Rechtspopulistische Zäsur - Schweizer wollen Einwanderung reduzieren

Redaktion Sozialismus

11.02.2014 / sozialismus.de, vom 10.02.2014

Der politische Souverän der Schweiz – die StimmbürgerInnen – hat in einem Referendum eine deutliche Korrektur der gesellschaftlichen Entwicklung eingefordert. Bei einer für ein Referendum relativ hohen Stimmbeteiligung von 56% hat sich eine knappe Mehrheit für eine Beendigung der europäischen Freizügigkeit ausgesprochen.

Eine wenn auch knappe Mehrheit von StimmbürgerInnen und Kantonen will also in der Schweiz wieder die Steuerung der Einwanderung durch Kontingente. Auf dem Weg gebracht wurde dieses Referendum von der rechtspopulistischen und erzkonservativen SVP. Die politische Hauptkraft des nationalistischen, rechtsbürgerlichen Lagers hat sich gegen eine »große Koalition« durchgesetzt – zur Ablehnung des Referendums hatten sowohl die Wirtschaftsverbände als auch die Gewerkschaften aufgerufen.

Faktisch ist der positive Ausgang des Referendums ein Stoppschild für die gesamte wirtschaftliche und politische Elite der Schweiz, denn zu einem »Nein« hatten auch der Bundesrat, eine Mehrheit des Parlaments, sämtliche Regierungsparteien und nahezu alle Medien der Alpenrepublik aufgerufen.

Die Stimmberechtigten haben gegenüber der Politik nicht nur ihre Ablehnung der bisherigen Migrationspolitik ausgedrückt. Innerhalb der kommenden drei Jahre müssen Regierung und Parlamentsmehrheit jetzt eine Neuregelung der Immigration und der wirtschaftlichen Einbindung in den europäischen Wirtschaftsraum finden. Die Schweizer Regierung ist mit dem Referendum aufgefordert, in dieser Zeit neue gesetzliche Regelungen durchzusetzen, d.h. es geht um eine Neujustierung der Politik in den Bereichen Immigration, Asyl und europäischer Integration.

In der Konsequenz muss die Schweiz bei der EU auf eine Änderung des 1999 unterzeichneten Abkommens über Personenfreizügigkeit dringen. Die Wirtschaft wird mit deutlichen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt fertig werden müssen. Das Parlament wird die Ausführungsbestimmungen zur Volksinitiative nicht an der SVP vorbei durchsetzen können. Der Bundesrat muss ausländer-, asyl- und europapolitisch »über die Bücher« gehen. Für die europäische Binnenmarktintegration ist die freie Arbeitskräftemigration eine zentrale Grundfreiheit. Damit wird der Konflikt auch an die EU und den europäischen Wirtschaftsraum weitergereicht.

Die EU-Kommission hat deutlich gemacht, dass sie eine Einschränkung der Freizügigkeit nicht hinnehmen wird. Aufgrund der »Guillotine-Klausel« – ein Vertrag kann nicht einzeln gekündigt werden – steht ein Paket von insgesamt sieben Verträgen zwischen der Schweiz und der EU auf dem Spiel. Dabei ist der offene Zugang zum EU-Binnenmarkt für die Schweizer Wirtschaft elementar.

Die Schweiz ist nicht EU-Mitglied, wickelt aber den größten Teil ihres Handels mit EU-Staaten ab. Der Schweizer Bundespräsident Didier Burkhalter sagte am Abend nach der Abstimmung: »Wir müssen nun den Weg finden. Wie gelingt es uns am besten, die Situation zu klären?« Es gehe darum, eine aus Sicht der EU akzeptierbare Form zu finden.

Die politische Zäsur wird wenige Monate von den Wahlen zum Europaparlament nicht auf die Alpenrepublik beschränkt bleiben. Auch in vielen anderen europäischen Mitgliedsländern gibt es eine Grundstimmung gegen die Einwanderung von MigrantInnen, auch dort wird häufig ein umfassendes Vorranggesetz für die einheimische oder inländische Bevölkerung propagiert.

