AfD ante portas
Von Joachim Bischoff und Bernhard Müller
In der Alternative für Deutschland (AfD) gibt es in etlichen Landesverbänden heftige Konflikte um den Kurs der Partei. Auch der Parteivorsitzende Bernd Lucke tritt immer wieder in innerparteilichen Debatten mit einer Abgrenzung gegenüber dem immer stärker werdenden Rechtsaußen-Flügel der Partei in Erscheinung. In einem Brief an die Parteimitglieder fordert er zudem eine deutliche Distanzierung vom Querulantentum.
Luckes These: Die AfD dürfe den Fehler der Grünen nicht wiederholen, die in ihren Anfangsjahren unter dem Fundamentalismus vieler Mitglieder zu leiden gehabt hätten. Die rechten Strömungen in der Partei schadeten der AfD, »weil sie damit ein Klima des Misstrauens schaffen, das wie ein schleichendes Gift in die Partei sickert«. Kein Vorstand wolle politisch arbeiten, wenn »Querulanten und Rechthaber den größten Teil seiner Arbeitszeit absorbieren«. Diese internen Streitereien lassen in den Medien immer wieder die Frage aufkommen, ob sich die AfD überhaupt dauerhaft im bundesdeutschen Parteiensystem verankern kann.
Eine repräsentative Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach[1] legt die Schlussfolgerung nahe, dass die AfD durchaus die Voraussetzungen hat, um sich dauerhaft zu etablieren. Dafür spreche vor allem das klare Profil bei Europa und der Zuwanderung, den zwei wichtigsten Themen der Partei. Demnach sammelten sich in der AfD WählerInnen, denen die europäische Integration zu weit geht und denen die Zuwanderung teilweise Unbehagen bereitet.
Aktuell setzt die rechtspopulistische Partei unbeschadet der Streitereien über den Einfluss von rechtsextremen Positionen ihren Aufwärtstrend aus den letzten Landtagswahlen fort. Bei den drei ostdeutschen Landtagswahlen in diesem Jahr erzielte sie jeweils mehr als 10% der Wählerstimmen, bei der Europawahl 7,1%. Die AfD erhält gegenwärtig in Umfragen zwischen 7,5 und 10% Zustimmung bei einer möglichen Bundestagswahl.
Der Erfolg schlägt sich auch in den Mitgliederzahlen nieder. Seit ihrer Gründung vor eineinhalb Jahren hat sich die Zahl der Parteimitglieder mehr als vervierfacht. Am 30. März 2013 zählte die Partei 4.589 Mitglieder, zum Zeitpunkt der aktuellen Zählung gehörten 19.885 Menschen der AfD an.
Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern war das parteipolitische Auftreten von Rechtspopulismus oder Rechtsextremismus in Deutschland in den letzten Jahren nicht sehr erfolgreich. Erst seit den Europawahlen gibt es mit der »Alternative für Deutschland« (AfD) den Anlauf zur Etablierung einer rechtspopulistischen Partei neben überwiegend auf der politischen Ebene bedeutungslosen rechtsextremen Parteien wie der NPD. Das Wählerpotenzial für eine solche politische Kraft ist allerdings seit längerem vorhanden.
Die AfD verkörpert als wertkonservativ-nationalliberale und rechtspopulistische Partei ein politisches Spektrum, das sich im europäischen Ausland bereits seit Jahren in Parteien wie der britischen UKIP, der österreichischen FPÖ bzw. dem BZÖ, der italienischen Lega Nord, den skandinavischen Parteien Wahre Finnen, Dänische Volkspartei bzw. Schwedendemokraten, der schweizerischen SVP, der niederländischen Partei der Freiheit von Geert Wilders sowie dem französischen Front National sammelt.
Um dauerhaft Erfolg zu haben, müssen sich populistische Parteien ausgehend von der Artikulation von aktuellen Proteststimmungen auch auf politische Zielsetzungen stützen. Der wichtigste Bezugspunkt aller rechtspopulistischen Parteien ist die tiefe Resignation und teilweise Abgrenzung vom überlieferten System der politischen Willensbildung. Die wichtigste Unterscheidung für Populisten ist die von korrupten und unfähigen Eliten und den wachsenden Problemen der gutwilligen Mehrheit der Bevölkerung.
Das gegenwärtige Misstrauen vieler WählerInnen gegenüber der Selbstbedienungsmentalität der politischen Klasse führt zu deutlichen Rückgängen bei der Wahlbeteiligung und schlägt sich z.T. in einem Engagement für rechtspopulistische Protestparteien nieder. Die Korruptheit und Selbstbezogenheit vieler politischer Akteure verbindet sich mit der Enttäuschung über nicht eingehaltene ideologische Zielsetzungen und Gerechtigkeitsversprechen erst des Staates, dann des Marktes.
