Was Griechenland jetzt braucht: Grexit hätte fatale Folgen – nicht nur für Griechenland
Gastkommentar von Rudolf Hickel in der Frankfurter Rundschau
Die neue Regierung in Griechenland mit ihrem Ministerpräsidenten Alexis Tsipras legt einen großen Elan bei der Durchsetzung ihres Wahlprogramms vor: Ende der die ökonomische und soziale Krise vorantreibenden Schrumpfpolitik, Umsetzung eines Sofortprogramms gegen die Armut, Abbau der aus eigener Kraft nicht bewältigbaren Staatsschulden sowie ein Aufbauprogramm für die Wirtschaft. Der Widerstand der bisher in der Troika vereinten EU, EZB und des IWF dagegen ist derzeit groß. Die Rufe nach dem Euro-Austritt innerhalb der Wirtschaftswissenschaft wachsen. Deshalb bleibt die Frage nach den Konsequenzen eines Ausstiegs Griechenlands und damit der Aufhebung der zum 1.1.1999 vorgenommenen „unwiderruflichen“ Fixierung der Wechselkurse als Basis des Eurosystems.
Die bisherigen öffentlichen Finanzhilfen sowie die Darlehen der Banken und Wirtschaft an Griechenland müssten im Zuge der Einführung der strukturell schwachen Drachme abgeschrieben werden. Da sich knapp 80 Prozent der Gläubiger durch die Umschuldungen auf öffentliche Einrichtungen (EU, IWF, ESM) konzentrieren, wären am Ende die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler betroffen. Auf die deutschen Banken entfallen ca. 23 Milliarden Euro an griechischen Anleihen. Abschreibungen würden dort zu Gewinneinbußen bzw. Verlusten führen.
Nachdem die Bundesregierung in früheren Krisenphasen das Argument der Ansteckungsgefahr und Eurodestabilisierung hoch gehalten hatte, soll dies heute keine Bedeutung mehr haben. Der Hinweis auf das geschaffene Eurorettungssystem sowie der angekündigte Einsatz der EZB im Krisenfall rechtfertigen diesen Meinungswechsel nicht. Ökonomisch ist die Ansteckungsgefahr etwa in Spanien, Portugal und Italien immer noch gegeben. Die über den Grexit möglicherweise infizierten Krisenländer müssten die Rettungsschirme stärker in Anspruch nehmen. Vor allem aber würde die politische Abwertung des gesamten Eurosystems beschleunigt. Allein die Suggestion eines Griechenlandausstiegs durch die Bundesregierung führte zu einer Abwertung des Eurowechselkurses. Derzeit liegt der Wechselkurs eines US-Dollar unter der Erstnotierung zum Start am 1.1.1999 mit 1,1747 US-Dollar.
Die vorherrschende Auffassung der beratenden Wirtschaftswissenschaft zum Grexit ist durch einen naiven Optimismus über die Funktionsweise der Devisenmärkte geprägt. Die bei der Wiedereinführung der Drachme in Griechenland unterstellten Wirkungsketten treffen jedoch nicht zu: Wechselkurse werden schon lange nicht mehr nur von Warenströmen, sondern von grenzübergreifenden Vermögensgeschäften und vor allem Spekulationen getrieben. Aber auch die unterstellten segensreichen Wirkungen einer Abwertung/Aufwertung halten einer empirischen Überprüfung nicht stand. Das zeigt das Szenario der Wiedereinführung der Drachme: Die Drachme würde bis zu 40 Prozent gegenüber dem heutigen Euro abwerten. Könnten international konkurrenzfähige Wettbewerbsstrukturen unterstellt werden, würden die griechischen Exporteure davon profitieren. So gäbe es für die Lieferung nach Deutschland beim Umtausch der Eurobeträge mehr an Drachmen. Den Preisvorteil kann jedoch Griechenland kaum nutzen. Die Exportwirtschaft, die es kaum noch gibt, muss erst aufgebaut werden. Die jüngste Entwicklung der Lohnstückkosten und Wettbewerbsfähigkeit bestätigt die Argumentation: Die Lohnstückkosten sind in den Jahren 2011 bis 2014 in Griechenland um fast 13 Prozent gesunken. Die Exporte gingen in den letzten Jahren immer noch um 3 Prozent zurück. In Deutschland sind dagegen die Lohnstückkosten im gleichen Zeitraum um fast 9 Prozent gewachsen, jedoch die Exporte stark gestiegen. Die direkt wirkenden, schweren Belastungen auf der Importseite durch die Einführung der Drachme sind unübersehbar. Die Preise für Importe nach Griechenland steigen. Wegen der hohen Importverflechtung droht eine Hyperinflation, die wiederum die Einkommen real abwerten und zur Schwächung der Binnenwirtschaft führen würde. Auch die Lieferung von Ausrüstungsinvestitionen, wie Maschinen, wird im Drachmenland für griechische Unternehmen unbezahlbar.
Der grundlegende Denkfehler der naiven Drachme-Protagonisten ist die Erwartung, auf dieser Basis könne sich Griechenland mit ausreichender, sich selbst regulierender Eigendynamik aus dem tiefen Krisensumpf ziehen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Wiedereinführung der Drachme würde Griechenland ökonomisch ins Abseits drängen. Eine dauerhafte Armutsökonomie innerhalb der EU wäre nicht auszuschließen.
Die Vier-Säulen-Strategie ist die Alternative zu dem perspektivlosen Grexit: Erstens muss ein Sofortprogramm gegen die massenhafte Armut eingesetzt werden. Zweitens ist eine Regelung der hohen Staatsschulden notwendig. Entweder es kommt zum machbaren Schuldenerlass, der mit über 80 Prozent derzeit öffentliche Kreditgeber trifft, oder die Zahlungsverpflichtungen werden im Rahmen eines Moratoriums ausgesetzt. Drittens muss endlich der gezielte Aufbau einer nachhaltigen, wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstruktur und öffentlichen Infrastruktur im Sinne eines Marshallplans angegangen werden. Viertens ist Griechenland auch aus innerdemokratischen Gründen gut beraten, einen Beitrag zur „good governance“, also zum guten Regierungs- und Verwaltungshandeln auch durch den Abbau von Korruption und Steuerhinterziehung zu leisten.
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