In Deutschland ergreift beispielsweise die europakritische Partei Alternative für Deutschland (AfD) umgehend die Initiative und fordert, dass auch in der Berliner Republik eine Kontrolle oder Kontingentierung der Einwanderung etabliert werden soll. »Unabhängig vom Inhalt des Schweizer Referendums ist auch in Deutschland ein Zuwanderungsrecht zu schaffen, das auf Qualifikation und Integrationsfähigkeit der Zuwanderer abstellt und eine Einwanderung in unsere Sozialsysteme wirksam unterbindet«, forderte AfD-Sprecher Bernd Lucke. »Auch dafür sollten gegebenenfalls Volksabstimmungen ermöglicht werden, wenn die Altparteien das Problem weiter ignorieren.«

Ähnlich zustimmend drücken sich rechtspopulistische Parteien in den anderen europäischen Mitgliedsländern aus. Von Estland bis Portugal ist absehbar ist, dass Nationalisten und EU-Gegner bei den Wahlen zum europäischen Parlament vermutlich gut ein Viertel der Stimmen auf sich vereinen werden. Denn die »wahren Finnen« oder Italiens »Bewegung der fünf Sterne«, die britische »UK Independence Party« oder die »Alternative für Deutschland«, die »Freiheitspartei« des niederländischen Antiislamisten Geert Wilders oder der »Front National« der französischen Rechtspopulistin Marine Le Pen setzen gleichermaßen auf die in der Schweiz sichtbar gewordenen Themen: Abwehr von Masseneinwanderung und Feindschaft gegen das etablierte System der EU-Institutionen.

Volksabstimmungen zeigen, wo dem Volk der Schuh drückt und welche Probleme von der Regierung vernachlässigt werden. Nicht nur in der Schweiz, sondern in vielen europäischen Nachbarländern wird seit Jahren eine Politik der Ignoranz gegenüber realen gesellschaftlichen Problemen praktiziert. Vielfach ist das etablierte System daher reichlich diskrediert.

Im Falle von rechtspopulistisch geförderten Fehlentwicklungen gelingt es den Repräsentanten der etablierten Politik dann trotz enormen Aufwands nicht mehr, mit sachlichen und redlichen Argumenten sowie reformorientierten Alternativen die realen Sorgen und diffusen Ängste zu entkräften, die viele Menschen vor dem Hintergrund einer wachsenden sozialen Spaltung, der Prekarisierung der Lohnarbeit, Angst vor sozialem Abstieg und unsicheren Zukunftsaussichten für die nachwachsenden Generationen haben.

Der (teils) wachsende Zustrom an MigrantInnen wird häufig verantwortlich gemacht für die Schwierigkeiten bei der Stellensuche, bei der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, bei der Verkehrsinfrastruktur oder im Bildungswesen. 45% der EU-BürgerInnen sind der Meinung, die Dinge in Brüssel liefen in die falsche Richtung, so eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup in den 28 Ländern, die der Europäischen Union angehören.

Die Schweiz hat jetzt deutlich gemacht: Es droht ein Rückfall in nationalstaatliche oder nationalistische Lösungen, weil die wirtschaftlichen und politischen Eliten letztlich tiefgreifende soziale Reformen verhindern. Der Erfolg der Schweizer SVP unterstreicht, dass dieser Art Rechtsparteien dabei sind, die Wahlen in Europa zu gewinnen. Nach den gescheiterten neoliberalen Konzeptionen sind wir mit Stimmungen und Kräften konfrontiert, die Europa zerstören wollen. In der EU sind nationalistische Ideologien und Parteien keine Randerscheinung mehr.

Die Öffentlichkeit in Europa ist schleichend nach rechts gerückt. Etablierte Politiker und Parteien greifen zunehmend rechtspopulistische Inhalte auf, in der Hoffnung, eine breitere Wählerschaft zu erreichen. Der Populismus ist in der Regel anti-institutionell und greift Institutionen und Prozeduren an, die auf die demokratische Repräsentation bauen. Referenden sind in der Logik des Rechtspopulismus keine wichtige Ergänzung zu Repräsentativsystem und Parlamentarismus. Stattdessen wird eine direkte Beziehung zwischen Volk und Führung propagiert, die auf persönlichem Vertrauen und unmittelbarer Zustimmung basiert.

Im Extremfall kann sie ein autoritäres Verhältnis begründen. Hinzu kommt das Denken in Freund-Feind-Schemata, die Übersimplifizierung und die Skandalisierung des politischen Diskurses. Die populistische Aufteilung des Lagers in Gute und Böse verhindert jenen öffentlichen Diskussionsprozess, der für eine demokratische Öffentlichkeit grundlegend ist.