauensverlust bei Investoren und Anlegern, der seit dem Zypern-Beschluss auf den Banken der Mehrheit der EU-Staaten lastet, war nicht nur finanziell unnötig und wirtschaftlich gefährlich – er muss auch ein Schlag ins Gesicht all jener gewesen sein, die für die Folgen der Sparorgien bluten müssen, ganz zu schweigen von jenen, die ganz oder teilweise auf eine private Altersvorsorge angewiesen sind und bei einem „Bail-in" mit deren zumindest teilweisen Verlust rechen müssen.
Dass die Bundeskanzlerin immer vorne mit dabei ist, wenn es darum geht, europäisches Porzellan zu zerschlagen, stellte sie wenig später unter Beweis, als sie das zyprische Geschäftsmodell für beendet erklärte. Diese Feststellung zielte in erster Linie auf die Größe des zyprischen Bankensektors: Die Summe aller Bilanzen zyprischer Banken liegt um mehr als das Achtfache über dem zyprischen Bruttoinlandsprodukt (BIP)! Die Kanzlerin zielte mit ihrer Aussage aber auch auf die ungenügende staatliche Aufsicht der zyprischen Behörden über die auf der Mittelmeerinsel ansässigen Finanzinstitute. Zwar hat die zyprische Regierung die Vorwürfe, Steuerhinterziehung und Geldwäsche im eigenen Land zuzulassen, stets abgestritten. Wahr ist allerdings auch, dass Zypern – nicht zuletzt während seiner Ratspräsidentschaft – wirksame Regeln gegen Steuervermeidung und Steuerbetrug ebenso wie die Einführung der Finanztransaktionssteuer torpediert hat. Ginge es alleine darum, den Finanzsektor an den Aufräumarbeiten der Krise zu beteiligen, wäre die Transaktionssteuer jedoch ein um Längen transparenteres, sichereres und faireres Instrument gegenüber eines „Bail-Ins" nach Hauruck-Manier.
Abgesehen vom Vertrauensverlust, den die unangekündigte und unregulierte Heranziehung von Anlegern zur Rettung eines Instituts verursacht, müsste dabei zumindest sichergestellt werden, dass alle Formen der Altervorsorge (Rentenkassen, Pensionsfonds, entsprechende Lebensversicherungen, etc.) ausgenommen würden. Solche Arten von Versicherungen an einem „Bail-In" zu beteiligen wäre alles andere als hilfreich oder wünschenswert. Denn die Verluste der Altersvorsorgeversicherungen müssten im Zweifelsfall am Ende doch wieder vom Steuerzahler ausgeglichen werden. Interessanterweise hatte Dijsselbloem in der Diskussion mit den Finanzpolitikern des EU-Parlaments die niederländische Ablehnung der Transaktionssteuer gerade damit begründet, dass den niederländischen Pensionsfonds die zu erwartenden finanziellen Einbußen nicht zuzumuten seien und Rentenminderungen in jedem Fall ausgeschlossen werden müssten. Die weitaus gravierendere Gefährdung privater Rentenkassen durch „Bail-Ins" à la Zypern scheint in der Rechnung Dijsselbloems demgegenüber nicht ins Gewicht zu fallen.
Exempel statuieren statt transparente Regeln für alle
Während die Bundesregierung lautstark das Geschäftsmodell Zyperns für beendet erklärt, lässt sie gleichzeitig keine Kritik am bundesdeutschen Geschäftsmodell zu, obgleich die EU-Kommission – mit Unterstützung von OECD und IWF – seit längerem die einseitige Exportorientierung der Bundesrepublik einschließlich ihrer verkümmerten Binnennachfrage für korrekturbedürftig hält. In ihren länderspezifischen Anmerkungen vom 29. Mai 2013 wiederholt die EU-Kommission ihre Kritik aus 2012 – wenngleich in diplomatisch-rücksichtsvoller Wortwahl. 2012 forderte die EU-Kommission die Bundesrepublik zu Lohnerhöhungen im Rahmen der Produktivitätssteigerung, zur Unterbindung des Missbrauchs von Minijobs und zu einer Erhörung der Investitionen in Bildung und Forschung auf. Schon damals hatten deutsche Diplomaten im Hintergrund interveniert, um noch deutlichere Kritik zu blockieren.
Die belgische Regierung geht mittlerweile auf dem Klageweg gegen das von der Bundesregierung betriebene Lohndumping vor, da dies die deutschen Nachbarländer zunehmend unter Druck setzt. Bisher ignoriert die Bundesregierung dennoch beharrlich und unbelehrbar alle Kritik am Geschäftsmodell Deutschlands. Zumindest die EU-Kommission und eine Mehrheit des EU-Parlaments wissen, dass die gegenwärtige Krise nicht überwunden werden kann, wenn nicht auch Korrekturen am deutschen Wirtschaftsmodell vorgenommen werden!
