Schwarz-roter "Politikwechsel light" - Erste Umrisse in Sachen Finanzpolitik

Von Joachim Bischoff

29.10.2013 / sozialismus.de, vom 29.10.2013

Die christdemokratische Union geht ohne einen öffentlich bekannt gemachten Forderungskatalog in die Koalitionsverhandlungen mit der Sozialdemokratie. Die Hauptlinie für die Politikgestaltung der Mehrheitspartei lautet: Haushaltskonsolidierung ohne Steuererhöhungen.

Allein die Sanierung der öffentlichen Finanzen sichere langfristige wirtschaftliche Wachstumsperspektiven und stabile Beschäftigung. Neue Schulden zur Finanzierung von künftigem Regierungshandeln sind nicht drin. Damit ist das Geld für Investitionen und sozialstaatliche Verbesserungen knapp. Die Frage, welche Spielräume die neue Regierung bei den Steuereinnahmen und den Sozialabgaben erwarten kann, spielt für die Koalitionsverhandlungen eine zentrale Rolle.

Laut der noch geltenden Finanzplanung der amtierenden Regierung ist vorgesehen, dass der Bund im Jahr 2015 keine neuen Schulden mehr macht und bis zum Jahr 2017 einen Überschuss von rund 15 Mrd. Euro erzielt. Mit diesem Überschuss sollte die Rückzahlung der deutschen Staatsschuld von derzeit rund 2,1 Bio. Euro eingeleitet werden. Von diesem Ziel ist die konservative Partei abgerückt. Die CDU will ab 2015 weiterhin keine neuen Schulden machen; der danach entstehende finanzielle Spielraum von wohl 15 Mrd. Euro soll aber für Mehrausgaben genutzt werden, und nicht zur Rückführung der Schulden eingesetzt werden.

Das konkrete Ziel der Schuldentilgung wird vertagt; im Zentrum steht die Absenkung der Schuldenstandsquote. Den Schuldenstand Deutschlands für dieses Jahr schätzt das Finanzministerium auf 79,5% des Bruttoinlandsprodukts. Das seien 1,5 Prozentpunkte weniger als im Vorjahr. Zum Rückgang der Schuldenstandsquote habe sowohl die solide Haushaltspolitik beigetragen als auch die Rückführung von Schulden, die durch Maßnahmen im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise entstanden seien.

Deutschlands Schuldenstandsquote liegt damit aber immer noch deutlich über dem im Maastricht-Vertrag vereinbarten Stand von 60%. Innerhalb von zehn Jahren soll dieses Niveau wieder erreicht werden. Kontinuierliches Wirtschaftswachstum führt bei anhaltendem Verzicht auf Neuverschuldung zu einem schrittweisen Rückgang der Schuldenquote.

Das Bundesfinanzministerium erwartet von der neuen Steuerschätzung, die Anfang November vorgelegt wird, nur eine minimale Verbesserung der Einnahmeprognose für Bund, Länder und Gemeinden. Für das laufende Jahr 2013 geht das Ministerium für den Gesamtstaat lediglich von einem zusätzlichen Finanzspielraum von ein bis drei Mrd. Euro gegenüber der Mai-Steuerschätzung aus. Auch im kommenden Jahr liegen die Einnahmeerwartungen des Ministeriums nur wenig über der bisherigen Vorhersage der amtlichen Steuerschätzung.

Der angestrebte »Politikwechsel light« von Schwarz-Rot ist ohne Mehrausgaben nicht zu machen. Von höheren Beträgen für Infrastruktur und Bildung über einen spürbaren Ausbau von Sozialleistungen (etwa für Renten von Müttern und Einkommensschwachen) bis zur Erhöhung des Kindergeldes fordern sowohl CDU/CSU wie auch die SPD eine deutliche Erhöhung der Staatsausgaben.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wehrt sich gegen eine Umverteilung des Steuervolumens zugunsten der Länder und Kommunen, hat aber offensichtlich akzeptiert, dass die sich abzeichnenden Mehreinnahmen eingesetzt werden sollen, um ohne Steuererhöhungen die Mehrausgaben der großen Koalition finanzieren zu können. Keine Frage: Setzt sich der moderate Erholungskurs der Wirtschaftskonjunktur fort, wird es im Verlaufe der nächsten Jahre höhere Steuer- und Sozialeinnahmen geben; aber die angedachten Reformen erfordern ein höheres Finanzvolumen von um die 50 Mrd. Euro – und dies ist allein durch die laufende Steuer- und Sozialabgabenpraxis nicht zu realisieren.