Die soziale Unsicherheit verbindet sich mit verbreiteten Stereotypen und Vorurteilen. »Für AfD-Anhänger spielt eine große Rolle, dass die AfD den Konsens der übrigen Parteien durchbricht. 72% von ihnen sehen die AfD als Partei, die sich deutlich von anderen Parteien unterscheidet, 74% als Anwalt von Positionen, die in der Bevölkerung durchaus weit verbreitet sind. 81% versprechen sich ›frischen Wind in der Politik‹. Zwei Drittel der Anhänger sind auch überzeugt, dass die AfD eine Lücke im parteipolitischen Spektrum füllt.«[2]
Die AnhängerInnen und WählerInnen der AfD zeigen eine Neigung zu autoritären Einstellungen, die gegen Minderheiten Stimmung machen. Die Wahrnehmung der krassen sozialen Ungleichheit und das Scheitern der bisherigen Konzepte gegen Ungerechtigkeit führen zu der politischen Forderung, den Wohlfahrtsstaat gegen Ausnutzung zu verteidigen und zum politischen Kampf gegen »Sozialdumping«.
Rechtspopulistische Parteien sind ausgeprägt EU-kritisch oder -feindlich. Sie kritisieren vor allem die zunehmende Internationalisierung und Zentralisierung politischer Entscheidungsprozesse in Europa sowie eine übermäßige Bürokratie. Dadurch sehen sie eine Abkopplung der politischen Abläufe, den Verlust von Kontakt zur »wirklichen Welt«, dem Alltag der Bevölkerung.
Hinzu kommt als weitere, für den Rechtspopulismus charakteristische Forderung: Einwanderung ja, aber nur ohne Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen und Rechten. »Eine Einwanderung in deutsche Sozialsysteme lehnt die AfD strikt ab. Sozialleistungen für Zuwanderer sind ohne jede Einflussnahme der EU ausschließlich nach deutscher Gesetzgebung zu gewähren.« Diese radikalisierte Haltung, die sich schon in der CSU-Parole von einer Maut für Ausländer anbahnte, bietet Stoff für eine rechtspopulistische Programmatik. Die WählerInnen der AfD unterstützen die Position, die Zuwanderung zu begrenzen und härtere Asylgesetze anzustreben.
Die Mixtur aus Kapitalismuskritik, Verachtung des politischen Systems und nationalstaatlicher Besinnung ist eindeutig eine rechtspopulistische Positionsbestimmung. Richtig bleibt aber auch: Die AfD ist noch keine konsolidierte Organisation. Sie ist geprägt von drei politischen Strömungen und Milieus: einem marktradikalen, einem nationalkonservativen und einem deutlich rechtspopulistisch oder gar rechtsextrem affinen Milieu.[3] Vor allem mit den rechten Strömungen gibt es immer wieder heftige Auseinandersetzungen um Ausrichtung und die politische Programmatik der Partei.
Die Jugendorganisation, »die Junge Alternative«, »positioniert sich noch weiter rechts als die AfD«, stellt Alexander Häusler fest. Der Soziologe und Experte für Rechtsextremismus sieht hier deutliche inhaltliche Schnittmengen mit der alten Rechten. Ein Teil der Mitglieder komme aus dem Burschenschaftsmilieu, einige würden regelmäßig Artikel in rechten Zeitschriften publizieren. »Das ist schon fast unverhohlen rechtsradikal, was da teilweise veröffentlicht wird.«
Für die AfD ist Hamburg eine besondere Herausforderung. Parteichef Bernd Lucke kommt aus der Hansestadt und hier soll bei den Bürgerschaftswahlen mit einem Superwahlergebnis und dem Einzug in die Bürgerschaft das Meisterstück geliefert werden. Auch hier ist die Auseinandersetzung mit der rechtskonservativen und rechtsextremen Strömung ein zentraler Punkt, der über den Wahlerfolg mit entscheidet.
Insofern hängt der Aufstieg der AfD in Hamburg auch an einer erfolgreichen Integration der verbliebenen Reste der einstigen rechtspopulistischen Schillpartei. Daher exemplarisch das Comeback von Dirk Nockemann, dem mit einem Listenplatz 3 bei Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde ein Sitz in der Bürgerschaft sicher ist. Der Verwaltungsbeamte und frühere Innensenator im Beust-Schill-Senat sieht kein Problem darin, die Inhalte der früheren Schill-Partei auch in die AfD hineinzutragen.
Auf einer Wahlkampfveranstaltung sagte der frühere Vorkämpfer für Recht und Ordnung, die Schill-Partei sei nur an den Eskapaden ihres Namensgebers gescheitert, nicht an den Inhalten. Als Beispiel führte er an, dass in der damaligen Regierungs-Ära 300 neue Polizeistellen geschaffen wurden. Die aktuellen Auseinandersetzungen in der Elbmetropole zwischen Kurden und Salafisten sind für Nockemann ein Beleg für die Notwendigkeit einer neue Ausländer und Sicherheitspolitik.