Nur kurz soll an dieser Stelle noch auf ein anderes zumeist vergessenes Problem verwiesen werden, das man aber nicht unterschätzen sollte. Drei der Krisenländer – Griechenland, Portugal und Spanien – konnten sich erst Mitte der 1970er Jahre aus rechten Diktaturen befreien. Einerseits hat die Integration dieser Länder in die EU deren gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung beschleunigt. Andererseits muss man im Blick behalten, dass so tiefgreifende Transformationen vor allem anderen auch Zeit und Geduld erfordern. Gerade die deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts von der Kleinstaaterei über die Gründung des deutschen Reichs, der Weimarer Republik, die finstere Phase des Nationalsozialismus bis hin zu einer stabilen Demokratie seit 1949 zeigt, wie schwierig, widersprüchlich und langwierig gesellschaftliche und ökonomische Integrations- und Entwicklungsprozesse sein können.
Wer angesichts scheinbarer neoliberaler Verblendung der EU-Institutionen die Rückkehr zu nationalen Währung und Wirtschaftsstrategien fordert, muss sich jedoch auch über die wirklichen Verantwortlichkeiten für den aktuellen Krisenkurs in der EU im Klaren sein! Fakt ist: Alle Regierungen der EU haben bei den Gipfeln des EU-Rates den Krisen-Programmen zugestimmt. Die Europäische Kommission führt in diesem Punkt im Wesentlichen nur aus, was der Rat beschließt. Die Regierungen haben mehr als einmal bewiesen, dass das Gemeinschaftsrecht – worüber die Kommission ja qua Verträgen wachen soll – für sie keinen Wert hat. Die Kommission und mit ihr die Troika agiert jedenfalls streng nach Vorgabe der Ratsbeschlüsse. Das Europäische Parlament hat weder eine Beratungs- geschweige denn eine Mitentscheidungskompetenz im Blick auf die vom EU-Rat verabschiedeten Krisenprogramme.
Die Hauptstadt-Chefs: Demokratisch gewählt, verantwortlich für nichts
Während europäisches Recht oder europäischer Zusammenhalt für die Regierungen der Union ohne Belang ist, verweisen die Chefs aus den Hauptstädten immer wieder auf ihre einzigartige demokratische Legitimierung, die sie den Wahlen und Parlamenten in ihren Herkunftsländern verdanken. Für eine Rechenschaftspflicht für ihre Politik gegenüber dem Europäischen Parlament sieht der Rat deshalb keine Notwendigkeit. Aber keine Regierung hat bisher die Interessen ihrer WählerInnen wirklich vertreten, indem sie ernsthaft und beharrlich auf alternative, sozialverträgliche und europäische Lösungen gedrängt hätten. Ihren Wählern hingegen erklären die Regierungen in aller Dreistigkeit immer wieder, sie seien durch "Brüssel" zur Umsetzung der Beschlüsse zur Sparpolitik verpflichtet worden. Die Regierungen der Mitgliedsstaaten haben sich ein schwarzes Loch geschaffen, in dem ihre politische Verantwortung auf Nimmerwiedersehen verschwindet.
Über den Brüsseler Umweg setzen sie eine soziale Kahlschlagspolitik durch während sie gleichzeitig die Wut der Wählerinnen und Wähler auf die Institutionen der Europäischen Union lenken. Längst fordern nicht nur Parlamentarier deutliche Korrekturen am Kahlschlagsansatz des Rates; auch aus der Kommission werden immer mehr kritische Stimmen laut. Nur um den Rat in seinem Amoklauf der Austeritätspolitik zu stoppen, fehlen ihnen die Kompetenzen. Es bleibt ihnen nicht weiteres übrig, als zuzuschauen, wie die Hauptstadt-Chefs die als Friedensprojekt gedachte europäische Einigung in den Abgrund stürzen. Vor diesem Hintergrund kann die Vorstellung, der Sozialstaat müsse auf nationaler Ebene gegen die EU verteidigt werden, nur als haarsträubend absurd erscheinen! Die Regierungen, die es sich politisch in ihrem Versteckspiel hinter Brüssel bequem machen, sehen den Sozialstaat als teures Hemmnis im europäischen wie globalen Standortwettbewerb.
Nicht nur in Ungarn, nicht nur in den Krisenländern führt die Katastrophenpolitik der Regierungen zu einem gefährlichen Aufleben von Nationalismus und Rassismus in Europa. Die Atmosphäre zwischen den EU-Mitgliedsstaaten ist heute deutlich durch Ressentiments geprägt und weit stärker als man es sich vor der Krise hätte vorstellen können! Kein Wunder, setzt doch die EU-Politik der Regierungen einerseits auf nationale Egoismen und nimmt andererseits keinerlei Rücksicht auf die Interessen der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. Es ist nicht zuletzt der politische Rahmen der EU, der jene neuen Konflikte zivilisiert und aggressivere Konfliktformen zwischen den Mitgliedsstaaten vorbeugt.
