Warum ist es nicht zu einer Einigung zwischen der griechischen Regierung und den Institutionen gekommen?
Stellungnahme von Efklidis Tsakalotos, Koordinator des griechischen Verhandlungsteams vom 27. Juni 2015
In der griechischen Schuldenkrise wird immer wieder behauptet, Griechenland würde den Institutionen nicht entgegenkommen und hätte gar kein wirkliches Interesse an einem Kompromiss. Das ist schlichtweg gelogen. Tatsächlich ist Syriza den Gläubigern sehr weit entgegen gekommen. Es wurden ernsthafte Vorschläge gemacht: Beispielsweise zur Bekämpfung der Korruption, ja sogar zur Reform des Rentensystems! Es zeigt sich deutlich, dass der Konflikt um die griechische Schuldenkrise kein inhaltlicher ist, sondern ein politischer. Der Koordinator des griechischen Verhandlungsteams vom 27. Juni 2015, Efklidis Tsakalotos schreibt: „Die Institutionen haben zu keinem Zeitpunkt akzeptiert, dass die griechische Regierung im Geiste des Beschlusses der Eurogruppe vom 20. Februar zumindest einige Reformen vorschlagen könnte, die einer anderen Logik folgen.“ Hier geht es darum, dass die Institutionen ihre neoliberale Agenda um jeden Preis durchsetzen wollen.
Warum es nicht zu einer Einigung zwischen der griechischen Regierung und den Institutionen gekommen ist, hat Tsakalotos in seiner Stellungnahme detailliert aufgelistet:
Stellungnahme von Efklidis Tsakalotos,
Koordinator des griechischen Verhandlungsteams vom 27. Juni 2015
Wenn Verhandlungen scheitern, gibt es dafür fast immer mehrere Ursachen. Dies gilt vor allem dann, wenn – wie im Fall der griechischen Regierung – wir mit drei Institutionen verhandelt haben, die sich nicht immer über die gewünschten Details einer jeglichen Vereinbarung, geschweige denn über die darüber hinaus gehenden strategischen Punkte wie die Frage einig waren, ob die Verschuldung Griechenlands nachhaltig ist und umstrukturiert werden muss. Beide Seiten haben behauptet, dass sie größtmögliche Flexibilität gezeigt haben, um für eine Einigung zu sorgen. Leider lässt sich diese Behauptung nicht so einfach mit der Haltung der Institutionen bei den Verhandlungen in Einklang bringen.
1) Haushaltsziele und fiskalpolitische Maßnahmen
Vor dem Hintergrund der Einkommensverluste (25 %) der letzten fünf Jahre und der hohen Arbeitslosigkeit, der wir gegenüberstehen, hat die griechische Regierung Zielen zugestimmt, die sich ziemlich rezessionsverschärfend auswirken, um in den kommenden Jahren Haushaltsüberschüsse zu erwirtschaften. In diesem Zusammenhang hätte man erwarten können, dass die Institutionen recht „flexibel“ – das ist ihr Lieblingswort – in Bezug auf die Frage agieren, wie wir diese Ziele erreichen. Das Gegenteil ist der Fall:
• Sie beharrten darauf, dass das Haushaltspaket für 2016 eine Mehrwertsteuererhöhung in Höhe von 1 % des BIP enthalten müsse. Man erklärte uns, dass die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes für Restaurants/Catering auf 23 % so etwas wie einen „Deal Maker“ – ein weiterer Lieblingsbegriff – darstellt. Am letzten Verhandlungstag aber änderten die Institutionen ihre Haltung. Obgleich sich beide Seiten auf der technischen Ebene zuvor darauf geeinigt hatten, wie viele Steuermehreinnahmen aus dieser Erhöhung zu erwarten seien, erklärten sie nun, dass man nur auf dieses Ergebnis kommen könne, wenn man die Mehrwertsteuer für Catering/Restaurants und Hotels auf den Höchstsatz anheben würde. Angesichts der Folgen dieser Veränderungen für den Tourismus in Griechenland war die Behauptung der Institutionen, dass die griechische Regierung Maßnahmen vorgeschlagen habe, die sich nachteilig auf die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft auswirken würden, schon etwas verwunderlich.