Die Hamburger Bevölkerung ist Musliminnen und Muslimen gegenüber zwar aufgeschlossen und zeigt ein sichtbares Maß an Offenheit gegenüber Diversität, allerdings halten sich zahlreiche Vorurteile hartnäckig. Dies zeigt eine repräsentative Studie mit dem Titel »Hamburg postmigrantisch«, die im Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) an der Humboldt-Universität durchgeführt wurde.
Trotz Weltoffenheit sind stereotype Haltungen gegenüber Muslimen in Hamburg weiterhin hoch: Ein Drittel der Befragten stimmt der Aussage »Muslime sind aggressiver als wir« zu und schreibt damit Muslimen nicht nur unveränderliche Eigenschaften zu, sondern markiert sie als klare Fremdgruppe außerhalb des deutschen »Wir«. Die Bildungsorientierung muslimischer Eltern wird zwar von 44,9% der Befragten mit der der Eigengruppe gleichgesetzt. Dennoch gibt es bei 34,9% der Befragten Vorbehalte, das eigene Kind in eine Schule zu schicken, in der jeder vierte Schüler muslimisch ist. Und 20,9% der HamburgerInnen nehmen Muslime als soziale Belastung wahr.
Etwas mehr als jede vierte Person in Hamburg stimmt zudem der Aussage zu »Muslime in Deutschland bedrohen viele Dinge, die ich in dieser Gesellschaft für gut und richtig halte«. Als bedroht erachten die Befragten Werte wie das soziale Miteinander, Sicherheit und Ordnung oder Religions- und Glaubensfreiheit.
Schlussfolgerung: Die Rechtsverschiebung eines Teiles der WählerInnen bei rückläufiger Wahlbeteiligung ist mit der Herausbildung von neuartigen rechtspopulistischen Parteien verbunden. Ihr Erfolg hängt wesentlich davon ab, ob und in welchem Ausmaß die Abgrenzung und Integration der traditionellen extremen Rechten gelingt.
Die AfD spottet über die Angriffe seitens der CDU und SPD auf die Konjunktur des rechten Populismus. In der Tat fällt das klägliche Niveau auf, auf dem die politische Auseinandersetzung von den Altparteien geführt wird. Die SPD mit ihrer Generalsekretärin Yasmin Fahimi steht da keineswegs allein; den hysterischen Tonfall, mit dem Wolfgang Schäuble auf das Erscheinen und Erstarken der AfD reagiert hat, macht sich Fahimi ja ausdrücklich zu eigen und spricht wie er von Schande.
Konrad Adam, führender Funktionär der AfD, hält dagegen: »Was haben sie nicht alles unternommen, um die AfD zu erledigen! Zunächst wollten sie uns totschweigen. Dann haben sie versucht, uns kleinzureden. Als auch das nicht half, ließen die Altparteien ihren Kettenhund, die Antifa, gegen uns los. Nachdem wir auch den überlebt haben, fällt ihnen jetzt nicht mehr ein als der Ruf nach dem großen Bündnis. Die SPD-Generalsekretärin spricht wie der Kaiser, sie kennt keine Bürger mehr, sondern nur noch Parteien.«[4]
Angesichts der oberflächlichen Auseinandersetzung und den unterliegenden gesellschaftlichen Problemen trifft Renate Köcher eine wenig waghalsige Prognose: »Die AfD erfüllt mehrere Voraussetzungen für einen zumindest mittelfristig andauernden Erfolg: ein klares Zielprofil, in dem Themen von Gewicht dominieren; eine Positionierung, die von vielen und insbesondere den eigenen Anhängern als deutlich abweichend von anderen Parteien wahrgenommen wird; eine zurzeit enthusiastische und in den Positionen, die das Profil der AfD prägen, weitgehend geschlossene Anhängerschaft… Zurzeit käme die AfD bei einer Wahl in den Bundestag – anders als noch vor einem Jahr. 7,5% der Bürger würden sie jetzt bei einer Bundestagswahl unterstützen; für knapp jeden Fünften ist vorstellbar, die AfD bei einer Wahl in den nächsten Jahren zu unterstützen – entweder auf der kommunalen, landespolitischen, Bundes- oder Europa-Ebene. All dies lässt erwarten, dass sich das parteipolitische Spektrum auf Sicht der nächsten Jahre deutlich verändert.«[5)
[1] Renate Köcher, Die scharfe Kante der AfD, in: FAZ vom 22.10.2014
[2] Ebd.
[3] Im Januar 2014 erscheint im VSA: Verlag eine detaillierte Analyse zu Entstehung, Entwicklung, Personal & Positionen der »Alternative für Deutschland« von Alexander Häusler und Rainer Roeser unter dem Titel Die rechten ›Mut‹-Bürger.
[4] K. Adam, Die SPD betreibt unser Geschäft, in: FAZ vom 18.10.2014
[5] Köcher a.a.O.
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