Welche Wirkungen könnte nun angesichts dieser politischen Gemengelage ein Ausstieg aus der Gemeinschaftswährung mit sich führen? Die wirtschaftliche Integration als Erdung des europäischen Einigungsprozesses würde für gescheitert erklärt, das Friedensprojekt der EU aufgegeben, der Rückfall in Nationalstaatlichkeit und Nationalismus würde zum Selbstläufer. Und die parteipolitische und gesellschaftliche Linke? Die würde mit einem solchen Spiel ihre friedenspolitische Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzten.
Was käme nach der „Befreiung" von der Gemeinschaftswährung?
Zu fragen ist aber auch nach den ökonomischen Folgen eines Euro-Ausstiegs. Durch einen Euro-Ausstieg würden die politischen und ökonomischen Ungleichgewichte in Europa – sowohl zwischen als auch innerhalb der Mitgliedsstaaten – schließlich nicht aufgehoben! Auch ein System fester Wechselkurse würde gerade jene Bereitschaft zur Kooperation voraussetzen, deren Fehlen ja bereits zum Scheitern des Euro zu führen droht. Davon abgesehen gab es ein solches System mit dem Europäischen Währungssystem (EWS) bereits in den 1980er Jahren. Es ist gescheitert: Durch gezielte Spekulationen gegen das britische Pfund, das sie für überbewertet hielten, haben George Soros und andere Spekulanten das EWS im September 1992 zum Zusammenbruch gebracht. Auch darauf ist der Euro eine Antwort. Der Euro ist also auch als Schutz gegen Währungsspekulationen gedacht gewesen – eine Rückkehr zu nationalen Währungen würde vor allem die kleineren Länder völlig schutzlos den Spekulanten ausliefern.
Die andere Alternative hingegen, ein System freier Wechselkurse, birgt stets die Gefahr von Abwertungswettläufen in sich. Man kann ohne Not davon ausgehen, dass Staaten, deren Wohlstand vom Export abhängt, sich nicht einfach mit Abwertungen anderer Mitgliedsstaaten abfinden werden, sondern Sie werden versuchen, ihre Absatzmärkte zu sichern.
Eines der wichtigsten ökonomischen Argumente für einen Euroausstieg ist, dass dadurch die Exportchancen wirtschaftlich schwächerer Länder steigen. Durch Abwertungen ihrer eigenen unabhängigen Währungen können sie sich Preisvorteile und damit bessere Wettbewerbschancen beim Export verschaffen. Für sich betrachtet ist das richtig. Richtig ist allerdings auch, dass sich ihre bestehenden Schulden in Euro ebenso stark erhöhen würden, wie ihre nationale Währung im Vergleich zum Euro abgewertet würde.
Dass sich bei einer Abwertung die Preise für die Abnehmer der Exportgüter verringern würden, ist zudem nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite, die man nicht unterschlagen darf, ist, dass die Preise für Importgüter bei einer Abwertung ebenso stark ansteigen würden. Für die Verbraucher des „Ausstieg-Landes" würden sich die Lebenshaltungskosten entsprechend verteuern. Wir wissen, dass ein Kernproblem der kleineren Länder Südeuropas darin liegt, dass sie mehr Güter einführen, als sie ins Ausland absetzen. Vor allem sind es höherwertige Güter – und im Falle Griechenlands und Portugals insbesondere Energie und hochwertige Technologie – die aus dem Ausland eingekauft werden müssen. Ein mindestens kurz- bis mittelfristiger unausweichlicher, deutlicher Anstieg der Lebenshaltungskosten würde nicht zuletzt die sozialen Ungleichgewichte in diesen Ländern weiter verschärfen. Es ist schlicht eine Illusion, der man nicht verfallen sollte, dass einseitige Abwertungen durch einen Euro-Ausstieg automatisch zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen könnten.
Nebeneinander statt Gegeneinander: Der Euro zwingt zur Kooerpation und öffnet Türen
Last but not least: Es stimmt zwar, dass insbesondere jene Großunternehmen, die von einer dominierenden Stellung in ihren „Heimatmärkten" in den Binnenmarkt starten konnten, die größten Gewinne und Zugwächse durch wegfallende Handelsschranken für sich verbuchen konnten. Doch erst durch die Währungsunion wurden grenzüberschreitende Geschäfte soweit vereinfacht – z.B. durch den Wegfall der Wechselkursschwankungen, dass auch kleine und mittelständische Unternehmen – ebenso wie Verbraucher – die Chance bekommen, die Vorteile des EU-Binnenmarktes umfassend und unkompliziert nutzen zu können. Angesichts all jener politischen wie ökonomischen Nachteile und Gefahren wäre also mehr als gewagt, einen Euro-Ausstieg als ernsthafte oder gar linke Option in Betracht zu ziehen.
