Auf DIE LINKE wartet viel Arbeit
Interview der Woche mit Dagmar Enkelmann
Dagmar Enkelmann, 1. Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, über Wut und Freude in den zurückliegenden vier Jahren, parlamentarische Kleinkriege, Debattenkultur und elektronische Abstimmungen
An welchen Moment in den zurückliegenden vier Jahren dieser Wahlperiode erinnern Sie sich besonders gern?
Dagmar Enkelmann: Ein emotionaler Höhepunkt war, als wir die Namen der Kundus-Opfer im Plenum in die Höhe hielten und - nach einem Moment des Zögerns - vom Präsidenten des Plenums verwiesen wurden. Selten gelang es, an einem Ort, an dem sonst viel geredet wird, so ganz ohne Worte eine klare Botschaft zu vermitteln.
Ich persönlich erinnere ich mich auch gern an die vielen interessanten Treffen und Gespräche, die ich als Vorsitzende der Deutsch-Zentralasiatischen Parlamentariergruppe mit Botschaftern, NGO- oder Bürgerrechts-Aktivisten aus dieser Region hatte. Demokratie, das wird dabei klar, ist kein Geschenk. Immer gilt es, sie zu erkämpfen und am Leben zu erhalten.
Und welches Erlebnis hat Sie besonders wütend gemacht?
Der unwürdige Umgang mit den Protesten gegen Stuttgart 21. Die Bürgerinnen und Bürger wurden am 30. September 2010 tagsüber und am Abend von der Polizei traktiert und angegriffen. Im Fernsehen waren erschreckende Bilder zu sehen, viele junge Menschen waren betroffen. Im Bundestag aber lehnte die schwarz-gelbe Mehrheit einen Tag später jedwede Debatte darüber ab und schmetterte einen Antrag der LINKEN ab, die Tagesordnung zu ändern. Für mich war das ein klares Versagen des Bundestages. Daran gibt es nichts zu beschönigen.
Sie haben jetzt jeweils vier Jahre Schwarz-Rot und Schwarz-Gelb über sich ergehen lassen müssen. Welche Regierungskoalition hat parlamentarisch sauberer gearbeitet?
Große Unterschiede kann ich nicht erkennen. Die Mehrheiten nutzte und nutzt man ungeniert für die jeweiligen Interessen aus, so mittels des so genannten Omnibus-Verfahrens, wenn inhaltsfremde Themen zu Anträgen oder Gesetzentwürfen dazugepackt werden, um sie durchzubringen. Klar: Seit 2009 geißelt die SPD in der Opposition den Missbrauch der Geschäftsordnung des Bundestages, den sie zuvor als Regierungspartnerin selbst mit betrieben hat.
Und wie sieht es in puncto Fairness der beiden letzten Regierungskoalitionen gegenüber der Opposition aus?
Zunächst: Die Opposition gibt es nicht. Festzustellen sind deutliche Unterschiede im Umgang mit den Oppositionsfraktionen, sofern sie FDP, SPD beziehungsweise Bündnis 90/Grüne heißen. Da gibt es ein klare Trennungsgrenze zur LINKEN, die sich vor allem im Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU/CSU-Fraktion manifestiert. Er bedeutet, dass die Unionsfraktion gemeinsame parlamentarische Initiativen mit der LINKEN unter keinen Umständen duldet. Diese Haltung wird am Ende von den anderen Fraktionen mitgetragen und höchstens aus taktischem Kalkül verlassen. Das führt zu parlamentarisch absurden Situationen, in denen DIE LINKE eigene Anträge zu gemeinsamen Vorlagen einbringt, an denen DIE LINKE mitgearbeitet hatte. Der Gipfel des parlamentarischen Kleinkriegs ist dann, wenn der gemeinsame Antrag angenommen, der wortgleiche der LINKEN aber abgelehnt wird.
In nicht wenigen Parlamenten weltweit regiert ab und an schon mal die Faust, wenn die Argumentationskraft des Wortes zu gering erscheint. Worauf gründet die Debattenkultur im Bundestag?
Unterm Tisch gibt es auch im Bundestag, im übertragenen Sinn gesprochen, Tritte ans Schienbein. Dringliche Fragen der LINKEN werden mit fadenscheinigen Begründungen abgelehnt. In Ausschüssen verhindert die Koalitionsmehrheit trickreich Anhörungen. Anträge zur Änderung der Tagesordnung werden im Plenum stets abgeschmettert. Die Debattenkultur im Bundestag hätte sich auch deutlich verbessert, wenn die Koalition ihre Zusage eingelöst hätte und Anliegen von Massenpetitionen im Plenum hätten debattiert werden können.
Was halten Sie davon, dass die Abgeordneten des Bundestages künftig wie die Abgeordneten des Europaparlaments jede Abstimmung elektronisch von ihrem Platz aus durchführen?
Schon vor dem Umzug nach Berlin hatte sich die PDS im Bundestag für elektronische Abstimmungen im Plenum ausgesprochen. Das wurde vor allem von den Fraktionen, die jeweils die Regierung stellten, stets abgelehnt. Die Motive dafür sind relativ durchsichtig: Das jetzige Abstimmungsprozedere, besonders mit dem Hammelsprung bei unklaren Mehrheiten, sichert der Regierungskoalition, dass sie am Ende meistens die Mehrheit auf ihrer Seite weiß. Auch das Argument, bei elektronischen Abstimmungen könnte es Missbrauch und Tricks geben, halte ich für vorgeschoben.
Kann die bundesdeutsche Volksvertretung zufrieden in die Sommerpause vor der Bundestagswahl gehen?
Was die reine Anzahl der behandelten und beschlossenen Vorlagen und Gesetze, der Tagesordnungspunkte und Sitzungszeiten angeht, sicher. Anders sieht es aus, wenn man sich die Inhalte der Gesetze ansieht, die den Bundestag verlassen. Unter der schwarz-gelben Mehrheit hat sich die soziale Spaltung des Landes vertieft. Nie zuvor wurden so viel Waffen exportiert. Deutschland gilt in Europa als Schutzmacht der Banken und Reichen. Logisch, dass die Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Parlament zugenommen hat. Auf Bundesebene sind wir bei der direkten Demokratie gar nicht vorangekommen. Auf den nächsten Bundestag und seine linke Fraktion wartet viel Arbeit.
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