Damit wird in den Verhandlungen über die öffentlichen Finanzen, die von Bundesfinanzminister Schäuble für die CDU und Olaf Scholz für die SPD geleitet werden, die Qualität der Koalitionsregierung entschieden. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles versucht das Problem mit Nebelkerzen zu verschleiern, sie sagt in der »Bild«-Zeitung: »Klar ist, dass wir gleichzeitig Schulden tilgen, die Schuldenbremse einhalten und zusätzlich Investitionen tätigen müssen. Und das muss gerecht, solide und verlässlich finanziert sein.« Die große Koalition werde keine Koalition des großen Geldausgebens.

Diese politische Ankündigung wird keinen Bestand haben. Schuldentilgung wird es bis 2017 nicht geben können. Entscheidend ist, ob die absehbaren Steuermehreinnahmen zur Finanzierung der dringlichsten Aufgaben überhaupt ausreichen.

Der Bundesfinanzminister vertritt die bekannte neoliberale Logik, dass die immer noch anhaltende Finanzkrise nicht mithilfe einer expansiven Geldpolitik oder neuen Schulden gelöst werden könne. »Man verlängert mit dem Versuch, es über Gelddrucken zu lösen, in Wahrheit nur die Probleme«. Der Bundesfinanzminister betont, auch die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) könne keinen Ausweg aus der Krise bieten: »Sie kann etwas Zeit für Reformen kaufen, aber die Probleme in Europa nicht lösen, … alles andere ist eine Illusion.«

Die EZB habe ihre Aufgabe geleistet, könne aber die bestehenden Defizite nicht beheben. »Das kann auch nicht ihr Anspruch sein, das ist Aufgabe der Politik.« Die Haushalte in den Krisenländern mit Hilfsprogrammen müssten weiter saniert werden, und die Reformprozesse in diesen Programmländern müssten durch Hilfen für Wachstum und Arbeitsplätze begleitet werden. Insgesamt müsse der eingeschlagene Weg der Konsolidierungs- und Sanierungspolitik »Schritt für Schritt« weitergegangen werden. »Der Reformdruck ist hoch, und deshalb vermute ich, dass auch eine neue Bundesregierung nicht von diesem Reformkurs abweichen wird.«

Schäuble muss freilich einräumen, dass die Wirtschaftslage in Europa immer noch »nicht gefestigt« ist. »Die Eurozone erholt sich langsam von der längsten Rezession ihrer Geschichte und kehrt allmählich zu Wachstum zurück.« Allerdings: Mit der Wachstumsförderung und damit dem Abbau der Arbeitslosigkeit sieht es in den Krisenländern nicht überzeugend aus.

Während der »Politikwechsel light« noch nicht ausgehandelt ist, zeichnet sich für die Europapolitik eine solche Lösung ab. Mit einer deutlich abgespeckten Version der Steuer auf Finanztransaktionen wollen Union und SPD die Wachstumshindernisse in Europa auflösen. Die Unterhändler der Koalitionsarbeitsgruppe Finanzen verständigten sich auf einen niedrigen Steuersatz bei einer gleichzeitig breiten Bemessungsgrundlage.

Die Finanztransaktionssteuer soll im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit mit den zehn anderen EU-Staaten eingeführt werden, die sich dazu bereit erklärt hätten. Die Einigung der Koalitionäre sei »ein klares Signal, dass wir das auf den Weg bringen wollen«. Über die Einführung der Abgabe auf Börsen- und andere Wertpapiergeschäfte wird in der EU schon seit Jahren gerungen. Die Steuer soll Spekulation eindämmen, die Branche an den Kosten zur Bewältigung der Krise beteiligen und die Ressourcen für wirtschaftliche Anreize bereitstellen. Diese Aufgabenstellung wird mit der beschlossenen Version von Finanzstransaktionssteuer mit Sicherheit nicht zu erreichen sein.