Die Krisenpolitik der EU bekäme ein anderes Gesicht, wäre das EU-Parlament, wie es selbst immer wieder einfordert, als Mitentscheider in das Krisenmanagement der Union bzw. der Eurozone eingebunden. Als ausgleichende Komponente zur Haushaltskonsolidierung würde die europäische Wirtschaft ebenso von wachstumsfördernden Maßnahmen profitieren. Die Mehrheit der Abgeordneten sieht die Auswirkungen jahrelanger orthodoxer Sparpolitik und fordert alternativ eine nachhaltige Wachstumspolitik. Ein Großteil der Parlamentarier ist sich auch einig, dass in einer Währungsunion nicht nur Länder mit großen Defiziten in der Handelsbilanz gegensteuern müssen, sondern dass ebenso dauerhafte, bedeutende Handelsbilanzüberschüsse, wie sie insbesondere Deutschland ausweist, korrigiert werden müssen. Zuletzt stellte sich eine Mehrheit der Abgeordneten auch hinter die Forderung, Ausgaben für Gesundheit und Bildung grundsätzlich aus der Sparpolitik auszunehmen.
Die in Europa seit 2008 andauernde Krise ist in ihrem Kern eben nicht einfach eine ökonomische Krise. Ohne die dahinter liegende politische Krise hätte die EU die Auswirkungen der Finanzkrise längst in den Griff bekommen und den Zusammenbruch der Wohlstandsentwicklung in weiten Teilen der Union verhindern können.
Kleinstaaterei im 21. Jahrhundert: Ein neuer Quantensprung tut Not!
Um historische Krisen wie jene, mit der wir es zu tun haben, zu verstehen, kann ein Blick in die Geschichtsbücher hilfreich sein! Eine historische Analogie, die uns helfen kann die Krise der EU zu verstehen, drängt sich immer mehr auf: Es handelt sich um den Prozess der Überwindung der deutschen Kleinstaaterei im 19. Jahrhundert. Auch dieser Prozess begann mit der ökonomischen Integration, nämlich mit der Gründung des Deutschen Zollvereins 1833/34. Abgeschlossen wurde dieser Prozess mit der politischen Integration in Form der Gründung des deutschen Reiches 1871. Die sehr unterschiedlichen politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen zwischen damals und heute lassen nur einen bedingten Vergleich zu.
Immerhin hat sich in diesem Prozess aber gezeigt, dass ein Integrationsprozess sehr wohl auf ökonomischer Ebene starten kann, dass zum anderen aber eine ökonomische Integration, wenn sie einen bestimmten Punkt erreicht hat, eine entsprechende politische Integration erfordert, damit die ökonomische Integration auf Dauer funktionieren kann, denn dazu braucht es einen regulativen Rahmen, den nur die Politik setzen kann. Viel spricht dafür, dass wir heute mit der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion an einem ähnlichen Punkt angelangt sind, an der wir die Wahl zwischen dem nächsten Schritt der politischen Integration haben oder zwischen einer Aufgabe der wirtschaftlichen Vereinigung.
Diesen Schluss legt auch eine Untersuchung des Ökonomen Hubert Gabrisch vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) nahe. Gabrisch hat eine Reihe von Beispielen gescheiterter Währungsunionen untersucht. Er kommt zu einem klaren Ergebnis: Die Ursache für das Scheitern in all diesen Fällen, so Gabrisch, liegt in dem Fehlen eines gemeinsamen Staates bzw. einer staatlichen Union mit einer zentralen Finanzbehörde, die gemeinsam mit der Zentralbank für die Währung und ihre Stabilität verantwortlich ist. "Die notwendige Bedingung für eine souveräne Währung ist ein Staat, der mit seiner Steuerkraft hinter dieser Währung steht", so die Schlussfolgerung, die Gabrisch zieht.[1]
Aus dieser Perspektive bekommt die gegenwärtige Auseinandersetzung zwischen dem EU-Parlament und dem Rat um den neuen mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 2014-2020 ein zusätzliches Gewicht. Eine der vier parlamentarischen Kernforderungen gegenüber dem Rat ist die nach einer vertragskonformen vollständigen Ausstattung des EU-Haushalts mit Eigenmitteln, d.h. eine Beendigung der an sich nur als Übergangslösung vorgesehenen Beitragszahlungen der Mitgliedsländer. Ohne einen vollständig aus Eigenmitteln finanzierten Haushalt kann die EU nicht zu einer Institution werden, die mit ihrer Steuerkraft die gemeinsame Währung, den Euro, deckt und stabilisiert. Allerdings bedürfte es zur Erreichung dieses Ziels zudem noch einer erheblichen Aufstockung des EU-Haushalts. Dieser Sachverhalt mag aber die Vehemenz erklären, mit der der Rat sich weigert, sich dieses Themas zu stellen. Schließlich geht es um das Teilen von Kompetenzen mit anderen Mitgliedsstaaten, also um das Verlagern von Kompetenzen auf die EU-Ebene!