• Sie beharrten auch darauf, dass das Haushaltspaket für 2016 Einsparungen in Höhe von 1 % des BIP aus dem Rentensystem enthalten müsse. Die griechische Seite hatte einen ernsthaften Vorschlag zur Reform des Rentensystems vorgelegt, der unter anderem Einschränkungen bei Frühverrentungen und die Anhebung des effektiven Renteneintrittsalters vorsah. Wir haben darüber hinaus vorgeschlagen, eine seriöse versicherungsmathematische Analyse vorzulegen, auf deren Grundlage Vorschläge für Reformen hätten erarbeitet werden können, die eingeführt werden, sobald die Wirtschaft ihre Talsohle durchschritten hätte und die Arbeitslosigkeit zurückgegangen wäre. Aber wenn man auf einem Prozent des BIP aus den Renten für 2016 beharrt, setzt man auf Rentenkürzungen, nicht auf eine Rentenreform.
• Sie beharrten darauf, dass keine administrativen Maßnahmen in das Haushaltspaket aufgekommen werden dürften, um die Haushaltslücke zu schließen. Nun ist sicherlich richtig, dass administrative Maßnahmen wie die Bekämpfung von Korruption und Steuerflucht erst nach einiger Zeit greifen. Es ist aber etwas völlig anderes, die Einbeziehung jeglicher aus diesen Maßnahmen resultierender Einnahmen in das vorgeschlagene Haushaltspaket zu untersagen. Dies ist noch unverständlicher im Fall dieser Regierung, die sich im Wahlkampf für die Bekämpfung von Korruption und Steuerflucht stark gemacht hat.
• Sie haben nur widerwillig Maßnahmen akzeptiert, für die die Eliten und wohlhabenden Schichten der Gesellschaft hätten aufkommen müssen, und behauptet, dies würde die Entwicklung torpedieren. Folglich lehnten sie die Pauschalabgabe auf Unternehmensgewinne, die über 500.000 Euro liegen, ab und schlugen gleichzeitig vor, dass alle Unternehmen – große und kleine – ihre Steuern für das Folgejahr zu 100 % vorab entrichten. Es wird wohl das Geheimnis der Institutionen bleiben, warum Letzteres der Entwicklung förderlich sein soll.
• Sie beharrten darauf, dass die Lockerung der Lohn- und Gehaltsstruktur im öffentlichen Dienst, die an sich keine schlechte Maßnahme ist, in beide Richtungen vollzogen werden solle. Das bedeutet, dass die Löhne der am schlechtesten bezahlten Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst weiter gekürzt werden sollten.
2) Strukturreformen
Die Institutionen haben zu keinem Zeitpunkt akzeptiert, dass die griechische Regierung im Geiste des Beschlusses der Eurogruppe vom 20. Februar zumindest einige Reformen vorschlagen könnte, die einer anderen Logik folgen. Sie beharrten nämlich darauf, dass die Liste der Privatisierungen erweitert werden solle und die Arbeitnehmer mit echten Lohnkürzungen konfrontiert werden sollten, da sie gezwungen würden, höhere Beiträge für das Sozialversicherungs- und Gesundheitssystem zu entrichten. Darüber hinaus
• haben sie zu keinem Zeitpunkt akzeptiert, dass die griechische Regierung gemeinsam mit der Internationalen Arbeitsorganisation rasch ein Tarifverhandlungssystem einführen könnte – also etwas, das bei den meisten unserer Partner bereits existiert. Aus unserer Sicht kann ein solches System einen Beitrag zu einem neuen produktiven Modell leisten, bei dem die Unternehmen durch Innovationen und die Erschließung neuer Märkte reüssieren und nicht auf der Grundlage niedriger Löhne und schlechter Beziehungen zwischen den Tarifpartnern. Eine zeitliche Verschiebung dieser Reform führt lediglich dazu, dass Unternehmen Arbeitnehmer entlassen dürfen, die beispielsweise 700 Euro pro Monat verdienen, und dafür andere Arbeitnehmer einstellen können, denen sie lediglich 500 Euro pro Monat zahlen müssen. Dieser Ansatz sorgt wohl kaum für ein blühendes neues Wirtschaftssystem.