Die Auseinandersetzung um die Finanzierung der Union
Auf der Ebene der europäischen Institutionen hat sich gezeigt, dass die bestehende, auf dem Lissabon-Vertrag beruhende Struktur und Machtverteilung nicht zur nötigen politischen Handlungsfähigkeit der EU geführt hat, um den Herausforderungen der bisher erfolgten ökonomischen Integration politisch entsprechen zu können. Der Markt regelt sich eben nicht von allein – eine Einsicht, die mittlerweile zumindest von einem Teil der EU-Kommission geteilt wird – u.a. von dem für die EU-Finanzmarktregulierung zuständigen Binnenmarkt-Kommissar Michel Barnier. Eine ökonomische Integration erfordert schlicht einen handlungsfähigen demokratisch legitimierten politischen Rahmen.
Doch wo genau liegt die Überforderung der europäischen Institutionen? Sie liegt in jener Institution, die gleichzeitig die am wenigsten europäische ist! Der Europäische Rat, die Vertretung der nationalen Regierungen, ist nicht auf der Höhe seiner Macht. Die Regierungen, unfähig und zugleich ungewillt, europäisch zu denken und zu handeln, werden der Verantwortung, die sie für das Große und Ganze haben, nicht gerecht. Die Frage des Überlebens der EU ist deshalb verknüpft mit der Frage, ob es gelingen kann, das Machtübergewicht des Rates abzubauen und auf eine legitime Rolle als Länderkammer zurechtzustutzen.
Ein solches Szenario würde gleichzeitig die Tür öffen, um die EU-Kommission weiter zu demokratisieren und gleichzeitig derart aufzuwerten, dass sie die Rolle einer europäischen Regierung wahrnehmen kann. Der Vorsitz einer solchen Kommission und die Kommission selbst muss ausschließlich durch das Europäische Parlament bestimmt werden, und die Mitgliederzahl und Zusammensetzung der Kommissare muss nach fachlichen Aspekten anstatt nach Nationalproporzen zusammengestellt werden. Selbstverständlich muss dann auch das Europäische Parlament als die bisher einzig demokratisch legitimierte EU-Institution in allen Politikbereichen volle Mitentscheidungsrechte und das legislative Initiativrecht erhalten.
Eine institutionelle Reform muss selbstverständlich auch sicherstellen, dass am Ende nicht eine zentralistische übermächtige Union mit einem einzigen übermächtigen Brüsseler Kraftzentrum ensteht, sondern vielmehr eine EU der Regionen, in der es klar gestufte und dem Subsidiaritätsprinzip genügende Zuständigkeiten gibt. Nur was nicht sinnvoll auf einer politischen Handlungsebene entschieden werden kann, darf auf die nächsthöhere Ebene verschoben werden. Die Politikbereiche, für die die EU zuständig sein sollte, müssen um die zentralen Bereiche der Fiskal- und der Sozialpolitik ausgeweitet werden. Das Ziel eines solchen Umbaus der EU muss eine Ausgleichsunion sein. Was das bedeutet, haben Axel Troost und Lisa Paus 2011 in "Eine Europäische Ausgleichsunion – Die Währungsunion 2.0"(Schriftenreihe Denkanstöße des Instituts der solidarischen Moderne) beschrieben.
Mancher mag dem entgegenhalten, dass letztlich nicht die Institutionen das Ausschlaggebende in einer Gesellschaft sind, sondern die realen Besitzverhältnisse. Nur: Welchen Erkenntnisgewinn bringt eine solche Feststellung heute noch? Und sind Steuerpolitik, Sozialpolitik und Tarifpolitik nicht deutliche Eingriffe in die Besitzverhältnisse? Und werden sie nicht ausgehandelt und durchgesetzt durch politische Institutionen?! Abschaffen lassen sich die heutigen Besitzverhältnisse damit natürlich nicht – zumindest nicht in absehbarer Zeit. In den Institutionen erfahren die Besitzverhältnisse allerdings eine zivilisierende und humanisierende Regulierung und Domestizierung. Inwieweit Regulierung und Domestizierung gelingen hängt aber nicht unerheblich von der Struktur und Funktionsfähigkeit politischer Institutionen ab, die bekannterweise nicht im luftleeren Raum agieren, sondern unter konkreten gesellschaftlichen Machtkonstellationen, die aber keineswegs verschlossen gegenüber Veränderungsprozessen sind.
Was uns der Fall „Zypern" noch lehrt...
Mit einer anderen Struktur der EU-Institutionen hätte eine alternative Krisenbewältigungsstrategie eine reale Chance gehabt. Welche Alternativen zur gescheiterten EU-Ratspolitik mit einer anderen, eben europäischen Perspektive denkbar und realistisch sind, lässt sich auch am Beispiel Zyperns aufzeigen. Die Kritik der Bundesregierung und einer Mehrheit des EU-Rates zielt auf das zyprische Wirtschaftsmodell, ausgerichtet auf seinen Finanzsektor. Wie bereits skizziert, übersteigt das Bilanzvolumen des zyprischen Bankensektors das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Zyperns um mehr als das achtfache. In der Tat liegt dieser Wert deutlich über dem Durchschnitt der EU-Mitgliedsländer, wenngleich auch der luxemburgische Bankensektor mehr als dreimal größer ist als der zyprische.
Doch andererseits ist Zypern auch Teil des EU-Binnenmarktes und des Euroraums. Muss es uns nicht wundern, mit welcher Berechtigung die Größe des zyprischen Bankensektors nur ins Verhältnis zum zyprischen BIP gesetzt wird? Mit ähnlicher Logik könnte man letztlich auch die Bilanzsumme der in Frankfurt/Main ansässigen Banken ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung des Bundeslandes Hessen stellen anstatt zur Wirtschaftsleistung der gesamten Bundesrepublik. Eine absurde Vorstellung, aber gleichzeitig in der Logik der Kleinstaaterei, nur eben auf einer niedrigeren Ebene.
Setzt man den zyprischen Finanzsektor ins Verhältnis zum BIP der Union, wird aus einem Problemen groß wie ein Elefant nichts mehr als ein Mäuschen. Dann wäre Zypern schlicht einer der Finanzstandorte neben anderen innerhalb des EU-Binnenmarktes. Zypern ist auch nicht der einzige Mitgliedsstaat, der sich Fragen zu seiner Steuerpolitik gefallen lassen muss. Nun gehört die Steuerpolitik zu jenen Politikfeldern, in denen die Finanzminister ihre Entscheidungshoheit weder mit Kommission noch mit dem Parlament teilen. Ja, Steuerdumping in der EU muss ein Ende haben und die Mitgliedsländer müssen alles tun, um Steueroasen innerhalb ihrer Hoheitsgebiete zu schließen. Doch Zypern für ein strukturelles Problem der Union haftbar zu machen, ist nicht nur unfair und populistisch, es löst auch keine Probleme! Zypern hat sich schlicht die Nische gesucht, die im Standortwettbewerb der EU am vielversprechendsten war.
Das Europäische Parlament hat sich in seiner Resolution vom 21. Mai mit großer Mehrheit und in Übereinstimmung zur großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in der EU für eine konsequente Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung ausgesprochen. Trotz vorhergehender großer Ankündigungen konnte sich der EU-Rat in seiner darauf folgenden Sitzung vom 23. Mai 2013 nicht dazu durchringen, sich auf echte Fortschritte im Kampf gegen Steuerbetrug zu verständigen.
Bankenunion oder Standortwettbewerb der nationalen Finanzsektoren?
Um den zyprischen Bankensektor voll und ganz als Teil des EU-Binnenmarktes zu definieren, wären weitere Regulierungsschritte auf EU-Ebene erforderlich. Nötig wäre, was derzeit unter dem Begriff Bankenunion verhandelt wird: Eine einheitliche EU-weite Bankenaufsicht, eine EU-weite einheitliche Einlagensicherung, eine EU-weite einheitliche Regelung für die Auflösung von Banken (in die der ESM u.U. integriert werden könnte), EU-weite einheitliche Regelungen für Eigenkapital und den normalen Betrieb von Banken und des Finanzmarktes sowie eine Neustrukturierung des Bankensektors im EU-Binnenmarkt. Mit anderen Worten: Der bisherige Standortwettbewerb unter den EU-Mitgliedsstaaten im Banken- und Finanzsektor müsste einem einheitlichen Rahmen mit gleichen Regeln und gleichen Chancen für alle weichen („level playing field"). Die Logik des Standortwettbewerbs hat eben auch eine sinnvolle binnenmarktweite einheitliche Regulierung des Finanzsektors verhindert.
In Ansätzen gibt es das alles bereits. Seit 2011 arbeiten die EU-Aufsichtsbehörden für Banken (EBA in London), für Versicherungen (EIOBA in Frankfurt/Main) und für die Wertpapiermärkte (ESMA in Paris). Zudem wird derzeit an einer Neuordnung der Bankenaufsicht gearbeitet. Zu den anderen Themen sind Gesetzesvorhaben in Arbeit oder gerade abgeschlossen, allen voran die Gesetzespakete zur Finanzmarktregulierung MiFID/MiFIR, die auf Transparenz zielen durch eine weitgehende Rückholung des Wertpapierhandels auf zugelassene und regulierte Handelsplattformen sowie auf eine Begrenzung bzw. Verlangsamung des extrem schnellen auf Algorithmen basierenden allein von Computern durchgeführten Wertpapierhandels, und zu verschärften Eigenkapitalregeln für Banken CRD IV/CRR (Basel III). Mit einem eigenen Initiativbericht drängt das Parlament derzeit die EU-Kommission zu einer Gesetzesvorlage zur grundlegenden Neustrukturierung des Bankensektors in der EU.
Während die Verhandlungsteams des Parlaments mehrheitlich von einer gesamteuropäischen Perspektive ausgehend nach sinnhaften Verbesserungen der Gesetzesvorlagen der EU-Kommission sucht, dominieren im EU-Rat die Interessen der politisch und ökonomisch stärksten Mitgliedsländer, die aufgrund des Machtübergewichts des Rates bisher im Interesse der Finanzmarktlobby die meisten der Verbesserungsvorschläge des Parlaments stark verwässert haben.