• Sie haben zu keinem Zeitpunkt akzeptiert, dass die griechische Regierung – dieses Mal gemeinsam mit der OECD – eine neue Reformagenda für Produktmärkte erarbeiten könnte, die sich von der Agenda der Vorgängerregierungen unterscheidet. Sie beharrten im Gegenteil darauf, dass die Liberalisierung von Apotheken und Bäckereien in gewisser Weise entscheidend für die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft sei. Wir haben dem entgegnet, dass wir uns zuerst um die „großen Fische“ kümmern, d.h. mit den wichtigen Kartellen in bestimmten Industriezweigen, dem öffentlichen Beschaffungswesen und den Korruptionsbekämpfungsmaßnahmen beginnen sollten. Wir haben darüber hinaus darauf hingewiesen, dass die richtige Reihenfolge der Reformen auf der Angebotsseite entscheidend für ihren Erfolg ist und die OECD unserer Auffassung zugestimmt hat, dass die falsche Reihenfolge in der Vergangenheit für das Scheitern der strukturellen Anpassungsmaßnahmen in Griechenland mitverantwortlich war.
3) Finanzierung
Die Finanzierung der Erweiterung des Programms sollte nach dem alten Modell weitergeführt werden: Reform – Auszahlung – Zahlung, wobei jeder Schritt nacheinander vielfach überprüft wird. Diese Finanzierungsvereinbarungen wären von Auszahlungen seitens des IWF abhängig gewesen, die man nicht als selbstverständlich voraussetzen konnte. Darüber hinaus hätten sie nicht das Problem der Zahlungsrückstände und der verzögerten Zahlungen an unsere eigenen Bürger gelöst und uns nur wenige wertvolle Puffer gegen unvorhergesehene Ereignisse an die Hand gegeben. Diese Aspekte hätten der Regierung kaum den haushaltspolitischen Spielraum verschafft, den sie braucht, um sich voll und ganz ihrer ehrgeizigen Reformagenda zu widmen.
Darüber hinaus haben wir in Bezug auf das Verschuldungsproblem eine leicht verbesserte Version der Zusage der Eurogruppe vom November 2012 angeboten, das Thema Verschuldung nach dem Sommer neu zu betrachten. Der moderate Vorschlag, die problematische Verschuldung gegenüber der EZB in eine weniger problematische, längerfristige Verschuldung gegenüber dem ESM umzuwandeln, ohne der griechischen Regierung selbst mehr Geld zur Verfügung zu stellen, wurde nie ernsthaft in Betracht gezogen.
Fazit
Es spricht wenig dafür, dass sich mit dem Vorschlag der Institutionen die Frage des Grexit ein für alle Mal erledigt hätte. Sie wäre lediglich auf einen Zeitpunkt verschoben, an dem es zu Verhandlungen über ein neues Programm und die Verschuldung gekommen wäre. In diesem Zusammenhang ist eher unwahrscheinlich, dass dadurch das aufgestaute Nachfragepotenzial freigesetzt worden wäre, d.h. dass die Verbraucher mehr Geld ausgeben, dass die Bürger ihr Geld aus dem Ausland zurückholen bzw. unter ihrer Matratze hervorholen und wieder bei den griechischen Banken einzahlen und dass Investoren in Griechenland investiert hätten. Mit anderen Worten: Es spricht wenig dafür, dass die Wirtschaft die Wende geschafft hätte und wir in der Lage gewesen wären, unsere Zusagen bezüglich der Haushaltsüberschüsse einzuhalten.
Was hält also die griechische Regierung von der vorgeschlagenen Flexibilität der Institutionen? Es wäre eine tolle Sache. Wir betrachten das Referendum als Teil des Verhandlungsprozesses und nicht als dessen Ersatz. Wir sehen folglich mehr Flexibilität in den nächsten Tagen mit Interesse entgegen.