Zurück zum Thema Zypern: Würde man die dortige Steueroase schließen ohne den Finanzsektor kaputtzumachen, würde sich natürlich sehr schnell die Frage stellen, wem der entsprechende Steuersegen zu Gute kommen sollte. Wenn Zypern in der skizzierten Form vom EU-Binnenmarkt profitiert, wäre es nicht konsequent, wenn alle daraus folgenden Steuereinnahmen alleine in den zyprischen Haushalt fließen würden. Ein Teil der Steuereinnahmen aus dem zyprischen Bankensektor sollte dann fairerweise in den Gemeinschaftshaushalt fließen.
Wem gehören die Steuern im gemeinsamen Markt?
Auch diese Frage stellt sich selbstverständlich nicht alleine mit Blick auf Zypern! Auch die Bundesrepublik als zentraler europäischer Industriestandort ist hier angesprochen, der derzeit reichlich und zu Lasten anderer Mitgliedsstaaten von seinen Standortvorteilen profitiert. Nötig ist letztlich eine echte europäische Fiskalpolitik. Diese hätte mehrere Vorteile: Zunächst einmal würde sie den gegenwärtigen desaströsen Steuerwettbewerb unter den EU-Mitgliedsländern beenden, der mitverantwortlich für die desolate Lage der öffentlichen Haushalte ist. Und eine hohe Qualität öffentlicher Dienste, von denen letztlich jeder und jede profitiert, erfordert die Durchsetzung effektiver Mindeststeuersätze innerhalb des europäischen Wirtschaftsraums. Selbst der EU-Steuerkommissar hat sich mittlerweile dieser Einsicht geöffnet.
Ein unabdingbares Element einer gemeinschaftlichen Fiskalpolitik wäre die vertragsgemäße vollständige Deckung des EU-Haushalts aus Eigenmitteln. Gegenwärtig deckt die EU ihre Ausgaben nur zu etwa einem Viertel aus Eigenmitteln – der Rest ist Geschacher.
Nur ein durch Eigenmittel planungssicherer und letztlich auch deutlich höher ausgestatteter Haushalt würde die EU in die Lage versetzen, ihre wirtschaftlich schwächeren Regionen angemessen zu fördern. Eine sinnvolle Förderung darf sich selbstverständlich nicht alleine auf das bestenfalls abstrakte, schlechtestenfalls ideologisch bornierte Ziel der Wettbewerbsfähigkeit einschießen. Vielmehr sind real vorhandene ökonomische Probleme und Chancen zu bearbeiten. So gibt es in Ländern wie Portugal und Griechenland erhebliche Probleme mit zu kleinen Produktionseinheiten. Das heißt, die Mengen, die ein traditioneller Produzent von Olivenöl oder Wein pro Jahr herstellt, sind so gering, dass er sie nicht an größere Direktabnehmer verkaufen kann. Für kleine Produzenten besteht also eine kaum überwindbare strukturelle Zugangsschwelle zum EU-Binnenmarkt. Hier Wege zu entwickeln, gemeinsam mit den Herstellern vor Ort, wäre ein wichtiger Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung dieser Länder. Die Suche nach neuen Branchen und Produktionsmöglichkeiten könnte technologische Zusammenarbeit mit hoch entwickelten Industriestandorten der EU benötigen. Der Ausbau der Solarenergie etwa könnte auch nur dann funktionieren, wenn die Einspeisung in ein angemessen großes, d.h. europäisches Netz garantiert wäre. Energie ist ein Thema, bei dem wieder Zypern ins Spiel kommt!
Vor der Küste der kleinen südlich der Türkei gelegenen Mittelmeerinsel lagern enorme Gasvorkommen, die erst vor wenigen Jahren entdeckt wurden. Die Erschließung und der Abtransport des bislang noch nicht erschlossenen Gases erfordert beträchtliche Investitionen – eine Herkulesaufgabe sowohl für den zyprischen Staat als auch für die im Land ansässigen Unternehmen. Andererseits wäre die Erschließung der Gasvorkommen selbstverständlich ein wichtiger Beitrag zur Energieversorgung der EU. Und ebenso selbstverständlich trüge die Erschließung und Förderung der Gasvorkommen mittelfristig auch zum Abbau der Schulden Zyperns bei. Ein Drama, dass die übrigen Regierungen der EU nicht bereit waren, mit Zypern über diese strategisch bedeutungsvolle Frage – auch im Zusammenhang mit der Zypern-Rettung – zu verhandeln, obgleich die Regierung unter Dimitris Christofias darauf gedrängt hatte!
Um sinnvolle Entwicklungsprojekte effektiv zu fördern, geht aber kein Weg an einem ausreichend ausgestatteten Gemeinschaftshaushalt vorbei. Die Blockade der Finanztransaktionssteuer durch die EU-Finanzminister ist auch in dieser Hinsicht eine politische Bankrotterklärung. Stattdessen führt der von der Bundesregierung durchgedrückte Fiskalpakt auch den EU-Haushalt in eine Sackgasse. Um die Regeln des Fiskalpakts einzuhalten, müssen fast alle Mitgliedsstaaten ihre Ausgaben drastisch senken. Da der EU-Haushalt gegenwärtig nur zu rund einem Viertel aus Eigenmitteln finanziert wird, muss der Rest durch außerordentliche Beitragszahlungen der Mitgliedsstaaten ausgeglichen werden. Um den Forderungen des Fiskalpakts zu entsprechen, versuchen nun einige Mitgliedsländer, ihre Defizitvorgaben zu erfüllen, indem sie ihre Zahlungen an die Staatengemeinschaft reduzieren wollen.
Die Krise der EU ist eine politische – Will die Linke ein Teil der Lösung sein?
Auf der Suche nach Auswegen aus der Krise hat ausgerechnet die Europäische Zentralbank (EZB) ein gewisses Maß an ökonomischer Klugheit bewiesen. Zwar ist ihr die direkte Finanzierung von Mitgliedsstaaten verboten – im Unterschied zur us-amerikanischen Zentralbank FED oder der britischen Staatsbank. Mit ihrer Praxis, Staatsanleihen unbegrenzt aufzukaufen, sobald die Zinsen die Schwelle von 7 % übersteigen, nimmt die EZB mittlerweile faktisch die Rolle eines "lenders of last ressort" ("Kreditgeber letzter Instanz") wahr. Den Spekulanten hat das deutlich den Spaß verringert, weiter gegen die Krisenländer zu spekulieren. Über das Aufkaufen von Staatsanleihen bzw. die Akzeptanz der Staatsanleihen aus Krisenländer als Sicherheit entsteht zudem eine indirekte Haftung aller Eurostaaten für diese Staatsanleihen. Das ist faktisch bereits eine Vorwegnahme der vom Europäischen Parlament und einigen Mitgliedsländern immer wieder eingeforderten Eurobonds. Rechtlich und demokratisch gesehen bewegt sich die EZB damit aber in einer Grauzone. Die Frage ist, ob es und wie es gelingen kann, die Regeln der EZB ihrer bisher durchaus erfolgreichen Praxis anzupassen. Denn das Handeln der EZB hat – im Unterschied zum Agieren des Rates – zumindest zu einer Eingrenzung der Krise geführt und bisher einen Flächenbrand unterbinden können. Bei genauem Hinschauen erkennt man, dass die EZB mit ihrem Handeln in der Krise auch Forderungen der Linken als richtig bestätigt: Nämlich die Forderung nach Euro-Bonds und nach einem Umbau der EZB zu einem "lender of last ressort" - Staaten sind keine Unternehmen und dem entsprechend auch keine Marktakteure auf den Finanzmärkten wie normale Unternehmen.
Man sieht, dass die Eurokrise alles andere als unlösbar ist, wenn der nötige politische Wille vorhanden ist. Ohne das Mauern der Regierungen könnte die politische Integration der EU schon sehr viel weiter vollzogen und die Krise weitgehend überwunden sein. Durch die Blockadepolitik des Rates wird die Neu-Regulierung des EU-Finanzsektors jedoch soweit verzögert, dass sie bestenfalls für eine effektivere Eindämmung zukünftiger Finanzkrisen wichtig werden könnte.
Der Linken stünde es derzeit gut zu Gesicht, die ehrgeizige und demokratische Weiterentwicklung der europäischen Integration vorzudenken und politisch voranzutreiben sowie die Blockadepolitik des Rates sichtbar zu machen und die Regierungen öffentlich damit zu konfrontieren. Die EU ist heute längst nicht mehr nur als Friedensprojekt und als Alternative zum gescheiterten Nationalstaatskonzept nötig. Die Herausforderungen unserer Zeit – vom Kampf gegen den Klimawandel, über die Sicherung unserer Energieversorgung, die Regulierung der Finanzmärkte, von der inzwischen auch die Altersvorsorge von Millionen ArbeitnehmerInnen abhängt – erfordern Kooperation anstatt bloßes Gegen- oder Nebeneinander!
Die gegenwärtige Krise zeigt was die Linke eigentlich schon lange betont: Wettbewerb als Wettbewerb der Nationalstaaten, als Standortwettbewerb führt uns in den Abgrund. Märkte brauchen klare Regeln und Grenzen sowie einen politischen Rahmen, der diese Regeln und Grenzen definiert und durchsetzt. Das kann eine Politik nicht leisten, die im nationalstaatlichen Gegeneinander verharrt, sondern nur eine postnationale demokratische Struktur, die einer Logik der Kooperation folgt!
[1] Quelle: H. Gabrisch: Währung ohne Souveränität: Zur Ursache und Überwindung der Eurokrise, in: Leviathan 1/2013
[2] https://www.axel-troost.de/article/5211.eine-europaeische-ausgleichsunion-a-8211-die-waehrungsunion-2-0.html) (Schriftenreihe Denkanstöße des Instituts der solidarischen Moderne
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